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Beilag« „^äcksiscken Volkszeitung" Die Finanzlage des Reiches. In unserem Reichsschatzamte herrscht große Not; der Etat für 1905 soll aufgestellt werden. Die Wünsche der Ein- zelressorts kommen scharenweise heran: es sind auch sehr viele recht begründete unter denselben, die man nicht mehr länger zurücfttellen kann. Dem Neichsschatzamte fällt die Aufgabe zu. das Geld hierfiir zu beschaffen. Aber das hat seine Schwierigkeiten, die weit größer sind als man gewöhn- lich annimmt. Schon das lausende Jahr bringt nicht ein. was inan gehofft und ausgerechnet hat. Der Reichstag hat bekannt lich das Defizit von 59,5 Millionen dadurch beseitigt, daß er 10 Millionen abstrich. die Einnahmen aus den Zöllen um 20 Millionen, aus der Zuckersteuer um 10 Millionen und aus der Maischbottichsteuer um 2 Millionen höher einsetzte und den Nest von 17,5 Millionen den Bundesstaaten als Matrikularbeiträge aufgeladen hat. Nun macht man be reits die Erfahrung, daß die Sache nicht ganz klappt. Die Zuckersteuer bringt wohl mehr ein, als der Reiachstag ein setzte: sie dürfte sogar ein Plus von über 10 Millionen über den Etatssatz abwerfen: anders aber ist es mit den Zöllen: diese bleiben teilweise nicht nur hinter dem Etatsvoranschlag zurück, sondern erreichen nicht einmal die Höhe der Erträg nisse des Jahres 1903: das ist recht schlimm, weil so ein Be triebsdefizit entsteht, dessen Deckung nicht gerade leicht ist. Nun hat für den neuen Etat bereits verlautet, das; er einen Fehlbetrag von über 80 Millionen aufweise. Wir halten diese Summe für glaubhaft, da die neue Militärvorlagc zu dem heutigen Defizit mit nahezu 60 Millionen hinzutritt. Woher nun das Geld nehmen? Das ist die bange Frage, die im Neichsschatzamte auf den Lippen aller Ge heimräte schwebt, und die Antwort ist nicht sehr leicht. Mit neuen Steuern geht es absolut nicht, gerade im jetzigen Mo ment vor Abschluß der neuen Handelsverträge würde der Reichstag jede Steuervorlage ganz und gar zerzausen und sie rundweg ablehnen. Aber für die Bedürfnisse muß doch gesorgt werden. Das ist richtig: deshalb müssen sich heute schon die Bundesstaaten darauf cinrichten, daß sie den Fehl betrag in der Form der Matrikularbeiträge zu tragen haben. Diese Aussicht muß im Bundesrat bei der Etatsanfstellung stets ausschlaggebend sein: sie wird dann zur größten Spar samkeit veranlassen. Nur die genaueste Sparsamkeit kann uns einigermaßen aus der Finanzt'lemmc helfen. Es sind deshalb auch all die Wünsche, .deren Erfüllung nicht absolut geboten ist, zurückzustellen. Man halte sich in allen beteiligten Kreisen und im ge samten deutschen Volke das eine recht klar vor Augen: Wer jetzt als stürmischer Dränger mit der Militärpensionsvorlage der Vermehrung der Unteroffiziere, Gehaltsaufbesserung usw. kommt, der erhebt damit den Nuf nach neue n Steuern! Diese Erkenntnis muß in die weitesten Kreise dringen. Will das deutsche Volk alle diese Forderun gen befriedigen, dann gebe es auch das Geld in der Gestalt neuer Steuern. Es gibt heutzutage nur eins: entweder größte Sparsamkeit oder neue Steuern! Wir entscheiden uns für das erstere und befinden Uns damit im Einklang mit dem Verhalten der Zentrumsfraktion, die immer aus Sparsamkeit gedrungen hat. Tic Hoffnungen auf den Goldregen durch die neuen Handelsverträge spanne man nicht zu hoch. Jedenfalls kommt derselbe dem Jahre 1905 noch nicht zu gute, da die Verträge erst mit dem 1. Januar 1906 in Kraft treten. Ob unmittelbar zuvor eine vermehrte Einfuhr von Getreide ein- treten wird, kann sein, ist aber sehr ungewiß: der Ausfall der Ernte von 1905 ist hierfür maßgebend. Aber wenn die höheren Zölle aber auch Mehreinnahmen betragen, so ist nahezu die Hälfte derselben bereits für die Witwen- und Waisenversicherung festgelegt (bekanntlich durch die I«-x Trimborn) und für den Rest sind schon Hunderte von offe nen Händen bereit. So ergibt sich unseres Erachtens, daß für das Jahr 1905 die allergrößte Sparsamkeit uns