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Wenn also die Zentrunispartei entsprechend dem ab geschlossenen Kompromiß gegen den sozialdemokratischen Antrag stimmte, so geschah das nicht deshalb, weil sie grundsätzlich Gegnerin dieser Forderung ist, sondern weil sie wichtigere Aufgaben in der Invalidenversicherung für dringlicher hält als die Herabsetzung der Altersgrenze. Sie stimmt darin bezeichnenderweise überein mit der Ansicht des sozialdemokratischen Parteitages und dem sozialdemokratischen Abgeordneten Molkenbuhr, der als Spezialist für Versicherungsfragcn in seiner Partei gilt. Auf dem sozialdemokratischen Parteitage in Jena im Jahre 1905 lag ein Antrag vor (Protokoll S. 127), welcher die Altersgrenze für den Bezug der Altersrente auf 65 Jc.hre herabsetzen wollte. Dieser Antrag wurde, wie auf S. 232 des Protokolls mitgeteilt wird, abgelehnt, und zwar, nach dem Herr Abgeordneter Molkenbuhr sich entschieden gegen denselben gewandt hat. Derselbe führte u. a. aus (Proto koll S. 237): „Der Antrag 84 (Herabsetzung der Altersgrenze auf 65 Jahre) enthält eine alte, sehr populäre und in der Agitation leicht anwendbare Forde: ung, die bei vielen Leuten großen Anklang findet. Aber sieht man die Forderung näher an, dann wird man zu der Ueber- »eugung kommen, daß es keine unglücklichere Forde rung beim Alters- und Jnvalidenversicherungsgesetz geben kann als gerade diese. Mit ihrer Verwirklichung würde den Industriearbeitern der denkbar schlechteste Dienst er wiesen werden. Ist ein Arbeiter arbeitsunfähig, dann kann er Invalidenrente erhalten, und diese Rente wird er auch persönlich verbrauchen können. Ist er aber noch arbeits fähig und verdient gerade so viel wie jeder Arbeiter auf derselben Stelle, so wird ihm, falls er dann Rente erhält, diese Rente nach Kürzung des Arbeitslohnes wieder viel fach abgejagt. Darin gehen Reich und Bundesstaaten voran. Die in den königlichen Eisenbahnwerkstätten be schäftigten Leute, welche Altersrente erhalten, kommen ge wöhnlich mit demselben Tage, wo ihnen die Altersrente zugesprochen wird, in eine niedrigere Lohnklasse, und es ist nicht selten, daß ihnen ein Mehr an Lohn abgezogen wird, als sie in Form von Renten erhalten. Die Forderung würde zur Folge haben, daß ungefähr drei Landarbeiter Rente erhalten und ein Industriearbeiter. Die Land arbeiter haben nun aber bekanntlich kein Koalitionsrecht, die Bauern werden dem alten Manne leicht seinen Lohn kürzen, und würde die Erfüllung der Forderung auf eine Unterstützung der Grundbesitzer hinauslaufen. Sobald die Altersgrenze herabgesetzt wird, wird der Zuwachs an Altersrentnern so groß sein, daß die Beiträge erheblich er höht werden müssen: die Durchführung dieser Forderung wäre also nichts anderes als eine Belastung der Industrie arbeiter zugunsten der Grundbesitzer. Das ist auch der Grund, weshalb die Sozialdemokraten diese Forderung nicht mehr erheben, sie ist zuletzt im Reichstage von dem be kannten Führer des Bundes der Landwirte v. Ploetz er hoben worden, der sich sagte, daß dadurch die Grund besitzer eine erhebliche Ersparnis an Lohn haben würden. Ich sehe also nicht ein. weshalb wir mit einer solchen Forde rung kommen sollen. Wollen wir an dem Gesetz etwas andern, so hgben wir dafür zu sorgen, daß die Leute leichter in den Bezug der Invalidenrente kommen können." Piese Tatsache lassen die sozialdemokratische und natio- nalliberale Uebertrumpfungspolitik in bengalischem Lichte erscheinen. Herr Abgeordneter Molkenbuhr hat bei der Be ratung im Reichstage allerdings einen anderen Standpunkt eingenommen, ein Beweis, daß auch die Sozialdemokraten einmal so und einmal anders können. Immerhin ließ er auch hier durchblicken, daß die Herabsetzung der Alters grenze nicht das Notwendigste und Dringlichste