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9. Als sich die Tür hinter Ullrich geschlossen hatte, trat Heberlein aus Essold zu, ergriff dessen Rechte mit beiden Händen und sagte: „Lieber Ludwig, bist du wohl geneigt, ein ruhiges Wort iu Ruhe onzuhören?" Frau Marie, die mit ihrem wunderbaren Feingefühl die Situation so gleich begriff, verließ schweigend das Zimmer. Ein finsterer Blick ihres Mannes 'olgte ihr. .In Ruhe?" sagte er zu Hebcrlein. „in Ruhe —- das — das ist ein wciig zu viel verlangt!" „ES kann niemals schaden, eine jede Sache mit kaltem Blute zn be trachten", erwiderte der Pfarrer. „Wenn man es über sich vermag", rief Eisold heftig; „ich aber — ich — ist wohl jemand in gleicher Lage gewesen wie ich? Meine Ehre Hab ich fleckenlos erhalten mein Leben lang und mein guter Name galt mir mehr als Geld. Gut. Ansehen, ja selbst als mein Leben. Dieses Leben aber Mar der Pflicht gcweiht — der Pflicht gegen meinen König, die Stadt, deren -Obrigkeit ich diente, meinem Gutsherrn, für den ich hier wirke. Ehre, guter Name. Pflichtgefühl, die höchsten Güter meines Lebens, meine Ziele und Ideale - - zu Boden sch ich sie gerissen, zertreten in den Staub, beschmutzt, geschändet — oh — wer könnte da noch ruhig bleiben —" „Fasse dich, hör mich an — die Zeit verrinnt, wir müssen handeln", mal nie der Geistliche. „Fa, handeln müssen wir", sagte der andere hart, sich gewaltsam zu- sam.nennehmend. „cS ist mein Sohn, niein eigen Fleisch und Blut, der die Altäre ninstürzt, die ich in meinem Herzen errichtet — ich finde ihn hier als Deserteur, davongelaufen von seiner Fahne, die Frevlcrhand ausstreckend nach dem Weibe seines Vaters — und sie —" „Nichts gegen sic", sagte Hcberlein stark, „gewiß, sie könnte nicht be gehen vor ihm, dem schon die sündigen Gedanken Sünden sind — ein auch nur momentanes Vergessen der Pflicht ein schweres Vergehen. Denn weiter als bis zum augenblicklichen Versinken in die Erinnerung an frühere Tage ist es nicht gekommen, dessen kann ich dich versichern, der ich dort hinter jener oiinnen Wand Zeuge jener Szenen war. die sich abspielten, seitdem du dieses Zimmer verlassen." „Und wenn auch", stieß der andere schwer atmend hervor. „Ehebruch bleibt Ehebruch. Wer des Nächsten Weib anschaut, ihrer zu begehren, der hat 'chon im Herzen die Ehe gebrochen — oh — oh —" „Mäßige dich", rief hier der Pfarrer energisch, „du hast allen Grund, Ludwig, Einkehr bei dir selbst zu halten - " „Ich — wie könnte denn ich —" „Natürlich — „ich danke dir. Gott, daß ich nicht bin wie dieser Zöllner!" Bedenke aber wohl: Ist es weise, als alternder Mann, als hoher Fünfziger, ein ,ungeS Mädchen zum Weibe zu nehmen, das die Zwanzig noch nicht er reicht batte?" „Ich hotte meine Gründe, wußte wohl, was ich tat", brauste der andere auf. „Las glaub ich dir gerne", sagte Heberlein ruhig, „denn so länge ich dich auch kenne — unüberlegt hast du niemals im Leben gehandelt. Deshalb jagte ich mir auch, als ich vor wenigen Stunden hier eintrat und dein junges, dein so sebr junges Eheweib sah: „Zu diesem Schritt muß er doch wohl die gewichtigsten Gründe gehabt haben!" Ich wurde Zeuge des tragischen Schicksals, das über diesem Hause zu walten scheint, aber ich dachte, du seiest an diesem Konflikt der schuldlos Schuldige — ich setzte als sicher voraus, du habest von den zarten Banden nichts gewußt, nichts geahnt, die die beiden jungen Herzen verknüpften. Nun aber sagst du es vorher selber unum wunden. du habest gewußt, wie cs um sie stand —" „Ich habe es gewußt — ich Hab es gemerkt. Gott sei Dank, noch bevor es zu spät war." „Ja, warst du denn bei Sinnen, als du die Wege Gottes eigenwillig durchkreuztest — wußtest du denn nicht, daß Jugend zu Jugend gehört — daß ein alternder Mann, der ein junges Weib freit, sich nicht nur eine schwere Bürde auflädt. daß er sich um den Frieden seiner Tage und den Schlaf seiner Nächte bringt, ja daß er die Verantwortung für ihre Seele über nimmt -?" „Du trifsst's, du triffst's". rief Eisold erregt dazwischen, „die Ver antwortung für ihxe Seele, das war's — " ..Dos verstehe ich nicht", unterbrach der Pfarrer kopfschüttelnd, „alles das bürdet sich der alternde Mann eines jungen Weibes auch dann auf, wenn sie noch eine unerschlossene Knospe ist, wenn sie noch nichts von der Liebe ahnt. Mit Schrecken muß er dem Tage entgegensehen, wo die Natur ihr Recht fordert — wo das Herz zu sprechen anfängt — denn die wenigsten sind in den Jahren stark genug, diese rebellische Stimme des Herzens durch Gebct zu übertäuben und durch Bußübungen zum Schweigen zu bringen - " „Weiß Gott", sagte der andere mit tiefem Seufzer, „da hast du Recht!" „Und nun gar du", fuhr der Gottesmann fort, „du streckst die Hand ans »ach einer, die bereits gewählt, der ihr Schicksal schon genaht ist in Ge stalt des Jugendfreundes, des Spielgenossen, des Pflcgebruders. War sie nicht schon stark, schon eine Ausnahme ihres schwachen Geschlechts, daß sie es so lange getragen hat. ohne in Versuchung zu geraten, in Anfechtung zu fallen?" „O ja - du bist ein warmer Anwalt." .. „Ludwig — unsere Freundschaft und mein Beruf sollten mich vor dem Verdachte der Parteilichkeit schützen. Ja. sic hat gefehlt, aber sie hat ihr Vergehen schon erkannt, sic bereut es und ist zur Buße bereit. Aber nun er kenne dich selbst, geh in dich. Mann —" „Was soll das?" fuhr der andere gereizt auf. „Was das soll? Ich will dir beistehen in deiner Verirrung", sagte Heberlcin ruhig und fest. „Bin ich auch kein Priester deiner Kirche, so bin ich doch ein Diener des allerhöchsten Gottes, dem doch auch du dein Knie beugst — deshalb sage ich dir: prüfe dich — du hast stets auf Frömmigkeit und Gottesfurcht gehalten — nun siehe zu. ob du so mit deinem Zorn und Unmut, mit deiner Selbstgerechtigkeit und Selbstzufriedenheit vor ihm be stehen könntest — er sieht dir ins Herz — mußt du nicht den Blick nieder- schlagen und erkennen: Ja. die letzte Ursache de- ganzen Unglücks bin ich?" „Ich habe dich auSredSw lassen", sagte Eisold, sich zur Ruhe zwingend.