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Zweites Blatt Sächsische Volkszeitung vom 2. Juni 1911 Nr. 125 Deutscher Reichstag. Sitzung vom 31. Mai, 1 Uhr 20 Minuten. Das Haus ehrt das Andenken des verstorbenen Abg. Kirsch (Ztr.) durch Erheben von den Plätzen. Nach Erledigung einer Reihe von Petitionen tritt das Haus in die Beratung des Antrages auf Vertagung des Reichstages bis zum 10. Oktober 1911 ein. Der Antrag wird ohne Debatte angenommen. Es folgt die zweite Lesung des s ch w e d i s ch e n Han delsvertrages. Abg. Scheidemann (Soz.): Die Pflasterstein interessenten sind mit allen Mitteln bemüht, den Handels- vertrag zu Fall zu bringen. In manchen Gegenden sind die Steinarbeiter ausgefordert worden, uns zu bearbeiten, gegen den Vertrag zu stimmen. Minister v. Breitenbach: Die preußische Staats eisenbahnverwaltung hat unabhängig von den Verhandlun gen über den Abschluß von Handelsverträgen das Bestreben gezeigt, durch Ausgestaltung der Tarife den Interessen der Bevölkerung und der Steinindustrie entgegenzukommen. Staatssekretär Dr. Delbrück: Ich werde es nicht unterlassen, den übrigen deutschen Eisenbahnverwaltungen von den Verhandlungen in der Kommission Mitteilung zu gehen zu lassen. (Bravo!) Abg. Wallenborn (Ztr.): Wir danken für diese Erklärungen, die für die Steinindustrie von großem Werte sind. Wir werden für den Vertrag stimmen. Abg. Dr. Rösicke (Kons.): Ein Teil meiner Freunde kann dem Vertrage nicht zustimmen, der größte Teil dersel ben vermag aber nicht die Verantwortung für den vertrags losen Zustand zu übernehmen und wird dem Vertrage zu stimmen. Staatssekretär Delbrück: Es ist in der Kommission der Vorwurf erhoben worden, daß Personen in einfluß reicher Stellung an dem Pflastcrsteinexport persönlich in teressiert seien. Ich weise diesen Vorwurf als unhaltbar zurück. Abg. Vogel (Ntl.): Die Mehrheit meiner Freunde stimmt dem Vertrage zu. Abg. Gothein (Vp.): Mit unserer Haltung dem Handelsverträge gegenüber vertreten wir nicht die Inter essen unseres Wahlkreises, sondern des ganzen Volkes. Die Pflastersteineinfuhr aus Schweden ist außerordentlich zu- rückgegangen. Die Notlage und die abnehmende Rentabi lität der heimischen Industrie ist nicht auf den schwedischen Import zurückzuführcn. Der Rückgang ist auf das Nuhe- bedürfnis der Großstädte zurückzuführen, wo Asphalt und Holzpflaster das Steinpflaster verdrängt. Wir stimmen dem Vertrage zu. Abg. Freiherr v. Gamp (Np.): Die große Mehrzahl meiner Partei stimmt trotz mancher Bedenken für den Ver trag. Die Notlage der Hartsteinindustrie ist bedauerlich. Daran darf aber der Handelsvertrag nicht scheitern. Abg. Dr. Werner (Vp.): Wir lehnen den Handels vertrag im Interesse des Schutzes der nationalen Arbeit ab. — Nach kurzen Bemerkungen des Abg. Gräfe (Antis.) wird der Handelsvertrag mit Schweden angenommen. Es folgt die Beratung der Kommissionsresolution über Beseitigung oder Ermäßigung der Gebühren für Beeren- lesescheine, sowie Ermäßigung der Eisenbahntarise. — Nach kurzer Bemerkung des Abg. Kuntze (Soz.) ist die Debatte beendet; die Abstimmung erfolgt in dritter Lesung. Um den Parteien Gelegenheit zu geben, zu dem Kom- missionsberichte über den Rest des Einführungsgesetzes zur Reichsverücherungsordnung Stellung zu nehmen, vertagt sich das Haus auf drei Viertelstunden. In der neuen Sitzung wird das Handelsabkommen mit Japan und das Neisckostcngesetz für Kolonialbeamte in zweiter Lesung ohne Debatte erledigt. Sodann wird die zweite Lesung des Restes des Ein führungsgesetzes zur Neichsversicherungsordnung fortgesetzt. Abg. Bebel (Soz.): Aus den Kommissionsverhand- lungen hat sich ergeben, daß sich unsere schweren Befürchtun gen gegen den Antrag Schultz als durchaus berechtigt er wiesen haben. Abg. Hoch (Soz.): Um die Angestellten