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Informationsreise von Reich-tagsabgeordneten. ID Kiel, den 7. Juni 1907. IV. Mittwo ch. Ein Tag an Lord des Schiffes! so lautete das Pro gramm für Mittwoch und dazu hieß es: früh aufstehen! Ter großartige Organisator der Reife, Kapitän Dähnhardt, ein wahres Organ'scitionsgenie, bat uns jedoch, ganz ruhig zu schlafen', uni Uhr werde das erste Mal geweckt, um 6 Uhr aber so, daß es kein Teilnehmer verschlafe. Und da wir das Krupp-Hotel allein bewohnten, ging alles gut, wenn es um 0 Uhr auch noch verschlafene Gesichter im Frnhstückssaal gab. Abends 10 Uhr kehrten wir ins Hotel zurück, so daß ein lOstündiger Arbeitstag geleistet wor den tvar. Um 7 Uhr früh wurden wir auf der „Schwaben" ein- gcschisft', kleine Dampfpincssen brachten uns auf das rie sige Schiff, das der Artillerieinspektion zugeteilt ist. Sofort näherte fick auch Staatssekretär v. Tirpitz, ein frischer Tusch begrüßte ihn; Offiziere und Mannschaften tvaren an der äußeren Seite des Schiffes aufgestellt und gaben den üblichen Gruß ab. Am Hauptmast lxstte bisher der Wimpel des Kommandanten geweht, ein kleiner, schmaler Bandftreifen, nun stieg die Flagge des Staatssekretärs auf; eine tveiße Flagge mit schwarzem Kreuz und unten rechts in der Ecke zwei gekreuzte Anker. Sämtliche Schiffe, die uns begegneten, gaben nun den Salut ab; der Staats sekretär erhält 19 Schüsse wie der Großadmiral (der Admi ral 17. der Vizeadmiral 15, der Kontkeadmiral 13). Ter Kapitän des Schiffes begrüßte uns äußerst liebenswürdig und ebenso sämtliche Offiziere. Alsbald wurden wir in vier „Korporalfchaften" geteilt und nun begann unter fach kundiger Leitung die Besichtigung des Schiffes; ich stieg bis in den Maschinenranm hinab und in den Wellentunnel; aber da unten geht es „ölig" und rußig" zu; dock) muß man auch dies gesehen haben. Wir »raren im höchsten Grade erstaunt, als wir das Schnelladen sahen; von der Munitionskammer, in der die Granaten mit 140 Kilo gramm Gewicht liegen, führt ein gepanzerter Aufzug in den Turm; die Granate wird durch zwei Mann mittels einer Zange in den Aufzug gelegt und nun geht die Beförderung nach oben ruhig vor sich; im Turm ist die Oeffnung der gestalt, daß die Granate sich ganz automatisch in das Rohr legt. Tie Beschreibung des Schiffes selbst können wir uns schenken, es ist auch nicht gut, zu viele Einzelheiten aus- mplaudern. Bald nach 8 Uhr wurde das Signal gegeben, daß sich uns das Unterseeboot nähere. Mit Ferngläsern wurde die ganze Fläche abgesucht; endlich hatten wir es entdeckt; es war wohl noch 5000 Meter entfernt und man sah gar nichts von demselben als die beiden langen Rohre, in dem die Linsen sich befinden. Es fuhr aber noch über Wasser. Ter Abstand verminderte sich rasch; wie es 800 Meter ent fernt war, tauchte es unter; nichts war mehr zu sehen. Da zeigte mir ein Offizier einen Streifen im Wasser mit dem Bemerken, daß nun der Torpedo abgeschossen sei; da es ein Tiefschuß tvar, ging er unter unserem Schiffe durch und der Torpedo wurde von einem Boote ausgefischt. Das Manöver war ausgezeichnet gelungen. Sofort kam ein neues Bild. „Prinz Adalbert" liegt am Horizont: in 7000 Meter Entfernung stehen Scheiben auf festgenagelten Pontons. Das Artillerieschießen soll auf 5000 Meter Entfernung beginnen. Auf Einladung des Artillerieoffiziers machte ich dieses von seiner Kommando brücke ans mit; die Ohren wurden tüchtig mit Wolle ge- stopft. Erst begann die leichte Artillerie, dann erst setzte die schwere ein. Das Getöse läßt sich nicht beschreiben. Aber im Ernstfälle muß es „fürchterlich" sein. Der erste Schuß mar zu kurz, der zweite zu weit; so macht es be- tänntlich jeder gute Artillerist, der dritte aber tvar ein Voll treffer; er zerriß die eine Scheibe von oben