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Sächsische Volkszeitung : 26.07.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-07-26
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192207269
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19220726
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19220726
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-07
- Tag 1922-07-26
-
Monat
1922-07
-
Jahr
1922
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 26.07.1922
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Mittwoch den 26. Juli 1022 Nr. 170, Seite 2 Deutsches Reich Kommmralpolitische Tagung der Deutschen Zentrumspartei Tie vom 20. bis LI. Juli in Bonn a. Rh. stattsindende Han .Versammlung der Kommunalpolitischen Vereinigung der Dcuiichen Zentrnmspartei wird nach den bisher vorliegenden An meldungen aus allen Teilen des Reiches außerordentlich stark be schickt werden. Tie Beratungen beginnen am Sonnabend den 20. Juli mit einer Vorstandsiitzung der Kommunalpolitischen Ver einigung. an die sich eine Sitzung des Programmausschusses zur Turchberaiung des neuen Kommunalprogrammes unserer Partei, sowie eine Beratung der Führer der KreiStagfraktioncn anschlie- ßcn wird. Am Abend des Sonnabend werden sich die Teilnehmer zu einem zwanglosen Zusammensein vereinigen. Die erste all gemeine Versammlung am Sonntagvormittag wird der Vor sitzende der Kommunalpolitischen Vereinigung Justizrat Mönnig mit einer Eröffnungsansprache einleiten. Nach den Begrüßungen der Vertreter der einzelnen Landesteile wird der Vorsitzende der Deutschen Zcntrnmspartei, Senatspräsident Marx, das erste Re ferat über Gemeinde und Schule halten. In der zweiten allge meinen Versammlung am Sonntag nachmittag werden Reichs- tagsabgcordncter Dr. Herschel-BreSlam über das Kommunalpro gramm der Zcntrnmspartei, dann Landtagsabgeordneter Landrat Dr. Lönarz-Vixburg und Landgerichtsrat Schumacher-Köln, Mit glied des Reichsrates, über die neue Kommunalverfassung für Preußen svrechcn. Für den Abend hat die Bonner Stadtverord- nctenfraktion die Generalversammlung zu einem Empfangsabcnd ringelnde», der als Rheinischer Abend die Gäste mit rheinischem Frohsinn bekannt machen wird. In der dritten allgemeinen Ver sammlung nur Montag morgen werden zunächst Generalsekretär Dr. Heincn und Dr. Thiesen-Köln über die Entwicklung und Tätigkeit, sowie über die Kassenverhältnisse der Kommunalpoliti- schcn Vereinigung berichten. Die Reihe der Referate in der Ver- samm'nng eröffnet Oberbürgermeister Hanim-Recklinghcrusen mit einem Referat über Kommunalisierung und Gemeindebetriebe. Weiter wird Stadtverordnete Studienrat Katharina Müller-Mün ster über Arbeitsgemeinschaften der Zentrumsfraktionen sprechen, während die Referate über die Vorbereitung der nächsten Kom- muualwahlen von Studienrat Nocke-Bochum und dem Landtags- abqeordnetcn Schilling übernommen worden sind. Der Montag nachmittag wird die Generalversammlung zu einer Nheinfahrt zum Siebengebirge und zu einer Wanderung nach Helsterbach vereinen, wo die Schlußsitzung stattfindet, in der der preußische Staatsminister Hirtsiefcr über Gemeinde- und Wohlfahrtspflege sprechen wird. In geselligen Veranstaltungen und Besichtigungen findet die Tagung ihren Mschluß. Anmeldungen zur Teilnahme an der Tagung sind unter Angabe der Wohnungswünsche um- gehend an das Generalsekretariat der Kommunalpolitischen Ver einigung Köln, Ursnlagartenstraße 10, zu richten. Der Parteitag