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Sächsische Volkszeitung : 14.05.1924
- Erscheinungsdatum
- 1924-05-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192405149
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19240514
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19240514
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1924
-
Monat
1924-05
- Tag 1924-05-14
-
Monat
1924-05
-
Jahr
1924
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 14.05.1924
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Mitt.voch, den 14. Mai IS24. Nr. IIS, Seit, § Katholizismus und Gegenwart Tagesneuigkeiten 1- Zwei Lawinrnopfer aufgefundrn. Aus Innsbruck wird mitgetcilt: Von den drei hiesigen Gymnasiasten, die am 28. Dezem. ber 1923 bei der Abfahrt vom Feldalpe»Horn im Kelch- sautale von einer Lawine verschüttet worden sind, hat nun eine Expedition des Akademischen Alpenklubs Innsbruck zwei der jungen Skisahrer aus dem Schnee gegraben, und zwar Rubels Hvrtnagl und Franz Steinbacher; der dritte, Josef Zorzi, liegt noch in der Lawine. Die Köpfe der Verunglückten wiesen Ver letzungen auf, die wahrscheinlich sofort den Tod herbeigeführt haben. s Ein D-Zug in Wittenberg gerammt. Im D-Zug Mailand —Baden—Frankfurt—Berlin erwachten die Insassen vor Witten berg durch ein lautes Krachen und Bersten. Es stellte sich heraus, das; ein entgegenkommender Güterzug, der nach Halle fuhr und wahrscheinlich Eisenstangen geladen hatte, mit diesen den D-Zug unter sehr gefährlichen Umständen rammte. Es w'irven mehrere Wagen stark beschädigt und Fensterscheiben und Fensterrahmen eingedrückt. Von den Reisenden ist jedoch niemand verunglückt. Dieser D-Zug ist derselbe, dem in Bellinzona das große Unglück zu stieß. s Der Vormarsch des Kinos. Auch das Große Schauspiel haus in Berlin, das in letzter Zeit die klassische Operette pflegte und für kommenden Herbst die Aufführung einer großen Revue plante, soll nun von der nächsten Spielreit ab in ein Lichtspiel theater großen Stils umgcwandelt werden. s- Die Pläne Amerikas mit dem neuen Zeppelin. Wie der amerikanische Marinesekretär Wilbur in Neuyork in einer Rede mitteilte, wird das Marineluftschiff „Z. R. 3", das gegenwärtig in Deutschland für die Vereinigten Staaten gebaut wird, nach seinem Eintreffen in diesem Herbst von der Marine zu dem Versuche verwendet werden, zu erweisen, daß die Post zwischen den Bereinigten Staaten und Europa in zwei Tagen oder we niger befördert werden könne. s Das Jubiläum Beethovens Neunter Sinsonie in Wien. Im Hause Ungarstraße 5 in Wien wurde eine Marmortasel ent hüllt, die folgende Inschrift trägt: „Ludwig van Beethoven voll endete in diesem Hause im Winter 1823/24 seine 9. Syhmphonie. Zum 100. Gedenktag ihrer Erstausführung am 7. Mai 1821 wid met dem Meister und seinem Werk diese Erinnerungstafel der Wiener Schubertbund. 7. Mai 1924." s- Bestialischer Doppelmord. Ein bestialischer Doppclmord wird aus Stallupönen (Ostpreußen) gemeldet. Den in der Ortschaft Nom an uppen wohnenden Leuten fiel es auf, daß das Altsitzer Pcysansche Ehepaar am Karfreitag nicht die Kirche im nahe» Dorfe besuchte. Man stellte Nachforschungen nach dem verschwundenen Ehepaar an und entdeckte die beiden Leichen in dem Flüßchen Spezuppe in der Nähe der Ortschaft Laödehnen. Die Körper der beiden alten Leute waren, nachdem sie an scheinend durch Schläge mit einer Axt ihren Tod gefunden hatten, in Stücke gehackt und die einzelnen Leichenteile dann mit großen Steinen beschwert und in den bei der Verübung