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Zweites Blatt Sächsische Bolkszeitung vom 1. September 1911 Nr. 199 Der dritte soziale Kursus für kausleute fand vom 20. bis 24. August an der Zentralstelle des Volks vereins in München-Gladbach statt und erfreute sich eines befriedigenden Besuches. Der einleitende Vortrag behan delte den Aufbau unserer Volkswirtschaft unter besonderer Berücksichtigung des Handels. Bei den folgenden Vorträgen wurde vor allem Wert gelegt auf die Darstellung der Schwierigkeiten und die Besprechung der Mittel, um diese Schwierigkeiten zu beseitigen. Der Kursus trug also vor allen Dingen der Praxis Rechnung. So wurde bei dem Thema: Die wirtschaftlichen Interessenbeziehungen zwischen Detailhandel und den anderen Erwerbsständen" gezeigt, wie sich die Lebensfähig keit des Mittelstandes nach der rein wirtschaftlichen Seite belveisen läßt, ohne Rücksicht auf die zahlenmäßigen Ergeb nisse der Berufs- und Betriebszählung, worin ferner der wirtschaftliche und allgemeine Wert der selbständigen Existenzen liegt, und wie die Erziehung der Käufer im Sinne des Mittelstandes betrieben werden müsse. Gerade bei letzterer wurde betont, daß diese Erziehung in der Hauptsache mit wirtschaftlichen Beweisgründen operieren müsse, indem man dartut, daß die Bedarfsdeckung vom Mittelstand auch mit finanziellen Vorteilen für den Käufer selbst verbunden ist. Das Referat über die „Gesetzgebung" bewegte sich in folgenden Richtlinien: Die Staatshilfe darf nur die Ergänzung der Selbsthilfe bilden. Dabei sind stets gewisse Grenzen der Gesetzgebung festzuhalten. Der Detail- Handel macht den Fehler, daß er seine Wünsche in allgemein gehaltenen Resolutionen zum Ausdruck bringt, cs aber nicht versteht, seine Petitionen und Eingaben mit sach lichem, wohldurchdachtem Material zu begründen. Es fehlt den Organisationen des Detailhandels an volkswirt schaftlich vorgebildeten Kräften. Dazu bringt der Detail- Handel immer eine Masse von Forderungen auf einmal vor, statt eine wichtige Forderung in den Vordergrund zu schieben, diese durchzudrücken und nacheinander die ein zelnen Fragen zu lösen. Bei der Frage „Warenhäuser und Konsumvereine" wurde, neben einer entsprechenden Besteuerung, besonders die Notwendigkeit der Selbsthilfe in Form der Einkaufs genossenschaften und Rabattsparvereine betont. Mit be sonderem Nachdruck wurde darauf hingewiesen, daß die Konsumvereinsfrage eine wirtschaftliche und keine partei politische Frage sei. Ein ziemlich neues Gebiet stellte die „Förderung des Detailhandels durch die Gemeinden" dar. Den Teilnehmern wurde anheimgestellt, ihren Einfluß in den Gemeinden dahin zur Geltung zu bringen, daß die aus gestellten Forderungen in der Praxis verwirklicht würden. Die Notwendigkeit der Selbsthilfe trat auch bei der Be sprechung der „Kredit- und Zahlungsverhältnisse" in die Erscheinung. Bei den Mitteln zur Beseitigung der Miß- stnnde des Borgens, bei der Einrichtung von Einziehnngs- ämtern, bei dem Bestreben, die Diskontierung von Bnch- forderungen durchznführen und den Sonderrabatt zu be fettigen, kommt fast nur die Selbsthilfe in Betracht. Zum ersten Male wurden auch die Wirkungen der Kartelle und der Konventionen des Großhandels auf den Kleinhandel eingehender erörtert. Bei dem Thema: „Ziels und Wege der Organisationsbestrebungen" wurde die Schaffung einer einheitlichen wirtschaftspolitischen Vereinigung empfohlen, die heute noch fehlt. Daß der Hansabund für den Detail- Handel nicht in Betracht käme, war die Meinung fast aller Kursusteilnehmer, die den verschiedenen Parteirichtungen angehörten. Dringend wurde den Detaillisten die sozial- wirtschaftliche Schulung und die parteipolitische Betätigung in den einzelnen Parteien empfohlen. Ein Referat