nnr retten kann. Wenn dann 1906 durch die Handelsverträge der Goldstrom sich ergießt, kann man im Reiche eher an die Erfüllung so mancher, gewiß begründeter Wünsche denken. Neichsschatzsekretär Freiherr von Stengel zeigt viel Initiative in seinem neuen Amte und man darf dem Deut schen Reiche gratulieren, daß ihm aus Bayern ein solch tüch tiger Finanzmann geschenkt worden ist. Er hat auch einen neuen Weg eingeschlagen, um die Anleihe des außerordent lichen Etats unterzubringen. Der Anleihebedarf ist vom Reichstage auf 214 Millionen Mark festgesetzt worden. Seither bat man sich nun im Neichsschatzamte damit behol fen. daß man hiervon zirka 200 Millionen unverzinsliche Schatzscheine bei der Reichsbank diskontierte, die noch im Portefeuille dieser ruhen. Dieser Tage nun trat das Reichs schatzamt au die Neichsbank mit der Mitteilung heran, daß der Stand der Neichsfinanzen die Begebung von Neichs- sclmtzscheinen erforderlich mache. Gleichzeitig äußerte auch Preußen denselben Wunsch. Obwohl seitens der Reichsbank gegen dieses Projekt gewichtige Gründe geltend gemacht wür den -- hauptsächlich dürfte wohl auf die starke Anspannung der Neichsbank hingewiesen worden sein — mußte das Reichsschatzamt an seiner Absicht festhalten. Am 21. Septem ber wurden die Einzelheiten festgesetzt, es werden nun durch das sogenannte Preußenkonsortium zirka 300 Millionen 3>t.- prozentige festverzinsliche Schatzanweisungen ausgegeben. Der Uebernalnnekurs derselben ist 100 Prozent. Die Lauf zeit beträgt 1 Jahre, doch ist eine Kündigung nach 2 Jahren zulässig. Die Durchführung der Transaktion liegt in den Händen der Neichsbank. Man könnte fragen: wie kommt mau zu diesem etwas außergewöhnlichen Wege? Aber ein mal ist festzustellen, daß die Begebung von unverzinslichen Schatzauweisungen auch ihre Grenzen hat, weil die Reichs bank auch noch andere Aufgaben erfüllen muß. Zu einer festen Anleihe ist man nicht geschritten, um den Jnnenmarkt zu schonen: der Kurs der einheimischen Papiere würde durch eine Emmission 3>/.prozentigcr Neichsanleiheu sehr gedrückt worden sein. Das wird jetzt vermieden, zumal diese 3«/^- prozeutigen festverzinslichen Sckxchanweisungcn gar nicht in die breiten Massen dringen. Im Interesse des Reiches und Preußens hätte es freilich gelegen, eine feste Anleihe aufzunebmcn: denn die Bege bung von mehrjährigen Schatzscheinen ist immerhin nicht völlig einwandfrei. Das Reich und Preußen könnten unter Umständen zu einem Zeitpunkt zur Rückzahlung gezwungen sein, zu dem ihnen das unerwünscht wäre. Diesen Beden ken wird zum Teil dadurch begegnet, daß zwar vom Schuld ner die Verpflichtung übernommen wird, nach Ablauf von 1 Jahren zur Rückzahlung zu schreiten, daß ihm aber doch frei steht, schon nach 2 Jahren die Kündigung jederzeit vor- zunchmen. Damit wird natürlich die Gefahr vermindert, daß dem Schuldner die Bindung an einen festen Perfallter min unter Umständen schwere Opfer kosten kann, beispiels weise im Falle eines Krieges. Man rechnet aber damit, daß von 1906 ab bessere und ruhigere Zeiten eintreten und daß dann das Reich ohne Gefahr für andere Anleihen dazu über gehen kann, die Schatzanweisungen einznlösen, sei es auch durch eine feste Anleihe, falls nicht dieselben im Wege der Schuldentilgung gelöscht werden können. Es ist somit die > Rücksicht auf die bundesstaatlichen und kommunalen An leihen, die den Ncichs'chatzsekretär diesen Weg beschreiten ! ließen, und man wird ihm hier seiner Initiative nur zustim- i inen tonnen. Vermischtes. V Häckel als Verteidiger von Mord und Selb st m o r d. Dazu kommt man, wenn man den Glau ben an Gott verläßt, und der Menschheit Predigt: Es gibt keinen Gott! Freilich, gibt es keinen Gott, der als Schöpfer, Erhalter und Endziel des Menschen Herr über Leben und Tod des Menschen ist, dann ist es ganz in der Ordnung, ja das Natürlichste der Welt, daß man, wenn man hoffnungs- und aussichtslos unglücklich ist, diesem Leben selbstherrlich ein Ende macht, ei» möglichst schnelles und möglichst