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' V.W Zweites Blatt Sächsische VolkSzeitunq vom 17. August li^li Nr. 186 Der Bonifatiusverein. Am 8. d. M. hielt auf der Mainzer Katholikenver- scmrmlung der Generalsekretär Dr. Donders eine Rede über die Katholiken der Diaspora und den Bonifatiusver ein, der wir folgenden Gedankengang entnehmen: Lauter noch als der Schrei leiblicher Not schallt der Nus geistiger Not l>eute durch die Lande. Die weite Diaspora ruft nach Kirchen, Priestern und Schulen, auf daß die Kin der unseres Volkes bewahrt bleiben vor dem religiösen Ver fall. Den Ruf dürfen wir nicht überhören. Seit den Tagen seiner Begründung hat der Bonifatiusverein Großes ge schaffen. Der heilige Bonifatius ist nicht tot, er lebt in ihm. Wir müssen den Bonifatiusverein unterstützen um der Vergangenheit willen, denn der Bonifatiusverein ist ein Panegyrikus auf den nie erlahmenden Opfersinn und Glaubenseifer der deutschen Katholiken. Er ist ge gangen einen ruhmreicl>en Weg, der umsäumt ist von Kir chen und Schulen, die die katholische Liebe bauen half. Langsam, aber stetig ist es aus seinem Arbeitsfelds besser geworden, aber noch viel bleibt zu tun übrig. Worum handelte es sich? Der geistlichen Not unserer Glaubensbrüder in der Diaspora beizustehen, das moderne Leben verschlägt die Menschen und versetzt sie häufig aus Gegenden mit warmem katholischen Leben in eine neue, kalte Umgebung. Da bringen die Katholiken zuerst groß? Opfer, aber allmählich erlahmen sie im Eifer und viele gehen der Kirche verloren. Sie finden keinen Seelsorger, sie finden keine Kirche, oder es dient ihnen nur eine Not kapelle, eine Privatwohnnng als Ort der Gotteshandlung. Einer solchen weiten Notlage gegenüber ist eine umfassende Organisation notwendig und der Bonifatiusverein muß wurzeln in allen Gauen Deutschlands. Wir leben in einer Zeit des Unglaubens, da werden wir mit doppelter Getvalt auf den Plan gerufen. Daher niehr Priester, mehr Kir chen, mehr Schulen, mehr Gottesdienst, damit nicht die Seelen den Glaubensgefahren der Zeit erliegen. Für unS, die wir im Vollichte deS katholischen Glaubend stehen, be steht die Pflicht, von unserem Uebersclpisse an di? darbenden Brüder abzugeben. Ist es zu viel verlangt, daß wir für sie unser Gebet und unsere Gaben in den Dienst des Vonifatiusvereins stellen? Unser Gebet ist die stärkste Waffe, unsere Gabe, mag sie noch so klein sein, sie wird Gutes stiften. Aus dem allgemeinen Bonifatiusverein sind die drei Gruppen her- vorgcgangen: der Bonifntiussammelvercin, der mit den abfallenden Brocken Körbe füllt und für die Kommunikan tenanstalten und Waisenhäuser der Diaspora sorgt; der Bonifatiusparamentenverein, in dem Tausende emsiger Frauenhände tätig sind, um das Heiligtum in der Diaspora zu schmücken: der akademische Bonifatiusverein, der nicht nur für die Erbauung von Kirck>en in den Universitäts städten initsorgen will, sondern zum mindesten ebenso sehr für den Aufbau katholischen Geistes und Lebens innerhalb der Studentenschaft unserer Universitäten. Niemals zu rück, ihr jungen Freunde, haltet die alten ^cheale hoch in der neuen Zeit, die so viele wankend werden läßt. Aber wird nicht die Hcidenmission leiden, höre ich fra gen? Im Schoße der katholisck>en Kirche ist für beide Mii- sionen Raum. Bei der Bonifatiusnrbeit handelt es sich um nichts Geringeres, als für die Zukunft unseres Glaubens zu sorgen. Je mehr wir nnt ihm arbeiten, dürfen wir hoffen, daß über unsere Gräber hin die heilige Sache Jes i weiter voran dringe. Nicht kann die Kirche untergehen, denn wir haben die