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Nr. «8. Mittwoch, de« 23. März 1V04. 3. Jahrgang. Sächsische UMszeitum Erscheint täglich nach«, mt« Ausnahme der S«,ni. und Fettiage. > ! ... ^ . .. 4^ !» Inserat« werden die «gespaltene Pettizeile oder deren Raum mit Unabhängiges Tageblatt für Aabrbeit. becbt u. sreibeit. «»^.uVL7d^ RedaktionS-Sprechslunde: »»—> Uhr. ! ^ ^ f Pillnitzer Ltrahe 4». — Fernsprecher: Ami I Nr. i»6«. Erscheint täglich nachm, mit Ausnahme der Senn- und Festtage. V«t»gSpretS, Bterreljährl. I Mk. li«Pf. lohne Bestellgeld). Bei auberveutschen Poslanstalt- lt. ZettungSPreiSl. Einzelnummer 10 Ps. RedaktionS-Sprechslunde: LL—1 Uhr. I! Inserate werde» die «gespaltene Pelitzeile oder deren Raum mit Unabhängige; Tageblatt MWMdeit. llecdt «.treidelt.! Pillniyer Strahe 4!S. — Fernsprecher: Amt I Nr. 136«. Was hat der Reichstag nach den Osterferien zn erledigen? Nachdem der Reichstag am 19. März seine Osterferien angetreten hat und eine Pause bis 12. April antritt, dürfte es angezeigt sein, einen kurzen Rückblick auf die geleistete Arbeit und einen Ausblick ans das noch zn erledigende Pensum zu werfen. Seit dem 12. Januar hat der Reichstag ununterbrochen getagt und zunächst die vielfachen Inter- pellationen verabschiedet; dann begann die Etatsberatnng mit dem Neichsamt des Innern; just einen Monat hatte Staatssekretär Graf Posadowskh auf seinen Gehalt zn warten. Der Etat der Reichspost und Neichseisenbahnen ging verhältnismäßig rasch vom Stapel; die Sozialdemo kraten waren hier völlig vom Stoffe entblößt und konnten nicht mitreden. Der Etat der Reichsjustizverivaltung nahm dann längere Zeit in Anspruch; der Etat der Heeres verwaltung zeitigte die allgemein erwarteten ausführlichen Debatten. Der Marineetat wurde in drei Sitzungen ver abschiedet und zwar mit den meisten Abstrichen, obwohl sich die Nationalliberalen sehr viel Mühe gegeben haben, die Vorlage der Regierung zn retten. Als ihnen dies jedoch in allen Teilen mißlang, suchten sie noch den Reichstag zu ärgern durch den Antrag, erst am 24. März in die Ferien zu gehen; doch fielen sie hier ebenso durch wie im Marineetat. Die Arbeit nach Ostern ist nun keine geringe für den Reichstag; in erster Linie die Erledigung des Etats. Rcichs- schatzamtssekretär Freiherr v. Stengel hat ja bereits gebeten, wenigstens bis Anfang Mai mit demselben fertig zu werden. Wir haben sehr wenig Hoffnung, daß dies gelingen wird, denn es stehen noch zur Beratung aus: der Etat des Reichs kanzlers, des Auswärtigen Amtes, der Kolonien, des Neichs- schatzamtes und der Zölle; dann das gesamte ostafrikanische Expeditionskorps. Hier aber sind gerade in den letzten Wochen eine Menge von Fragen anfgerollt worden, die auch im Parlament ihr Echo finden werden. Die Reichs finanzreform ruht noch in der Kommission unter einer Last ganz begründeter Fragen seitens der Zentrnmsabgeordneten. Die Gesetzentwürfe über die Kanfmannsgerichte und die Entschädigung unschuldig Verurteilter sind in der Kom mission fertiggestellt; die zweite Lesung im Plenum kann jederzeit beginnen. Und die Börsennovelle? Der Freisinn kann es kaum erwarten, bis sie auf die Tagesordnung kommt. Ihr Schicksal dürfte schon heute feststehen, sie wird in der Kommission sanft einschlafen. Das Servisklassen- gesetz liegt noch in der Bndgetkommission. Noch nicht er schienen ist das neue Militärpensionsgesetz, das auch in diesen! Jahre erledigt werden soll. Aller Voraussicht nach wird so die Session sich über Pfingsten hinaus in den Sommer Hineinstrecken; ja, es darf jetzt schon als wahrscheinlich angesehen werden, daß der Reichstag im Sommer nicht geschlossen wird, sondern das Auöhilfsmittel der Vertagung eintritt. Aber eins zeigt sich immer wieder, zur Erledigung der Geschäfte sind An wesenheitsgelder dringend notwendig, da nur sie ein volles Haus geben und überflüssige Rede abschneiden lassen. Je bälder die verbündeten Negierungen sie geben, desto besser in ihren: eigenen Interesse. Die Lehren der Kultnsdebatteir im preußischen Abgeordnetenhaus. X. Berlin, am 