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I« Nr. L7V — V. Jahrgang DanrierSrag de» 28. Juli 1V1V 77 -7S ffeo, und »er. ngeo karx: Uhr. Uhr. K«b) Uhr 8 ». 8ll. nerS- ea. — lene» llller- ep len igte ' ist -löst Var- >irkt also i zu m?« Also. KchslschkUalksMung erscheint täglich »ach«, mit «u»nahme der Sonn- und Festtage. -W L- «s°.L »T.K>« Lk-N« Unabhängiges Tageblatt "DWKZLSKLZ Mr Wahrheit, Recht und Freiheit Anserat« werden die ggespaltene PetttzeUe oder deren Raum mit ik ^Reklamen mit L« ^ die geile berechnet, bei Wiederholungen entsprechenden Rabatt. v«chdru>r«r»I, Redaktion und «esch-iftSftelle, LreSden, Ptllnttzer Strafte S». — Fernsprecher L»«S garRtt-gabeunp^..-^^^ ^iff'r'isofisnd und labend Ol'edO-^isbsei'Sii ^4 s^ttincl 18 pfgnnigs. <3er!ing 8, siocßstroti, vresäen. btlsclsi'Iakvn In »Hon SdactdisIIsn. Volrler'sVöelllvrpvLsioiral. 8eki»«rr»trLÜ« «1. XlLrvovmuüvrt. Hvrrliedvr?arlrxarlvo. ^kanvis. llüokst.0 vrrisdlieirs Vorteils. UM' krste ^ekrkrLIto kür Spraedea. >Vl8»ea»cka1tea. l^usttc. 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Der Blocki'- danke soll also eingeschränkt werden und zunächst wieder Konservative und Nationalliberale ausgesöhnt werden; vsi gegebener Gelegenheit kann man dann immer wieder auf den Block zurückgreifen — erst das Kartell, dann der Block! so ist die- Kalkulation des Reichskanzlers. Das Zentrum sieht er nur als einen unangenehmen Lastträger an, das unentgeltlich zu arbeiten hat und ohne Einleitung der Kündigungsfrist jederzeit entlassen werden kann. So stehen derzeit die politischen Aktien. Es ist an und für sich schon auffallend, daß der Reichs kanzler sich bemühte, den Abgeordneten Bassermann zum Bleiben zu bewegen und ihm für ein Mandat sorgen will. Bülow hat sich zweimal bemüht, für Bassermann einen Kreis zu finden, jetzt setzt Bethmann Hollweg dieses Spiel fort. Würde er auch solche Anstrengungen bei einem Füh rer der Konservativen und des Zentrums machen? Freilich wird diese Frage nie praktisch, da beide Parteien ans eige ner Kraft ihren Führern Mandate verschaffen können. Aber eine Anzahl von Blättern geht noch weiter und weiß von einer „festen Verbindung" zwischen Bassermann und Beth mann zu melden, von einem Abkommen, das sich über die elsässische Frage hinaus erstreckt. Man erfährt nicht, was darunter gemeint ist, aber man geht nicht fehl in der An nahme, daß es sich nur um die kommenden Wahlen handeln kann. Der Pakt zwischen Nationalliberalen und Regierung wäre damit fertig. Mit dieser total veränderten Situation haben wir zu rechnen. Die „Kreuzzeitg." findet sich bereits mit derselben ab und jubiliert: „Bassermanns Einverneh men mit dem Reichskanzler gibt die Garantie, daß die Eini gung nicht einseitig im Sinne der bisherigen, nach dem Fortschritte hinneigenden Opposition zustande kommen wird, sondern den weiter rechts stehenden Parteien die Aus sicht eröffnet, in den Nationallibcralen Bundesgenossen gegen die Sozialdemokratie zu finden." , Ob diese Annahme begründet ist, wissen wir nicht; dann würde also ein weite- rer Punkt der Abmachung sein, daß die Nationalliberalen die Angriffe auf die Konservativen zu unterlassen haben; so nur ist die Freude des führenden konservativen Organs zu verstehen. Es hofft, daß dieser Patt den konservativen Besitzstand wahren werde. Ob es sich darin aber doch noch täuscht? Daß die Liberalen nicht überall Bundesgenossen gegen die Sozialdemokraten sein werden, ist klar. Diese neue Situation ist sehr wichtig für das Zentrum, denn sie richtet sich gegen dasselbe; zwar haben noch nicht alle Liberalen dem Pakte zugestimmt; es kann noch gehen wie 1879; damals