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Zweites Blatt Sächsische Volkszeituag vom 15. April 1S1V Nr. 85 Kontroverssragen zur Pensions versicherung der Pcivatbeamten. In einer soeben unter diesem Titel erschienenen Flug schrift (I. Deterre, Aachen) behandelt Dr. Julius Hirsch eine Reihe schwebender Kontroversfragen, deren baldige Klärung als im Interesse der ganzen Bewegung liegend erachtet werden muß. Hierzu gehören u. a. die Frage der Behandlung der heute bereits Ver sicherten im Nahmen des neuen Gesetzes. Dr. Hirsch äußert sich hierzu folgendermaßen: In der zweiten Denkschrift der Regierung finden sich Erörterungen über die Zulassung von Ersatzinstituten, die in allen Stücken mindestens gleichwertiges wie die Staats anstalten leisten. Nun waren bei den von der ersten Denk schrift erfaßten Uebersicht (Nr. l8) nur 7,9 Prozent bei einer solchen Kasse versichert (6,1 bei Betriebspensionskassen, 1,8 bei privaten Anstalten). Die weitaus meisten Versicherten waren nur für einen Teil der Gefahren gedeckt, die jetzt durch die neue Standesversicherung erfaßt werden sollen, nämlich für Alters-, und Hinterbliebenenversorgung, und zwar ganz überwiegend in der Form der Lebensversicherung. Es waren von den befragten männlichen Angestellten in Lebensversicherungen privat versichert 28,2 Prozent, in Pen- sions- und Witwenversicherungen privat 7,9 Prozent. Nach den Voraussetzungen der zweiten Denkschrift haben wir mit 1476 623 versicherungspflichtigen Männlichen zu rechnen; treffen die Prozentsätze der Erhebung von 1903 (erste Denk schrift) auf die Gesamtheit zu, so haben wir zu rechnen an Lebensversicherten 416 408 männliche Angestellte, in Pen- sions- und Witwenversicherungen 116 641 männliche Ange stellte. Mag auch die Zahl der Versicherten in den Er hebungen von 1903 etwas hoch gewesen sein, so viel ist sicher: mit rund 400 000 solcher Leilversicherten haben wir zu rechnen. Was soll mit diesen geschehen? Stach den Erhebungen von 1903 zahlen sie durchweg 6,67 Prozent ihres Einkommens für diese Versicherungen. Zwingt man sie nun, ohne weiteres in die neue Staatsan stalt einzutreten und dort mindestens vier Prozent ihres Einkommens als Zwangsbeitrag zu zahlen, woher sollen sie denn das Geld nehmen, um ihre bisherigen Versicherun gen weiter zu bezahlen? Sie werden also gezwungen, durch die staatliche Pflichtversicherung die bisherige Versicherung oufgeben zu müssen. Selbst wenn sie sich eine sogenannte „aufbezahlte Police" geben lassen, verlieren sie bekanntlich den weitaus größten Teil ihres Versicherungsschutzes; so weit die Police zurückverkaust wird, hat der Versicherte durchaus großen Schaden und verliert den Versicherungs schutz ganz. Und das letztere wird nach den bisherigen Er fahrungen die Regel sein. Nun werden aber in der neuen Staatsanstalt irgend wie nennenswerte Hinterbliebenenrenten erst nach zehn vollbrachten Versicherungsjahren geivähri; die Leistungen zwischen dem fünften und zehnten VersichernngSjahre sind minimal. Bei einem Gehalte von 2400 bis 3000 Mark erhält die Witwe hier jährlich nur 112 Mark, also monatlich nur 9,35 Mark, ein Kind jährlich 22,40 Mark, also monat lich noch nicht 2 Mark; während dieser zehn Jahre bleiben die jetzt Versicherten ohne jeden Schutz. Während dieser Zeit werden jährlich rund zwei Prozent absterben, bis