vor Schädi gung in ihrer Stellung zu schützen, beantragen wir Strei chung des Artikels. Der Antrag wird abgelehnt. — Der Antrag Schultz wird angenommen und damit das Einführungsgesetz selber. — Das Halls vertagt sich auf 6 Uhr. In der erneuten Sitzung werden in dritter Lesung fol gende Gesetze angenommen: Einführungsgesetz zur Neichs versicherungsordnung, Gesetz betreffend die Schiffsmeldun gen bei den Konsulaten, Uebereinkommen über das See recht, Niederlassungsvertrag mit der Schweiz, Handelsver trag mit Schweden, Handelsabkommen mit Japan, Neise- kostengesetz für die Kolonialbeamtsn, Aenderung des Zünd warensteuergesetzes, Beseitigung von Tierkadavern, Ge währung von Tagegeldern an die Abgeordneten für dle Herbsttagung. Hierauf spricht der Präsident dem Bureau seinen Dank aus llild seitens des Hauses dem Präsidenteil der Abgeord nete Basscrmann. Hierauf verliest der Reichskanzler v. Bethmann Hollweg die Kabinettsordre über die Vertagung des Reichstages. Mit einem Hoch auf den Kaiser schließt die Session ab. 58. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands in Mainz. («.—1«. August 1911.) Betreffend Ncben-Bcrsammlungcn. Diejenigen Vereine, welche Versammlungen während der 58. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands abzuhalten beabsichtigen, werden ersucht, sich bei dem Vor sitzenden der Ordnungskommission, Herrn Lorenz Els- mayer, Mainz, Kvrthäuserstraße 9, zu melden. Unbedingt notwendig ist es, die ungefähre Zahl der Besucher dieser Versammlungen anzuführen: auch wird gebeten, anzu geben, an welchem Tage und zu welcher Stunde die Ver sammlung abgehalten werden soll. Da in Mainz nur über eine beschränkte Anzahl Säle verfügt werden kann, ist es dringend erforderlich, daß die Anmeldungen bis längstens zum 16. Juni einlaufen. Spätere Meldungen können keinen Anspruch auf Berücksichtigung machen. Kann die durch den Antimodernisteneid übernommene Verpflichtung aufgehoben werden? Zu aller Verständnis des Falles Prof. Tr. Küster gegen die „Stimmen aus Maria-Laach" muß man drei Arten von kirchlichen Lchrentscheidungen wohl auseinanderhaltcn: Es gibt Lehrentscheidungen, die in feierlichster Werse durch ein allgemeines Konzil oder durch den ax entbeckru sprechenden Papst definiert wer den. Es sind sogenannte „Glaubenswahrhciten cka kick« <I«-ki»i1n", wie z. B. die Unfehlbarkeit des Papstes, die Unbefleckte Empfängnis der Gottesmutter, die gottmensch liche Doppelnatur in der Person Christi und dergleichen. Diese Lehren sind selbstverständlich unfehlbar und unwider ruflich (irrevokable). Sie verHlichtcn zu innerer und vor behaltloser Unterwerfung. Der Glaubensakt, wodurch man sich ihnen unterwirft, heißt in der katholischen Theologie Göttlicher Glaube, kicke» ckivinn. Ein zweite Klasse von Lehrentscheidungen betrifft die jenigen Wahrheiten, welche allerdings nicht durch ein ökumenisches Konzil oder durch einen Kathedraspruch ver kündet wurden, aber doch so eng mit Kathedral- oder Kon zilentscheidungen innerlich znsammenhängen, daß sie ohne diese nicht gedacht werden oder nicht bestehen können. Solche Lehrentscheidungen werden in feierlicher Weise verkündet, meist in päpstlichen Enzykliken mit dogmatischem Charakter, z. B. in der Enzyklika Pascendi gegen den Modernismus. Sie sind irrevokabel, und wir müssen sie vorbehalt los und innerlich anerkennen. Bringen es die Zeitverhält- nissc, die Gefahren der gerade modernen religiös-philo sophischen Meinungen mit sich, daß die Kirche diesen Lehr- entscheidnngen eine besonders aktuelle Wichtigkeit beilegt, so kann sie verlangen, daß wir unsere innere, vorbe haltlose und irrevokable Unterwerfung durch einen Eid bekräftigen. Sie kann dies namentlich von ihren Priestern verlangen, die ui erster Linie verpflichtet sind, ihre