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Sächsische Volkszeitung : 20.05.1925
- Erscheinungsdatum
- 1925-05-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192505200
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19250520
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19250520
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1925
-
Monat
1925-05
- Tag 1925-05-20
-
Monat
1925-05
-
Jahr
1925
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 20.05.1925
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Mir MndellMlm TaS steiierfrele Eristcnzminlmum und Aiiidcrprivilkg. Vvn Ministerialditcektor z. T. Dr. Paul B « usch, M. d. N. ?lls die neuen Stenerporlagen der Regierung bekannt wur den, erregte es allgemeine Neberraschung, daß di« Rerchsregie- rnug in den oberen Gruppen der Steuertarife und bet den oberen Einkommensschichten einen starken Abbau hinsichtlich der steuerlichen Verpflichtungen vocnahm, aber anderseits aus dre Belange des Mittelstandes und der unteren Schichten kein« Rücksicht nahm Ties mutzte um so eigentümlicher berühren, als gerade in der Zeit des Ruhrkampfes und »n Jahre 19--4 der ursprüngliche soziale Charakter des Steuersystems von 1919/20 vollkommen verrückt und verwischt worden war, T>« Regelung, welche auf Grund oec zweiten Steuernotverordnung Ende 1923 für 192t getroffen wurde, war einzig und allem von fiskalischen Gesichtspunkten getrag«» und hatte dre Be steuerung der untersten Klassen in einer Weise vorgenommen, wie dies bisher noch nie oer Zoll gewesen war. dlber auch der Mittelstand war durch diese Notverordnung von 1924 aufs schärfste getroffen worden. ES wäre deshalb eine unbedingt notwendige Forderung geioesen, daß die Reichsregteruntz ans dem Gebiete, auf dem sich der soziale Charakter des Ltsuer- ivesens am meisten ausprägt, nämlich auf dem Gebiete des Existenziiilniiiinms nnd oes KimderprivLlegs, entsprechend ent gegenkam. In den Vorlagen war jedoch das Exist enz- minim um überhaupt nicht erhöht, sondern nach wie vor auf 720 Mark festgesetzt. Selbstverständlich kann eine solch niedere Grenze nicht bleiben. Tie Neichsregiei >ng inacht nun geltend, datz bei Hec- anfsetzung des Existenzminimnmö gewaltige Steuerausfälle zu gewärtigen seien. Das ist richtig. Es lverden sehr große Summen anssallen. Tas beweist aber nur, daß eben bis her eine sehr starke lleberlastung der unteren Klassen statte, inndcn hat. Nach der Berechnung der Regierung würde «ur Heraufsetznng des steuerfreien Existenzmtnflnuins auf 300 Mark bereits einen Ausfall von nahezu 270 Millionen bedeut«». Eine Heraussetznng auf 960 Mark soll 360 Millionen Stenec- anssall nach sich ziehen. Bei einer Erhöhung des Existenz- minimums auf 1200 Mark aber würde nahezu die Hälfte der ganzen Lohnsteuer in Wegfall kommen. Diese Berech nung ist insofern anfechtbar, als einmal doch noch mit einer Erhöhung der Löhne in Zukunft gerechnet werde» mutz, u»d als anderseits in den obere» Stufen die Ausfälle kleiner wer den, weil dir Zahl derjenigen, die hohe Einkommen beziehen nicht so gcotz ist, wie di« Zahl derjenigen, die kleine Ein kommen beziehen. Ter Ausfall wird also immer am stärk sten in den unteren Stufen der Lohnpyramide sein, ivähreud in den oberen Stusen der Lohnpyramide wegen