der Tat noch Hochwasser führenden Fluß versenkt worden. Unter dem Verdacht, den grauenhaften Doppelmord verübt zu haben, ist das Ehepaar, dem gegenwärtig das frühere PaUsansche Grundstück gehört und in dem die beiden alten Leute ihr „Ausgedinge" hatten, in Haft genommen worden. -f- Ein frecher Schmnggler-Trick. Am Karsouuabcud fuhren durch Trier zwei Autos, die beide je einen mir zahlreichen Blumenkränzen geschmückten Sarg mit sich führte». Die Chauf feure erklärten, die in den Särgen befindlichen Leichen sollten in Frankfurt verbrannt werden. Am 25. April wurden die beiden Autos in Simmern angehalten, da sie die Aufmerksamkeit der französischen Zollbeamten erregt hatten. Man fand weder Leichen noch Knochen, sondern Kokain, das über den Rhein verschoben werden sollte. ch Plötzliche Erblindung. Die 21 Jahre alte Charlotte Neusche aus Wilmersdorf, wurde auf dem Henriettenplatz am Bahnhof Hallensee bei Berlin hilflos umhcrirrend angetroffen. Das Mädchen hatte nachmittags die elterliche Wohnung verlassen, um einen Spaziergang zu machen und war unterwegs plötzlich erblindet. ch Verbrecherischer Anschlag auf einen D-Zug. Auf den von Mannheim nach Lampcrtsheim fahrenden. Mannheim »in 11,30 Uhr verlassenden Personenzug wurde ein verbrecherischer Anschlag verübt, indem die an der Südseite d'r Niedbahnürücke stehende Warnungstafel samt der als Träger dienenden eisernen T-Schiene ans dem Boden gerissen und beim Eingang der Brücke über die Schienen gelegt wurde. Nur einem glücklichen Zufall ist es zu verdanken, daß der Zug nicht entgleiste, was bei der Brücke, zumal bei hochaehendem Neckar, schwere Folgen bätte haben können. Von den Tätern fehlt jede Spur. Die Reichs- bahndircktion Mainz hat eine Belohnung von 500 Mark für Ergreifung der Täter ausgcsetzt. ch Die Flucht in de» Fahrstuhlschacht. Ein junges Mädchen in Wien, das sich der Feststellung durch einen Poliz.ubeamtcr, ent ziehen wollte, flüchtete in eins» offenen Fahrstuhlschacht und ver barg sich am Boden des Schachtes Gleich darauf ging aber der Fahrstuhl nieder und klemmte das Mädchen am Boden fest. Erst mit Hilfe der Feuerwehr konnte es befreit werden, mußte aber ins Krankenhaus gebracht werden, da es sich innere Verletzungen zugczogen hatte. ch Großer Waldbrand in Ostklbiri-n. Aus Wladiwostok wird gemeldet, daß der Wald bei der Forstei Rasdolnoje in Drau» geraten ist. Gegen 12 OM Hektar wertvollen Waldlnndes sind verwüstet worden. Das Feuer kam zuletzt bis in die nächste Nähe ber Wladiwostoker Forstverwaltuugsgebäude und konnte dann erst nach Aufbietung zahlreicher Mannschaften gelöscht weroen. ch Der Nordpoiflng AmundsenS. Nmundsen hat die Man»' schäften der Wasserflugzeuge, die den arktischen Ozean durchqueren sollen, Anordnungen gegeben, aus denen hervorgcht, daß die Abreise nicht vor dem 15 Mai stattfinoen soll. Das dritte Flug zeug unter Führung des Piloten Toeatelli wird zu diesem Datum noch nicht bereit sein: es wird etwa vier Wochen ipäter. am 15. Juni, nachfahren. ch Niesenbrandkatastrophe im Hamburger Hafen. Ein Rlesen- brand zerstörte in der Nacht zum Sonnabend einen der gropen Warenschuppen der Freihafen-Lagcrhausgesellschast. Das zur Aufnahme der Schiffsladungen im Freihafen dienende Lager haus war vollständig gefüllt mit Waren der Deutsch-Russischen Transportgesellschaft (Terutra), an der in gleichem Maße die Hapag wie russische Konzerne beteiligt sind. Beim Löschen des Brandes waren sechs Züge der Feuerwehr und mehrere Dampfer tätig. Da die Wassermengen das Feuer wenig beein flussen