bis unten. Und nun setzte sofort mit gewaltigem Gedonner das Schnellfeuer ein; aus den vier großen Geschützen wurden in der Minute 24 Schuß abgegeben. Wir näherten uns der Scheibe und konnten die Verwüstung selbst mit ansehen. Was mir auf fiel, tvar die Ruhe und Sicherheit, mit der Offiziere und Mannschaften die Sache ausgeführt hatten, das ging tvie am Schnürchen, bestimmt und sicher. — Nun forderte auch der Magen sein Recht; es gab ein kaltes Büfett, dem reich lich zugesprochen wurde. Die Seeluft zehrt doch. Tie Fahrt mackste sich bei herrlichem Wetter wunderbar sckwn und es fand die erste photographische Aufnahme an Bord statt. Tie Teilnehmer sollen später zur Erinnerung ein hübsches Albuin erhalten. Nun kommen links die Tüppeler Scktanzen heraus; man sieht das Denkmal und die historische Windmühle; rechts blickt freundlich Sonderbnrg herüber; ein schmuckes Städtchen mit roten Ziegeldächern zwischen dem saftigen Grün der Bäume. Ganz genau nach dem Programme sind wir i i Sonderbnrg eingetroffen und gehen an Land. Es findet die Besichtigung der neuen Artillerieschule stakt; erst ein Gebäude ist fertig und schon beginnt der Unterricht. Für praktische Uebungszwecke liegen der „Mars", „Fuchs" und „Delphin" bereit. Hier werden das ganze Jahr hin durch Uebungsknrse für Offiziere und Mannschaften abge halten; die gesamte Artillericinspckkion wird hierher ver legt. Sonderbnrg ist noch stark dänisch gesinnt; man hofft aber, daß die Matrosen gar bald für eine deutschfreundliche Stimmung SHge tragen werden. Ter Neubau ist sehr einfach; Betten gibt es nicht; in den Stndiersälen werden abends Hängematten aufgehängt und der Schlafsaal ist fertig. Um 1 Ubr wurde eilt Frühstück an Bord des „Mars" eingenommen. Tann begann der hochinteressante Nach mittag. Drei Torpedoboote harrten unser; auf jedes der selben stiegen 10 bis 20 Personen. Die Ansfahrt ans der Bucht ging noch langsam, kaum hatten wir offene See, so hieß es: „höchste Ki-ast". Wir flogen mit 24 Seemeilen pro Stunde (nahezu 40 Kilometer) nur so dahin; das Wasser spritzt hoch auf. Die Normalstellnng wurde zuerst o wurde zuerst beibehaltcn, dann folgte die Kiellinie 1 2 13 dann die Dwarslinie ^ ^ ^ dann die Staffel ^^13. Die Signale wurden von dem ersten Boot, auf dem ich mich befand, durch Winker gegeben; de. steht neben dem Kom mandanten ein blutjunger Matrose mit einem Mädchen gesicht; er hat seine drei Fahnen, mit denen er die Zeichen gibt. Jedes Zeichen bedeutet einen bestimmten Bucksttaben. Für längere Befehle folgt zuerst das „Ouatschzeichen", d. h. das Nedezeichen. (Vizepräsident Tr. Paasche wird viel ge ulkt. daß er im Reichstage künftig auch das Ouatschzeichen geben müsse.) Tann werden die einzelnen Bucksttaben ge geben; es folgt so rasch wie das Telegraphierelt. Plötzlich ertönt von Schiff 2 ein Schuß „Mann über Bord"; sofort stehen alle drei Torpedoboote still, eben noch im schiefsten Tempo, sind sie in zwei Schiffslängen Fahrt zum Still- stand gebracht werden. Nun beginnt die Fahrt aufs neue; das Wasser spritzt hoch auf. Da nähern wir uns Flens burg; eine prachtvolle Bucht schließt dieses „nordisck;c Genua" ein. S. M. S. „München" gibt seinen Salut ab, wurde aber dafür sehr schleckst von uns behandelt. Wie es in Sicht kommt, werden die Torpedorohre herausgcscliwenkt und Boot l und 2 geben zwei Tiefschüsse auf das Schiff ab. Der Torpedo wird über Wasser abgefchossen und springt wie ein Haifisch sofort ins Wasser ab und ztvar diesmal 10 Meter tief auf 800 Meter Entfernung. Ter Schuß hätte famos gesessen, er ging unter der Mitte des Schiffes durch Wir fischten nun den Torpedo wieder auf; er wird für solche Zwecke innen mit Kork ansgeftopft, so daß er scstwimmt. Gar bald lxlben wir ihn erreicht und nun voll- zog sich das Anffischen