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Beilage z« Nr. ISS der „Sächsischen Bolkszeitung" vom SV. Juli 1VV5. Neue Kirchenmusik. Festmesse in 0 für Chor, großes Orchester nnd Orgel von Josef Schmid, Domorganist in München. Berlog Lrukardt. Es ist immer sehr erfreulich, wenn ein Verleger den Milt hat, ein groß-r angelegtes Kirchenmuiikwerk herans- zugeben. Denn gerade auf dem Gebiete der Kirchenmusik besteht vielfach eine Verschiedenheit der Urteile, so daß die Aussicht, einen sehr großen Abnehmerkreis zu finden, sehr gering ist. Diese Zersplitterung hat ihren Grund in der langsam sich vollziehenden Einwirkung der modernen Musik. Ausgehend von der Oper hat sich die neuzeitliche Richtung der Konzertmusik bemächtigt und versucht nun auch in das Heiligtum der kirchlichen Musik zu dringen. Mit Recht? Ganz sicher. Ist doch das Hauptmoment der modernen Musik die Vermehrung und Steigerung der Ausdrucks, mittel, mithin des musikalischen Ausdrucks überhaupt, und Ausdruck, Empfindung ist speziell in der Kirchenmusik das Allerwichtigste. Der Empfindungsgehalt soll aber nicht nur durch die Singstimme wiedergegeben werden, sondern jedes einzelne, den Gesang begleitende Instrument kann durch den ihm eigenen Klang, sowie durch geeignete Nebenmotive und Bewegungsfiguren zur Hebung des Ausdruckes beitragen. Dementsprechend sind — uni ein Beispiel zu erwähnen — Figuren und Passagen, wie sie vor 100 nnd mehr Jahren in der Kirchenmusik üblich waren und unserem Geschmack mehr äußerlich Vorkommen, unmöglich geworden. Alle Aeußerlichkeiten müssen vermieden werden und können es, sobald der Komponist versucht, Text und Musik nicht nur der Hauptsache nach, sondern auch im Detail in Einklang zu bringen. Es ist beinahe selbstverständlich, daß ein Kom ponist, der das Wort „Kyrie" versteht und beim Sprechen empfindet, auch der Hauptsilbe, als der Trägerin der Emp findung, durch Dauer oder Tonfülle, allenfalls durch beides den größten Nachdruck verleihen wird. Damit soll nicht ge sagt sein, daß dieses Wort nun immer nur auf diese Art ge sungen werden könnte. Das hängt ganz und gar davon ab, durch welche seelische Verfassung der Komponist zu dem Aus rufe: „Kyrie" gedrängt wird. Dadurch entsteht eine Menge von Verschiedenheiten der Vertonung dieses Wortes, nie aber wird die letzte Silbe oder die zweite auf der höchsten und längsten Note zu singen sein. Die ins Detail gehende Berücksichtigung des Wortes, dem Inhalte und der Dekla mation nach, ist ein Wesentliches in der modernen Gesangs musik. Darum sollten alle, die dafür einstehen, daß der Text in der Kirchenmusik als Hauptsache behandelt werden soll, der modernen Richtung viel liebevoller entgegen- kommen. Die Orchestermusik hat nun die Aufgabe, diesen Aus druck noch zu steigern und zwar weniger durch Figuren und Passagen, als besonders durch den jedem Instrumente eige nen Klangcharakter. Freilich, wo das Orchester infolge seiner Unzulänglichkeit außerstande ist, den Ausdruck zu heben, verzichte man lieber auf dasselbe. Erlauben es aber die Verhältnisse und leisten die künstlerischen Mittel Getvähr für eine würdige Ausführung der Orchestermusik, so öffne man ihr bereitwilligst Tür und Tor und sei dankbar, daß I sie so viel Ausdrucksmittel an Klangfarbe mitbringt. An- ! statt dessen aber verhalten sich viele Interessenten feindlich, versuchen es gar nicht, sich mit dem Neuen zu befreunden und sind entrüstet, lvenn in einem ^rrnu» ckai zur Hebung des Ausdrucks ein übermäßiger Dreiklang versucht wird. Dafür liaben sie das Schlagwort: theatralisch. Freilich soll nichts übertrieben und vor allem nichts rein äußerlich sein, Was aber zum Ausdruck nötig ist, muß erlaubt sein, denn Musik ist Ausdruck, am allermeisten die instrumentale Kir- chenmusik. Wie steht es nun mit der genannten Messe? Es ist eine Festmesse