konnten, war es nicht möglich, von dem brennenden Hause etwas zu retten. Die Löscharbeit dauerte die ganze Nacht hindurch. Während der Tätigkeit der Feuerwehr löste sich plötzlich ein Pumpendampfer von seinem Tau und näherte sich einer Mauer des brennenden Gebäudes, die sich infolge der Hitze schon gebogen hatte und einzustürzen drohte. Durch den Anprall des Dampfers fiel die Mauer ins Wasser und begrub das Schiff unter sich. Ter Dampfer hielt aber glücklicherweise den Druck aus, ko daß niemand verletzt wurde. Zwei Schuten wurden dagegen durch die Steinmengeu zum Sinken gebracht. Es ist anzunehmen, daß das Feuer durch Selbstentzündung entstanden ist. Der Schaden, der sich nach der vorläufigen Schätzung auf mehr als eine Million Gold- mark beziffert, ist durch Versicherung gedeckt. ch Entdeckung eines großen TtejistahtS bei der Darmstädter Bank in Berlin. In der Dcpositenkasse Königstraße der Darm städter Bank wuroe gestern «in großer Diebstahl entdeckt. Als oer Kassierer den Tresor öffnete, bemerkte er, daß eine Kassette Mit 60000 Rentenmark Inhalt fehlte. Die Schlösser des Tresors wiesen keinerlei Spuren irgendwelcher Gewaltanwendung auf. Der Dieb muß also mit einem Nachschlüssel operiert haben. Bis her ist es, obwohl sofort eine gründliche Untersuchung vorgenom men wurde, nicht gelungen, irgendeine Spur des Diebes »u finden. In Wien fand dieser Tage eine „Katholische Wo ch e" statt, an der die bedeutendsten katholischen Vertreter der Wissen schaft teiluahmeu. Bundeskanzler Dr. Seipel hielt einen ganz hervorragende» Einlettungsvortrag über das Thema: „Ka tholizismus und Gegenwart", dessen Wortlaut wir nachstehend wiedergeben: Wir Aelteren hätten »och vor einige» Jahren bei Ankün digung eines Vortrages über das katholische Wesen nicht den Ausdruck Katholizismus gebraucht. Dieses Wort trägt eine etwas barbarische Bildung. W>r können uns nicht vorstellen, daß ein Grieche oder Römer aus den ersten Jahrhunderten oes Christen tums etiva das Wort Katholizismus in seiner Sprache ge braucht hätte. Aber neben diesen ästhetisch» Gründen hätte uns abgeschreckt, daß das'Wort Katholizismus in Erinnerung an ähnliche Wortbildungen de» Geschmack des Separatistischen, Uebertriebenen, des Uebcrspitztsn hat und gerade das ist aanz und gar im Widerspruch mit dem Katholischen. Die Gegen wart ist aber anders. Sie lnmmert sich loeniger, als wir Aelteren es getan' hätten, um ästhetische Bedenke», wenn sie für irgend etwas, waS sie meint, »ach einem kurze» Ans sucht. Und auch Bedenken anderer Art hat sie kaum. Sie meint ja auch, wenn sie von Katholizismus und Gegenwart spricht, eigentlich etwas anderes als ois Katholische im allgemeinen. Sie meint die Quintessenz des Katholischen, das, was ihr tiefstes Wesen anSniorbt, was ihr das Gepräge gibt und zugleich die Ausstrahlungen des Katholischen auf die ver schiedensten Gebiete hinaus. So sind wir, von einem Mort ausgehend, schon mitten hinein >n unseren Gegenstand gekommen: Katholizismus und Gegenwart. Es handelt sich setzt für uns darum, uns einmal klarzu- machn, was denn eigentlich das katholische Wesen ist und was das im katholische,, Wesen ist, was die Gegenwart brauchen kann, wofür sie e,„psängl>ch ist und wonach sie sich sehnt. Geschichtlich betrachtet, nennen wir bas Christentum das katholische, weil es nationale Götter und nationale Religion ausichließt. Selbst i„, Monotheismus des Judentums war noch der Gedanke vorhanden, oaß ber wahre Gott eigentlich der Jndengott ist und die anderen Völker an seiner Stelle