19. März. Drei Tage lang tobte ein scharfer Kampf im Abge ordnetenhause, der sehr beachtenswerte Parteigrnppierungen aufwies. Im Mittelpunkt des Gefechts standen die National liberalen einerseits und die Regierung und das Zentrum anderseits. Die beiden konservativen Parteien hielten sich mehr im Hintergrund und der Freisinn scheidet bei seiner geringen Bedeutung fast ganz ans. Die freikonservative Partei hatte zuerst den Grafen Moltke ins Feld gesendet, dessen Rede selbst in den eigenen Reihen verschnupfte; sie suchte deshalb den üblen Eindruck zn verwischen durch eine auffallend wohlwollende Rede des Freiherrn v. Zedlitz. Auf konservativer Seite war Wortführer von Hepdebrand und der Lase, ein positiv gläubiger Protestant, der auf ein Zu sammengehen zwischen Konservativen und Zentrum stets großen Wert gelegt hat; gegen die Aufhebung des Artikels 2 er hob er auch kein Bedenken, aber jetzt will er den Mark stein errichtet haben „Bis hierher und nicht weiter!" Die Nationallibcralen sandten ihr Knltnrkampsklceblatt Hackenberg, v. Ehnern und Friedberg°ins Treffen. Während Hackenberg noch relativ von diesen dreien am ruhigsten sprach, zeigte sich bei v. Eimern der „Pfaffenkoller" und I)r. Friedberg verriet, daß jüdisches Blut in seinen Adern rollt, er war sehr verbissen, v. Ehnern sprach am Tage nach der Weinprobe im Abgeordnetenhanse und diesen Umstand darf man bei der Beurteilung feiner Rede nicht aus dem Auge verlieren; im Weine aber liegt die Wahr heit", und so ist seine Rede ein Gradmesser für die Kultur- kampslnft in: nationalliberalen Lager. Friedberg ging in seiner Abneigung gegen die Katholiken so weit, daß er in einen: Atemzuge völlige Freiheit für gottlose Universitäts- Professoren forderte und gleichzeitig für die Externicrnng der Jesuiten eintrat. Von seiten des Zentrums sprachen in sehr treffender Weise I)r. Porsch und Or. Bachen:; selbst freisinnige Blätter anerkennen das gute Abschneiden der Zentrmnsredner. Die von den Nationalliberalen in erster Richtung angegriffene Regierung sprach durch den Ministerpräsidenten Graf Bülow selbst, dem Kultusminister Studt sekundierte. Dieser Aufmarsch der Parteien ist interessant und lehr reich. auf der einen Seite sehen wir die Schar der ver bissenen Knltnrkämpfer, der es ein Greuel ist, das; ein Teil eines Ausnahmegesetzes fällt und zwar jener Teil, den selbst liberale Parteiführer verurteilt haben, der seit seinen: Bestehen nie angewendet wurde, dessen Existenz aber für die deutschen Katholiken ehrverletzend wirken mußte. Diese kleinen Geister der Nationalliberalen scheuten sich nicht, selbst ihre besten Leute über die Klinge springen zn lassen; Bennigsen und Baffermann mußten diese Prozedur an sich vollziehen lassen ; schonungslos ging von Ehnern mit diesen liberalen Männern um! Die Gegenseite bildete die Negierung, die sich nicht nur auf wiederholte Beschlüsse der Reichstagsmehrheit be rufen konnte, sondern auch auf die genannten liberalen und konservativen Männer, die sich bei den Fanatikern eigentlich entschuldigen müßte, daß sie den Katholiken auch Gerechtigkeit widerfahren lassen will. Durch diesen Um' stand wurde das Zentrum an die Seite der Regierung geführt. Dieses hätte sonst dem Streite sehr kühl zusehen können; denn der Antrag auf Aufhebung des Artikels 2 ging in: Reichstage nie von seiten des Zentrums aus, sondern von den Fresiinngcn und Konservativen; ja, das Zentrum hat diesen Antrag, als er das erste Mal gestellt worden ist, abgelehnt. Wir verkennet: allerdings nicht den moralischen Erfolg, der in der Aufhebung des Artikels 2 liegt, und gerade dieser moralische Erfolg hat auch die heißen Neichötagsdebattcn gezeitigt. Das schaute an allen Ecken und Enden heraus! Die konfessionellen Hetzer er blickten in der Aufhebung des Artikels 2 ihre Verurteilung und deshalb wehrten sie sich so sehr, daß selbst die „Nat.