göttliche Verheißung, aber Familien. Genieinden und Provinzen können verloren gehen, und darum die Tätigkeit des VonisatiuSveins. Nicht richtet er seine Spitze gegen unsere im Glauben getrennten Brüder. Eine nationale Tat hat er verrichtet, indem er dem Volke die Religion zu erhalten sucht und damit dem Umsturz nicht vom Altar, sondern auch von Thronen entgegenarbeitet. Die Hoffnungen des Katholizismus für die Zukunft liegen großenteils, wie draußen in den Missionen, so drin nen in der Diaspora. Und darum, Ihr Katholiken, die ihr in der Diaspora weilt, vergesst nie bei eurem Tun die Ehre eures Glaubens, zeigt euch eures Glaubens würdig. In der Fremde ist jeder einzelne ein Bannerträger und jedes Unrecht seinerseits klebt wie ein Flecken an der Fahne sei nes Volkes. Und ibr Katholiken Deutschlands, höret den Notruf eurer Brüder, helft ihnen. Der Dom unseres ka tholischen Glaubens soll stehen bleiben im deutschen Vater lande trotz allem Wechsel und Wairdel, er soll immer höher und höher hinausgeführt werden — auch in der Diaspora. Aus Stadt und Land. (Fortsetzung au» dem Haupibwtt, ' Zoologischer Garten. (Die Havemannsche Naubtierschule.) So häufig in de» letzten Dezennien be kannte Tierbändiger mit den verschiedensten Gruppierungen wilder Raubtiere die europäischen und ausländischen Groß städte bereisten, so wenig wurde das Publikum dieser Vor führungen überdrüssig. In den großen Katzen unter den Raubtieren, den Löwen, Tigern und Leoparden vereinigen sich eine Fülle typiscl)er Eigenschaften, deren Betrachtung nie ermüdet. Abgesehen von der Wucht der äußeren Er- scheinung schätzen wir die Geschmeidigkeit ihrer Be wegungen. die Kraft der Gliedmaßen und den Ausdruck des Gesichtes mit den Abzeichen der höchsten Vollendung des Nanbtiercharakters. In den Zoologischen Gärten pflegen diese Eigenschaften nicht voll zur Geltung zu kommen: wir haben, um hierin nach Möglichkeit Wandel zu schassen, unsere Laufbahn gebaut, wo sich die schönen Tiere den Be suchern in natürlicher Bewegung zeigen können. Die Eigenart, auszubilden und weiteren Kreisen vorznführen, ist eine der schwierigsten Ausgaben des Dompteurs oder Dresseurs. Herr Havemann beherrscht diese so seltene Kunst. Seine Zöglinge vereinigt er in einer Schule, er ist der Lehrer. Jedes Tier hat sein Pensum ausznführen und wird je nach Leistung gelobt oder getadelt. Die ganze Vorführung ist eine ergötzliche Unterhaltung zwischen Mensch und Tier, in der die komisckxm Rollen ebensowenig fehlen, wie Szenen des scheinbaren Ungehorsams oder Prügeleien unter Ri valen. .Havemanns Gruppe besteht aus lauter Prackst- exemplarcn. Im wahren Sinne des Wortes einzig sind seine Bastarde von Tiger und Löwin. Ein jeder, der den Vorführungen der Gruppe folgt, wird zu der (Überzeugung kommen, daß die Tiere nicht mit Gewalt gebändigt, sondern mit Liebe gezähmt und gezogen sind. Bauheu, >5 August. Bel einem Feuer in Ringenhain verbrannten zwei Kmd-r des Fabrikarbeiter» Ouctsser im Alter von zwei und vier Jahren. Auch Qnetsser und seine Frau erlitten schwere Brandwunden. Colditz, 15. August. E>schossen ausgesunden wurde aus einem Felde der Sohn des GutsbesitzeiS W-ber aus Lchönbach. Der junge Mann war seit läogecer Zeit necvenletdend. Au» dem Erzgebirge, 14 August. En, Großseuer zerstörte in Ltebenhos.n drei Wohnhäuser. Grher, 14. August. Durch ein Großseuer wurden die im unteren T tl d^r Stadt gelegenen Häuier des Zimmer- mannS Mütter sowie das Fwdlersche Gut vollständig zerstört. Bei dem Brande wurden auch zwei Feuerwehr- leule schwer verletzt. Die betroffene» sieben Familien hatten