niit langen Angeln, die vorn eine große Oese haben, in der Zeit von 5 Minuten. Ter Tor pedo lxst drei verschiedene Köpfe: den „Schafskopf", den Uebnngskopf und den Ouatschkopf; crsterer wird beim Scharfschießen verwendet, der zweite für solche Ztvecke wie beute und der „Ouatschkopf" trägt vorn eine Gummihüüe; er findet Anwendung beim Schießen auf alle Schiffe usw. Um 5 Uhr sind wir in Mürwick bei Flensburg ailge- langt hier steht bereits die Torpedoschulwertstatt und die Marineschule ist im Ban begriffen; auch eine Fnnkenstation befindet sich daselbst. Tie Besichtigung ist wiederum sehr lehrreich Zwei kurze Vorträge gaben eine gedrängte Uebersicht. 0 Uhr 10 Minuten schiffen wir uns auf der „München" ein. In höchster Fahrt geht es Kiel zu; viele Teilnehmer sind ermütet, namentlich ältere Herren. Um 7 Uhr ist Abendbrot (kaltes Büfett). Wir finden ausge zeichnete Unterhaltung mit Admiral Schröder, dem Inspek tor der Artillerie. An Bord weht eine frische Brise; das Meer ist stark bewegt. Man hat das Sck>ankeln gern und „seekrank" ist kein Teilnehmer geworden. Einige Kollegen suchen das Schiff ab nach Landsleuten; wir finden zwei Württemberger und tvie wir diesen eine Kleinigkeit schenken, stellt sich ein dritter ein mit dem Bemerken, daß er nabe bei Württemberg zu Hanse sei. Aber man braucht ilm nickst zu fragen, woher er sei. Seine Sprache verriet — 128 — 125 — Nein, Verehrtester, der Mann tvar er nicht! Er würde einfach die ganze Ge schichte für Betrug erklärt haben. Und tat er es nicht auch? Erinnern Sie sich dock) der erster: Vernehmung. Hat diese nicht festgestellt, daß er 20 bis 30 Minuten vor seinem Tode tatsächlich jemand anschrie: „Sie sind ein Lügner und Betrüger!" Paßt das nicht für meine Behauptung? Und bei dem tveiteren Zaick nannte der andere ihn einen „Dieb" und sprach irgend etwas von den Wildnissen Australiens. Stimmt das nicht alles aufs Haar? Ich sollte inei nen. kein Mensch der bei gesundem Verstände ist, könnte danach noch Zweifel hegen, daß diese Worte von dem Mörder Hngh Mainwarings gesprochen wur den. und ich denke, wir haben damit einen sicheren Anhalt für dessen Per- 'önlichkeit. Also, Herr Whitney, zunächst leiten Sie das gerichtliche Verfahren wegen Fälschung und Betrug ein " „Later," sagte Hngh ruhig, „in wessen Namen soll das geschehen, in deinem oder in meinem Namen?" Der Vater sah seinen Sohn überrascht an und erwiderte spöttisch: „Ich wüßte nicht, daß es für mich einen besonderen Unterschied machen könnte, in wessen Nainen es geschieht, da es zu deinem Besten ist." „Bitte um Verzeihung, ich finde, es mackst einen bedeutenden Unterschied. Und ich erkläre hiermit von vornherein, daß ich nicht will, daß gegen Harold Mainwaring, weder in meinem Nainen noch zu meinem Vorteil, irgendein gerichtlicher Schritt unternommen werde. Harold Mainwaring ist kein Be trüger. Die heutige Gerichtsverhandlung läßt nicht den geringsten Zweifel übrig, daß er der einzige Erbberechtigte ist. Eben so gut wie ich, weißt du schon seit Jahren von deinem eigenen Diener, John Wilson, daß Ralph Mar- well Mainwaring ein zweites Testament gemacht hat, und so haben wir allen Grund, zu glauben, daß das jetzt vorgelegte das zweite ist. Wenn du anderer Meinung bist, so tut es mir leid, denn dann gehen unsere Wege auseinander. Niemals wirst du mich bei einem Vorhaben, tvie du es im Schilde führst, au deiner Seite finden." Das Erstaunen über die Kühnheit seines Sohnes schien dem Vater die Sprache geraubt zu haben, jetzt aber, blaurot vor Wut, donnerte er los: „Wie kannst du dich unterstehen, dir eine solche Sprache gegen mich zu erlauben, du unverschämter Narr du! Ich rate dir, nimm dich in acht, sonst sollst du mich kennen lernen." „Das ist heute das zweite Mal, daß du in dieser Weise