der geringen Zahl der Vertreter dieser Lohngrötzen die Ausfälle nicht so hoch sein können. Immerhin mutz naturgemäß auch auf den fiskalischen Er trag Rücksicht genommen ,»erden. Bor dem Kriege war das Existenzminimum in den ein zelnen Staaten Deutschlands sehr verschieden geregelt. So hatte Preußen ein Existenzminimum von 900 M-, Bayern von 600, Sachsen von 400, Württemberg von SM, Baden von 900 Hessen von SM und Hamburg von 1000 M. Dabei ist aber zu bedenken, datz dieses Eristenzmuiianum wesentlich anders gestaltet war, als eS für die Zukunft ge plant ist. Heute werden von allen Arbeitseilnkommen be stimmte Beträge in Form des ExistenzmmimUms steuerfrei ge lassen, während in den früheren Einkommensteuersysteme.n di« Steuer eiusctzte vom gesamten Einkommensbetrag, sobald die Freigrenze überschritten wurde. Wer also in Preußen 9M Mark Einkommen hatte, blieb frei; wer aber Ml Mark Ebn kommen hatte, wurde mit den gesamten 901 Mark zur Steuer herangezogen. Seit der Eczberger-Reform bleibt, von den großen Einkommen abgeselchi, be: jedem Einkommen citn Betrag in Höhe des Existenzminrniums stouorfrei. Dadurch lverden naturgemäß die Ausfälle für den Steuerfiskus erheblich größer, als dies früher der Fall war. Welch gewaltige Sum men des Volkseinkommens dadurch steuerfrei lverden, geht dar aus hervor, daß es heute 21 Millionen lohnsteuerpflichthge Personen in Deutschland gibt. Beim Existenznlininmlim und Kinderprivileg sind die zwi Angelpunkte gegeben, die cs ermöglichen, die Alnkomuieiisteue sozial zu gestalten. Deswegen mutz das Bestrebe» sein, an diesen beiden Gebieten möglichst bis an die Grenze des fi nanziell Tragbaren in der Befremung zu gehen. Tie Ge werkschasten der verschiedensten Richtungen haben sich für ei! Existenzininimuin von 100 Mark monatlich, also 1200 Mar jährlich ausgesprochen. Die Sozialdemokratie hat einen dies bezüglichen Antrag gestellt. Es wäre ja zweifellos zu begrüßen wenn man dieses Ziel erreichen könnte. Angesichts oer G« staltung unserer ganzen Einkomniensverhältnisse scheint dtp aber vorläufig nicht möglich zu sein. Deswegen hat das Zen trum einen anderen Weg beschichten, der in seiner Wirkuw sozial besser erscheine,, dürfte als selbst der sozialdemokrcMch Vorschlag. Unser Vorschlag sieht vor eine Verbindung des Existenz »liiilinnms mit de,,, Faniillicuprivileg. Es soll ein möglich! starkes Kinderpcivileg gegeben lverden, damit gerade den Fa mtlisn, die es am meiste» notwendig haben, geholfen wird Ter sozialdemokratische Antrag ist mehr auf di« Einzelverso, gestellt, während der Vorschlag des Zentrums die F-imilr in den Vordergrund rückt. Nach unserem Vorschlag sol das jährliche Existenz,»inkm,,», 960 Mark betragen. Fst wdes Kind aber soll bis zu einer gewissen EinkomniLngcenze d.e noch isicht feststeht, ein Abzug von zwei Prozent von den zehnprozentigen Steuersatz erfolgen. Nach dem Zentrumsvor lchlag würde also eine Familie mit fünf Kindern auch be 3000 Mark schon keine Einkommensteuer mehr zu zahlen haben Be: vier Kindern wurde die Steuerfreiheit eintreten infolm der zu berücksichtigenden Abrundung bei einem Einkommen vor etwas über 1900 Mark. Im übrigen aber würden alle Fm Milieu einen viel geringeren Steuersatz zn tragen haben al- in der Gegenwart. Durch die Abrundung