nur teilweise versichert, sodaß der Schaden bedeutend ist. Hirschstriu bei Meißen, 15. August. In der Elbe ertcunktn ist beim B idin der Hausbesitzer Oswm Hosmann. Seine Leiche konnte noch nicht gesunden werden. Königswalde, 14. August. In der Jauchengrube er tränkt hat sich hier die lltijähnge Ehefrau eine« Malers. Dis bedauernswerte Frau war seit längerer Zeit schwermütig. Limbach, 15 August. Der sächsische 2>schlnschühe»bund beschloß gelegentlich seines hier abgebaltenen BundeS- schießens im Jahre 1 still zum nächsten Bundesschitßen in Hohen stein-Eru sti hal zusamnienzulommen. Lngau, 15 August. Der 17jährige Bergarbeiter Kaiser aus Neukirchberg geriet zwischen zwei Hunte, wobei ihm der Schädrl zerdrückt wurde. Der junge Mann war sofort iot. Manrnberg, 14. August. Tödlich verunglückt ist beim Pflücken von Tannenzopf'-n im Lengefelder Forstrevier der Packer Uh! g. Er stürzte von einem Baume ab und brach das Genick. E ne Frau und fünf unerzogene Kinder betrauern ihren Err ährer. Nirderhäslich, 15. August. Verschwunden sst seit vorigem Sonntag die 15jährige Melanie Thteme. Sie hat am Sonntag nach die Potschappeler Vogelwiese besucht und ist seitdem nicht wieder gesehen worden. Oberfeohna, 15 August. M.t Lysol vergiftet hat sich im Bräunkdorfer Holze ein junges Mädchen. Es wurde noch lebend aufgefnnden und sofort nach dem Ltmbacher Krankenhause gebracht, wo eS verstarb. Wffrdruff, >5 August. Mit der Einsübrung der revidierten Ltädteordnung beschäftigte sich hier eine außer ordentliche Sitzung des StadtgemeinderateS. Es wurde beschlossen, in einer Eingabe an die Oberbehörden um die Einsührung der revidierten Ltädteordnung für Wilsdruff zu bitten. Zwick»«, i5. August. Durch dar Scheuen der Pferde fuhr ein mit einer aus neun Frauen bestehenden KindtaufS- gesellschast besetzter Omnibu» in Mosel in da» Hau» de» Fleischermeisters Schumann, wodurch der Wagen vollständig — 10 — Ihm wird unbehaglich. Er hustet, um sich bemerkbar zu mack-en. Vergebens. „Ein eigcutümlick)er SchlafI" denkt er. „Wenn nur Fräulein Arnoldsen erst kämel" Aufs neue versuckst er, seine Aufmerksamkeit dem Feuer zuzuwenden. Es will ihm nicht gelingen. „Unsinn I" schilt er sich unmutig. „Ich benehme mich wie ein Sckpil- junge. Das schlafende Kind dort ist natürlich meine zukünftige Schülerin. Wie maz die Kleine aussehen?" Er nähert sich behutsam dem einen Fenster und lüftet den Vorhang ein wenig. Dämmeriges Tageslickst fällt auf ein geisterbleiches, in seiner Starre völlig lebloses Mädchenantlitz. „Großer Gott, sie ist tot!" entringt rS sich feinen Lippen, indem er ent setzt zurückweicht. Zu seinem höchste» Erstaunen jedoch springt daS Mädchen plötzlich leichtfüßig vom Sofa empor. Mit großen verwunderten Augen blickt sie auf den fremden Mann. „Verzeihung —" stammelt Erik verwirrt. Da lacht das Mädchen hell auf — ein glockenklares, seltsames Lachen. Die goldblonden Locken nach hintenüber schüttelnd, streckt sie Erik beide Hände entgegen, die dieser befangen in die seinen nimmt. „Ich weiß, wer Sie sindl" lacht sie. „Sie sind mein neuer Zc-ichcnlehrer Herr N'.els. Wir erwarteten Sie eigentlich erst morgen . . . Wie gefällt Ihnen übrigens meine Tante?" „Ich hatte noch nickst die Ehre — " „Nicht? . . . Wie lange sind.Sie denn schon hier?" .Seit ein paar Minuten. Ich wußte nickst, daß Sie hier im Zimmer —" auf dem Sofa schliefen," vollendet sie, immer noch lachend. „Ich fühlte mich heute so matt, so schläfrig, daß ich beim Lesen cinschlummerte. Kommen Sic jetzt. Herr NielSI Ich will Sie zu meiner Tante führen." Ganz ungeniert hängt sie sich