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Zweites Blatt Sächsische Volkszeitung vom 16. Februar 1911 Nr. 39 Deutscher Reichstag. Sitzung vom 14. Februar 1 Uhr 20 Minuten. Die zweite Lesung des Marineetats wird fort gesetzt. ! > Abg. Dr. Semler (Natl.) schließt sich den allgemeinen Darlegungen des Abg. Erzberger an und bringt dann eine Reihe von Wünschen für Wilhelmshaven vor. Der Reichs kanzler möge häufiger an unseren Beratungen teilnehmen. Abg. Schräder (Vp.): Der Abgeordnete Erzberger wurde gestern zum Lobredner der Marineverwaltung: aber auch ich erkenne vollständig an, daß unsere Marine sich mit viel Geschick aus kleinen Anfängen heraus entwickelt hat. Aber die Kosten sind auch gewachsen, seit 1900 um das Doppelte. Die Technik legt uns stets neue Lasten auf. Die Heizerzulage ist ganz zu bewilligen. Staatssekretär v. TirPitz : Nicht wir im Amte haben die Marine geschaffen, sondern das Gesetz, das weitschauende Politik gestattete. Nicht wir sind zum Dreadnoughttyv iibergegangen, sondern England, und wir folgten. Der Staatssekretär kann sich nicht um altes Eisen kümmern, er muß die Nase über dem Wasser halten. Unsere Werften sind in erster Linie Reparaturwerkstätten: die Neubauten geben wir fast vollständig an die Privatindustrie. Unsere Presse hat nie gegen England gehetzt, namentlich nicht in den letzten Jahren. Unsere Presse hat sich mustergültig Ver halten. Der Kommissionsantrag betr. Heizerzulage ist eine gerechte Lösung, namentlich gegenüber den Matrosen. Abg. Noske (Soz.): Der Etat ist mit großer Spar samkeit ausgestellt: das zeigt, daß wir trotz neuer Steuern nicht ausreichen. Unsere Flottenausgaben sind stärker ge wachsen als unser Reichtum. Wir haben schon genügend Schulden für die Flotte gemacht. Mit der Gefahr eines üeberfalle, vo- England haben wir nicht zu rechnen: damit ist die Beschränkung der Flottenrüstung gegeben. Das Nichterscheinen des Reichskanzlers ist eine große Miß- i chtung d^s Nci bStage?. Redner bespricht einzelne Fälle von M strosenmißhandlnngen; ein Matrose ist von dem Dorgesetzi"» in der niederträchtigsten Weise zu Tode ge martert worden. Da war das Recht der Notwehr begründet. Elende Selunderknechte haben den Matrosen zu Tode ge- anält: dann sp>ach man in einem Blatte von einem Unfall. Unregelmäßigst iten kommen auf allen Werften vor. Das Schmiergelder.'»wesen besteht immer noch in der Marine ve"'altnng: nc.» erhält keinen Auftrag, wenn man nicht Schmiergelder gab. Die „Marincrundschau" ist ein amt liches Blatt, wenn man es auch ableugnet. Ueber die Heizerzul..gen werden wir namentliche Abstimmung bean tragen. Für die allgemeine Aufbesserung der Mann schaften hat n an kein Geld. Wen die Götter strafen wollen, den schlagen sie mit Blindheit. (Beifall links.) Staatssekretär v. Tirpitz: Das Verhalten des Unteroffiziers ist ein Verbrechen und eine Niederträchtig keit: wir verurteilen dies aufs schärfste. Die Strafe trat auch ein. Wenn der Reichstag den Zuschuß zur „Marine rundschau" streicht, kann sie nicht inehr erscheinen. Die Admiräle verlieren voir ihren Bezügen 400G—6600 Mark. (Hört!) Die Heizer erhalten nach dem Kommissionsantrag 2l Mark, die Matrosen nur 19 Mark. Die Unzufriedenheit wird durch die Sozialdemokratie in die Matrosen hinein- gr tragen. Wenn ein Befehl gegeben wird, so wird er auch ausgeführt. (Beifall. Oho! links.) Abg. Dr. Weber (Natl.): Ein Minister, der an per sönlichen Ausgaben abstreicht, verdient Unterstützung im Reichstage. Unsere finanzielle Leistungsfähigkeit ist nicht kleiner als die anderer Länder. Bei unserer Besichtigung der Werft haben wir gesehen, daß im allgemeinen Ordnung herrscht. Tie Einführung der kaufmännischen Bucl)- führung auf den Werften ist eine Notwendigkeit. Die Revision des Rechnungshofes ist heute