bleiben nicht 966 Mark, sondern bis zu 1 055 Mark steuerfrei. Bei zitzei Kindern würden dann von dein Rest nur noch fünf Prozent Steuer» erhoben, so daß bei estiem Einkommen von 14M Marl im ganze,! Jahr „„r^ 17,S0 Mark Steuern zu erheben wären. Ter Vorteil difles -Systems wird besonders klar, wenn man sich -wei verschiedene Famiüieu vorstellt, von denen dis eine Kinder hat, die noch nicht verdienen können, während bei der anderen Familie die Kinder niitverdteiien. Nehmen wir jede Familie mit vier Kindern. Tann würden zwar nach dem sozialdemokratische» Vorschlag 12M Mark als Exist-nzmiiilmii», steuerfrei bleiben; aber dieses steuerfrei« Existenzininimuin wür de bei einem niedere,, Krnderprivillcg nicht so stark inS Ge- wicht fallen, da in diesem Falle nur ein Mann in der Fa- iiiilie verdient nnd die Belastung durch die kleinen Kinder be sonders/stark ist. Bei der anderen Familie, bei welcher vier Kinder/mitverdienen, also fünf Personen vorhanden sind, die 1"°/. c > ^"iil>ene,„ko,",ne» in Frage kommen, würde „ach dem sozialdemokrat>,ch-n Vorschlag ein gesamtes Existenz,ulni- miini von ü mal 1200 gleich 6000 Mark in Frage kommen. Man sieht, daß h-er gegenüber der Aamiliie mfl kleinen Kin- Asi.° Ungerechtigkeit klafft. ES ist deswegen sozial- politisch besser, wenn die Familie mit nicht verdienenden Kin der» eine höhere Steiicrfreigrtiiz« erhält und dafür das Lxi- ltenzminlniiim etwas niedriger gehalten wird. Die Belange der Arbeiterschaft sind auf dies« Weiise noch besser geivahrh als mit dem Freilassen von IM Mark pro Monat für iede,, Steuerpflichtigen. Ter materielle Unterschied zwischen den bei- den Vorschlägen wird für kindeccicme Familien nicht groß sein, für kinderreich« Familien dagegen dürste der Ze„- truittsvorschlag einen erheblichen Fortschritt bedeuten und ihnen zuin Segen gereichen. Gelingt es, diesen Vorschlag des Zentrums durchzusetzen, so wird das sozial« Antlitz unseres Steuersystems vollkommen ^„gestaltet, was angesichts der Verschiebungen in der Lastem- verteiluiig seit 1924 unter alten Umständen notweuoig ist. M AlM -er IM« AMe Bon Prof. Dr. Briefs, Freiburg t. B. Ter letzte Sinn aller Sozialpolitik ist soziale Befriedi gung friedvolles inneres Zusammenleben aller sozialen Schich ten eines Volksganzen, gesundes Jnetnanderspiel aller gesell- schastlicheu Kräfte. Sozialbefriedetes Zusammenleben gewähr- leistet beste Oekoiiomie der nationalen Schaffens- und Kultur^ kräste und höchste Geschlossenheit „ach außen. Wir ,n Deutsch land wissen aus schmerzvollen Erfahrungen, wie sehr der Man gel an sozialer Befriedigung im Innern der Nation die Kräfte nutzlos verzehrt lind »ach anßen ein Volk schwächen kann. An derseits st.'ht aber fest, daß gerade wir das Volk der hoch- entwickelten ,Sozialpolitik waren — gleichzeitig das Volk, in dem di« stärksten sozialen Spannungen und Gegensätze tobten- Interessenten gegen die Sozialpolitik und voreilig« Beurtei ler könnten daraus den Sck-lnß ziehen: Sozialpolitik sei nicht die geeignete Methode zur Sicherung des sozialen Friedens. Ter Schluß ist oft gezogen worden; pieke ziehen ihn heute noch. Wäre er richtig, so ständen wir allerdings vor einer furchtbaren Alternative; sie lautet: entweder soziale Befriie- digung — erkauft mit sozialem Elend — oder: soziale Hebung der notleidend«» Schichte,i — bezahlt mit sozialem Unfrieden! Aber jener Schluß ist nicht zutreffend. Tie Ursachen unseres sozialen Unfriedens liegen nicht schlechthin in unserer Sozialpolitik beschlossen. Wohl ist festzustellen, daß gewisse methodische Mängel unseres deutschen sozialpolitische» Systems, die im sachlichen Gehalt niiserer Sozialpolitik liegenden B«- friedigungsmöglichkeite» nicht genügend zur Auswirkung gelan- langen ließen. Es war der schwere Konstruktionsfehler dieser unserer Sozialpolitik, daß sie zn sehr von außen her, obrigkeit lich, verwaltungsmäßig aufgezogen war, datz sie den Meirichen denen sie helfen sollte, vorkam wie ein« Sparte „obriigkeiih lrcher Verwaltung" mehr, in die sie hineingesteckt waren; sie iiinschlotz zuviel Apparat und berücklichtigte zu wenig, daß sie auf lebendige, erwachsene, durch dir allgemeine Volksbildung zu Selbstbewusstsein gelangte Menschen wirken sollte. So ver fehlte der kostspielige Apparat eine» seiner Hauptzwecke: Trä ger sozialer Friedenswahrung zn sein. Tas war sein metho disches Gebrechen. Aber auch inhaltlich lagen die Zielpunkte der Sozialpo litik zu eng. Gewiss« Setten des Arbeiterschicksals traf sie gut; hier wirkte sie als Lebensschutz und Lebsnsfichernng des Arbeiterdaseins, zumal in den Sparten des Arbeiterschutzes und der Arbeiterversicherung. Es sei freudig anerkannt, daß sie hier teilweise Mustcraültges leistete. Tic Frucht ernteten wir bei Kriegsausbruch, als sich alle Gewerkschaftsrichflingen auf den Boden der nationalen Verteidigung stellten, und den ganzen Krieg hindurch. Aber es ist nicht zu leugnen, daß soziale Be friedigung damit nicht geschaffen war. Warum nicht? Sozialpolitik ist soziale Therapie; diese setzt, wenn sie wirken soll, soziale Diagnose voraus — Erkenntnis der wah ren Gründe der sozialen Unruhe. Und da scheust mir die deutsche Sozialpolitik die Diagnose der sozialen Un ruhe nickst genügend tief getroffen zu haben. Sie fixierte nnd diagnostizierte die Unsicherheit des Arbeitcrschicksals und sicherte es einigermaßen gegen Unfall, Krankheit, Invalidität und Alter — aber sie sah isicht, daß das Arbeiterlebensschicksal als Ganzes, großen Teilen der Arbeiterschaft fraglich, ja im- tragbar war! Sie sah nicht, daß ein gewichtiger Quell der Arbeitcrunruhe darin beschlossen war, daß der Arbeiter in stinem Stande, so wie dessen TasefliSbebingungen waren, nicht zur Ruhe kommen konnte, daß ihm andererseits die Möglichkeiten des Aufstiegs ans seinem Stande verschlossen waren. Das ist der tiefere Grund der Arbeiterunruhe in Teutlschlnnd: Un zufriedenheit des Arbeiters mit seinem Stande bet fehlender Anfstiegsschance in bürgerliche Lebensstellung! An diesen Punkt — de» eigentlichen Herd der Krank heit — rührte unsere Sozialpolitik nicht heran. Daran schlug sie fehl, soweit ihre BefrAdigungssiiiiktio» in Betracht kommt- Hier ist der Punkt, den alle Sozialpolitik der Zukunft in Deutschiand zu fixieren hat. Wenn hier angeseht wird, sind Mängel der Arbeiterversicherung und des Arbetterschntzes sehr viel leichter zu ertragen. Es ist die stereotiype Klage o«s deutschen Arbeiters; wir arbeiten und schaffen Tag für Tag, Ial,r für Jahr in derselben Fron — und am Ende unseres Lebens sind wir so arm wie am Anfang; am Ende