- Ztg." von der „allerdings stark temperamentvollen Rede" des Herrn v. Ehnern spricht! Der Ministerpräsident führte eine nicht minder scharfe Klinge und daraus ergibt sich eine Lehre, nämlich die, daß die Knltnrkampflnst keine Verstärkung ans den Reihen der regierenden Männer erfährt; die „schönen Tage von Arangnez sind vorüber". Eine zweite Lehre muß man ziehen: In den Kreisen der Nationalliberalen ist der Kessel an: Zer springen und die deutschen Katholiken würden ihre blauen Wunder erleben, wenn ein Regiment des Liberalismus in Deutschland ans Ruder käme und v. Ennern oder Friedberg das Kultusministerium in die Hände bekommen würden. So fanatisch haben diese gekämpft, daß jeden: Vertrauens seligen der Star gestochen worden ilt! Der innere Kern der Nationallibcralen ist der alte ans den Kulturkampf- jahren; wenn sie sich hier und da besser zeigen, so nötigt sie nur ihr eigener Vorteil hierzu! Für die deutschen Katholiken aber ergibt sich daraus die dritte Lehre: Das ist die Pflege der Einigkeit und Geschlossenheit in: politischen Leben! Die Aufhebung des Artikels 2 würde ohne diese nie herbeigeführt worden sein, ebensowenig die gute Abwehr auf den Ansturm der Knltnrkämpfer. So werden die heißen Tage des Abgeordnetenhauses klärend nach den verschiedensten Seiten hin wirken! Politische Rundschau. Deutschland. — Kaiser Wilhelms Mittclmccreisc. Der deutsche Konsul in Neapel hat der Stadtbehölde offiziell mitgeteilt, daß Kaiser Wilhelm II. an: 21. d. daselbst eintreffen, dort viertägigen Aufenthalt nehmen und sich sodann an Bord der ?)acht „Hohcnzollern" begeben werde, um Salerno und Messina zn besuchen, wo er an: 90. d. eintreffen werde. Hierauf werde er in den sizilianischen Gewässern kreuzen. Bei der Tafel in: Hanse des Gouverneurs in Gibraltar trank Kaiser Wilhelm I I. auf das Wohl des Königs Eduard, was der Gouverneur mit einen: Hoch ans den Kaiser er- wiederte. Nach den: Diner empfing der Kaiser zahlreiche Mitglieder der Gesellschaft. Viele Gebäude der Stadt waren illuminiert. — Die „Schlesische Zeitung" schreibt allen Ernstes, daß die Negierung durch die Aufhebung des H 2 die „natio: nale Richtung in: Katholizismus zugrunde richte." Denn die Jesnitengegner unter den Katholiken sind nationale Friede den Dogmen — Krieg den Pfaffen! Das ist der Inhalt eines ebenso wortreichen als ge dankenarmen Artikels der sozialdemokratischen Presse lvgl. „Düsseldorfer Volkszeitnng Nr. 00 v. 12. März 1904"), welcher eine Widerlegung unseres Vorstoßes gegen die von der Sozialdemokratie betriebene Volksverdummung sein soll. Man muß höchste Anerkennung zollen dem von der Sozial demokratie so sehr geschmähten und doch so heiß geliebten und fleißig geübten „Jesuitismus", wenn inan liest: „Gewiß — wir stehen in: Krieg mit den: Klerikalis- mus, nicht, daß wir kirchliche Dogmen bekämpfen, sondern die Geistlichkeit, sofern sie zu einen: Herrschafts- Werkzeug des Klaffenstaates geworden ist." Eine wunderliche Ausrede, erst recht verwunderlich aber, wenn man die Tatsachen kennt. Warum hat denn der Verfasser nicht wenigstens ein einziges Dogma genannt, gegen welches die Sozialdemokratie nicht Sturm läuft? Es märe das doch höchst interessant zn erfahren. Gilt es nicht die Bekämpfung eines Glaubenssatzes, wenn man das Dasein Gottes leugnet und den blödesten Atheismus predigt? Ist es nicht die Bekämpfung eines Glaubenssatzes, wenn man das Jenseits verwirft und den Menschen den: Tiere gleichstellt? Ist es nicht die Bekämpfung eines Glaubenssatzes, wenn man die Gottheit Chrikti oder der Einfachheit halber die geschichtliche Existenz Christi überhaupt leugnet? Ist es nicht Bekämpfung eines Glaubenssatzes, wenn man den OffenbarungS-Charalter der heil. Schrift leugnet? Ist es nicht Bekämpfung von Glaubenssätzen, wenn man jeden Satz des apostolischen Glaubensbekenntnisses mit seinem Geifer bespritzt? Nochmals wo ist denn überhaupt das Dsgma, gegen welches die Sozialdemokratie nicht mit den Waffen der Entstellung und Verdrehung, des Hohnes und Spottes an- kämpft? Gilt es nicht der Bekämpfung des Dogmenglaubens. wenn die Sozialdemokratie jeden Schund, er mag noch so groß sein, fleißig kolportiert, wenn es nur gegen das Christentum