der U. S. P. D. in Gera Die Acbeitsgemeinscbast der beiden sozialistischen Parteien wurde seit Beginn ihres Bekanntwerdens als erster Scbritt zur Fusion der beiden Parteien angesehen. WaS die beiden Reichstags, üaktionen begonnen haben, da« sollen die diesjährigen Parteitage der beiden Parteien vollenden, indem sie den Zusammenschluß auch ^onnell beschließen. Die Dresdener Wirtschaftsverhandlungen Berlin, 24. Juli. In Dresden beginnen, wie schon kurz mitgctcilt, am 1. September die deutsch-polnischen Wirtschaftsver- handlnugen, nachdem die in Warsckiau stattgesnndenen Vorbesprech ungen abgeschlossen worden sind. Als Verhandlungsorte sind nach einem deutschen Kompromißvoischlag Dresden und Warschau be stimmt worden. Welche Teile der Verkandlmigen in Dresden, und welche in Warschau erledigt werden sollen, wird von den Delegierten von Fall zu Fall entschieden werden. Jedenfalls sollen je 80 Proz. der Gegenstände in den^beiden Orten zur Verhandlung kommen, lieber das Ergebnis der Vorbesprechungen wird mitgeteilt, daß be schlossen wurde, ein gemeinschaftliches Programm über die Ver- handlrmgSpnnkte fcslzustellen. Darüber hinaus haben die Vorbe sprechungen aber auch materielle Ergebnisse gehabt. Man hat sich über ein Abkommen geeinigt, wonach sich die deuische Regierung verpflichtet. Ausfuhrgesuche »ach Polen so zu behandeln, Wie die Ausfrihrgesnche nach andcren Ländern behandelt werden. Polen verpflichtet sich danir, seinerseits den Transit deutscher Waren durch Polen zu gewähren. Die Aussührung dieses Prinzips ist sofort in die Wege geleitet worden. Außerdem hat man sich noch über einige andere materielle Punkte von geringerer Bedeutung verständigt. Der älteste Reichstagsabgeorduete gestorben Der ReichStagsabgeordnete Heinrich Ri ecke (SPD ) ist im Alter von 80 Jahren gestorben. Den ersten deutschen Reichstag rröffnete Riecke als Alterspräsident. Sachsens Sachleistungen für die Entente Sachsen hat an die Entente im abgelaufenen Jahre bisher für 8l,5 Millionen Mark Sachleistungen ausgeführt, darin sind allein 11LS Millionen für Möbel enthalten. Dazu seien folgende Einzelheiten erwähnt: Unter den Möbeln befinden sich 200 Kiu. derbetten und 50 Damenschreibtische. Geliefert wurden, was die Stückzahl anbetrifft, nur von der sächsischen Industrie etwa folgende Gegenstände: 140 moderne Schlafzimmer-Einrichtungen, SO Unteroffiziers-Speisezimmer, 183 Offiziers-Speisezimmer. 42 Salons, 117 Herrenzimmer, 32 Zimmer m verschiedenster Au», führung, 828 komplette erstklassig eingerichtete Küchen, weit über 1000 Sessel, Stühle und Tische, 460 Uhren, über 80 000 Meter Gardinenstoffe, viele lausend Meter Stores, über 12 000 Meter Bitragenstoffe, einige tausend Meter Barchent, zirka 8000 Meter Bettücher, za. 13 000 Meter Bettuchstoffe, 80 000 Meter Gardinen schnur, mehrer hundert Handtücher, rund 2000 Diwandecken, 300 Teppiche, 4200 Schlafdecken u. a. m. Die Beisetzung der Ratheuau-Mörder Naumburg, 24. Juli. Ende voriger Woche wurden die Lei chen der beiden Nathenaumördcr, Kern und Fischer, auf dem Friedhof in Dorf Saaleck in einem gemeinsamen Grabe beigeseht. Die Särge waren überreich mit prächtigen Kränzen geschmückt. Angehörige der früheren Brigade Ehrhard hatten einen großen Lorbeerkranz mit schwarz-weiß-roter Schleife gestiftet. Die Särge wurden getragen von Studierenden des Technikums Bad Sulza sowie zwei Schulfreunden Kerns, ehemaligen Seeoffizieren. Außerdem wohnten dem Akte nur die Eltern Kerns, Mutter