Glaubensbrüder im Glauben zu belehren. Das har Pius X. in seinem Motnproprio „Knerarum Xnti»ti1nm" durch die Forderung des sogenannten Antimodernisten- eides getan. Dieser Eid ist ebenso dauernd in seiner Ver pflichtung, wie die Lehren, welche beschworen werden, un widerruflich und unabänderlich sind. An dritter Stelle sind die einfachen Lehrentscheidungen zu nennen, die durch römische Kongregationen, insonder heit durch die Kongregationen vom hl. Offizium unter päpstlicher Zustimmung gefällt werden, meist als Antworten ans Anfragen. Sie betreffen in der Regel Fragen, welche nicht direkt mit den geoffenbarten und feierlich definierten Glaubenswahrheiten Zusammenhängen und daher von ver hältnismäßig geringerer Bedeutung sind. Auch ihnen gegenüber verlangt die Kirche, deren Herrschaft sich in erster Linie auf die Seelen erstreckt, eine innere und loyale Unterwerfung, einen Verstandesgehorsam, der jedoch im Gegensatz zur Unterwerfung unter die oben genannten — 20 — fab ausgeglichen: „Sie werden mich nicht für undankbar halten, wenn Sie sozusagen die Kastanien für mich aus dem Feuer holen müssen und ich wünschte nichts eifriger, als in Ihrem Interesse einen gewissen Druck auf meine Nichte ausüben zu können." Ein Flackern brach aus Neynells Auge, das einem aufmerksamen Beob achter gar manches verraten hätte, doch Daubeny war von seinem Weinglase in Anspruch genommen, und er beachtete auch nicht, daß die Stimme des jungen Mannes einen starken Einschlag von Spott aufwies, als er erwiderte: ..Ich werde wohl alle Schwierigkeiten überwinden können, wenn ich mich aut Sie stützen kann." „Was ist's mit dem jungen Wynter?" fuhr Roger fort, indem er sein Glas niederstellte und sich auf seinem Stuhle zurechtrückte. „Er ist recht eifrig hinter dem Schiff her, allein ohne jeden Erfolg, so weit ich beurteilen kann," sagte Reynell mit einem Blick auf die Tür. „Ich vermied es absichtlich, in dem gleichen Abteil mit ihm zu reisen, er scheint mir ein geriebener Bursche zu sein und ich erachtete es für unnötig, seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, außer ich hätte ihn ausforschen wollen." „Sehr richtig," gab Roger zu. „Ich glaube auch," belobte sich Reynell selbst. „In London angclangt, "ar es nicht schwer, ihm bis zum „Norfolk-Hotel" am Kai zu folgen, und da es bereits zu spät war, um an diesem Tage noch etwas zu beginnen, so Mietete Ich mich in dem gegenüberliegenden „Arundel-Hotel" ein, um am nächsten Morgen gleich bei der Hand zu sein. Wie erwartet, begab er sich, kaum daß die Geschäftsläden geöffnet wurden, an die Börse, wo er lange Zeit in den Schiffsregistern nachschlug. Als er wieder zum Vorschein kam, schien seine Zuversicht ein wenig geschwunden zu sein, und er begab sich in ein Bureau in der Billiter Street." „DaS Gibson u. Co., den Eigentümern des „Cader Jdris" gehört. „Ich wette, daß er dort nicht viel Zeit verbrachte," flocht Roger Daubeny ein. „Sie würden Ihre Wette gewinnen," erklärte Reynell ehrlich erstaunt. „Aber woher wissen Sie das?" „Mein lieber Freund," sprach der Hausherr, „mein Vater machte vor etlichen Jahren genau die gleiche Prozedur durch. Obsckwn er seinerzeit die Kabine Kapitän Wynters gründlich durchsucht hatte, ohne gefunden zu haben, was er um jeden Preis erreichen wollte, behielt er, — tvenn dieser Ausdruck gestattet ist, — den „Cader Jdris" im Auge, so lange es möglich war. Ich weiß schon längst, was der junge Wynter erst gestern erfuhr, daß Gibson u. Co. nicht mehr existieren. Die Firma ging zugrunde, und was sie an barem Gelbe und an Geldeswert hinterließ, wurde zur Befriedigung der Gläubiger ver wendet. Zu jener Zeit — dreißig oder noch mehr Jahre dürsten seither ver strichen sein, — starb mein Vater, und ich forschte dem Schiffe nicht weiter nach, denn ich war