leichtes; denn dann folgt ja wirtlich die „ewige Ruhe" des — Ver- moderus. Daun ist es auch nur ein Akt der Barmherzigkeit, einen hoffnungslos zum Tode Erkrankten von leinen Schmer zen durch Mord zu befreien, das ist ja dann nur Abkürzung seiner Leiden und seines Todeskampfes. Wenn das freilich zur Mode würde, sich selbst und den Nächsten ans Selbst- und Nächstenliebe zu morden, daun erst wird man erkennen, wel ches Unheil diese Art Selbst und Nächstenliebe der Mensch heit bringen wird, dann wird man aber erst recht erkennen, wie wahnsinnig und fluchwürdig es ist, der Menschheit den Glauben an Gott, den Herrn über Leben und Tod, zu rauben. Häckel aber ist es. der diele Theorie des Mordes und Selbst mordes verkündet in seinem neuesten Buch: „Die Lebens- Wunder". Häckel behauptet darin übrigens auch, jetzt schon tragen viele erfahrene Aerzte kein Bedenke», die schweren Leiden von hoffnungslosen Kranken auf deren Wunsch durch eine Gabe Morphium oder Eyaukalium abzukürzen. Andere Aerzte und wohl die meiste» Juristen seien allerdings der Ansicht, daß diese Handlung nicht erlaubt, ja sogar ein Ver - b reche n sei. — Dieser Glaube der Juristen geniert Herrn Professor Häckel nicht. Und er bat recht: Gibt es keinen Gott, so ist der Mord und der Selbstmord aus diesen Motiven kein Verbrechen. — 36 — Nach einer Weile raffte er sich plötzlich wieder auf. ging zu Holdsworth und sagte: „Lassen Sie mit dem Pumpen anfbören. Alle Mann sollen nach dem Hinterdeck kommen." Darauf verstummte jedes Geräusch; in feierlicher Ruhe schritt die Mann- sclmft nach hinten und stellte sich dort auf. Hell schien die Sonne auf ihre vor Erschöpfung bleichen Gesichter; doch kein einziges zeigte auch nur eine Schw eines Vorwurfes. Rauhe teilnahmsvolle Ehrerbietung lag in dem Benehmen aller, und traurig ruhten ihre Blicke auf ihrem alten, weißhaarigen Schiffer, als derselbe mit vor innerer Erregung bebenden Stimme sprach: „Leute, ich hatte gehofft, unseren armen alten Hücker bis nach Hanse flott zu erhalten, und bei ununterbrochenem Pumpen und mit einer Brise von hinten wäre uns dies auch gelungen, selbst in dem Zustand, in den der Sturm ihn versetzt hat, aber es dringt mehr Wasser ein als wir auspnmpen können, diHhalb will ich euch nicht länger mit nutzloser Arbeit guälen. Bei dieser See wird sich der Rumpf noch einige Stunden über Wasser halten, wir werden daher noch reichlich Zeit zum Aussetzen und zum Verproviantieren der Boote haben. Ihr seid alle miteinander brave, tüchtige Kerle, und ich bin überzeugt, daß ihr eine Ehre darein setzen werdet, dies auch gerade jetzt in unserer Lage durch Ruhe und Besonnenheit zu beweisen. In den Booten ist hinreichend Platz für uns alle. Das Langboot hat Raum für 13 Personen, und die drei anderen Boote für je sieben. Ich werde die Führung des großen Bootes über nehmen, der Obersteuermann, der zweite Maat und der Hochbootsmann die der übrigen. Jeder wird erfahren, in welches Boot er kommt. Es ist kein Grund für eine Ueberstürzung vorhanden. Mit Ruhe wird sich alles am leichtesten lind schnellsten machen. Die Deckwache wird jetzt noch weiter pumpen, die Frei wache gebt zum Frühstück und löst gleich nach Beendigung desselben die Deck wache ab. Hat diese dann auch gefrühstückt, dann wollen wir die Boote Her richten und ein Jeder sein Bestes tun. Gott möge uns in seinen Schutz nehmen! Amen!" Und „Amen" hallte es ringsum.nach. Darauf brachte die Mannschaft ihrem Alten ein kräftiges Hurra und verließ das Quarterdeck. Nunmehr wandte sich der Kapitän an die Passagiere: „Meine Herren und Damen! Es ist eine schlimme Lage, in die ich Sie gebracht habe. Wollte Gott, es wäre mir erspart geblieben, Ihnen das zu sagen. 