war Bennigsen mit Bismarck einig, aber nachher mußte er melden, daß er nicht mit einem Minister posten zufrieden sein könne, sondern deren drei fordere. Heute gibt es keinen Stein des Anstoßes mehr, denn mehr wie drei Minister sind nationalliberal. Aber für das Zen trum ist diese Klärung deshalb bedeutungsvoll, weil die Nationalliberalen in der letzten Zeit ihre kulturkämpferi schen Gelüste immer schärfer zeigten. Vassermann nannte die ganze Blockpolitik einen „Kampf gegen Nom"; bei der Enzyklikabewegung waren die Nationalliberalen die Führer und Einpeitscher: Paasche nannte ja das ganze Nundschrei- ben ein Glück für die politische Lage. Die ganze national liberale Partei steht heute stark unter der Herrschaft des Evangelischen Bundes. Ob sich nun der Reichskanzler Garantien geben ließ, nach welchen die Liberalen den Kul turkampf zurückzustellen haben, wissen wir auch nicht; bis auf weiteres nehmen wir das nicht an, denn die heutige Richtung der Nationalliberalen paßt gut in das System Bethmann Hollweg. Wir bringen in Erinnerung, wie die ses sich seither gegen das Zentrum benommen hat: t. Eisiges Schweigen der Regierung gegenüber der un wahren Steuerhetze: 2. Schikane des Breslauer Katholiken- tages durch Verbot einer Versammlung staatstreuer pol nischer Katholiken; 3. gänzliche Abwesenheit der Regierung bei der Beratung des Zentrumsinitiativantrages über die Freiheit der Religionsübung; 4. Absetzung geistlicher Schul inspektoren im Kreise Arnsberg und Fulda; 5. Zertrüm mern der vom Zentrum mit beschlossenen Wahlreform; 6. Antrag v. Schorlemer als Regierungsnntrag auf Ver schlechterung des Wahlgesetzes und Verlust mehrerer Zen trumsmandate; 7. Berufung dieses Antragstellers ins Mi nisterium. An diesen Tatsachen kann man nichts ändern und es läßt sich nicht eine einzige als Gegenrechnung auf führen, welche dem Zentrum zugute gekommen wäre. Tat sachen aber reden deutlicher als Worte. Die neue Politik der Nationalliberalen würde sich mit der des Reichskanzlers gut vertragen. Bassermann rühmte sich einstens, daß er dis Krone oder der Kern des Blockes sei; das hat damals aus konservativer Seite stark verschnupft. Heute, nach der widersinnigen Opposition, kann er noch eine Stufe höher greifen und sich in der Sonne des „heimlichen Regenten" ergehen. Der Reichskanzler hat an ihn den Ruf gerichtet: „Kehre zurück, Ernst, es ist dir alles verziehen!" Und nach biblischem Vor bilde wird das große Mastkalb geschlachtet. Der Reichs kanzler kann unseretwegen ruhig ldiese Politik weiter gehen; wir hindern ihn nicht; er darf nur nicht bean spruchen, daß das Zentrum ihn hierbei unterstützt. Wir gehen unsere Wege nach unseren: Programm und beachten nnt steigendem Mißtrauen die Bemühungen des deutschen Reichskanzlers um die Gesuickung der nationallibcralen Partei. Politische Rundschau. Drei de«, den 27. Juli 1910. — Die Hohenzollern mit dem Kaiser an Bord, die am Dienstagvormittag unter dem Salut der Kriegsschiffe von Molde abgegangen ist. traf gegen 12 Uhr vormittags in Alesund ein. Der Kaiser begab sich an Land, um den Kaiserbautastein zu besichtigen. Um 4 Uhr nachmittags trat der Kaiser die Weiterfahrt nach Bergen an. — An dem diesjährigen deutschen Kaisermauöver nimmt voraussichtlich wieder der österreichische Thronfolger, sowie ein weiterer österreichischer Erzherzog teil. — Der Kaiser von Oesterreich hat dem früheren deutschen Staatssekretär Freiherr« v. Schoen die Brillanten zum Großkreuz des Leopoldordens verliehen. — Der Staatssekretär deS ReichLkolonialamtS v. Liude- guist wandte sich an die Handelskammern Köln, Chemnitz, Nürnberg, Bremen, Mannheim und