zu mir sprichst," entgegnete Hngh mit erzwungener Ruhe, obtvohl ihm das Blut heiß zu Kopf stieg. „Erlaube mir, Vater, dir mit allein schuldigen Respekt -zu sagen, daß ich von nun an meine Angelegenheiten selbst besorgen werde, und dich deshalb bitte, dich fernerhin nicht mehr damit zu bemühen. Wenn du gerechte und haltbare Gründe für dein gegen Harold beabsichtigtes Auftreten hättest, so würde ich nichts dagegen einwenden, so aber, tvie die Sache liegt, hast du auch nicht den Schatten einer Berechtigung. Es ist nichts als eine Schändlichkeit, mit der ich mich nickst besudeln will." „Du Uitdankbarer! So lohnst du alle meine Sorge und Arbeit für dich? Tu nimmst auf der Stelle jedes Wort zurück, das du eben gesprochen, oder —" er sprang urit einer wilden Verwünschung so heftig auf, Laß er das neben ihm stehende kleine Onyxtischchen umwarf und es in tausend Stücke zerschmetterte — „oder ich enterbe dich und du bekommst keinen Pfennig!" „Das würde nickst mehr sein, als du selbst schon bei dem ersten Verhör versuchtest." antwortete er kühl. „Ja. aber sein Beweggrund ist ein anderer; bei mir tvar es die Aus flucht einer schtvachen Frau, den Verdacht von sich selber abznlenken, er aber wird kein Mittel scheuen, dich zu vernichten, nur um zu seinem Ziele zu ge langen. In meiner Macht steht es jedoch," zitterte es von ihren Lippen, während ihre weit geöffneten Angen fast starr zu ihm aufblickten, „in meiner Mackst steht es. alle seine Anschläge zuschanden zu machen und jede Anklage im Keime zu ersticken." Eine kurze Weile waren seine Blicke durchbohrend ans ihr Gesicht ge heftet, dann sprach er kurz und fest: „So sage, tvas du weißt." „Beuge dein Ohr zu mir herab," keuchte sie heiser, sich auf den Knien etnas anfrichtend Es Nviren nur wenige, lxutig geflüsterte Worte, Harold aber sprang kreidebleich, tvie wenn er einen Schlag erhalten hätte, auf und stieß atemlos hervor: „Ist das Wahrheit — volle Wahrheit?" Auch die Kniende l-atte sich erhoben. „So wahr ein Gott im Himurel l-bt — es ist die Wahrheit. Tag und Nacht trat mir die Entdeckung keine Ruhe gelassen. Ter Gedanke daran raubte mir beinahe den Verstand, und doch konnte ich mich nicht entsckstießen, Nxrs ich wußte, irgend jemand zu ver raten?" „Wirklich niemand weiß davon?" drang Harold noch einmal in sie. „Keine lebende Seele außer mir und jetzt dirl" Beide setzten sich nieder. Harold stützte sinnend den Kopf in die Haud. Endlich brach die Rdutter das Schweigen. „Nicht tvahr, tvas ich dir ver trante, tvird dir hilfreich sein?" „Es ist mir sogar von unschitzbarem Werte," antwortete er, aber aus seiner Stimme klang kein innerlicl)es Frohlocken. Eine sonderbare Traurig keit schiert sich seiner bemächtigt zu haben. „Und nun. nickst wahr," flehte sie fast zärtlich, „darf ich dir helfen als deine Mutter, und du wirst mir ein guter Sohn sein?" .Harold sah sie mit einem Blick an, worin Mtleid sich mit Bitterkeit milchte, da er aber nicht gleich antwortete, fuhr sie angstvoll in dem ange schlagenen Tone fort: „Harold, bedenke, was ich gelitten — sei barmherzig, mein Sohn, vergib und vergiß!" „Daß du gelitten, erkenne ich " begann er endlich milde, „aber verlange nichts, tvas ich nicht geben kann. Ich will dein Leben sorgenlos gestalten und dir ein Freund sein, mehr jedoch vermag ich nicht zu gewähren." „Und ich," rief sie, plötzlich zornig aufspringend, „nehme das nickst au. Meinen Sohn will ich haben, alles andere tveise ich zurück." ..Es tut mir leid, das zu hören," entgegnete er, „denn du beraubst dich ganz unnötig vieler Vorteile, die du genießen könntest. Ich würle dir in einem Orte, Uw du unbekannt bist, ein Haus entrichten und dir die Mittel geben, in Wohlstand zu leben." „Ein Haus und Reichtum!" lachte sie grimmig auf. „Nein, das behalte