über: „Die Fürsorge für den kauf- männischen Nachwuchs" beendete den Kursus. Wünschens wert wäre nur eine stärkere Beteiligung der Detaillisten an diesen Kursen. Gerade der Detailhandel hat wirtschaft liche Schulung nötig. Das Handwerk kann da für den Detailhandel als Vorbild dienen. Aus Stadt und Land. (Fortsetzung an« dem Hauptblatt.', —* Mit dem Erlaß neuer Bestimmungen zur Regelung des Ausverkaufs Wesens be- sclmstigte sich die Dresdner Handelskammer. Sie nahm folgenden Antrag des 6. Ausschusses einstimmig an: a) die Kammer empfiehlt, die Pflicht zur Anzeige und zur Ein reichung des Warenverzeichnisses festzusetzen für 1. Aus verkäufe aus Liquidations-, Nachlaß- und Konkursmassen, sofern die Waren sich nicht mehr in der Verfügungsgewalt des Liquidators bezw. des Nachlaßpflegers bezw. des Kon kursverwalters befinden; 2. Ausverkäufe, welche durch ge werbsmäßige Aufkäufer fremder Warenmasfen oder außer halb der ständigen Betriebsränme stattfinden-. 3. Ausver käufe, bei welchen Waren durch Gerichtsvollzieher, Auktio- näre, Taxatore oder sonstige Beauftragte feilgeboten wer den, fei es im Wege der Versteigerung, sei es freihändig-, 4. Ausverkäufe, die aus Anlaß eines gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleiches unter Hinweis auf diesen an- geknndigt werden-, 5. Ausverkäufe wegen Verlegung des Geschäftes oder Mgen baulicher Veränderung-, 6. Ausver käufe wegen Alifgabe des Geschäftes oder einzelner Abtei lungen desselben; 7. Ausverkäufe wegen Veränderung in dem Personenzustande der Geschätfsinhaber; 8. Ausver käufe, bei deren Ankündigung auf einen entstandenen Sach schaden (Feuer-, Wasser-, Rauchschaden usw.) Bezug ge nommen wird; 9. Ausverkäufe, dis außerhalb der ordent lichen Beti-iebsränme veranstaltet werden; 10. Ausverkäufe des Mannfakturwaren- und Bekleidungsfaches: 11. Aus verkäufe von Hanshaltnngsgegenständen; 12. Ausverkäufe von Nahrnnqs- und Genußmitteln-, 13. Ausverkäufe von Spielwaren; b) hinsichtlich der Saison- und Inventur ausverkäufe wiederholt die Kammer ihren Antrag vom 30. März 1910, daß derartige Ausverkäufe nur in der Zeit vom 15. Januar bis 15. Februar und vom 15. Juli bis 15. August gestattet werden sollen. Die Kammer hält es für zweckmäßig, zur Durchführung der Bestimmungen des Gesetzes und der Verordnungen an den Orten, an denen sich ein Bedürfnis dafür zeigt, Ausschüsse zu bilden, die die Ansverkaufsankündigungen und die Ausverkäufe selbst überwachen, bei Verstößen zunächst eine gütliche Einigung zu erzielen suchen und nach erfolgloser Belehrung oder Warnung weitere Verstöße gegen Gesetz oder Verordnung zur Anzeige bringen. —* Eine Neuregelung der Stellenzahl und -abstusung sowie der Dlenstvezttge des DieSdnec Feuer- wehr-Osfizter»korpS siegt für Anfang nächsten Jahres bevor. Der Rat beschloß tn seiner letzten Sitzung, vom 1. Januar 19l2 ab die Stellung des Branddirektors in Abteilung 1 Gruppe 2 des BesolüungSPlaneS (6000 bis 8500 Mark Gehalt) einzureihen und zwei Brandt, speltorensleUi-n zu errichten, die mit einem Gehalt von 8900 bis blOO Mark eingestellt werden sollen. Die jetzt bestehenden Feuerwehr- offiziersstellen und zwar zwei Brandinspektorstrllen und drei Brandmeisterstellen sollen etngezogen werden. Dagegen sollet« dem Branddirektor, den Brandinspekloren und den Brandmeistern neben ihrem Gehalt ein Beklcidungögeld Von jährlich 300 Mark gewährt werden. Döbel«, 30 August. Ein Schadenfeuer zerstörte in Mannsdors das Gut des Mauerpoliers Meßner. Infolge des herrschenden Wassermangels konnte die Feuerwehr gegen das Element nicht viel nuSrichten. Eibenstock, 30. August. Ein Schadenfeuer zerstörte die mit der Ernte angefüllte Scheune des Zeichners Seidel. Einsiedel, 30. August. Die hiesige Bäckerinnung hat infolge der