fast ganz wertlos. -- Staatssekretär v. Tirpitz antwortet auf die Anfrage betr. Verkaufsstelle in Wilhelmshaven. Abg. Herzog (W. V.) stimmt den Anerkennungen des Flottengesetzes zu. Nach längeren Ausführungen der Abg. Dr. Leon- hart (Vtz.), Werner (Ant.), Erzberger (Ztr.) und Dr. Strnve (Vp.). der die neue Ordnung der Zulagen kritisiert, wird die Generaldebatte geschlossen. Die Abstimmung findet Mittwoch statt. — Schluß bei Abgang der Züge. Line kinematographische Unverschämtheit und gleichzeitig eine neue widerliche Hetze gegen den Katho lizismus bildet der seinerzeit in einer Anzahl Kinemato- graphentheater Leipzigs zur Vorführung kommende Film „Die Nonne" oder „Das Geheimnis des Klosters". Der Film zeigt, wie ein katholischer Priester sich an einem durch seine Ränke ins Kloster gezwungenen jungen Mädchen sitt lich vergehen will, das sich natürlich lebhaft wehrende Mäd chen dann verklagt und durch seine falsche Aussage die Ver urteilung eines Opfers zur lebendigen Einmauerung durch setzt. Das Mädchen wird dann in Gegenwart ztveicr das Weihranchfaß schwingender Ministranten und einer Anzahl Klosterschwestern, des Priesters usw. eingemauert, im letz ten Moment aber durch seinen, ursprünglich auch auf Ver anlassung des Priesters eingesperrten, aber auf romantische Weise, frei gewordenen Liebhaber gerettet. Alles im geist lichen Gewände vorgeführt, mit auffälligen Zeremonien, häufigen Bekreuzigunge», Marienbildern und Kruzifixen verbunden, gibt einen Film, der das laute Beifallsschmun zeln des Publikums erweckt und eine neue Gemeinheit gegen de» Katholizismus darstellt. Das schönste aber ist, daß dieser Film nach Angabe des Direktors des „Colosseum"- Kinematographen polizeilich genehmigt sein soll! Auf meine Beschwerde erklärte mir der Herr Direktor auch, der Film stelle doch eine wahre Begebenheit, eine histo rische Tatsache dar . . .! Den Beweis dafür blieb er schuldig, denn er wußte nichts anderes zu sagen, als daß zur Zeit der „Jnguisition" solche Einmauerungcn doch wirk lich vorgekommen seien! Der Film paßt so recht in unsere Zeit, er ist ein wür diges Gegenstück zum „Karnevalsulk" des gemischten Chores „Frohsinn" in Schmargendorf. Dem Katholiken gegenüber glaubt man sich alles erlauben zu dürfen . . . . nicht genug damit, daß die liberalen und sozialdemokrati schen Blätter Tag für Tag in pöbelhaftester Weise die Massen verhetzen, daß die Witzblätter sich Karikaturen und „Witze" leisten können, die von Gemeinheiten strotzen, datz in Versammlungen und Flugblättern Haß gegen alles Ka tholische gesät wird . . ., nein, auch die massenhaft auch von jungen Leuten und selbst Kindern besuchten Kinemato- graphentheater werden in den Dienst der Hetze gestellt! Die widerliche Szene des Vergewaltigungsversuches durch den katholischen Priester im geistlichen Getvande ist so bodenlos gemein, daß man sich wundern muß, wie anständige Men schen ein derartiges Bild überhaupt zur Vorführung brin gen können. Daß diePolizei eine derartige Vorführung aber genehmigt haben soll, ist einfach unerklärlich! Wo aber bleibt hier die „Hüterin des konfessionellen Friedens", die liberale Presse?! Natürlich: Ueber eine „Borromäus-Glocke" regt man sich auf, unwahre, verlogene Berichte über den Raubzug eines Pfarrers auf den Lotte riegewinn eines armen Knaben werden mit Behagen in die Welt getragen, die rein innerkirchliche Angelegenheit der Erstkommunion wird in gehässiger Weise breitgetrcten . . . aber gegen alle die zahllosen Gemeinheiten gegen die katho lische Kirche regt sich keine liberale Seele! Religiöse Hetze um jeden Preis, jedes Mittel ist willkommen oder wird im Stillen gutgeheißen, wenn es nur gegen die verhaßten Röm linge geht! „Kado." Vermischtes. V Die deutsche Auswanderung nach Uebersee war im Vorjahre