sntweaer bloße Gebilde der eigenen Phantasie oder irgendwelche gottseind- liche Dämonen hätten. So betrachtete das Christentum sich selbst nicht. Es trat vom ersten Augenblick mit dem Anspruch auf, für alle Menschen da zu sein, allen Menschen ohne Unterschieo ber Nation, um so mehr ohne Unterschied des Geschlechtes »nd des Standes das Höchste zu bringen, die Kenntnis des wahren Gottes und sie alle anznleitcn, ein Leben zu führen daß sie oe„ Wen zu diesem wahren Gott hinfinden. So enthält das katholische Wesen vom ersten Augenblick das Bekenntnis dazu, daß es etwas gibt, was über den Machtbereich oer Nationen uno Überieden Anspruch der Staatsomnipotenz bin- aus Gemeingut aller Völker ist, die Religion, wenig stens die Religio», vielleicht auch noch vieles andere. Daran hat die katholische K'rche in allen Zeiten fcstgehaltcn. Wir können uns kaum, eigentlich gar nicht einen tieferen Abfall vom Katliolischen denken, als er geschehe» ist in der Zeit, in der man den Grundsatz „cujus regio illius et religio" verkündet nno gehandhabt hat. Das war die förmliche Negation des Katholi- lischen. Freilich war es damals nicht so bös gemeint. Nach oer Erkenntnis der Leute jener Zeit hat es sich nicht um einen Unterschied der „Religion" gehandelt, sonoern um verschiedene „Bekenntnisse", deren tiefgreifende Gegensätze man damals wenig stens nicht so gefühlt hat. Das Katholische äußert sich in unserem Glauben und in der auf ihm gegründeten Kultur auch darin, daß es oen ganzen Menschen ersaßt. Es ist nicht so, wie viele, die das Katholische selbst nicht kenne» sondern nur Zerrbilder von ihm, glauben, als ob das katholische Christentum sich nur „in die Seele der Menschen kümmerte. Nein! Ter unterrichtete Katholik wei" sehr wohl, daß er gar nicht seinen Pflichten gegen Gott genügte, wenn er ihm nur nnt der Seele dienen wollte oder wenn er nur um die Seele Sorge trüge,, sondern er muß k'ch auch seinen Leib kümmern, muß auch ihn in Ehren halte,,, muß auch ihn benütze», um Gott zu dienen und seine» Mitmenschen zu helfe». So übertrieben und überspannt ist der Spiritualismus des katholischen Christentums nicht, daß es nicht anerkennte, wie alle unsere Erkenntnisse schließlich irgendwie ans unsere Sinne znrn.t- gehe». Durch die Sinne, durch Ange und Ohr und die aiideren Sinne kommt uns die Kenntnis von der Außenwelt z», ans die wir erst unsere philosophischen Systeme, mögen iie noch so ipiri- tualistisch anssehe», anfbaucn können. Das katholische Christentum weiß auch die Doppelnatur des Menschen, die g e i st t g. s i n n l i ch e, zu benützen. Von oa ans führt der Weg vom Wesen des Katholischen in die Liturgie und die Kunst hinüber. Die katholische Kirche schätzt lebr stark auch die sinnlichen Eindrücke und sie nützt sie kür ihren Gottesdienst aus. Gerade dadurch ist sie die hervorragendste Pfle gerin einer allerdings im letzten Gnvide ans das Geistige, und zwar ans das höchste Geistige gerichleten Kunst geworden, Und nicht nur Seele und Leib des Menschen ersaßt das katholische Christentum, sondern auch alle Betätigungsfelder d.es Mensche». Es versteht es nicht, daß man etwa Gott mir in religiösen Hebungen dienen und sein übriges Leben, sein Fa milienleben, sein Geschäftsleben oder auch sein öffentliches Leben anders einrtchten könnte, als es den Grundsätzen des Christen tums entspräche. Es ist aber das nicht so anfzufassen, als ob irgendwo von außen her da eine Herrschaft der Religion über alle menschlichen BetäNgungsgebtete ausgeübt tverden sollte, son dern es besteht