an seinen Arm, und so — Hand in Hand, wie ein paar gute Kameraden — schreiten beide langsam durchs Zimmer, der Halle zu. Plötzlich bleibt das Mädchen stehew „Ich hörte Sie vorhin rufen: „Großer Gott, sie ist totl"" flüstert sie ihm hastig ins Ohr. „Sagen Sie meiner Tante nichts davon! Bestimmt nicht!" Und ohne eine Antwort abzuwarten, zieht sie Erik weiter — bis zu einer Tür am Ende der Halle. Hier bückt sie sich und guckt durck)S Schlüssel loch, durch »velcheS ein matter Lichtschein dringt. „Tante ist drin!" flüstert sie bedeutungsvoll, indem sie leise in die Hände klatscht. „Also vorwärts I" Und ehe Erik in seiner Verwirrung ein Wort erwidern kann, öffnet daS seltsame Kind eine Türspalte und ruft schäkernd hindurch: „Tantchen!" „Tritt nur ein. Jngeborg!" erwidert von drinnen eine tiefe, wohl- tönende Stimme. — 13 — Er bedeckt die Augen mit der Hand: auch sein Blick umflort sich. Dann gibt er ihr eine kleine goldene Uhr als letztes Andenken. Noch eine Umarmung, ein Kuß, wobei eS ist, als ob ihre Arme ihn nicht lassen wollten — dann reißt er sich los und springt ins CoupH. Ein. schriller Pfiff — der Zug setzt sich in BeN'egung. Da steht sie, die kleine Gerda, bitterlich schluckend, mit der Rechten krainpfbast das Taschentuch schwenkend, die Linke mit der goldenen Uhr auf das lautpocklkiide Herz gepreßt, als wolle sie dort ein totes Vögelchen wieder zum Leben erwecken . . . Arme kleine Gerda 3. Gegen Mitternacht. Langsam, majestätisch zieht der „Nordsternen" hin durch die tief- atmcnden Wellen. Heute früh hat Erik Niels den Dampfer in Drontheim bestiegen, der ihn hinträgt nach seinem Reiseziel Tromsö. Ja, er ist da im Lande seiner Sehnsucht — im Land des Nebels, der Stürme, der Felsen: im Lande der Mitternachtssonne! Uebcr die Rehling gelehnt, blickt er um sich . . . Trotz der tiefen Nacht alles in dämmeriger Helle. Ringsum stinnnungsvollc Weihe. DaS Allerheiligfte der Natur in ihrer intimsten Zurückgezogenheit öffnet sich seinem trunkenen Auge Ragende Felsen, himmelhoch, abgrundtief. Schneebedeckte Vergriesen, hinter denen sich kleine Fjords abzweigen. Hier an einem vorspringenden Riff ein paar spielende, sich wohlich im Sande wälzende Seehunde. Dort ein Schwarm Eidervögel, der trägen Flugs über die Wogen schwebt. Lang sam schwimmt in der Ferne ein Walfisch daher, seine Wasserstrahlen hoch in die Luft spritzend. Ein seltsames Gefühl durchbebt Eriks Herz. Ihm ist, als ziehe er aus der Welt hinaus — hinein in ewiges Schweigen. Die Felsenufer ringsum ein Bild des Todes, die Blässe der Verzweiflung auf dem steinernen Antlitz. Wie weit entfernt erscheint ihm in diesem Augenblick die Vergangen heit. Wie fern Ehristiania mit ihrem alltäglick-en EinerleiI Wie himmel- fern das rosige Antlitz seiner Braut! Ein Nebel lagert über all dem, tvie dort hinten über den Häuptern der „Lofoten", jener in wilder Schönheit emporragenden Inselgruppe. Nun trennen sich die Nebelschleier von den Gipfeln. Die nächtliche Sonn? geht auf. Nach und nach alles in safrangelber Beleuchtung. Am Horizont orange farbene Wolken. Das Meer ein geisterhaftes Gewoge von bleicher Schieferfarbe. Und jetzt erstrahlt sie in vollster Pracht — die dunkelglühende, tief- hängende Mitternachtssonne. Wie geblendet verharrt Erik in dieser nächtlichen dlau-gclb-filbern- schillernden magischen Beleuchtung voll märchenhaften Zaubers. Und doch kann er sich eines leisen Schaudern» nicht erwehren. Eine Nacht, welcher der Schleier der Dunkelheit fehlt, erscheint ihm wie ein« un verbundene Wunde. Wie heißt eS doch in der „Fritjofs-Sage"? z Velden der Pflicht.'