Suche löschen...
Sächsische Volkszeitung : 07.04.1908
- Erscheinungsdatum
- 1908-04-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-190804078
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19080407
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19080407
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-04
- Tag 1908-04-07
-
Monat
1908-04
-
Jahr
1908
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 07.04.1908
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
der jeweiligen letzten Volkszählung 60 von 100 der Gesamt- beoölkerung übersteigen, während der ersten 20 Jahre nach dem Jnkra'treten diese- "rsegeS der Mitgebrauch der nichideutschen Sprache gestattet, wenn der Veranstalter der öffentlichen Versamm lung mindestens dreimal 24 Stunden vor dem Beginne der Polizei- behörde die Anzeige erstattet hat, daß und in welcher nichtdeutschen Sprache die Verhandlungen geführt werden sollen. Ueber die Anzeige ist von der Polizeibehörde sofort eine kostenfreie Beschei nigung zu erteilen. Als Landesteile gelten die Bezirke der unteren Verwaltungsbehörden. Ferner sind, soweit die Landesgesetzgebung abweichendes nicht bestimmt, Ausnahmen auch mit Genehmigung der Landeszentralbehörde zulässig.' Sozialdemokraten und Polen beantragen den Paragraphen zu streichen. Die Polen stellen folgenden Eoentualantrag: „Die Verhandlungen in öffentlichen anzeigepflichtigen Versammlungen sind in der Regel in deutscher Sprache zu führen. Wenn in einer öffentlichen Versammlung in einer fremden Sprache verhandelt werden soll, so haben die Veranstalter die nach 8 3, Abs. 1 er forderliche Anieige mindestens dreimal 24 Stunden vor dem Be ginn der Versammlung bei der Polizeibehörde zu erstatten. Bet oer Anzeige muß die Absicht, in fremder Sprache zu verhan deln. mikgrteilt werden und die Bezeichnung dieser fremden Sprache selbst erfolgen. In Versammlungen, für welche die in Abs. 2 vorgeschriebene Mitteilung von dem Veranstalter nickt erfolgt, ist der Gebrauch einer fremden Sprache nicht erlaubt. Die Anzeige gemäß Abs. 2 wird durch die öffentliche Bekanntmachung nicht ersetzt. Ohne die ausdrückliche Einwilligung des Veranstalters oder Leiters einer öffentlichen Versammlung darf in derselben in einer nichtdeutschen Sprache nicht verhandelt werden.' ES folgt nun die Debatte zum § 7; es laufen hierzu noch 2 Anträge der Polen ein. die deutsche Sprache als Regel nur in politischen Versammlungen zu bestimmen: dasselbe beantragt Hansen iDäne). ASg. Fürst Radziwill (Pole): Dieser 8 7 hat am meisten Aufsehen erregt. Aut 20 Jahre hinaus soll das Reich diese Be stimmung auf Lager halten. Die Blockpolitik hat ihn geschaffen und zwar im letzten Augenblick der Kommissionsverhandlungen. Die ganze Paarung der Konservativen und der Nationalliberalen ist eine Mißgeburt: ein dauerndes Verhältnis kann nicht bestehen. Die Blockpolitik trägt den Todes keim in sich, weil sie den Gegen sätzen zwischen christlicher und materialistischer Geistesrüchtung nicht Rechnung trägt. Um momentane Erfolge zu erreichen, macht man solche wioersinnnige Vorschläge wie beim 8 7. Sonst wird die Muttersprache anerkannt: hier geht man 20 Jahre über sie hinweg. Mit welchem Recht? Warum soll in 20 Jahren die Muttersprache weniger Recht haben wie heute? (Sehr gut!) Worin liegt der Beweis dafür, daß in 20 Jahren die