eine innerliche Einheit, weil alle Betätigungen des Menschen eben vom Menschen geübt werden, der in Gott wurzelt. Aus dieser Wurzel heraus strömt die Kraft zu aller Betätigung. Endlich verdient bas katholische Christentum seine» Namen auch deswegen, weil es uns zwingt, das Objekt mit dem wir es zu tun haben, allseitig zu betrachten und uns zu ihm so «inzustellen, wie es einer allseitigen Betrachtung entspricht. Di« Menschen und ihre Werke und die Sachen außerhalb der Menschen, alles muß der Katholik immer allseitig zu würdigen versuchen. Es gibt nichts i» der phhsische» Welt, das nur eine Seite hätte, wenn wir nicht bei gewissen Idee» und Grundsätzen stehen bleiben, sondern das Moralische betrachten, wie es sich in, Menschen »nd in setncn Werken vssenbart. Die Menschen sind mit wenigen Ausnahme» leider nicht ganz gut, sie sind — Gott sei Dank — ohne Ans» ahme nicht ganz schlecht. Wie toinint aber der Katholik zu dieser Erkenntnis »nd zu einer solchen Höhe der Betrachtung der Menschen und der ganze» Außenwelt um ihn? Woher sonst, als weil dies die gött liche Betrachtungsweise alles dessen ist, was es gibt: weil der Zentralgedanke des katholischen Christentums der Glaube an einen >n sich selbst ruhenden, alles sehenden und alles wissenden Geist ist und weil cs, wenn es auch dem Menschen immer wieder sagt, wie unendlich groß oer Abstand zwischen Gott und den Menschen ist und wie klein daher der Mensch ist, ''hm trotz dem die hohe Aufgabe stellt, diesen unendlichen Gott nachzu- ahmen, ihm ähnlich zu werden. Nun kann der Mensch nicht alle Seiten aller Dinge oder auch nur der wenige» Dinge, mit denen er sich im Augenblick besaßt, gleichzeitig erkennen. Wenn er trotzdem in der nicht allseitig«» Beurteilung der Menschen und Dinge Gott ähnlich tverden will, dann darf er sich nicht oie Mühe verdrießen lassen, die verschiedenen Seite» an Menschen und Tinge» nach »nd nach herauszusinden und anzusehen. Ans diesem Zcntralgeoanken fließt das Gebot der Liebe »nd die Möglichkeit seiner Erfüllung, da es nichts gibt und da es vor allem keine Menschen gibt, in denen nicht irgendwie etwas von der göttlichen Güte und Schönheit übrig ist. Deshalb kann man sie lieben. Ei» Wese», das nicht eine einzige Seite oes Schönen »no Guten an sich hätte, könnte man trotz aller Gebote nicht lieben. Aus der göttlichen Betrachtungsweise, die das katholische Christentum »ns nachzuahmen verpflichtet, fließt dann aber auch der ganze Reichtum des katholische» Wesens. Das Wahre und das Gute und das Schöne, alles das tritt dem Kitholiken als eine Einheit vor Angen, denn es ist nichts schön und nichts gut, was nicht auch als wahr bestehen könnte, und es gibt leine Wahrheit, die nicht auch schön wäre. Entgegen allem S e k t i e r e r g e i st, der immer in der Nchcrtrcibnng einer Einzelheit, einer Seile, einer Wahr heit, eines Problems, einer gesellschaftlichen Struktur be steht, schützt »ns d^cs Christentum vor Einseitigkeiten und es läßt »ns zwischen scheinbaren Gegensätzen den richtigen Mittelweg finden, ohne daß er oer Weg eines unangebrachte» Kompro misses wäre. So glauben wir an eine göttliche Führung in unserem Leben. Aber wir sind fern von der Nebertreibnng des Fatalismus. Wir wissen, daß die Gnade im Leben des Men schen wirkt, daß er nichts Gutes beginnen und noch weniger vollenden kann, ohne daß die Gnade vorantritt, mithilft und nachhilst, und dennoch wird unsere Freiheit und Verantwortung damit nicht aufgehoben. So geht es uns säst bei allen reli giösen Dogmen. Es ist die