und Geschwister Fischers, sowie sonstige Angehörige der Verstorbenen und einige Kriminalbeamte bei. Auch einige studentische Vertreter ans Jena, Halle und Leipzig waren zugegen. Das Publikum wurde zum Friedhof nicht zugelassen. Die Absperrung hatten 20 Sipomannschaften übernommen. Eine Reichstagsanfrage z« de» Zwickauer Unruhen Die deutschnationalen Abgeordneten Dr. Barth (Chemnitz), Dr. Hoetzsch, Biener und Dr. Philipp haben über die Zwickauer Vorkommnisse dem Reichstag eine Anfrage zugehen lassen, in der es u. a. heißt: ! „In Zwickau (Sachsen) haben nach einer infernalischen Presse- Hetze sondergleichen, wie sie insbesondere das „Sächsische Volks blatt" in Zwickau (mehrheitssozialistisches Organ) rechtsstehenden Kreisen gegenüber nach der Ermordung des Neichsnnnisters Dr. Rathenau betrieben hat, im Anschluß an die sozialistischen Massen demonstrationen vom 4. Juli schwerste Unruhen stattgeftmden. Alle Behauptungen, die Unruhen seien durch Provokationen von rechtsstehender Seite, insbesondere durch einen Stadtarzt, hervor gerufen worden, sind bewußt erlogen. Der Aufruhr ist vorbe reitet gewesen. Es ist den deutschnationalen Abgeordneten nicht möglich, in der Zwickauer Stadtverordnetenversammlung tätig zu sein, ohne schwerster Belästigung und Lebensgefahr ausgesetzt zu sein. Mit Zustimmung des Ministers Lipinski bildete sich in Zwickau ans Vertretern der drei sozialistischen Parteien ein soge nannter Aktionsausschuß, der sich der öffentlichen Gewalt be mächtigte. Wir machen die Rcichsregierung darauf aufmerksam, daß erst am 9. Noveinber vergangenen Jahres es gewesen ist, daß der inchrhcitssozialdeniokratische Landtagsabgeordnete Graupe mit den Massen das Rathaus gestürmt hat. Ausgesucht der genannte Graupe ist es, den der sächsische Minister Lipinski nach Zwickau gesandt hat, um dort „vermittelnd und helfend" einzugreifc». Wir fragen die Rcichsregierung, was sie zu tun gedenkt angesichts dieser verfassungswidrigen Zustände und im Hinblick ans die völlige Hoffnungslosigkeit der Lage, soweit die sächsische Negierung in Frage kommt, in der die radikalen Elemente vorherrschend sind, von denen irgendwelche durchgreifende Maßnahmen im Interesse der Ausrechterhaltung von Ruhe, Ordnung und Sicher heit und der Erhaltung der verfassungsmäßig gewährleisteten! Grundrechte nicht zu erwarten sind." Tiefere Bedeutung der Unruhen Wie die Dinge in Zwickau wirklich lagen, sagt jetzt der kommunistische Abgeordnete Grube in einem längeren Artikel des kommunistischen „Volksblattes" in Dresden, dem wir fol gendes entnehmen: Bei den letzten Demonstrationen in Zwickau kam eS zwischen der Arbeiterschaft und den staatlichen Machtorga nen zu blutigen AiiSeinanderschungen. Diese Kämpfe, die trotz allem mit einem sichtlichen Erfolg für die Arbeiterschaft zum Abschluß gebracht wurden, haben mehr als örtliche Bedeutung. Die Bezahlung der Streiktagc, die Bildung einer Arbeiterwehr, die aus öffentlichen Mitteln finanziert wird, die Anerkennung des Aktionsausschusses, die Außerdienstsetzung der Landespolizei usw. waren in einer Situation, wo im übrigen Reiche Ruhe herrschte, ein nicht zn unterschätzendes Ergebnis. Diese Errungenschaften beweisen am besten, mit welchem Elan die in Bewegung geratene Masse borg!ng. Wir wenden uns auch ganz entschieden dagegen, als seien die Kämpfe lediglich das Einzelergcbnis einzelner Pro-' vokateure. Der Kampf war eine Folge der von der SPD. und der USP. getriebenen Koalitions- und