Verhältnisse andere sein sollen? (Sehr gut!) Die gesamten Gewalimaßregeln gegen die Polen erreichen ihr Ziel nicht, erbittern aber ungeheuer. Den Reichskanzler klage ich an, daß er die Kompetenz überschritten hat durch diesen 8 7, indem er eingreift, in die göttliche Vor sehung, die verschiedene Nationen zngelassen hat. (Sehr gut!) Der Staat hat nach christlichen Grundsätzen zu regieren; dieser 8 7 aber ist ein Faustscklag in das Gesicht der christlichen Grund sätze. (Sehr gut!) Warum aber geht man nur gegen die Polen vor? (Stürmische Zurufe: Weil sie katholisch sind!) Die Mehr heit macht sich nur lächerlich hierdurch. (Präsident Graf Stol- berg: Sie dürfen nicht sagen, daß die Mehrheit sich lächerlich macht. — Stürmische Heiterkeit!) Die heiligsten Versprechungen der preußischen Könige verletzt man durch solche Gesetze. DaS deutsche Volk, das bisher die Antipolenpolilik verwarf, soll nun derselben im Prinzip zustimmen. Die Probe dieses Paragraphen wird gar bald als Seifenblase zerplatzen. Als Christ schließe ich mit dem Psalm, daß uns aus dem Munde der Gegner noch Lob bereitet wird. (Stürmischer Beifall.) Abg. Ganz Edler zu Putiitz (kons.): Wir stimmen dem Kommissionsantrage zu, wenn auch nur schweren Herzens; wir wahren damit unseren nationalen Standpunkt und stützen die Staatsautorität. Für die Litauer wollen wir die Mutter sprache zulassen. (Zuruf: Weil sie Protestanten sind!) Der preußische Staat befindet sich in der Notwehr. (Huhu!) Abg. Dr. Spahn (Zentrum) Dr. Hieber meinte gestern, daß die Mehrheit des Volkes keine Freiheit vom Zentrum und von der Sozialdemokratie wolle; so sollte der Vorsitzende der Kommission die noch besteht, nicht reden. (Sehr gut!) Aber diese Auslassung von einem Süddeutschen ist um so befremdender, als andere Süd deutsche mit uns stimmten. Die Liberalen sollen jetzt nicht mit Steinen werfen, denn sie sitzen im Glashause: sie schlagen mit dem 8 7 ihren eigenen Grundsätzen ins Gesicht. (Sehr gut!) Die Ver fassung garantiert die Versammlungsfreiheit, es gehört dazu, daß man die Muttersprache anwenden kann, weil man sich sonst nicht verständigen kann. (Sehr gut! im Zentrum.) Die Staatssprache ist die deutsche und muß auch die deutschen bleiben; aber das führt nicht zur Unterdrückung der Muttersprache in einzelnen Landes teilen. Das Oberoerwaltungsgericht hat dies klar anerkannt. Der Staatsekreiär hat in der Kommission das Naturrecht auf die Muttersprache bestritten (Hört!), aber jeder Jurist glaubt an viele Sätze des Naturrechtes (Sehr richtig!) Ein nationalliberaler Redner hat,m norddeutschen Reichstag selbst das Recht auf die Muttersprache als ein Menschenrecht bezeichnet. (Hört!) Das Nationalitätenprinzip stammt nicht von Napoleon: er und Bis marck haben es emporgebracht: es ist entstanden aus der staats rechtlichen Literatur der 40 er Jahre. Es ist ein Gedanke des Fortschritts, der ihm zugrunde liegt; aber darn darf man einer Nation nicht das Recht der Sprache rauben. (Sehr richtig!) Für die Wahlversammlungen will man die Muttersprache zulassen; aber nicht für Wahlen im Bezirke. (Sehr gut!) Die ganze Ver sammlungsfreiheit beruht in der Heranziehung aller Bürger, in der Einwirkung auf diese; das kann nur geschehen durch die von ihnen verstandene Sprache. (Sehr^richtig!) Der Entwurf richtet sich gegen die polnische Bevölkerung. Gerade jene