10 Jahre fahre ich auf See, habe so etwas aber noch nie erlebt. Doch dies kommt hier nicht in Betracht. Nur sagen will ich Ihnen, daß ich weiß, was ich Ihnen schulde, und daß alle meine Kräfte und mein Leben Ihnen ge hören. Die Boote werden uns alle bequem aufnehmen, das Wetter verspricht gut zu werden, und es müßte seltsam zugehcn, wenn nicht jeder von uns heute abend noch sicher an Bord irgend eines Schiffes schlafen sollte, denn wir be finden uns gerade im Kurs der von den Verinigten Staaten nach England segelnden Schiffe. Ein Teil von Ihnen wird mit mir gehen, ein anderer mit meinem ersten Offizier, dem Sic unbcdingtesVertrauen schenken dürfen. Meine Dame»;, ich bitte Sie inständigst. fassen Sie Mut. ein sinkendes Schiff ist gar nicht so schlimm, wenn man noch im Besitz guter Boote und unter der Obhut von Männern ist. welche dieselben zu handlmben verstehen. Wir wollen jetzt hinuntcrgehen und herzhaft frühstücken, alsdann aber die Boote mit allem Nötigen versehen, und sie mit der festen Zuversicht besteigen, daß Gottes Auge, »velches alles sieht, auch über unS wachen wird." nach oben zurückkehren wollte, stand Frau Tennert bleich und angstvoll an der Tür ihrer Kabine und slüsterte: ./Nicht wahr, wir sind in großer Gefahr, Herr Holdstvorth?" „Das Schlimmste ist vorüber, hoffe ich," antwortete er in sorglosem Ton. „Scheuen Sie sich nicht, mir die Wahrheit zu sagen, ich kann alles er tragen, nur die Sorge um mein Kind läßt mir keine Ruhe. Wollen Sie sich seiner aiinehmen, wenn die Gefahr wirklich groß wird, wollen Sie es im Augenblick der Not beschützen?" „Na, so weit sind wir noch nicht; wenn es Sie jedoch beruhigt, will ich Ihnen aber versprechen, daß Sie auf mich rechnen können. Wir sind in eine üble Lage gekommen, doch da es jetzt hell wird, wird alles besser werden." „O Gott, was war das für eine schreckliche Nacht! Jeden Augenblick dachte ich, wir gingen unter. Das Wasser stürzte an meiner Kajüte vorbei; ich versuchte das Deck zu erreiche», aber ich war zu schwach, den Jungen .zu tragen." „Nun. Sie sehen ja. daß wir noch flott sind," cntgegnete Holdstvorth heiter. „Verlassen Sie sich darauf, daß wir unser Bestes tun werden, das Schiff zu retten. Folgen Sie meinen» Rat, legen Sie sich nieder, und ver suchen Sie zu schlafen. Das bißchen Wasser liier in der Kajüte bat nichts zn sagen; ein Schwabber bringt das wieder in Ordnung. Der Morgen kommt, und Sie segeln unter einem Mann, der sein Handwerk versteht." Hiermit nickte er ihr freundlich zu und ging wieder nach oben. Tie ganze lange Nacht über batte die Mann'chaft gepumpt, trotzdem aber war das Wasser Zoll um Zoll gestiegen, und als endlich der Morgen an brach, lag das Schiff tief im Wasser und schlingerte träge. Ten einzige!» Trost in aller Not bildete die ausgehende Sonne. Sie ergoß ein rosenfarbenes Licht über die weite unendliche Fläche und zerstreute das schwere Gewölk, welches an der Stelle ihres Aufgangs lagerte. Auch die See glättete ihre unruhigen Wogen, und ein herrlicher Tag brach über der Szene der Verwüstung an. Tie Freiwache war unten und schlief. Tie Hälfte der Deckwacbe stand an den Pumpen. Schon viele Stunden dauerte das Klirren und Klappern der Schwengel, und das Gurgeln des durch die Speigatten absließenden Wassers. Das Schiff lag jetzt wie ein Klotz auf dem Wasser und trug nur noch ein einziges, zersetztes Segel, das Deck bot ein Bild wildester Unordnung. Lose Rundhölzer hatten sich vor dem Eingang ,nr Kajüte gestaut. Die Vor derseite der letzteren lag in Trümmern, leere Fässer und andere Gegenstände verbarrikadierten die Hinderdecktreppen, und im Langboot, in welchem sich ein Teil des lebenden Vorrats befunden batte, schuxunine» ertrunkene Tiere. Ans beiden Leiten des Schiffes schleppten Ueberreste der zerrissenen und zer hauenen Takelage im Wasser. Die Püttingen waren verbogen und z»m Teil g" den' einen Cnde hcrausgeristcn, so daß das Eisen von der Scknfssscite abstand. Infolge der ihnen ausgesprochenen Bitte war bis jetzt noch keiner der PaOagiere aus Deck erschienen. Außer dev vnmpenden Leuten befand sich nur der Kapitän ans demselben und studier«!' die Seekarte, welche er sich lerausgeholt und auf dem einen Oberlicht ausgebrcitct batte, um nach den gestrigen Berechnungen wenigstens annähernd die Lage des Schiffes hcrauS- s I