sei, indem er ausfllhrte: „Mir persönlich würde es auch mehr passen, wenn jeder, der wirklich Invalide ist, eine Invalidenrente erhielt, dann könnte man die Herabsetzung der Altersgrenze wieder entbehren. Aber infolge der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes und der Wirkung der Bereisungs kommissionen beziehen heute eine Anzahl wirklich invalider Menschen tatsächlich keine Invalidenrente; deshalb mutz man eine mechanische Grenze festsctzen, das 66. Lebensjahr, das kann man dann nicht abstreitcn." Hierzu mutz bemerkt werden, daß sowohl die Entscheidungen des Reichsversiche rungsamtes wie auch die Kontrollbereisungskommissionen bereits ihre Tätigkeit ausgenommen hatten, bevor der Par teitag von Jena den angeführten Beschluß gefaßt hat. Es ist recht bemerkenswert, daß sich mit den Gedankengängen, die Molkenbuhr auf dem Parteitage vertreten hat, die Stel lungnahme der christlichen Gewerkschaften deckt, die auf dein Kongreß in Köln 1909 in einer Resolution folgendes zum Ausdrucke brachten: „Die Herabsetzung der Altersgrenze auf 65 Jahre zum Bezüge der Altersrente ist erwünscht, notwen diger ist jedoch, daß Jnvalidenrentnern, die Kinder unter 14 Jahren oder solche, die infolge geistiger oder körperlicher Gebrechen dauernd erwerbsunfähig sind, zu versorgen haben, entsprechend der Zahl der .Kinder eine Zuschußrentc (Kinderrente) gewährt wird." Aus alledem ist ersichtlich: Die Haltung der Zentrums partei und der christlichen Arbeitervertreter war also durch- «us korrekt! Kaiser Franz Joseph. Mit banger Sorge blickten in der vergangenen Woche die Völker der östereichisch-uugarischen Monarchie nach dem ungarischen Königsschlosse Gödöllö, wo der greise Kaiser aus Gesundheitsrücksichten sich aufhält. Die günstig klin genden Nachrichten über ein angeblich glänzendes Befinden des Monarchen konnten die Tatsache nicht verbergen, daß angesichts des hohen Alters des Patienten, sowie der ge ringen Schonung, die er sich auferlegt, die Besorgnisse aller Patrioten nur zu begründet sind. Das Fernbleiben von Festen, denen der Kaiser durch seine traditionelle Anwesen heit einen besonderen Glanz verlieh, wurde Heuer besonders stark empfunden. Zum ersten Male wurde Heuer die Früh jahrsparade über die Wiener Garnison vom Thronfolger abgenommen. Auch am Stapellanf des ersten österreichi schen Dreadnoughts „Viribus unitis", sowie an den großen Herbstmanövern in Ungarn hat der Kaiser seine Teilnahme abgesagt. Auch wird er die vom Babenberger Rudolf IV. vorgeschriebene Verpflichtung nicht cinhalten können, wonach alle österreichischen Herrscher an der Fronleichnamsprozession im St. Stephansdome zu Wien teilzunehmen hätten. Die allgemeinen Audienzen bleiben abgesagt, die Ministervor träge sind auf das notwendigste beschränkt. Und die Be völkerung glaubt, ob dieser Vorgänge die beruhigenden Bulletins überhören zu müssen. Seit Anfang April leidet Kaiser Franz Joseph an einem hartnäckigen .Katarrh. Ein Wiener Spezialist, Hof rat v. Neuster, der am 21. Mai nach Gödöllö berufen wurde, erklärt zwar, daß der Katarrh sich gebessert habe. Die Hart näckigkeit dieses Uebels scheint zum Teil auf das ungünstige Wetter des heurigen Frühjahrs, weiter aber auch auf den Umstand zurückzuführen zu sein, daß sich bei dem nunmehr 81jährigen Herrscher die ersten Anzeigen einer beginnenden Arteriosklerose zeigen. Das subjektive Befinden des Monarchen hat sich in den letzten Tagen etwas gebessert. Die alte Arbeitslust ist wie- dcrgekehrt; mehrere Stunden des Vormittags sind der Er ledigung von Staatsgeschäften gewidmet. Nachmittags un ternimmt der Kaiser Spazierfahrten im herrlichen Schloß parke zu Gödöllö. Ungeschwächtes Interesse bringt der Kai ser den Jagdereignisscn entgegen; gelegentlich äußerte er: „Im Herbste