Staaten haben sich zu Großstaaten entwickelt, in denen Slaven zu beherrschen waren: Preußen und Oesterreich Gewiß haben die Polen ein hochentwickeltes Nationalitätsgefühl; aber die Torheit traue ich keinem Polen zu, daß er sich von Preußen losreiben will und wenn, dann müßte man, wie Häseler sagte, mehr Militär hin legen. In anderen Staaten kennt man solche Sprackenbestim- mungen nicht, weder in England noch in Frankreich. Oesterreich und die Schweiz haben freiheitliche Bestimmungen erlassen. Ehe der Block zustande kam. wurde ein solcher Gesetzentwurf nie vor gelegt. (Hört!) Der Reichstag hat nie in die Muttersprache ein- gegriffen: heute soll er zum ersten Male die Bahn des Rechts verlassen. «Sehr richtig!) Preußen ist nicht in der Notwehr und wenn es in dieser wäre, dürfte und könnte es nicht die Mutter sprache rauben. Die Geschichte lehrt uns, daß es auf diesem Wege bergab geht. (Sehr richtig!) Die Staatsautorität wird verletzt und geschwächt durch Ausnahmegesetze wie hier. (Sehr richtig!) DaS Ausland darf sich freilich mcht einmischen in unsere inneren Angelgenhciten; aber wir müssen fragen: Was sagt das Ausland zu unserer Stellungnahme? (Sehr richtig!) r,., der deutschreden den Bevölkerung lebt im Auslande; für diese können wir nicht mehr mit Nachdruck eintreten. wenn wir dieses Gesetz annehmen. (Sehr richtig I) Die fiemdcn Arbeiter aber leiden am meisten darunter. Unser Verhältnis zu Oesterreich wird getrübt durch eine solche Politik: zumal dort die Polen erheblichen Einfluß haben. (Sehr richtig!) Das Ansehen des Reiches als Kulturhalter leidet not unter einer solchen Gesetzgebung. Der Sprachenparaph hak eine relgiöse Bedeutung: jedes Vorgehen gegen die Sprache erweckt die Besorgnis, daß man auch gegen die Religion vorgehen will. (Sehr gut !) Die österreichische Gemütlichkeit gegen die Polen war wirksamer als die preußische Schneidigkcit und Strammheit. (Sehr gut!) Das Sprachenverbot bat auch große wirtschaftliche Bedeutung: ich erinnere nur an die politischen Arbeiter, denen man die Versammlungsfreiheit damit nimmt. Ganze Arbeiter organisationen werden lahmgelegt: das schädigt auch unseren deutschen Arbeiter. Die Koalitionsfreiheit der Arbeiter wird hier durch geschädigt und vernichtet. Die fremden Arbeiter kommen dadurch auf Wege, die den unsrigen entgegengesetzt sind Die Ueberwachung ist nicht so schwer. Die Kommission selbst hat da» Bedürfnis gefühlt, ihr Gewissen zu salvieren; aber wie? Auf dem Katholikentage hat vor 2 Jahren ein italienischer Kardinal «ine Ansprache gehalten; noch dem Gesetze müßte diese Dersamm- lung aufgelöst werden. (Hört! hört!) Die liberale Partei hat ihre Grundsätze verleugnet, die sie im ganzen 19. Jahrhundert vertreten hat. Auf politischem Gebiete hat der Liberalismus wenig Freiheit gebracht. Kompromisse über Prinzipien hat das Zentrum nie abgeschlossen (Sehr richtigl), es hat nie das be stehende Recht verschlechtert. (Sehr richtigl) Aber der Freisinn hat es getan Hätte Preußen dieses Gesetz gemacht, gut, dann hätten wir eS nicht getan. (Lehr gut!) Aber wer weiß, wa» Preußen getan hätte: ein schlimmere» Gesetz hätte e» nicht gemacht Die 20 Jahre Aufschub ändern an dem Ausnahmegesetz nichts. (Gehr richtig! im Zentrum.) Wir lehnen den 8 7 rundweg ab. ES bandelt sich um ein prinzipielles Recht, das lassen wir nicht ab schwächen. Am