geht. War:»:: stehen sich denn Christentum und Atheismus nach Bebel, des Meisters Geständnis, einander gegenüber wie Feuer und Wasser, warum »vollen die Leute sonst nach desselben Meisters Geständnis aus religiösen: Gebiete den Atheismus, »venu nach der Meinung des Düsseldorfer Lehr lings der Kampf nicht den Dogmen gilt? Entweder hat dieser letztere wirklich die Meinung, die er zum Besten gibt, dann bekundet er eine gänzliche Unkenntnis des sozial- demokratischen Kampfzieles und der sozialdemokratischen Weltanschauung, oder aber, er kennt diese Dinge ebenso wie jeder andere, der nicht ganz hinter dem Monde daheim ist, und er gibt doch seine obige Weisheit zum Besten, dann: ja dann verdient er ein Prädikat, das nicht gerade schön klingt, das aber in der Anklage ans absichtliche Täuschung und Irreführung des Volkes noch recht leise angedentet ist. Sehen »vir »ms die Waffen an, mit welchen die Sozial deinokratie den: Christentum den Garaus machen null. Wir haben gesagt: es geschehe mit alten Ladenhütern, den Lehren eines Renan und Strauß über die Entstehung des Christusbildes der Evangelien und der Lehren eines Häckel über die Stammesgeschichte des Menschen nsiv. Was ant wortet man darauf? „Von allen dreien (Häckel, Renan und Strauß) ist festzustelten, daß sie nie Sozialisten waren, daß zwei von ihnen sogar sich sehr energisch gegen den Sozialismus ausgesprochen und dabei recht unhaltbare Meinungen zu Tage gefördert haben. Das hindert aber nicht, daß die drei de: Sozialdemokratie ohne »vcitereS an die Nock- schöße gehängt, daß sie in einen: klerikalen Blatte kann: erwähnt werden, ohne in irgend eine Verbindung mit der Sozialdemokratie gebracht zn sein." So sucht man den Fragepnnkt durch einen Wortschwall zu verrücken. Daß die genannten drei Schriftsteller Sozialisten waren, hat kein Mensch behauptet; vielmehr handelt es sich darum, daß die Sozialdemokratie die Auf- stellungen dieser Leute nachbete mit demselben Fanatismus. »vie der Mohammedaner seinen Koran, daß sie diese Auf stellungen als „Resultat der Wissenschaft" ansgebe, obwohl die Wissenschaft darüber längst zur Tagesordnung über gegangen sei als über phantastische Erzeugnisse, die einer weiteren Diskussion garnicht inehr wert sind. Wenn der Verfasser meint, die „biederen Zionswächtcr hüteten sich, ans den Schriften der drei Genannten auch mir das geringste nütznteilen, die Widerlegung derselben auch nur in einen: einzigen Pnnkle ernsthaft zn versuchen, ihren Lesern klar zu machen, weshalb jene Werke Unrichtiges enthalten", — so bestätigt er mit diesen Worten klipp und klar unsere AnSführimgen, daß die genannten drei in der Sozialdemokratie die Rolle von „Kirchenlehrern" haben, auf deren Worte man blindlings schwört, und zugleich, daß 'eine Ahnung hat, »vie oft »nid wie eingehend diese Un richtigkeiten nachgewiesen worden sind. Nur ein Beispiel: Welches ist denn der Ausgangspunkt eines Strauß und Renan für ihren „Leben Jes»"-Roman? Eine recht späte Ansetzung der Absassnngszcit der Evan gelien. Die moderne Bibelkritik hat damit gründlich auf geräumt. Zur Belehrung verweisen wir den Düsseldorfer „Schriftgclehrten" an seinen Parteigenossen Göhre, der schon zn wiederholten Malen gezeigt hat, das; er so viel theologische Fachkemitnisse über den gegenwärtigen Stand der Bibelkrilik sich bewahrt hat, um über die einschlägigen Kenntnisse seiner Genossen das Zeugnis abgebeu zn müssen: Von: Christentum verständen sie nichts. Sollte ihn: Göhre weniger sympathisch sein, so findet er in den Werken Har- nackS und Zahns, um nur Protestanten zn nennen, für den Fall, das; ihn: Katholiken zu befangen erscheinen, der Be lehrung genug. Tie ganze Phrase: „Friede den Dogmen — aber Krieg den Pfaffen" ist eine so plnnipc VerlegenheitsanS- redc, daß man den Genosse»:, die mit solcher Speise ge nährt werden, zn ihren: guten Magen, der solche Sachen mag vertragen, nur gratulieren kann. Da aber die Phrase sicherlich in der Agitation noch öfters wiederkehren wird, dürfte eS angczeigt sein, dieselbe rui notaan zu nehmen.