komme ich unbedingt zur Wildschweinjagd nach Gödöllö, wenn nur nichts dazwischen kommt." Voraussichtlich am I. Juni wird der Kaiser Gödöllö verlassen und dann in der Villa „Hermes" im Lainzer Tier garten zunächst Wien einige Wochen Aufenthalt nehmen. Dieser Tiergarten bildet einen ungeheuren Waldkomplex zwischen der West- und der Südbahn, und war seinerzeit der Lieblingsanfenthalt der Kaiserin Elisabeth. In Latnz wird der Kaiser in vollkommener Ruhe leben. Im Juni werden keine allgenieinen Audienzen erteilt werden; der Kaiser wird voraussichtlich gar nicht mehr in die Wiener Hofburg kommen. Die Vorträge in Lainz werden auf das allernotwendigste beschränkt werden. Empfänge finden in der Villa Hermes nicht statt. Im Falle unerläßlich nötiger, unaufschiebbarer, vom Kaiser selbst gewünschter Empfänge würde sich der Monarch nach Schönbrunn begeben. Als Sommersejour ist, wie in den Vorjahren. Bad Ischl im Salzkammergut in Aussicht genommen. Vokksche Rundschau. Dresden, den 1. Juni Iftil. — Der Reichstag wurde am Mittwoch durch die Kaiser!. Kabinettsorder vertagt, nachdem er zuvor nicht weniger wie drei Sitzungen an diesem Tage abgehalten hatte. In zweiter und dritter Lesung wurde noch eine Anzahl von Gesetzen erledigt und das EinführungSgcsi'tz zur Reichs- verstcherungSordnung gleichfalls. Die Abgeordneten können also heimgehen in die wohlverdienten Ferien. Im Oktober soll die Arbeit wieder ausgenommen werden. — Der Reichs- und Landtagsabgeordncte Amtsgerichts- rat Kirsch, der langjährige Vertreter seiner Vaterstadt Düs seldorf im Reichstage und im preußischen Abgeordneten hause, ist am 31. Mai im Alter von 64 Jahren gestorben. Die Zontrumsfraktionen verlieren ein langjähriges, treu- bewährtes Mitglied, das auch dem Vorstande angehörte. Im Jahre 1893 trat Abg. Kirsch in das preußische Abge ordnetenhaus ein; seit 1898 gehörte er dem Reichstage an. In beiden Parlamenten entwickelte er eine eifrige Tätig- keit, sowohl als Redner im Plenum wie in den Kommissio- nen, namentlich bei der Erörterung juristischer Fragen. — Ein Attentatsplan gegen die Verfassung? Von Zeit zu Zeit taucht in reaktionären Kreisen, die, so Wahl- rcchtsfeindlich sie sind, doch sich an das gleiche Wahlrecht nicht herantrauen, der Plan auf, dem Reichstage ein Oberhaus an die Seite zu setzen. Immerhin ist es nicht uninteressant, was die „Grenzboten" darüber zu erzählen wissen. Das konservativ gerichtete Blatt schreibt: „Es unterliegt keinem Zweifel mehr, daß die Politik des Fürsten Vlllow anfänglich unbewußt, je mehr sie ihrem Lude entgegenging, immer bewußter und absichtlicher den Uebergang zum parlamentarischen System vorbereitete. Fürst Blllow anerkannte durchaus klar, daß die Entwick lung der Nation, ihre Wirtschaft und die starke Entfaltung aller geistigen und sittlichen Werte zu diesem politischen Ziel hinstrebten und daß keine Macht der Erde befähigt sein würde, diesem Zuge Halt zu gebieten . . . Blllow wurde als Umstürzler verdächtigt und — beseitigt. Und doch Halts dieser Umstürzler schon seit dem Jahre 1905 sehr weit gehende Vorarbeiten für die Einrichtung eines Neichsober- hauses getroffen, das Bildung und Besitz vor den von kon servativer Seite befürchteten Schädigungen des Parlamen tarismus bewahren sollte. Es besteht sogar ein bis in die kleinsten Einzelheiten ausgearbeiteter Gesetzentwurf, der im geeigneten Augenblicke hervorgeholt werden sollte ... Es ist anders gekommen. Der Parlamentarismus gewinnt Schritt für Schritt an Boden, doch nicht vorsichtig eingeführt von einer kräftigen Regierung, sondern geschoben und vor angestoßen von den demokratischen Parteien. Die Regie rung des Herrn v. Bethmann hat zu dieser Entwicklung ihren Segen gegeben durch die Art des Zustandekommens der elsaß-lothringischen