Hamburg um Be nennung von Mitgliedern für eine ständige Kommissio« zur Unterstützung der Kolonialabteilung in wirtschaftlichen Fragen, die der Staatssekretär näher bezetchncte. Ham burg und Berlin sollen je zwei, die übrigen Handels kammern je einen Vertreter wählen. Es ist beabsichtigt, die Kommission von Zeit zu Zeit zu gemeinsamen Sitzungen unter dem Vorsitz des Staatssekretärs einzuberufen, auch in einzelnen Fällen Gutachten von Mitgliedern zu erbitten. — Der russische Edelmann Robert Ludwig Maruitz, Zivlllehrer und Professor an der Kriegsakademie in Berlin» ist in den preußischen Adel ausgenommen worden. — Geht Tirpitz? Die „Deutschen Nachrichten" wollen aus angeblich eingeweihten Kreisen wissen, daß der Staats sekretär v. Tirpitz seine Demission cingereicht hat. Herr v. Tirpitz soll bereits vor längerer Zeit den Kaiser um seine Enthebung vom Amte gebeten haben, doch hätte eS dieser damals verstanden. Herrn v. Tirpitz zu bewegen, einstweilen von seinem Abschied Abstand zu nehmen. Der Staatssekretär hätte aber jetzt sein Gesuch erneuert. Nach der Rückkehr des Kaisers von der NordlandSreise werde die Genehmigung des Gesuchs erfolgen. Wir erfahren hierzu aus bester Quelle: Staatssekretär v. Tirpitz hat schon vor einigen Tagen im Kreise seiner Bekannten erklärt, daß er 1911 seinen Abschied nehmen werde, da sei das von ihm geschaffene Bauprogramm der Flotte erledigt; sein Nach folger müsse dann für die Ausbildung und Erhaltung in erster Linie Sorge tragen. Dieser Zeitpunkt steht nun vor der Türe. Ein Rücktritt hätte daher nichts UeberraschendeS; aber mit dem Programm Asquith hat dies nichts zu tun und noch weniger mit Reibungen mit dem Reicksschatzamte. Vorerst arbeitet Herr v. Tirpitz eben in St. Blasien den neuen Marineetat auS. — Die Gefahr einer Reichstagsanflösnng hält der „Vorwärts" für bevorstehend; er weist darauf hin, daß Ab geordneter Freiherr v. Hertling in der Reichsratskammer erklärt habe, daß dein heutigen Reichstage keine Mehraus gaben mehr zugewendet werden dürften; der Abgeordnete Erzberger fordere die Verschiebung der Militärvorlage um ein Jahr aus politischen und finanziellen Gründen; die Regierung aber beharre darauf, daß die Militärvorlage noch in diesen: Jahre verabschiedet werde. Daraus laßt der „Vorwärts" folgende Situation entstehen: „Die Zentrumsdiplomaten dürften der Regierung ein fach die Verlängerung des Quinquenates auf ein Jahr Zölibat und christliche Sittlichkeit. Es ist für die sozialdemokratische und freidenkerische Presse zur besonderen Spezialität geworden, die ganze zivilisierte Welt nach Priesterskandalen zu durchschnüffeln und solche mit einem widerwärtigen Pathos sittlicher Ent rüstung breitzutreten. Wo irgendwo in der Welt ein un glücklicher Mensch im Priesterrock sich ein Vergehen hat zuschulden kommen lassen, gleich jubelndes Hohngeschrei auf der ganzen Linie. Bald marschiert der Priester in der sozialdemokratischen Presse auf „als der unglückliche Mensch, der, von der Liebe Allgewalt ergriffen, in den grausigen Banden widernatürlicher Menschensatzungen schmachtet", bald als „das Scheusal, das vor den: wider wärtigsten Verbrechen nicht zurttckschreckt". Daneben tischt diese Presse ihrem urteilslosen Publikum mit besonderer Vorliebe novellistische Erzeugnisse eines Ganghofer und anderer „Volkskünstler" auf, in denen der „sittenlose Pfaffe" die Hauptrolle spielt. Wir beklagen mehr und ehrlicher als die sozialdemo kratischen Herrschaften derartige traurige Verirrungm einzelner, die dem Stands der katholisch.'