Arbeitsgemeinschafts politik. Dieser Teilkampf war ein sichtlicher Ausdruck der Auf lehnung gegen die bisher in Deutschland getriebene Politik. Wenn es mit Hilfe der KPD. gelungen ist, die zum Ausbruch gekommene revolutionäre Bewegung für die Arbeiterschaft erfolg reich auszunutzen, so gelang das nur deshalb, weil die Politik der KPD. bei den in Gärung befindlichen Massen notwendig ist, um offene revolutionäre Kämpfe der Arbeiterschaft zum Siege zu führe». Aus dem Ausland Eine neue AMertenkonferenz? Paris, 24. Juli. Zu den Beratungen Poincarös mit Lloyd George am 1. August m London sollen, falls notwendig auch italienische und belgische Vertreter hinzugezogen werden. Amerikanische Indnstriekrise infolge des Streiks London, 24. Juli. Der Times-Korrespondent in Nenyork meldet: Von 600 000 Bergarbeitern streiken 180 000. Die Eisen- und Stahlindustrie ist schwer bedroht, da ihr die Kohlenvorräte ausgehen. Auch der Eisenbahnerstreik hat schtvere Folgen. Wahr scheinlich werden zahlreiche Hochöfen bald gelöscht werden'müssen, wenn es nicht gelingt, englische Kohle als Brennmaterial hcran- zuschaffen. Die Bergarbeiter lehnen eS weiterhin ab, irgend einen Schiedsspruch zu erörtern, und fordern eine gemischte Kon ferenz zwischen Vertretern der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Nach einer Exchangemeldung aus Washington trifft das Schiff« fahrtsamt wegen des Kohlenarbeiterstreiks Vorkehrungen, um eine Flotte von gegenwärtig nicht in Fahrt befindlichen Schiffen bereitMstellen, welche Kohlen aus Wales einführen sollen. Das Moratorium und der Quai d'Orsay Schon am vergangenen Freitag konnte man einen ersten Schritt zum Rückzug in der Haltung des französischen Regierungs chefs gegenüber der Moratoriumsfrage feststellen. Am Samstag waren allerdings die Nachrichten etwas alarmierender durch das Bekanntwerden der Verhaltungsmaßregeln an Dubais in der Wiederherstellungskommission. Wie richtig wir jedoch am Freitag die Lage als in der Entspannung begriffen gekennzeichnet hatten, geht daraus hervor, Haß Poincare am Sonntag bekanntmachen ließ, diese Verhaltungsmaßregeln seien durch Indiskretion be kannt geworden und sie enthielten noch lange nicht das letzte Wort Frankreichs in der Moratorinmsfrage. Die Regierungs- Presse will sogar wissen, daß Frankreich selber für August nutz September den Zahlungsaufschub beantragen werde. In dieser Zeit soll die Angelegenheit dann endgültig geregelt werden. Das wichtigste aber ist die Zusage PoincareS, daß er am 1. August nach London kommen, und dort nicht nur das Neparationsproblem, sondern auch die Orient- und Tangcrfrage, sowie die llnter- stützimgsaktion für Oesterreichs Finanznot behandeln werde. Das ist um so wichtiger, als Poincare zuerst gar nicht, dann erst Ende September nach London auf Wunsch der englischen Regierung gehen wollte und dann nur unter der Bedingung, daß nur die! Wiederherstellungsfrage behandelt würde. Er hat also zweifach nachgegeben. Inzwischen ist London an der Arbeit, um die unbe dingt notwendigen Voraussetzungen für die Lösung des deutschen Reparationsproülems zn schassen. Der Plan Lloyd George, der eigentlich vom englischen Finanzminister Horne stammt, geht ja dahin, daß England den früheren Alliierten dte ihm ge schuldeten Gelder annuliert. Um die Gesamtsumme der annullierten Schulden sollen bann die deutschen Zahlungen vermindert werden. Die Angelegenheit ist aber für England insofern schwierig, alA es selber bedeutende Summen an Amerika schuldet, die den englischen Staatssäckel stark bedrücken. Wie es scheint, hat auch Amerika die Absicht, England stark in dieser Angelegenheit enb- gegenzukommen und die Besprechungen Lloyd Georges mit dem amerikanischen Botschafter Geddes und die wahrscheinliche Ent sendung einer englischen Finanzkonimission nach Amerika sind in diesem Sinne zu deuten. i Oberammergau 1. Präludien (Neisebrief unseres Zck.