unseres Lebens sehen wir Sohn und Enkel- da wieder anfangen, wo wir aushörten — unser Leben ist der schwere, für einen Men schen sinnlose Gang zwischen den Mauern, hinter denen keine Hoffnung wartet. — Dieses Lebensschicksal nahm unsere Sozial politik als gegebene Größe hin — aber dem deutsche» Arbeiter war dieses Lebensschicksal selbst schon fraglich. Und so setzte di« deutsche sozialpolitische Therapie bereits an einer Stell« «iS, wo für de» Arbeiter noch ein Problem sogar das Hanptproblcm! — lag. Ter deutsche Arbeiter ist in der genauen Bedeutung des Wortes Proletarier — viel mehr als sein englischer und ame rikanischer Kollege. Tenn die Weite des englischen und ame rikanischen Wirtschastsrciches, seine ökonomische Kraft und Stärke, ermöglicht auch noch grotzen Teile» der Lohnarbeiterschaft den Ausstieg in bürgerliche Lebensverhältuisse. Billiges Land »iid großer Wirtschaftsrcichtiim sino die günstigen Vorbedingungen des Aufstiegs für die fleißigen und intelligenten Arbeiter' in jenen Ländern. Tas geht uns in hohem Grade ab. Daher hat der Lohn bei uns die Eigenschaft, sich nicht über den „Kon- sumjonds" zu erhebe». Ersparnisse haben bei unseren Arbei ter» weniger de» Charakter der Vermögens-Bildung, als den der Rücklage für unvermeidliche Schicksalsschläge und Zeiten besonderer Aufwendungen. Und so wird unser Arbeiter daue rnd und erblich in das LohnverhäliniS genötigt; der Aufstieg ist ein« Zufallsangelegenheit; e.r sttzt besonders günstige individuelle Gelegenheiten voraus. Und mit diesen kann eine ganze soziale Schlicht, zumal von üer Breite der Arbeiterschaft, nicht rechnen. Sie sieht mit Recht nur oi- uormcileii Bedingungen ihres Daseins — und die sind eben „proletarisch", d. h. sie nötigen in bas dauernde und erb liche Lvhnverhciltiiis. Aber damit ist noch nicht erklärt, woher die Unzufriedenheit des Arbeiters mit seinem Stande stammt. Für Mitglieder anderer Stänoe gibt es vielleicht auch keime oder geringe Aufstiegschancen >— ,„,d doch sind sie in ihrem Stande zu frieden. Woher stammt die innere Unruhe des Arbeiters in seinem Stande? Gewiß zum Teil aus den kargen, schmalen und abhängigen Lebensbedingungen dieses Standes, aus seiner man- gelnden Sicherung gegen die Zufälle der Arbeitsmarktlage, der Krankheit, des. Unfalles usw., aus der ArbeitSmekhodl! der moderne» Wirtschaft, aus den Lebenserschwernisseu von Groß betrieb, Großstadt und Mtetkaserne». Aber das ist nicht alles. Ein Stand verleiht, gefestigtes, in sich ruhendes Dasein seine» Mitglieder auch durch seelische Tatsachen. Tas Wiichtigste ist die einem Stande seitens der andere,, Stände bereitwilligst entgegengebrachte Stiandeschre — aus ihr erwächst Stand.'s- bewußtsein und Standesgefühl, letzthin Befriedigung im Stande für seine Angehörigen. Gerade an dieser von außen bereit willig entgegengebrachten Standesehre hat es dem Arbester- st-.nde vielleicht »irgendwo mehr gefehlt als in Deutschland. Weder der deutsche Staat, noch der deutsche Gebildete, noch das Bürgertum hat der d-utichen Arbeiterschaft die Ehre ge geben, die ihr geziemt hätte! Bet uns hat Handarbeit, zu mal Fabrikarbeit, sozial deklassiert. Ein alter Gewerkschafts führer erzählte mir einmal, es gelte vielfach - unter Arb.