l. Mai 1908 soll daS Gesetz in Krait treten: die Landesgesetze können vorher nicht geschaffen werden. Im Interesse des deutschen Reiches und seiner Beoölkerung stimmen wir gegen den § 7; eine Stärkung des Reiches erwächst hieraus nicht, wohl aber viel Schaden! Es ist ein Postulat der Staatsklugheit, das Recht der Muttersprache unangetastet zu lassen. (Lebhafter Beifall im Zentrum.) Abg. Dr. Hieber (natl.) sucht sich gegen den Vorwurf des Abg. Spahn zu verteidigen und rühmt die Erfolge der preußischen Polenpolitik. In der Haltung der Polen liege es auch, daß in Bezug auf die Fremdsprachen in anderen Teilen des deutschen Reiches eine andere Stellung eingenommen werde. Wir wünschen für Elsaß-Lothringen keine Verschlechterung des bestehenden Zu standes. Der 8 7 gebe der Regierung das Mittel in die Hand, um das Deutschtum zu beschützen und zu kräftigen. Abg. Legten (Sozd): Preußen hätte die fremdsprachige Bevölkerung nicht annektieren sollen, wenn es durch die Annexion seine nationalen Interessen für gefährdet hielt. Der 8 7 spreche von .allen' Versammlungen, nicht bloß von politischen: er treffe daher auch die Versammlungen der Arbeiter zum Zweck der Be sprechung ihrer Standesinteressen. Wenn man die Polen so be handelt, wie es in Preußen geschieht, haben sie das Recht auf Revolution. (Sehr richtig!) Der ganze Sprachenparagraph ist gegen die Abeiterschaft gerichtet. Abg. v Payer (ReichSp): Der 8 7 muß im Zusammenhang mit dem gesamten Gesetze betrachtet »erden, ohne diesen scheitert das Gesetz. Aber dieses bringt eine Reih« erheblicher Fortschritte. (Ohol) Der Reichstag hat drei Jahrzehntelang nach diesem Gesetze gerufen. (Zuruf: Aber nicht nach einem Ausnahmegesetz.) Wir wollen unsere Organisation nicht anseinauderfallen lassen- (Große Heiterkeit.) Wir schreiten fort auf dieser Bahn, die wir mit der Blockpolitik begonnen haben. (Hört!) Wir lassen uns nicht spalten. Wir leisten der Freiheit einen Dienst, wenn wir das Gesetz an nehmen. (Beifall linke.) Abg. Gräf (W. Berg): Wir betrachten es als selbstverständ lich, daß man bei uns nur deutsch spricht; man muß sich schämen, daß darüber im Reichstage eine lange Debatte entstehen konnte. Man komme nicht mit dem Nalurrccht, man sollte dieses einfach in den Papierkorb werfep. Aba. Dr. Gregoire (wildlib): Der Kommisfionsantrag ist eine Verschlechterung des Zustandes in den Reichslanden. (Hört!) Staatssekretär Bethmann-Hollweg: Es handelt sich um ein nationales Gesetz. Die Landesregierungen sind entschlossen, den loyalen fremden Stämmen die erforderliche Freiheit zu geben. Sächsischer Gesandter Graf v. Bitzthum: Auch die sächsische Regierung wird für die Wenden einen entsprechenden Gesetzentwurf einbringen. Abg. Dr. Bonder scheer (Zentr.): Wenn im Reichstag das Naturrecht als ein Ladenhüter bezeichnet wird, so ist das lief be dauerlich. Hier handelt eS sich um daS Sein oder Nichtsein des Naturrechtes. Wir haben nur einen Kreis mit 60 Proz. fremd sprachiger Bevölkerung. (Hört!) Unter französischer Herrschaft konnten wir unsere deuischr Sprache behalten. (Hört!) Wir haben besonders viele fremdsprachige Arbeiter und diese kann man nach Annahme des Gesetzes nicht mehr belehren und organisieren. Die Erklärung des Staatssekretärs ist erfreulich, aber sie genügt nicht. Abg. Dr. Müller- Meint ng e n (Freist Volksp.): Wir wollen keine