-Mitarbeiters) Oberammergau, 21. Juli. Wer Heuer nach München kommt, der wird eS für eine Art Pflicht halten, auch das Passionsspiel in Oberammergau zu besuchen. Und er tut recht daran. Der erhabene und erbauliche Stoff, der i» seinen Grundzügen so recht in die heutige Zeit paßt, eignet sich ebenso sehr zu einer Betrachtung, wie sich seine Darstellung durch die biederen Oberammergauer zu einem Erleb nis gestaltet, das man nie wieder vergessen wird. Man hat es trotz uinfassender Bemühungen der Staats bahnen, der Fremdenverkehrsverbände und vor allem des rühri gen Rciseburecrus Schenker nicht leicht, den richtigen Weg zu wählen, um bequem und ohne zu hohe Kosten nach Oberamincr- gan zu gelangen. Für diejenigen Reisenden, die den Besuch des PassionsspielcS als Abstecher von München aus machen, ist die Sache noch am einfachsten, dafcrn sie das sogenannte Nachspiel wählen wollen, das sich übrigens äußerlich vom Hanptspiel nicht unterscheidet. Dieses Nachspiel findet regelmäßig am Tage nach dem planmäßigen Spiele statt und cs fährt morgens um 4 Uhr vom Starnberger Bahnhof ein Eilzug direkt nach Oberammergau, der nach dem Spiele wieder zurücksährt und gegen 10 Uhr in München cintrifst. Die Strapazen wiegt die Billigkeit diese» Programms reichlich auf. Schwieriger ist eS, wenn man in Oberammergau übernachten will. Tann kann man sich an Hauptspieltagen entweder des Schcnkerschcn Arrangements be dienen oder man muß sich schon lange vorher schriftlich Zimmer mit Billetts für das Spiel sichern, sonst riskiert man eine längere nächtliche Unterknnftssuche, die viele Leute bis nach Ettal (Not lager im Kloster) oder Unterammergau führt. Die Unterammer» gaucr wollen aber, so sagte man mir, nicht viel von den PassionS- spielgästen wissen. Sie sollen dem Nachbarort neidisch sein. In Ettal bei den guten Patres gibt eS «in Massenqitartier. Freilich muß man bedenken, daß Oberammergau ein Stündchen entfernt liegt und daß die Aussicht auf ein Plätzchen im Postauto fast ein Luftschloß ist. Das Schcnkcrsche Arrangement ist entschieden LaS bequemste. ES bietet Fahrt, am Vorabend Essen, am Spiel tag volle Pension und den Tag darauf Frühstück einschließlich zweimaliger Uebernacht-ung für zurzeit 600 Mark. Dem gewöhn lichen Sterblichen wird vielleicht der Preis etwas hoch erscheinen und dennoch hört man von allen „Empirikern", daß «n Ober- aimnerganer Abstecher auf eigene Faust nicht billiger zu stehen kommt, dafür aber an Verdruß und Aufregung allerhand mit sich bringen kann. Für mich kam keiner der geschilderten Wegs in Betracht, weil ich Oberammergau a»f dem Wege nach Tirol mitnehmen wollte. Ich hätte dem: Rate eines bewährten Freundes folgen und mich gleichfalls auf den Abstecher festlegen sollen. Bei wun. derbollstem Wetter verließ ich München. Der vollgepfropfte Zug. in dem auch die bei solchen Anlässen überall vorhandenen Leut chen, die man hierzulande mit „G'scherter" bezeichnet und die dann sehr leicht zu „Z'wideren" werden können, nicht fehlten, ! jubelte. Zwei Tage zuvor hatte es stark