jederzeit der Ansicht gcivesen, daß, wenn der alte Wynter nicht von selbst neue Nachforschungen anstellte, zu denen ihn nur die Wieder kehr seines Gedächtnisses veranlassen konnten, jeder Schritt nnsererseits ver- lerene Liebesmühe wäre. Seitdeni ich in das Geheimnis eingeweiht worden, bestand meine Politik darin, aufzupassen und zu ivarten." — 17 — „Milroy, der um etliche Jahre weniger zählte als ich, war ernstlich ver- r undct worden und litt auch sonst an der Schwindsucht. Er durfte kaum er warten, England als Lebender zu erreichen, und noch waren wir keine acht Tage unterwegs, als er seine Kabine nicht mehr verlassen konnte. Es ging mit ihm rapid abwärts und etwa 14 Tage später ließ er mich zu sich kommen, un- mir einen versiegelten Umschlag zu übergeben, der seiner Aussage nach Weisungen zur Auffindung eines Ortes enthielt, an dem er Gold und Edel steine von ungeheuerem Werte verborgen habe. Die Kostbarkeiten seien ihm „in die Hände gefallen", als Delhi eingenommen wurde. Nahe Verwandt? besaß er nicht, und da ich sein bester Freund war, so sollte ich sein Erbe sein. Da er aber die Hoffnung auf Genesung noch nicht aufgegsben hatte, nahm er mir das ehrcnwörtliche Versprechen ab, den versiegelten Umschlag erst zu er- brechen, wenn er — Milroy — schon gestorben sein würde. „Ich gab ihm natürlich das verlangte Versprechen, und als ich etwas lästigen Schrittes seine Kabine verließ, stieß ich förmlich gegen Stöcker, der ganz den Eindruck auf mich inachte, als hätte er an der Türe gelauscht. Artur Milroy verschied noch in der nämlichen Nacht in meinen Armen, und ein wenig später begab ich mich in meine Kabine, um das Papier zu lesen, das er mir übergeben. „Unser Familiengnt war schon längst mit Hypotheken überlastet und ich wollte mir einen Glücksfall zunutze machen, der alle Geldkalamitäten mit einem Schlage beheben würde. Da ich nicht gestört werden wollte, schob ich den Riegel an meiner Kabinentüre vor, merkte aber gleich, daß der Riegel schadhaft sei, denn er wollte nicht packen. Ich hatte bisher keinen Anlaß gehabt, ihn zu benützen, und wußte daher nicht, ob der Schaden von früher herrühre oder neueren Datums sei. Für den Moment konnte ich ihn nicht anders ersetzen, als indem ich meine schwere Seemannskiste vor die Türe rückte. „Dann holte ich den Umschlag aus meiner Brusttasche und wollte ihn schon erbrechen, als ich von außen leichte Schritte vernahm und gleich darauf hörte, wie eine Hand vorsichtig auf meine Türklinke drückte. Instinktiv ahnte ich Gefahr und verbarg den Umschlag hastig in einer kaum wahrnehmbaren schmalen Spalte, die die Täfelung der Kabinenwand ausmachte. Kaum war dies geschehen, als die vor die Türe gerückte Kiste wie von einer unsichtbaren Macht bewegt, zur Seite glitt und Stöcker in die Kabine stürmte. „Mir blieb knapp nur Zeit, ihn zu erkennen, als mir der furchtbare Schlag, den er mir mit einem Totschläger auf den Kopf versetzte, jede Erinne rung benahm, rein, wie wenn man mit einem nassen Schwamm das auf eine Schiefertafel Geschriebene Niegwischt. Als ich nach vieltägigem Krankenlager wieder zu mir kam, wußte ich nicht, wer ich sei, noch was sich sonst auf meine Person bezog, mit Ausnahme dessen, was mir von anderen gesagt wurde. Natürlich wußte mir niemand etwas von dem versiegelten Umschläge Artur Milroys oder dem räuberischen Ueberfalle Philipp Stöckers zu melden, denn es wurde niemals bewiesen, daß ein solcher stattgefunden. Vielmehr meinten die Leute, ich hätte mir meine Verletzungen durch einen Fall in meiner Kabine zugezogen. Allein das Gesicht deS Mörders hatte sich so unauslöschlich meinem Geiste eingeprägt. als er seine Waffe gegen mich erhob, daß. als ich vor kurzem das Getächtnis wieder erhielt, ich scbou im Geiste in der ersten Sekunde sein Ihre Schuld. 0