Herrschaft der Roten und Schwarzen und diese nicht zur Macht gelangen lassen. (Allgemeines Ohol) Staatssekretär Bethmann-Hollweg: Ich habe meine Er klärung bezüglich der Arbeiterbewegung nicht auf die christlich- sozialen Gewerkschaften beschränkt. Abg. Delfer (Elsässer): Unsere Lage wird erheblich ver schlimmert Wir wollen kein Wohlwollen, sondern wir wollen freie Bürger )ein. Abg. Hansen (Däne) beantragt, den Gebrauch der deutschen Sprache nur für die politischen Versammlungen vorzuschreiben. Abg. Brejski (Pole): Von einer polnischen Gefahr kann man gar nicht reden Abg. Huä (Soz): Der Reichskanzler hat selbst dem Abg. Rinderberg mitgeteilt, daß er den 8 7 nur auf Wunsch der rheinisch, westfälischen Großindustrie ausgenommen habe. Ich stelle das fest, weil wir bisher keine Antwort auf unsere Mitteilung erhalten haben. (Am RegierongSttsck findet eine sehr erregte Unterhaltung statt, an welcher der Abg. Schock teilnimmt) Ein AuSnahmegeictz gegen die Arbeiter und Gewerkschaften soll geschaffen werden. Staatssekretär v. Bethmann-Hollweg: Die angebliche Auslassung des Reichskanzler« ist bereits im Dezember dementiert worden; es ist falsch, daß der Reichskanzler gesagt haben soll, daß die rheinischen Großindustriellen den §7 bestellt haben soll-m Ich habe den Entwurf verfaßt, eS ist eine Fabel, daß dieser 8 7 auf eine Beranlasiung von dritter Seite hereingekommen sei. Abg. Korfanty (Pole): Trotz all dieser Behauptungen bleibe ich bei folgender Feststellung: der Reichskanzler hat zn einzelnen Mitgliedern der Srbeiterdeputation gesagt: es war nicht Absicht der Regierung, diesen Paragraph in das Gesetz aufzunehmen, er ist auf Wunsch der nationalen Partei, besonders der nationalliberalen Partei ausgenommen worden. (Hört!) Nur gegen die katholischen Polen geht man s» vor, man nimmt uns daS heiligste Recht der Muttersprache. Ein Antrag auf Schluß der Debatte wird angenommen, ks folgt die Abstimmung. — Die Abänderungsanträge, die deutsche Sprache nur für politische Versammlungen vorzuschreiben, wurden allsamt abgelehnt und zwar gegen den Block DaS Zentrum lehnte diese Anträge aus taktischen nnd prinzipiellen Gründen ab. Hcmß- mann, Potthoff und Naumann-Hofer stimmen gegen den Block Der Kommisstonsantrag wird mit 200 gegen 17S Stimmen und 3 Enthaltungen angenommen. DaS HauS vertagt sich hierauf auf Montag 11 Uhr: Fortsetzung. Schluß 8 Uhr. Politische Rundschau. Dresden, den 8. April 1608. — Mittelmeerreise des Kaiserpaares. Der Kaiser, die Kaiserin und die übrigen Herrschaften kehrten von der Villa Sanderson in Messina am Sonnabend abend auf die „Hohenzollern" zurück. Am Sonntag vormittag hielt der Kaiser Gottesdienst an Bord der „Hohenzollern" ab, machte hierauf einen Besuch auf den Panzerkreuzer „Francesco Ferruccio", um sich nach dem Befinden des ersten Offiziers auf dem „Ferruccio" zu erkundigen, der bei dem Unwetter, das das Schiff vor Bari zu bestehen hatte, verletzt wurde. Der Kaiser besichtigte nachher die „Hamburg". Nach der Mittagstafel begaben sich die Kaiserin, Prinz August Wil helm und Prinzessin Viktoria Luise nach Taormina in einem Sonderzuge der italienischen Eisenbahn. Der Kaiser mit den Herren des Gefolges begab sich nach Castamea, einem Dorfe 1000 Fuß über dem Meere in den Bergen, von wo sich eine prächtige Aussicht über die Meerenge und die kalabrischen