geregnet, nun kam die pciertagk-stimmung wieder znm Durchbruch. Sie erreichte ihren Höhepunkt, als man bei Murnau nahe ans Gebirge kam. Die Alpenkeite bei Oberammergau mit ihrem Wahrzeichen, dem Ettaler Manndl, war zwar von Wolken behagen, aber das be rühmte Passionsdorf mit feinen schönen, sauberen und frisch auflackicrtcn Häusern lag da wie aus der Nürnberger Spiel- warcnschachtel ausgestellt. Allenthalben war riesiger Betrieb. Die englische Sprache herrschte beinahe vor. Die Zeitiungsverkäu- fer machen auch in englischen und amerikanischen Zeitungen das Hauptgeschäft und viele Oberammergauer haben extra für dieses Jahr Englisch gelernt. Ich ging stolzerhobeiien Hauptes aufs Rathaus und mein Mitleid mit den vielen, die ich unterwegs lamentieren hörte, daß sie keine Unterkunft gesunde» hätten und nun noch nach Ettel pilgern müßten, wich bald dem Hochgefühl desjenigen, der sich rechtzeitig umgetan hat. Ich hatte ja die Zusage des Bürger meisters in der Tasche. Aber der Bürgermeister ist auch nur ein Mensch und kann sich irren. Und ob er geirrt hatte! In dem Trubel, der zugestandenermaßen auf ihm lastet, hatte er mich vergessen. Nach einstündigcm Hin und Her brachte er mich doch noch unter. In einem Hotel. Es war dort recht gut. Jedoch, ich hatte lieber einen Nachspiel-Abstecher machen oder mit Schen- ker reisen sollen. Dann wäre ich billiger gekommen. Froh war ich schließlich, überhaupt Platz gefunden zn haben und ich benützte den Nest des Abends, mit den Spielern Kontakt zu erhalten. Nicht die langen Haare und die für den Bayern fast zu weichen Gesichter interessierten mich. Ich wollte wissen, weß Geistes Kind sie sind. Meine Erfahrungen sind die denkbar günstigsten. Ich werde sie in meinem nächsten Briefe mit einer Würdigung des Spieles selbst erwähnen. 2. Das Spiel Garmisch, 22. Juli. Aus der Geschichte des Oberammergauer PassionsspieleS darf ich kurz in Erinnerung rufen, daß es einem Gelübde ent sprungen ist. Seitdem wird regelmäßig aller zehn Jahre gespielt. Das ist nun bald 300 Jahre her. Der urspüngliche Text soll, wie man mir erzählte, wesentlich verändert worden sein. Er stammt direkt vom alten Mysteriumspiel ab. Ein um die Oberammer gauer Sache sehr verdienter Mann, der Geistliche Rat I. I. Dai- senbecgcr, hat aus den alten Texten ein neues Werk erstehen lassen, das die tiefe Schönheit der Passionsgeschichte mit einer ganz großartigen Bühnenwirkung verbindet. Tue Frage taucht auf: Ist das Oberammergauer Spiel mit dem Begriffe Kunst zu identifizieren? Gewöhnlich lautet die Antwort: Nein! Unbe dingt richtig ist das jedoch nicht, denn die Behauptung, das Ganze sei nur ein von der Natur der Bergbewohner diktiertes (und wie gesagt durch das Gelübde bedingtes) Auswirken religiöser Emp findungen, mag vielleicht vor 300 Jahren zugetroffen haben. Heute ist das Spiel denn doch nicht mehr rein natürlich (im wohl, verstandenen Sinne!). Ich mein«, man muß Wort und Dar stellung streng scheiden. Wenn ich zuerst vom Wort rede, muß ich mich gleichzeitig den Text heranziehen. Die Oberammergauer empfinden berech tigten Stolz darüber, daß alles, auch der Text, aus ihrer Mitte heraus entstanden ist. Zugegeben, der Text ist würdig abgefaßt und bühnendramatisch wirksam. Aber sehr schade ist es, daß ein literarischer Bearbeiter gefehlt hat, der den Text an die Mundart anzupassen verstanden hätte. Es werden da mitunter Worttiradenl gesprochen, die ein entsetzliches Papierdeutsch darstellen. Kann