steigenden Mehlpreise den Preis eines SechS- PfundbroteS und 5 Psenige erhöht. Kirchberg, 80. August. Schwere Verbrennungen erlitt eine ältere Frau dadurch, daß thr Schwiegersohn ihr eine brennende Petroleumlampe nachwarf, wobei diese explodierte und die Kleider der Frau in Brand steckte. Neuko-wig, 30. August. Eine Anleihe von 70 000 Mk. wird von der Gemeinde mit Genehmigung des Ministeriums des Innern ausgenommen, um mehrere Häuser zur Be seitigung der herrschenden Wohnungsnot zu errichten. Pirna, 30. August. Ein tödlicher Unglückssnll ereignete sich hier dadurch, daß sich zwei Knaben an einen fahrenden Brotwagen bängten, wobei einer im Alter von vier Jahren unter die Näder geriet, die ihm über Kops und Rücken hinweggingen. Röblitz, 30. August. Das zweijährige Töchterchen de» Bergarbeiters Hedrich stürzte in den Rößnerschen Teich und ertrank. Zittau, 30. August. Jnfelge hochgradiger Nervosität erschoß sich dcr bei dem hiesigen Hauptzollamt tätige Zoll- akzeffist Litsert. Gemeinde- und Vereinsuachrichten. 8 Dresden. (Katholisches Kasino.) Am Sonn tag den 27. August vereinigten sich Mitglieder und liebe Freunde des Vereins zu einem Ausfluge nach der Lößnitz« 75 Personen wanderten den schönen schattigen Lößnitzgrund entlang, um nach einstündiger Wanderung die lieblich ge legene Kaisermühle zu erreichen. Zur großen Freude aller traf man hier mit vielen Löbtaucr Glaubensgenossen zu sammen. Der weitere Weg sammelte erst noch alle Teil nehmer zu einer photographischen Aufnahme durch Herrn Metke, Mitglied des Vereins, und erreichte sein Ziel am Spitzhans. woselbst drei Zimmer dem Verein reserviert waren. Bei fröhlicher Ansprache, lustigen'. Gesang, Var- trägen dcr Herren Hille und Straube. Mitglieder des Ver eins, und lebhaftem Tanz nahte nur zu schnell die Stunde» des Aufbruches Hatte schon vorher die wundervolle AuS- — 68 — Bald bringt er das Gespräch auf Lebensversicherungen, da er hofft, durch diese Manipulation Madame Worse am leichtesten für einige Minuten aus dem Zimmer entfernen zu können. Und richtig — schon nach wenig Sekunden erzählt die alte Dame in der ihr eigenen umständlichen Weise, sie habe bereits von seinem Nat profitiert und ihren kleinen Enkel versichert. Lorenz drückt seinen Beifall aus und fragt „jo ganz nebenher", ob er die diesbezügliche Police einmal sehen könne; als Versicherungsbeanrter inter essiere ihn begreiflicherweise jedes Konkurrenzunternehmen. Sein Herz klopft heftig bei dieser in völlig gleichgültigem Tone gestellten Bitte. Von ihrer Erfüllung hängt das ganze Gelingen seines wohldurch dachten Planes ab. „Aber natürlich!" erwidert Madame Worse liebenswürdig. „Wenn Sie mich für ein paar Minuten entschuldigen wollen, suche ich Ihnen das- Dokument heraus. Ich weiß zwar nicht genau, wo es liegt —" Lorenz blickt auf seine Teetasse nieder, um das triumphierende Auf leuchten seiner Angen zu verbergen. „Bitte, beeilen Sie sich nicht!" lacht er gemütlich, obgleich er seine Stimme vor Erregung kaum in der Gewalt hat. „Ich werde Fränlein Valetti inzwischen ein paar lustige Späße erzählen." Damit springt er auf und öffnet der alten Dame galant die Tür. Scheu und ängstlich blickt Jngeborg Lorenz Jespersen an, als er gleich darauf wieder ihr gegenüber Platz nimmt. Instinktiv ahnt sie. daß seine lachende Lustigkeit nur Maske war. Auch hat sich der Ausdruck seiner scharfen Züge merklich verändert; sie erscheinen momentan fast verzerrt und Wecken unheimliche Erinnerungen in ihr — Erinnerungen an ein fürchterliches Ge sicht, daS sie früher so oft verfolgte und das Erik Niels' Einfluß ver scheucht hatte. „Fräulein Valetti —I" Lorenz hat sich weit vornüber gebeugt und blickt Jngeborg durch dringend an. Sie will aufspringen. Doch sein Blick bannt sie