keine erhebliche, ein Zeichen, datz trotz aller Erhölung der Lasten es sich doch noch ganz zut in deutschen Landen leben läßt. Der Monat Dezember 1910 ergab sogar eine geringere Zahl Auswanderer als der Dezember 1909. Während nämlich im Dezember 190- noch 1240 Deutsche d'r Heimat den Rücken kehrten, waren "s im Dezeniber 1910 nur noch 1004. In anderen Ländern ist die Se,nsucht nach Uebersee ganz erheblich größer, denn m tezember 1910 nahmen allein über deu'sche Häfen 14 510 Angehörige fremder Nationen ihren Weg imcki Ueters e. v Als die zehn kostbarsten Bücher der Welt stellt in der „Neuyorker Sun" R. H. Dodd folgende auf: Das wertvollste gedruckte Buch ist nach seiner Meinung die G u t e n b e r g-B i b e l, die in Mainz herauskam. Der gegenwärtige Wert dieser ehrwürdigen Inkunabel läßt sich nur schwer bestimmen. Er dürfte heute wohl 200 000 Mark betragen. Nach der Gutenberg-Bibel führt Robert H. Dodd, der eine Autorität auf dem Gebiete seltener Drucke ist, de» Psalter von 1467 an, das erste Buch, das mit einem Datum gedruckt wurde. Auch der Preis dieser In kunabel kann heute auf wenigstens 200 000 Mark beziffert werden. An dritter Stelle der Liste erscheint der Bericht von der Geschichte von Troja, von dem ersten eng lischen Drucker William Caxton in den Jahren 1469 bis 1471 gedruckt: es ist das erste Druckwerk, das in englischer Sprache erschien. Nur wenige Exemplare dieses Werke? sind bekannt und vollständig. Die erste Ausgabe von Chaurers C a n t e r b u r y T a l e s, die etwa um das Jahr 08 Immer neue Gerichte und neue auserlesene Weine folgten; dann wur den Schaugerichte aufgetragen: ein riesiger Eber, dessen Bauch junge Wachteln entflogen, als ihm der Leib aufgeschlitzt wurde; eine Henne, die goldene Eier legte — Geschenke für die Gäste — und andere Spielereien. Währenddessen kreisten ununterbrochen die Becher und noch rascl>er floß 1er Redestrom. Salvius hatte eine junge Griechin zur Tischnachbarin, der er bei allen Göttern schwor, daß sie das schönste Weib der Erde sei: damit es aber Laeta, die ein sehr scharfes Gehör hatte, nicht vernehmen sollte, flüsterte er es ihr ins Ohr und küßte dabei die rosige Muschel. Ausonius schwelgte im Genüsse der edlen Weine und drechselte in Ge danken an einem Epigramm auf den gastfreien Eumachos. Dazwischen dachte er an Bissulas goldene Haarflut. Albinus, der Pontifex, lag ernst und schweigsam auf seiner Kline und sann über die Vergänglichkeit der alten Göttcrherrlichkeit nach, ohne mit sich ins Reine zu kommen. Eumachos und Laeta flüsterten zusammen und lachten, als ob ihnen ein ewiger Liebesfrühling erblühe und niemand sah eS der jungen Römerin an, welch finstere Pläne sich hinter ihrer weißen, rosenumkränzten Stirn bargen. Stundenlang währte das Gastmahl; manche waren schon halb berauscht; andere würfelten um eine Sklavin und an der Ecke der Tafel, wo Thrasea neben einer üppigen Senatorentochter aus Neapolis saß, war ein Streit ent brannt, welches die schönsten Frauen der Welt seien. Griechinnen, Phönizie rinnen, Römerinnen und viele andere wurden genannt, aber Thrasea, der dem Weine stark zugesprocl>en hatte, schlug mit der Faust auf die Tafel und schrie: „Die gotischen Frauen sind's! Jüngst sah ich eine Gotin mit purpur roten Haaren, milchweiser Hant und dunklen Brauen — diese ist das schönste Weib der Welt! Wer es nicht glauben mag, dem beweise ich es mit meinem Schwerte. Evoe Gotlindisl" Da niemand in seinen Ruf mit einstimmte, so schrie er den Namen ein Lutzendmal mit dröhnender Stimme in de» Saal hinein, daß alle lachten. Seine Nachbarin zeigte ihm ein zorniges Gesicht und lrxmdte sich von ihm ab. „Du bist ungalant, Magister militnm!" sagte sie. „Pfui — eine Barbarin!" Da erkannte Thrasea trotz seiner Trunkenheit den Fehler den er ge