« Priester nicht zur Ehre gereichen. Wir haben an sich auch keinen Grund, eine Vertuschung derartiger Skandale zu wünschen. Aber wir bestreiten mit allem Nachdruck der sozialdemokratischen Presse das Recht zu ihrer „sittlichen Entrüstung". Hinter ihrem Bramarbasieren steckt nämlich nicht etwa der ehr liche Gedanke, Mißstände zu bekämpfen, sondern lediglich die boshafte Absicht, die Gesamtheit der katholischen Priester beim Volke in Mißkredit zu bringen und ihm dadurch d i e Religion selbst verächtlichzu machen. Wollten die Herren wirklich sittliche Mißstände ausfegen, so könnte man sie höflichst einladen, zunächst gefälligst vor der eigenen Türe zu kehren; da gäbe es sittlichen Schmutz genug zu be kämpfen. Keine Presse hat sich mit solch liebevoller Sorg- falt u:n Professor Ehrlichs neues Syphilismittel ange nommen wie die sozialdemokratische. Gibt es schlechte Priester? Das Christentum fordert vom Menschen Persönlichkeitskultur. Weil es uns belehrt, daß in: Menschen „das Fleisch gelüstet wider den Geist", und daß der Mensch durch Unterwerfung unter das Gesetz des Fleisches seine Persönlichkeit, seine innere Würde verlieren, sein Lcbensglück zerstören und zum Bedroher der mensch lichen Gesellschaftsordnung werden würde, deshalb for dert cs, daß der Mensch durch Arbeit, Selbstver- leugnung, Abtötung die Herrschaft des Geistes über den Leib und die sinnlichen Triebe des Fleisches sich erringe. Dem Christentum ist nur derjenige wahrhaft Mensch, der kämpft und ringt mit den niederen Gelüsten. „Wachet und betet, damit ihr in der Versuchung nicht fallet!" ist ein Wort Jesu Christi. Es gibt nun im Menschen keine stärkere Triebkraft als diejenige, welche auf Befriedigung der Sinnenlust gerichtet ist; es gibt aber auch keine, deren zügellose Befriedigung mehr Verwüstung im Einzelmenschcn und in der mensch lichen Gesellschaft anrichtet als gerade diese. Der Mensch der Sinnlichkeit, der sich vom Gebote der standesmäßigen Keuschheit freimacht, ruiniert seinen Leib, schändet in schnödester Weise das andere Geschlecht, bricht in Las Glück des fremden Familienlebens ein, treibt die Geschändete zur Verzweiflung, zum Wahnsinn, zum Mord; er scheut sich nicht, das Leben, dem er das Dasein gegeben hat, in brutaler Weise seinem Schicksal zu überlassen, kurz und gut, er wird ein Zerstörer von Leben und Glück, während jener, der sich an Gottes Gebot hält, der in der Jugend sich keusch auf den Ehestand vorbereitet und als Verheirateter die Treue als Gatte und Familienvater bewahrt, im Ehestande eine Quelle des Glückes und des Wohltuns findet und seiner Nachkommenschaft die Güter der Kultur übermittelt. Deshalb hat zu allen Zeiten die Kirche es als eins ihrer größten Aufgaben angesehen, die Menschheit zur Selbstbeherrschung anzuleiten und zur Bewahrung standes mäßiger Keuschheit. Zu allen Zeiten hat cs aber auch Menschen gegeben, die behaupteten, das sei ein zu schweres Gebot, es sei unmöglich, standesmäßig keusch zu bleiben und zu leben. Damit die Menschheit sich nun selbst über zeugt, daß dies wohl möglich ist, ja daß cs eine leichte Bürde ist für den, der guten Willens ist, der im Gebet und in der Arbeit seinen Schuh und seine Lebensfreude sucht, hat sie ihren Priestern die vollkommene .Keuschheit zur Pflicht gemacht. Ist das vielleicht Vergewaltigung der Menschennatur? Wer sich zum Priestertums entschließt, muß sich darüber klar sein, daß sein Leben ein Opferleben ist. ein Leben der Hingabe an den Beruf; daß er sich nicht mehr selbst ange- hört, sondern den: Herrgott und dem christlichen Volke; daß sein sittlicher Wandel eine ständige Predigt christlicher Ideale, sein Sorgen und Mühen nicht leiblicher Nach- konrmenschaft, sondern dem christlichen Volke und seinen