Berge, sowie über Sizilien bietet. Die Weiter- fahrt nach Palermo soll am Montag früh erfolgen. — AuS Korfu wird gemeldet, datz zwei englische Kriegsschiffe dort eingetrossen sind, um den Deutschen Kaiser bei seiner An kunft zu begrüßen. — Die Vertagung des Reichstages. Der „Vorwärts" teilt mit, ein starker Teil des Mocks wolle den Reichstag noch vor Ostern bis zum Herbste vertagt wissen. Man wolle daher bis in die Karwoche hinein tagen; bis dahin sollten außer anderen kleinen Vorlagen sowohl deS Vereinsgesetz als auch das Börsengesetz erledigt werden. Wir halten vor läufig eine so frühe Vertagung für unmöglich und für un zweckmäßig. Freilich scheint manches dafür zu sprechen. Da die Landtagswahlen ohne Zweifel anfang Juni stattfinden werden, wird es einigermaßen schwer halten, nach Ostern noch geraume Zeit einen genügend besetzten Reichstag zu sammenzuhalten. Man spricht deshalb davon, daß die Osterferien erst am 11. April beginnen sollen, und nur bis zum 23. dauern, so daß man um den 15. Mai vertagen könnte. Von den vorliegenden Gesetzen sollen noch er ledigt werden: Unterstützungswohnsitzgesetz, Münznovelle, Postscheckgesetz, Maß- und Gewichtsordnung und Vogelschutz- geseh. Am 3. oder 4. Juni finden die preußischen Wah len statt. — Marineinformationsreise. Am 11. Juni wird die diesjährige Marineinformationsreise der Budgetkommission beginnen und acht Tage in Anspruch nehmen. Zuerst wird Danzig besichtigt werden, dann geht es auf einem vom Nord deutschen Lloyd gemieteten Schiffe „Dersflinger" durch die Ostsee nach Kiel, durch den Kaiser-Wilhelmkanal nach Kux- haven und von hier nach Wilhelmshasen. Die Abgeordneten nehmen Wohnung auf dem Schiffe, da es in Kuxhaven und Wilhelmshafen an den erforderlichen Wohnungen fehlt. Vom Zentrum werden an der Fahrt teilnehmcn die Abge ordneten Gröber, Erzberger, Spahn, Speck, Müller-Fulda. Freiherr von Thünefeld und andere. — Wie hat der Kaiser den Etat unterschrieben. Der Reichshaushalt ist am 30. März zu Ende beraten worden» am 31. März stimmte ihm der Bundesrat zu und noch am Abend wurde der Etat mit der kaiserlichen Unterschrift publiziert, obwohl der Kaiser in Süditalien weilte. Wie war das möglich? Noch unseren Informationen hat der Kaiser vor seiner Abreise eine Blocknnterschrist gegeben; damit war die Sache glatt. Anders lag es in Preußen, wo der Etatselbst erst am 1. April fertig wurde ; lrotzdem wurde am Abend dieses- TageS das Gesetz pubiliziert. Wie war das möglich? Da das Herrenhaus nach der Verfassung kein Reckt hat. am Etat etwas zu ändern, sondern nur die Beschlüsse des Ab- geordnetenhauses annehmen oder ablehnen darf, so stand in Wirklichkeit schon seit einer Woche die Fassung, die der Etat endgültig erhalten würde, fest. Tsicse Fassung lag mit der Gegenzeichnung der Minister versehen, dem Kaiser schon vor und ebenso war der Satz in der Gesetzsammlung schon vorbereitet. Im Kabincttsdienst des Kaisers in Syrakus war man gewärtig eines Telegrammes aus Berlin, daß auch daS Herrenhaus den Etat genehmigt hat. Auf das Eintreffen dieses Telegrammes hin vollzog der Kaiser die Unterschrift unter dem EtatLgeseh; auf die telegraphische Nachricht, daß dies geschehen sei, lieh dann das Staats- Ministerium im Satz der Gesetzsammlung das Datum ein rücken und auch einige Exemplare des Blattes an dem nämlichen Tage ausdrucken und