mit großem Orchester, will also ans kleine Eborverhältnisse keine Rücksicht nehmen. Das Kyrie hat mehr einleitenden Charakter. Tie Stimmung ist in der Hauptsache eine leidgedrückte. In der Anlage viel Altes und Neues durcheinander, wie denn überhaupt die Messe verrät, daß der Komponist viel Sinn für moderne Kirchenmusik hat, der sich aber oft in alten Nahmen bewegt, um zu beweisen, daß er auch da — wohl von der Schule her — zu Hanse ist. Das Gloria bietet manches Interessante, wie znm Beispiel das „gni tollin" und den erhebenden Schluß. Im Credo macht bald nach dem kraftvollen Beginn das Festhalten einer Achtelsigur den Eindruck des Gekünstel ten. Im Verlaufe des „kt iinmiuntun <-nt" wie an man cher anderen Stelle stößt man auf eine unbeholfene Dekla mation. Ter bereits bei „kt in n;>iiitunl" anftretende Orgclpnnkt schwächt den sonst steigernngsfähigen Schluß. Viel tiefe Verehrung vor dem Allmächtigen atmet der Be ginn des Santtns und erhebt sich dann mächtig zu Lob nnd Preis. Das Benediktus ist vermöge der Durchführung des Pastoralen Charakters nnd der polyphonen Anlage der beste Teil der Messe, obwohl auch das „Xpmun ckoi" wegen seiner Innerlichkeit hoch cinznschätzen ist. Die Instrumentierung scheint nach den im Auszugs gegebenen Andeutungen sehr ausdrucksvoll zu sein. Im allgemeinen ist die Messe, die sehr sanglich ist, tkotz mancher Unbeholfenheiten in der An lage nnd Deklamation, trotz mancher bekannt klingender Phrase srendigst zu begrüßen, da auch in ihr mancher fromme Zug nnd einiges moderne Mnsikempfinden nicht zu ver kennen ist. Karl Pembaur. Lehrlingsnachweis Erfreulicherweise finden die Bestrebungen, die Vermitte lung von Lehrlingen im Handwerk systematisch zu organi sieren, in immer weiteren Kreisen Verständnis und Nach ahmung. Ausgegangen ist die Anregung dazu vom Mün chener Arbeitsamt, das bisher sehr gute Erfahrungen ge macht hat. In Köln hat ein besonderes Komitee die Lehr- lingsvermittelnng übernommen. In Straßbnrg gehen Ar beitsnachweis und Handwerkskammer zusammen. Ueber ihren Versuch, von Kammer wegen den Lehrlingsnachweis zu organisieren, berickstet in 'ihrem neuesten Jahresbericht (1003—04) die Handwerkskammer Dortmund. Zur Ein führung des neuen Unternehmens wandte sich die Kammer mit einem Rundschreiben an die Landräte, Bürgermeister, Amtmänner und Gemeindevorsteher, die Geistlichen beider I Konfessionen, sowie an die Schulrektoren und Hauptlehrer ! sämtlicher Elementarschulen im Handwerkskammerbezirk Dortmund, unter Beifügung von Formularen für Gesuche um Zuweisung von Lehrstellen mit der Bitte, die schulent lassene Jugend bezw. deren Eltern nnd Vormünder darauf aufmerksam zu mackien, und bei der Ausfüllung der For- nittlare tunlichst behilflich zu sein. Hinsichtlich der mit ihrem Nachweis gemacksten Erfahrungen heißt es im Kammerbericht: Was die Inanspruchnahme des Lehrlingsnachweises der Kammer anbelangt, so wurden bis Ende des Jahres 1004 von 180 Meistern Lehrlinge verlangt, während 148 Lehr stellen gesucht wurden. Zngewiesen wurden 02 Lehrlinge. Cs wurde die Beobachtung gemacht, daß bei dem Maler und Anstreicher-, Sattler- nnd Polsterer-, Lchreiner-, Schmiede-, Schneider-, Klempner-, Bäcker- nnd Barbier-Ge werbe die Zahl der Lehrlingsgesnche das Angebot bei wei tem übersteigt, so daß also in diesem Handwerken ein fühl barer Lehrlingsmangel vorhanden ist, während bei dein Schlosserhandwerk ein solches Ueberangebot von Lehrlingen besteht, daß der größte Teil der eingegangcnen Gesuche um Zuweisung von Lehrstellen in diesem Handwerk nicht berück sichtigt werden konnte. Tie neue Cinrichtnng hat nicht nur in den Kreisen des Handwerks, sondern auch bei den Be hörden nnd Schulrektoren lebhaften Anklang gefunden. Auf seiten der Herren Lehrer fanden die Bemühungen der Kam mer, dem Handwerk einen möglichst brauchbaren