macht hatte, und sagte lachend: „Das war gestern — oder vor drei Tagen! .Heute aber bist du die Schönste, süße Blume von Neapolis blauem Strande." Und er zog sie an sich und küßte sie. Ausonius aber lächelte ein wenig versckynitzt in sich hinein und flüsterte: „Wenn ihr lvüßtct! ... Die Barbarinnen sind unvergleichlich! . . Er hob die weingefülltc Murrhaschale zu den Lippen und sprach für sich: „Dir trink ich Gruß und Heil, Bissula, blondhaarige Alamannenmaid — schönste der Frauen!" Und er leerte die Schale in einem Zuge und schleuderte sie gegen eine Säule, wo sie klirrend zersprang. Laeta fand es nun an der Zeit, dem Gelage ein Ende zu machen und ihren Plänen näher z» kommen. Sie riß den halbverwelkten Rosenkranz vom Haupte und schleuderte ihn von sich. „Er betäubt mich, Liebster," sagte sie keise. „Und mir ist so heiß ... ich glühe!" » — 65 — Und das srlwne Haupt in die Hand stützend, sagte sie: „Wie schwach und gedankenarm die Männer sind! Immer muß man ihnen den Weg weisen, immer sie zur Tat drängen!" Dann nahm sie eine Wachstafel und den Gold stift und schrieb: „An Eumachos den Griechen. Laeta, des Albinus Tochter! — Gruß und Heil! Deine Bitte sei gewährt: ich nehme deine Werbung an. Aber einstweilen muß es Geheimnis bleiben, bis ich es für gut finde, den Schleier zu lüften. Doch wollen wir inzwischen glücklich sein. Rüste ein feierliches Mahl, von heute in der dritten Nacht. Da soll uns Hymen vereinen. Bis dahin — Vale!" Sie klappte das Täfelchen zusammen, umschnürte es und siegelte es mit ihrem Venusring. Dann ließ sie eine Erzkugel in ein Silberbecken fallen, worauf eine Sklavin erschien. „Dieser Brief wird sofort zn Eumachos, dem Griechen, gebracht!" be fahl sie. „Und nun — ich bin müde von der Anstrengung — nun rüstet mir das Bad!" 4. Am südöstlichen Abhänge des Monte Pincio, nahe bei den Gärten des Sallust und den Thermen Diokletians, hatte sich der ebenso liebenswürdige als reiche Grieche Eumachos einen prächtigen Palast erbaut. Er lebte ganz und gar der künstlerischen Muse und sein Haus war der Mittelpunkt üppigen, fröhlichen Lebensgenusses und vornehmer Bildung. Was in Nom den alten Göttern diente — und das waren zumeist die Nobilitäten der Stadt —, was Anspruch auf Bildung und Geist machen konnte oder wollte, das versammelte sich um den gastfreundlichen Mäcen ans Korinth, dem seine Schiffe jeden Tag neue ungezählte Reichtümer ans belle nische Gestade trugen. Junge Römer, Senatoren, Künstler und schöne Frauen fanden sich hier zusammen, um jene heidnischen Feste zu erneuern und zu feiern, welche seit dem Emporblühen der christlichen Kirck>e allmählich ver drängt wurden und sich scheu in die Paläste und Lustgärten flüchteten: die Lupercatien, Floralien und Palilien. -- Da tauchte denn inmitten des sich mächtig ausbreitenden christlickreu Roms die versinkende Götterherrlichkeit für Tage oder Sunden wieder auf. da wurde den alten Köttern geopfert und bei Schmaus und Gelagen, bei lärmenden Spielen und Tänzen zu vergessen versucht, daß die Macht des Heidentums von Tag zu Tag mehr versank und nichts übrig blieb als morsche Gebeine unter blühenden Kränzen . . . Zu einem solchen Feste hatte Eumachos auf Wunsch der schöne» Laeta, i» deren Fesseln er lag, eine Menge vornehmer Gäste geladen: Senatoren und Ritter mit ihren Frauen und Töchtern, den Präfekten von Nom, Kriegb- tribune, die Oberpriester der höchsten Gottheiten. Nechtsgelehrte, Künstler und Mimen — eine glänzende Schar vor vornehmen Me»scheu, denen Lebens genuß die höchste aller Menschenpflichten schien. Auch vom kaiserlichen Hofe waren verschiedene erschienen: vor allem AusoniuS, der nie fehlte, wo die Grazien und die Musen zu Tische saßen, und Thrasea, der ein üppiges Mahl ebenso liebte wie schöne Fronen und roten Falerner.