ausgeben. Von dem Verfahren gilt unzweiselhalt der Satz, daß Geschwindigkeit keine Hexerei ist. Ob es aber ganz korrekt ist. dies zu entscheiden, mag den Autoritäten des Staatsrechts vor- behalten bleiben. — Nach einer Münchener Meldung ist gegen die Zeitschrift März wegen des erfundenen Briefwechsels zwischen Kaiser Wilhelm und Lord Tweedmouth eine Reihe von Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft eingelaufeu und auch bereits ein Ermittlungsverfahren wegen groben Unfugs eingeleitet worden. Wir haben das erwartet, ob gleich wir die Polizeiknute hinter der Presse als rückschrittlich betrachten. Allein die Fälschung so wichtiger Dokumente» ist kein Witz, sondern einfach eine Irreführung der öffent lichen Meinung. Selbst die „Leipz. N. Nachrichten" schreiben darüber: „Die Redaktion des „März^ hält das Ganze an- scheinend für einen Aprilwitz. Sie steht mit dieser Auf fassung wohl allein. Das Thema ist nicht geeignet, für eine einfache plumps Täuschung, die fick darauf aufbaute, daß hinter dem Text eines kaiserlichen Handschreibens zu nächst niemand die Klopfpeistche des Politischen Hanswursts vermutete. Und so ist denn auch eine ganze Anzahl Berliner Blätter auf diesen angeblichen „Witz" hineingefallen. Die „Magdeburger Zeitung" hat sogar auch den englischen Text dazu abgedruckt, in dem sich übrigens noch gröbere psychologische Denkfehler finden. Man ist gern geneigt, der politischen Satire am kritischen Apriltage einen weiten Spielraum zu gewähren und selbst die Düpierten werden kaum böse sein, wenn sie auf einen wirklichen guten Witz hineingefallen sind, wie seinerzeit auf den zweiten Ab rüstungsvorschlag des Zaren, mit dem der „Vorwärts" 1900 zum 1. April aufwartete. Das löste ein herzliches Lachen aus, aber über dieses Stückchen des „März" kann niemand gelacht haben. An eine politische Satire reichte es nicht heran, und einfach einen fingierten Kaiserbrief zusammenstoppeln, ist ein billiges Vergnügen. Es ist ebenso geistreich, als wenn jemand seine humoristische Begabung darin zeigen zu müssen glaubt, daher die Feuerwehr „aus Spaß" alarmiert." — Es ist grober Unfug! — Koalitionsfreiheit der Landarbeiter. Das Zentrum brachte folgenden Antrag zum Reichsvereinsgesetze ein: „Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, dem Reichstage einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch welchen für diejenigen Ge biete Deutschlands, in denen entgegenstehende Bestimmun gen bestehen, auch den landwirtschaftlichen Arbeitern unter Wahrung der besonderen Bedürfnisse der Landwirschaft die Freiheit gewährleistet wird, Vereinbarungen zum Zwecke der Erreichung besserer Arbeitsbedingungen zu treffen. — Das amtliche Ergebnis der Abstimmung über den Zentrumsantrag betreffend die Aufrechterhaltung der ein- zelstaatlichcn Freiheiten, gegenüber dem RegierungSantrage läßt sich an der Hand der amtlichen Abstimmungsliste über blicken. Der Antrag auf Schluß der Debatte wurde mit 211 gegen 166 Stimmen abgelehnt. Der freisinnige Antrag steller Abgeordneter Dr. Müller-Meiniugen wurde bei der Abstimmung so konfus, datz er ungültig stimmte. Die Msehrheit des Fveijkms stimmte mit der Opposition gegen den Schluß der Debatte und nur die linksliberalen Abge ordneten Fischbeck, Heckscher, HermeS und Kobald und der
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)