Ersatz zu- znsühren, volles Verständnis und wurden sympathisch be grüßt. Seitens der Schulleitungen wurde auch die Kammer darauf aufmerksam gemacht, daß die besten nnd fähigsten Schüler sich bereits längere Zeit vor dem Austritt ans der Schule Lehrstellen zu sichern pflegten, nnd daß cs daher angezeigt wäre, mindestens drei Monate vor der jedesmali gen Entlassung von Schüler» mit einem entsprechenden Er suchen heranzntreten. Dieser Anregung folgend traf dann die Kammer ihre Vorbereitungen für die Lehrlingsvcrmittlnng zum Oster termin 1005 bereits im Dezember 1004 durch ein Rund schreiben an die Rektoren nnd Hanptlehrer, in welchem unter Beifügung von Meldeformnlaren darum ersucht wird, die zu Ostern 1005 zur Entlassung kommenden Schüler ans den Lehrlingsnachweis der Handwerkskammer hinznweiseir. In diesem Schreiben wurde gleichzeitig gebeten, die Schüler auf das zurzeit vorhandene Ueberangebot von Lehrlingen im Sehlosserhandwerk und ans die sich dadurch ergebenden Schwierigkeiten zur Unterbringung von Lehrlingen in guten Cchlosserlehrstellen aufmerksam zu machen. Wird durch eine derartige Stellenvermittlung einmal der Vorteil erzielt, daß die Lehrlinge bei solchen Meistern untergebracht werden, bei denen ihnen eine gute Ausbildung gesichert ist, so erblicken wir in der Veröffentlichung der Er gebnisse der Lehrlingsvermittelung die Anfänge zu einer Bernfsstatistik d. h. in diesem Falle über die Aussichten in den verschiedenen Bernsen. Gerade die letztere als Maßstab für die Unterbringung der Lehrlinge in den wirklich aus sichtsvollen HandwerkSzweigen ist ein wichtiges Mittel zur Gesundung der Lage des Handwerks. — 28 — die meisten sogar mit Haß, ihre Blicke ans sie. Unter den Weibern befanden sich auch die Frau des Jörgbauern und ihre Nachbarin. Eben wollte der Vizekanzler die Zeugen alle zusammen mit vielen schönen, ernsten Worten vereiden, als sich draußen ein lautes Hin- und Her- reden verlauten ließ. Es war die Stimme des Schließknechtes, der, wie es schien, einem Manne mit rauher, starker Sprache den Zutritt verwehrte. Unwillig über die unehrerbietige Störung blickte der Richter zornig auf. Bevor er aber noch fragen konnte nach der Ursache der Störung, neigte sich de'- Vogt nahe zu ihm hin und flüsterte ihm zu: „Es ist der Jörgbauer von Hermcntingen, ein gar harter, eigensinniger Kopf und der beste Freund der Baderann." „Der beste Freund der Baderann?" wiederholte der Vizekanzler langsam und bedächtig. Aber es lag in dem Ton der wenigen Worte nichts Gutes; cs klang wie eine böse Drohung. Wenige Augenblicke später meldete der Kanzleiknecht: „Ein Mann aus Hermcntingen, der Jörgbauer, verlangt auch als Zeuge vernommen zu werden." „Der Mann will als Zeuge vernommen werden, und Ihr saget doch, er sei der beste Freund der Jnkulpatin," wandte sich der Vizekanzler an den Vogt. „Wenn der Jörgbauer Zeugnis abgebcn will, so ist es ganz sicher nicht gegen seine Freundin, sondern für dieselbe," entgegnete der Vogt hämisch. Dann fügte er hinzu: „Uebrigens kennen der Herr Vizekanzler den Mann. Er ist derselbe, der beim Herrn Vizekanzler in Sigmaringen war, um für die Baderann einzutreten." Der Vizekanzler dachte einige Zeit nach, dann befahl er, den Mann hercinzuführen. Breitspurig, ohne ein Gefühl von Angst oder Beklemmung, aber auch mit Achtung vor dem Richter trat der Jörgbauer näher, machte seinen Kratzfuß und schlenkerte mit dem schweren Filzhut. „Wer ist Er und was will Er?" fragte der Vizekanzler. „Ich bin der Jörgbauer von Hermcntingen. Was ich will? Zeugen- schaft will ich ablegen wegen der Ba-erann." - „Für dieselbe oder gegen sie?" fuhr der Vizekanzler fort. „Ich werde sagen, was ich weiß und was die Wahrheit ist. Hoffentlich tun das alle," erwiderte der Bauer und sein graublaues Auge flog über die Zeugen hin, blieb scharf auf Bachgayer