-fler- töchtern geradezu als Mißheirat, einen Mann ihres Standes zu heiraten — er fügte hinzu, ein Gutteil der unerwünschten Erscheinungen in der jüngeren Arbeiterschaft führe er darauf zurück, daß de,» einfachen Arbeiter oft genug das Coiinnb-.lM -die Möglichkeit der Hestatl unter den Töchter» des eigenen Standes verweigert werde und sie so nicht zu StandeSbewnßt- sein gelange». Ter Soziologe weiß, wie scharf die Stänoe sich scheiden am Coiiuiib!,im — und wie tief unzufrieden der Nachwuchs eines Standes mit seinem Stande lverden kann, wenn dieser ein Hindernis des gewünschten Cviinubiiims wird. Ein Stempel auf ständische Minderwertigkeit waren i» Deutsch land vor dein Kriege auch gewisse politische Benachteiligungen, unter denen gerade die Arbeiterschaft litt und an de,,?» sie ihres Vaterlandes nicht froh wurde. Bei all dem sei eins nicht übersehen; in der deutschen, Aibeiternnruh« wirkt sich zu einen« Teil auch die innere Zer rissenheit des modernen Menschen überhaupt aus, jene Zer- rissenhc't, die letzthin aus der Unruhe des gotlentfreind't.e'ir Herzens stammt. An dieser Unruhe leidet ja wohl unser ganzes deutsches Leben in allen Schichten, und ein Teil der Zuckungen unseres Volkskörpecs hat hier sicher seine Ursache. Diese Zerrissenheit des Herzens, dieses Fehle» der seste» ab soluten Achse, um die nun einmal jedes Menschenleben bewußt oder unbewußt kreist, lransponiert sich in den Teilen der Arbeiterschaft, die mit allein Religiösen „fertig" geworden sind, in eine andere Ebene um, naturgemäß in die Ebene, j» der di« neuen mit Inbrunst ergriffenen Werte liegen - und diese Werte waren nun einmal im Zeitalter des bürgerliche» Mate- rial'sinus die Werte des Habe»?, Genießens, Erwerbens: bei der Abhängigkesi des Wertbildes der unteren sozialen Schich ten von dem der oberen wurden größte Teile der denkich«-» Arbeiterschaft auf eine Wertebene gedrängt, in der sie nur die Gedrückten, Ailgebeiiteten und Benachteiligte» war^n, in der sie nichts galten und nur abhängig waren. Hier flainmte dann der Widerspruch zwischen dem erstrebten Wert und den begrenzten Möglichkeiten zerstörend auf, bis zur Klassenkampf- idec und der sozialen Revolution. Wer die Ouelipnnkte der Arbeiter-,„ruhe nicht auch im bürgerliche» Materialismus suchr, der wird sie nie ganz entdecken. Ans dieser Arbeiteriinriihe ergeben sich drei Linien aller Therapie; eine Linie geht auf materielle Fürsorge für die Arbeiterschaft, sie verläuft im bisherigen Sinne „sozialpolitisch": eine andere Linie erstrebt Hebung des Standes als eines Ganzen, Weckung und Pflege des Standesgesühls und der Standesehre; eine dritte Linie geht auf religiöse Erneuerung r— aber nicht etwa nur der Arbeiterschaft, sonder» auch der Stände, deren Wertbild letzthin für die Bildung des proletari schen Wertbildes maßgebend ist. Diese Dreiheit der Ziele ist untrennbar. WeriiMii IM AmbM Dom Deutschen Werkmeisterbund wird uns geschrieben: Das schwere Grubenunglück auf Zeche Mathias Stinnes, Schacht k, zu Karnap, am 4. April 1S25, bei welchem während der Seilfahrt auf bisher nicht vollständig auf-geklärler Weise 11 Berg knappen zu Tode kamen, 19 schwer und 41 leicht verletzt wurden, hat der Reichsfachgruppe „Fördermaschinisten" im Deutschen Werkmeisterbund Veranlassung gegeben, dem preußischen Land tag und den zuständigen