sich der Leser die Wirkung Vorsteven^ wenn zum Beispiel Anna» fragt: «Habt ihr ihn allein gefänglich eingebracht?" Solche Blüten gibt es in größerer Anzahl. Man sollte gar nicht glauben, daß sie in dem neuerdings überarbeiteten Texte stehen bleiben konnten. Ein weiterer großer Mangel sind die fort währenden Unisono-Reden. Sie beeinflussen die Handlung. Beide Mängel könnten mit Leichtigkeit abgestellt werden. Die Darstel ler befleißigen sich außerdem einer allzu getragenen, mitunter recht hohl-pathetischen Sprechweise, die wohl in den erhabenen Stellen des Werkes angebracht erscheint, als Oberammergauer Signatur aber einen offenbaren Regiefehler bildet. Man könnte nun meinen, eine eingehende sprachliche Schulung der Darsteller würde Abhilfe schaffen. Etwa so daß man ihnen ein dem reinen Hochdeutsch näherkommendes .Idiom" beibringt. Das erscheint aber gewagt und man würde wohl bei solchem Versuch den Reiz, den die Natur gerade in die Kunst hineinbringt, anslöschen. Also bleibt es bei der Forderung der gründlichen Textrevision, die hoffentlich beim nächsten Spiel vorliegt. Nun zur Darstellung selbst! Das Spiel behandelt die Lei densgeschichte Christi in Szenen, die unterbrochen werden vo» Szenen, zu denen lebende Bilder ans dem Alten Testament ge stellt werden. Die Ausführung dieser lebenden Bilder ist ent schieden eine Großtat. Man dürfte so feine Farbcnabstimmungen und so lebendige Szenen nirgends wieder sehen. Schade, daß ich das Spiel bei einem fürchterlichen Unwetter anschauen mußte. Dadurch war eben die Bühne, die ja die Beleuchtung nur vom Tageslicht empfängt, sehr dunkel. Der Chor singt ganz hervor ragend und auch das Orchester unter Leitung oes Ortslehrerv führte die stimmungsvolle Musik vortrefflich aus. Im Eher sind einige Solisten von Rang. Besonders der Barltonist und der Tenorist verfügen über wohlgebildete Stimmen die zwcifcllc» von Meistern behandelt wurden. Die szcnischr Darstellung ist be- sonders großartig in den Volksszenen. H:er könnte so mancher Spielleiter Studien treiben. Höhepunkte sind der Einzug Christi und der Weg nach Golgatha. Die Kreuzigungsszene wird mit etwas allzu krassem Naturalismus dargestellt. Das V.«che» der. Gebeine zum Beispiel ist ein starker Stück. Immerhin kann man wohl sagen, daß einem die Würde mit der man diese er- Habenste Szene der Christenheit veraugenscheinlicht, staunen macht. Ich hatte immer etwas Bedenken, ob die Erhabenheit dieses Vorganges nicht leiden würde rnd mutz bezeugen, daß ich etwas Wnirdrrt'ollereS noch nicht sah. Anton Lang spielt zum dritten Male den Heiland. Herrlich! Neben ihm ist freilich die jugendliche Maria von Maria Veit schwerlich zu glauben. Ob sich nicht Paula Rendk, eine weiche, sympathische Magda lena, dazu noch bester geeignet hatte. (Oder ist sie verheiratet? Dann darf sie die Nolle laut Vorschrift nicht spielen. Ich konnte es nicht erfahren!) Eine musterhafte Leistung war auch der Kaiphas von Hugo Ruh. Charakterdarsteller von bedeutendem Talent ist Hans Mayr, der Spielleiter. Er gibt einen Pilatus» um den ihn mancher große Berufsschauspielcr beneiden könnte. Die Darsteller des Annas und HerodeS, alte Herren, lasten keinen Wunsch offen. Ich weiß nicht, ob Guido Mahr einen Unglücks sichen Tag hatte. Sein JndaS hatte eine recht unmotivierte De- Iveglichkcit, ließ aber Besseres ahnen. Jedenfalls hat mich «ließ in allem das Spiel mit großer Befriedig«»» erkiNli
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