Gebundenheit vorhanden und doch wieacr die Freiheit. Tie Vereinbarkeit beioer ergibt sich oaraus, daß der Katholik weiß, wie auch scheinbar Entgegengesetztes aus derselben Wurzel einpvrwürhst, und daß er zugleich die Lehre mitbekomme» hat, wie er es machen muß, um dem Schein aes Gegensatzes nicht zu erliegen. Er muß alles gründlich aenug, d. h. von alle» Seiten betrachten. Man fragt oft, ob es denn möglich ist, von einer „katho lischen Wissenschaft", von einer „katholischen Kunst" oder gar von einer „katholischen Politik" zu reden. Es ist möglich! Wenn wir von einer katholischen Wissenschaft reden, lind wir natürlich nicht so töricht, etwa zu glauben, daß für gen Katho liken, der Mathematik treibt, andere Axiome gälten als für den Protestanten oder Jude». Aber wir betrachten auch wieoer nach der anderen Seite nicht etwa nur jene Wissenschaft als eine katholische, die sich mit katholische» Tinge» beschäftigt, etwa mit der Geschichte oder de» Einrichtungen oder den morcilisthen »nd sozialen Grnndscitzen des Christentums. Nein, es kann der Gegenstand ein scheinbar ganz indifferenter sein, ans die ganze Petrachtnngsart koinint es an. Wenn einer, der vielleicht ein sehr hochgebildeter »nd an Verdiensten reicher Spezialist auf einem engeren Wissenschafts gebiet ist, sagt: Dies oder jenes, was der Katholik glauben soll, gibt es nicht, de»» ich ^'in ihm bei meiner wisse,ischaft-l licken Arbeit »och kracht begegnet, dann ist das ein Mangel, der nicht im Gegenstand der wissenschaftlichen Betätigung, sonoern in dem Menschen, der sie übt, gelegen ist. Er ist einseitig ge worden, er bildet sicheln, das Ganze zu überblicken und hat doch nur einen beschränkten Ausschnitt des W i i s e » s m ö g l i ch e n vor sich. Er hat sich nicht genug bemüht, die Dinge vo» allen Seilen zu betrachten, sonst hätte er erkannt, daß er nicht an der Grenze alles WissenSmöglicheil ist, und daß er nicht über das Dasein oder Nichtdasein aessen aburteilen kan», was er nur gerade in seinem Ansschnitt nicht angetrosfen hat. Wenn wir von einer katholischen Kunst reden, meinen wir damit wieder nicht etwa die Kunst, die sich nur mit katho lischen Gegenstände» beschäftigt. Aber es wäre gegen das W.,-e» des Katholischen, wen» der Künstler so Vorgehen würde, als ob die Kunst mit dem Religiösen, und mit den sittlicl>en For derungen, die in der Religion begründet sind, grundsätzlich nichts zu tli» hätte. Ich denke da gar nicht bloß an krasse Obszö nitäten, die natürlich vom Begriff katholischer Kunst ausgcschlvsieii sind, sondern ich denke an eine Knnstttbnng, die das Religiöse igno riert, als ob es i'm Lebe» des Menschen nicht da ist. Ich denke an eine Kunst, die nur auf das Sinnenschöne anSgeht und grr nicht ans de» geistige» Inhalt. ES gibt auch eine katholische Politik. Aber nicht in dem Sinne, als ob das ganze Wesen der katholischen Politik darin bestünde, die Menschen in ihrer religiösen Ucherzeiignng und Freiheit und die Kirche in ihren Rechten zu schützen oder nicht zuzugeben, daß Gesetze gemacht werden, durch die ossenknndige Ungerechtigkeiten >n die Welt gesetzt werden. Es kommt wieder ans d ie Grundauffassung an. Mitunter kan» cS sogar sein, daß infolge eines ZcitirrtumS eine Politik als die katholische oder, was schon ein Widerspruch in sich ist, als die katholischere be zeichnet wird, weil sie einseitiger ist. Das gibt es ncht. Das Einseitige ist niemals das Katholische und jeder Fanatismus ist iiiitatlwlisch, auch wenn er sich ruf
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