haften und streifte dann nicht gerade freundlich seine Ehehälfte. „Es steht ihm nicht zu, eine solche Bemerkung zu machen," rügte Kir- singer, gereizt durch daS furchtlose, selbstbewußte Auftreten des Bauern. Der zuckte unbemerklich die Achsel und faßte dann festen Micks den Vogt ins Auge, der vor Zorn rot wurde. Da ließ sich aus der Schar der Zeugen eine flehende Stimnie vernehmen: „Allergnädigster Herr Kanzler!" „Was wollt Ihr, Frau?" fragte Kirsinger huldvoll. „Der Jörgbauer ist mein Mann. Saget ihm doch auch, daß ich nicht freiwillig hier bin, sondern daß mich das Gericht aufgefordert hat, Zeugen schaft zu geben." „Warum verlangt Ihr daS?" Diensteifrig und unterwürfig drängte sich Jakob Nestle nahe an den Wagenschlag heran. Ter Vizekanzler erwiderte seinen Kratzfuß mit herab lassender Würde, winkte dann aber dem Kanzleiknecht näher heran, der im Gefühl seiner Bedeutung neben dem Vogte stand. „Venzinger, er hat seine Sache also gut gemacht und die Jnkulpatin in sicheren Gewahrsam gebracht? Ist ihm nichts Besonderes vorgekommen, hat er nichts Verdächtiges vxihr- genonlinen?" „Vor dem Hause der Kohlerin habe ich eine Kröte nnd im Hansgang eine schwarze Katze bemerkt. Sonsten ist mir nichts Unrechtes ausgefallen. Das Weib sagte beständig, sie sei unschuldig nnd wisse von nichts." „So sagen alle," murmelte der Vizekanzler. „Und wo hat er sie untcr- gebracht, Vogt?" „Hier, gerade in dein Turm da," erwiderte Nestle eifrig. „Was, in dem Turm dort?" rief Kirsinger uud fuhr erschrocken in die Höhe. „Und er glaubt, ich würde das Tor passieren? So töricht werde ich nicht sein, mich sogleich bei der Einfahrt schon verlieren zu lassen, denn noch trage ich kein Gegenmittel an mir. Ich werde also nicht durch dieses Tor in die Stadt einsahren, sondern dort herum den Weg nehmen und das obere Tor passieren." Als die Veringcr von der klugen Vorsicht des hochgelehrteil Herrn nnd obersten Richters hörten, waren sie überzeugt, daß er der richtige Mail» sei und ihr Hexcnprozcß in guten Händen liege. Und es war nicht abzustreiten, daß Rat Kirsinger die Sache ernst nehme. Tenn als der Wagen vor dem Rat- Hanse hielt, ließ sich der Vizekanzler das Zimmer zeigen, welches znm Gerichts- lokal dienen sollte. Nachdem er verschiedene äußerliche Anordnungen ge geben, wie Tische und Stühle zu setzen seien, fragte er den Vogt: „Was trat man für Vorsichtsmaßregeln contra veneficia getroffen, wie das bei Heren nötig ist, wenn wir auch noch nicht von der Schuld der Jnkulpatin über zeugt sind?" „Der Herr Vizekanzler meint Schutzmittel gegen Zauber und teuflische Hinterlist," erklärte Wurmb. „Ich sehe schon, daß da nicht viel geschehen ist. Benzinger, hole er die Kiste von meinem Wagen herauf. Da wird er alles finden, was notwendig ist: geweihtes Malefizwachs, sonstige benedizicrte Sachen, Essig, Schwefel, schtvarzen Kümmel. Die Tcufelsgei>ßel und die Nieten legt er als ab schreckendes Zeichen auf den Tisch. Weihwasser habt Ihr doch selbstverständ lich, Vogt? Gut! Des weiteren ist noch bellte die Folterkammer und sämt liches Foltcrlverkzeng in guten Zustand zu setzen, damit wir nicht aufgehalten sind, wenn es nötig ist, die Folter anzittvenden." Nach einigem Nachsinnen fuhr der umsichtige Mann fort: „Ist die Stadt im Besitze eines Hcxenhemdes, Vogt?" „Wie sollten wir?" stammelte Nestle verwirrt. „Sieht er, Wurmb, wenn ich nicht an alles gedacht. Benzinger, unten in der Kiste findet er das Hemd. Es ist," lvandto er sich zu dein Vogt, „aus ganz grobem Hanf von sieben dreizehnjährigen Mädchen in sieben Tagen ge- woben. In den Säumen sind magische Zettel eingcnäht. Sollte die Jnkulpa- tin halsstarrig sein, so wir- sie das Hemd zum Geständnis bringen." (Nach dem Originalprotokoll.) Der Vogt hätte beinahe gelacht über den Aberglauben des Herrn Vize- Die Hexe von Beringen." 7