Ministerien in einer besonderen Eingabe Vorschläge mit eingehenden Begründungen zur Verhütung ähn licher Unsülle zu machen. Gefordert wird u. a.: 1. Die Belastung bei Personenseil fahrten muß herabgemindert werden und zwar von 70 auf 40 Manu Höchstbelastung: L. Die Geschwindigkeit bei Seilfahrten ist von 12 auf höchstens 8 Sekundenmeter zu verringern: 3. Bei Koepe-Fördermaschlnen sind unverzüglich verzinkte Drahtseile sinzuführen: 4. In allen Fördermoschinenräumeri muh für hin reichende Abkühlung durch Aufstellen von Ventilatoren gesorgt werden. Neben diesen Hauptforderungen wurden weitere Ergän- zungsvorschläge eingereicht. Bei der kommenden Besprechung des Bergetats im Landtag werden weiter« Wünsche der Förder- Maschinisten zur Sprache gebracht werden. — Brbeitsverluste durch Krankheit. An der -Hand der für das Halbjahr 1923 herousgegebenen Statistik stellt der Oberarzt der englischen Krankenversicherung Sir George Newmanns fest, daß In diesem Jahre nicht weniger als 20,5 Millionen Arbeits wochen durch Krankheit und zeitweilige Arbeitsunfähigkeit der Arbeiter und Arbeiterinnen verlorengingen. Die Statistik er streckt sich nur auf die versicherten Arbeitnehmer und berücksich tigt die ersten drei Tage der Krankheit und Arbeitsunfähigkeit nicht. Der erwähnt« Arbeitsverlust entspricht der Jahresarbeit von 394 230 Personen. Fm Jahr« 1923 gingen i» England durch Streiks und Aussperrungen ungefähr halb so viel Arbeitstage verloren, als Arbeitswochen infolge von Krankheiten. Das Land könnte ohne Verlust 50 Millionen Pfund oder, zu 5 Prozent Kapi talisiert, ein« Milliarde Pfund jährlich für die Verbesserungen des Wohnungselendes und der gesundheitlichen Verhältnisse aus- geben, wenn dadurch die Verlust« durch Krankheit um ein Drit tel vermindert werden könnten. Mcnschenökonomie ist die beste Sparsamkeit. — Arbeitspausen und Produktivität. Die »eueren aeoeiis- physiologischen Untersuchungen sprechen nicht nur für die hygie- ntsche, sondern auch für die produktlonstechuische Notwendigkeit der Arbeitspausen. Die Einfügung einer zehn Minuten langen Arbeitspause bewirkte beim Zettelkseben. Zusanimensügen von Fahrradketten, Packen und Schuhenälien eine Verbesserung der Arbeitsleistung. Bei den Zettelckieber,, betrug sie bei den laug- samsten 17, bei den mittleren 18. bei den schnellsten Arbeitern 8 Prozent In einer Spinnerei wurden sowohl in die fünfstün dige Vormittags- ivi« in die fünfstündige Nachmittagsschicht fol gende Pausen eingeschaltet: Eine Pause von zehn Mnuten nach den beiden ersten Arbeitsstunden der Schicht und ein« ebensolange Pause nach »»eiteren anderthalb Arbeitsstunden. Die Arbeiter innen hatten di« Paus« liegend zuzubrtngen. Es ergab sich er- stens eine Steigerung der Tagesproduktion um durchschnittlich etwa 19 Prozent. Die Pausen bewirkten eine Herabsetzung der Ermüdung und verminderten die ungünstige Wirkung der ein tönigen Arbeit. In manchen sozialpolitischen Kreisen wird stark bemängelt, datz die Arbeiterschaft oft kein Verständnis für di« hygienisäie Bedeutung der Pausen hat und daß sie vor altem daran Interesse hat, möglichst früh nach Hause zu kommen. E» wird diesbezüglich eine Aufklärungsarbeit tn den Gewerkschaften verfangt
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