sofort wieder an ihren Platz. „Fräulein Valetti —" wiederholt er in leisem, bezwingendem Flüsterton, den Blick nicht von ihr abwendend, da er weiß, daß nervöse Personen am leichtesten durch einen festen Blick zu beeinflussen sind, daß ihnen dadurch ge wissermaßen ein fremder Wille suggeriert wird — „Fräulein Valetti, unsere Zeit ist kostbar. Sie werden bemerkt haben, daß ich Madame Worse mit Vor bedacht ans den, Zimmer entfernte ... Ich bin hergekonnnen, um ein paar Worte unter vier Augen mit Ihnen zu sprechen. Sind Sie imstande, mich ruhig nnzuhören?" Jngeborg nickt, während ein Schauer ihren Körper überfliegt. „Beantworten Sie mir vorher eine Frage I" fährt Lorenz ernst, fast feierlich fort. „Es handelt sich um Ihre Tante Sigrid und Herrn Niels. Wessen Glück liegt Ihnen mehr am Herzen, das Glück dieser beiden oder Ihr eigenes?" „Ihr Glück ist mein Glück," erwidert das Mädchen voll rührender Ein- sachHeit. ' . . . — 65 — Er weiß jetzt, daß Erik sein Engagement bei Fräulein Arnoldsen auf- geben mußte, weil ihre Nichte ihn liebt, und er ahnt außerdem, daß Erik selbst eine tiefe Neigung zu der schönen Herrin von Schloß Sandögaard im Herzen trägt. Lorenz frohlockt. Nicht länger ist er im Unklaren, auf welche Weise er znm Ziel kommen muß. Sofort arbeitet sein nimmer rastendes Hirn den vollständigen Plan aus. Bereits am nächsten Tage schreibt er an Sigrid Arnoldsen folgende schlau berechneten Zeilen: „Hochgeehrtes gnädiges Fräulein! Gestern lief bei meinem Freunde Erik Niels ein Brief ein, der den Poststempel „Tronrsö" trägt. Da ich wohl mit Recht annehme, daß der selbe von Ihnen kommt, erlaube ich mir, Ihnen mitzuteilen. daß Herr Niels gegenwärtig schwer krank am Nervenfieber in meiner Wohnung darnieder liegt, also nicht imstande ist, Ihren Brief zu lesen. Mit vor- züglicher Hochachtung Ihr usw. usw." Das Schreiben hat den beabsichtigten Erfolg: Sigrid bedankt sich mit ein paar Zeilen bei Lorenz Jespersen und bittet ihn, ihr umgehend Nachricht znkommen zu lassen, sobald in Herrn Niels' Befinden eine Acnderung eintrete. Daraufhin antwortet Lorenz, Erik Niels befände sich in der besten Pflege. Der Arzt hoffe noch immer, ihn am Leben zu erhalten. Er selbst icdoch, (er den Kranken länger und besser kenne, habe leider bereits jede Hoffnung anfgcgeben. Die letzte Bemerkung regt Sigrid, wie beabsichtigt, aufs höchste auf. Am nächsten Tage schon erhält Lorenz folgende Depesche: „Möchte Herrn Niels noch einmal sehen. Reise l-eute nach Ehristiania ab." „Recht so>" lacht der schlaue Bursche in sich hinein. Dann läßt er sich von seiner Versicherungsgesellschaft acht Tage Urlaub geben und teilt Dr. Nicolas mit, daß er noch heute abend eine Geschäftsreise durch Norwegen antrcten müsse, indem er dem Arzt gleick^eitig Fräulein Arnoldsens Telegramm zeigt. „Die Sorge der Dame ist übertrieben," meint dieser lächelnd. „Die Krisis ist vorüber; unser Patient befindet sich auf dem Wege der Besserung." „Wirklich? . . . Na, das freut mich von Herzen!" erwidert Lorenz mit gutgespielter Verwunderung. „Aber da Fräulein Arnoldsen bereits unter wegs ist, läßt sich nichts nichr machen. Sollte sie eintreffcn, während ich noch auf meiner Geschäftsreise bin. entschuldigen Sie mich bei ihr! In spätestenS acht Tagen bin ich wieder zurück. Ans Wiedersehen, Doktor!" — — Während sich Sigrid Arnoldsen mit sorgenvollem Herzen in Tromsö an Bord der „Skandinavia" begibt, um den angeblich sterbenden Freund noch einmal zu sehen, besteigt Lorenz Jespersen in Ehristiania den Schnellzug, um gen Norden zu dampfen. Einige Tage später -- gegen Abend. Tr. NicolaS hat vor kurzem seine Sprechstunde beendet und sich nach Lorenz Jespersens Wohnung begeben, um nach seinem Patienten zu sehen, als eine Dame gemeldet wird. *