Verfassungsfrage." Wir sind in der Lage, diese Meldungen als zutreffend bezeichnen zu können. — Der Kamps gegen de« liberale« preußischen Handels- minister spitzt sich im Abgeordnetenhaus immer mehr zu. Herr Sydow ist bekanntlich trotz vieler Kaiserreden ein Gegner der religiösen Unterweisung der Jugend in den Fortbildungsschulen. Die Mehrheit der Kommission aber sieht eS als ihre Aufgabe an, dieses Gesetz so zu gestalten, daß es dem Volke nützt. Eine lebhafte Debatte entwickelte sich beim Paragraphen 19, der dem Minister für Handel und Gewerbe den Erlaß von Bestimmungen über die Lehr pläne und über die Bildung und Zusammensetzung der Schulvorstände überträgt. Von konservativer Seite wurde beantragt, daß im Paragraphen 19 statt „wird der Minister für Handel und Gewerbe", gesetzt wird „werden der Minister für Handel und Gewerbe und der Unterrichts minister beauftragt". Der Handelsminister wehrte sich gegen diese Tendenz, die er als Mißtrauen gegen seine Verwaltung auffassen würde. Durch Kabinettsorder vom Jahre 1884 seien die Fortbildungsschulen dem Handelsminister unterstellt. Eincn Grund, von dieser Kabinettsorder abzuweichen, liege absolut nicht vor. Der Minister fand Unterstützung bei der Volkspartei und bei nationalliberalen Mitgliedern der Kommission. Der Antrag der Konservativen wurde aber schließlich angenommen, nachdem sich die Antragsteller Vor behalten hatten, eventl. in der zweiten Lesung ihre Ansicht zu revidieren. — Damit war die erste Lesung des Gesetz entwurfes beendet. Die zweite Lesung soll nach den Pfingst- serien begonnen werden. Wenn Herr Sydow dies Gesetz nicht unterzeichnen will, dann kann er weiter gehen; das Land hat keinen Nachteil davon. — Ein englischer Sozialist über Kaiser Wilhelm. Wäh rend seiner letzten Anwesenheit in London hatte Kaiser Wilhelm beim Kriegsministcr Haldane Gelegenheit, einen der Führer der englischen Sozialdemokraten, Macdonald, kennen zu lerne», den er dann in ein längeres Gespräch zog. Ein Mitarbeiter der Zeitschrift „Public Opinion" hat den englischen Sozialisten über den Inhalt seines Gespräches mit Kaiser Wilhelm befragt. Macdonald erklärte, daß ec nicht berechtigt sei, über ein Privatgespräch, das er mit einem fremden Souverän gehabt habe, öffentliche Mitter- lnng zu machen, da er nicht wisse, ob diese Mitteilungen er wünscht seien. Er könne nur von dem Eindrücke sprechen, den die Persönlichkeit des Kaisers auf ihn gemacht habe, In erster Linie fiel ihm das gute Verständnis auf, das der Kaiser auch den Anschauungen entgegenbringt, die seiner eigenen Ansicht entgegengesetzt sind. Wenn er auch die an deren Ansichten nicht teile und nicht billige, so stehe er ihnen doch nicht mit leidenschaftlichem und verständnislosem Haß' gegenüber, sondern er sucht sie durch Tatsachenmaterial z» widerlegen. Da er über die sozialen Verhältnisse besonders der unteren Stände sehr gut unterrichtet sei, so seien seine Gegengründe durchaus sachlich, wenn auch natürlich ein überzeugter Sozialist sie nicht werde stichhaltig erachten können. Man bekomme aber die Ueberzengung, daß der Kaiser sich aufrichtig bemühe, die Ursachen für die Ent stehung aller politischen Anschauungen zu erkennen und menschlich zu begreifen. Der Kaiser achte den ehrlichen Gegner ebenso wie den Freund. Diese ritterliche Art sei der erste Eindruck, den man erhalte. Er suchte sich auch über die englischen sozialen Verhältnisse durch eingehende Fragen zu unterrichten. In zweiter Reihe falle der tiefe, sittliche Ernst auf, mit dem der Kaiser seinen Herrscherberuf erfasse; er fühle sich durchaus für jede einzelne Handlung, die er unternimmt, selbst verantwortlich. „Sich selbst ge nug tun" ist nach einem Ausspruche des Kaisers das zu er, strebende Ziel, da man dabei niemals befriedigt ausruyen