zum Ablauf der zehn Jahre also etwa 80 MO jetzt versicherte An gestellte. Nun kommen auf IM Angestellte (erste Denk schrift, Uebersicht 7 und 8) 61,5 Prozent Frauen und 124 Kinder. Es würde also, wenn inan auf die jetzt schon durch Teilversicherung Gedeckten keine Stücksicht nähme, der größte Teil von 148 OM Hinterbliebenen aufs schwerste geschädigt werden! Und das sind gerade die Hinterbliebenen der An gestellten, die besonders vorsorgliche Familienväter waren, die von ihrem durchweg so kärglichen Gehalte noch diese Versicherungsbeiträge zum Schutze ihrer Familie abgespart haben! Die neue Staatsanstalt soll doch eine Schutzanstalt für die Angestellten sein; sollen denn nun durch sie gerade die besten Angestellten, die sorglichsten Familienväter, aufs schwerste geschädigt werden und noch dazu so viele Tausende? Trennt man Alters- und Hinterbliebenenversicherung von der unsicheren Invalidenversicherung, so kann man zum mindesten die schon bestehenden Lebens- und Pensionsver sicherungen als Ersatz des ersten Teiles anerkennen, sofern sie gewissen Mindestanforderungen entsprechen. Wie man es im übrigen mit den Ersatzinstitnten hal ten will, ist eine Sache für sich. Einige Ausführungen hier über sollen in einen: in den nächsten Tagen erscheinenden Schriftchen über „Oesterreichs Privatbeamtenversicherung" niedergelegt werden. Neben den jetzt schon Teilversicherten werden dann weiter nach der zweiten Denkschrift ungerecht behandelt die Unverheirateten. Darüber in einem weite ren Artikel. Volkswirtschaft, Handel und Verkehr. I> Von dcr Berliner Börse. Fondsbörse vom 9. April. Die schon gestern beobachtete Verkaufsneigung der Börse setzte sich heute bei Eröffnung in verstärktem Maße fort, da die Ansicht überwog, daß die Geldlage noch keineswegs ge klärt sei, und ferner die sehr matten Notierungen Neuyorks verstimmend wirkten. Offenbar betrachtet mau hier die industrielle Entwickelung in den Vereinigten Staaten mit einem gewissen Mißtrauen und befürchtet, daß ebenso wie auf dem Kupfermarkte eine Enttäuschung der anderen folgt, und auch auf den übrigen Gebieten sehr bald von einer Ueberproduktion berichtet werden wird. Infolge der stark geworfenen Kurse wagten sich in der zweite» Börseustunde einige Käufer heraus, deren Eingreifen es zu danken war, daß die Kurse sich später etwas erholten. Jminerhin blieben auf allen Gebieten sehr respektable Abschwächungen zurück, die sich zum Beipiel am Moutaumnrkte auf durchschnittlich 1 '/<. Prozent beliefen. Von Bauten waren hauptsächlich Dresdner und Kommandit rückgängig, an: Bahnenmarkte unterlagen Amerikaner einem schärferen Angebote. Knrs- erhöhungen lagen nur ganz vereinzelt vor, zu erwähnen sind in dieser Beziehung Schantung mit !'''/» Prozent Steigerung: ferner Mittelmeerbahn, Lombarden und Hansa. Bemerkenswert ist noch, daß die oberschlesischen Montan werke von der Abflauuug weniger empfindlich getroffen wurden als die westlichen. Schluß schwach. Privatdiskont 3'/« Prozent (-s- '/,). — Produ^nbörse vom 9. April. Trotz des sehr ungünstigen amtlichen Saatenstandsberichtes hatten die amerikanischen Börsen vorwiegend in matter Haltung verkehrt, verstimmt durch gute Wetterberichte und starke Verkäufe der Baissiers. Auch der hiesige Frühmarkt lag schwach, da für Rechnung der Provinz mehrfach Abgaben stattfanden. An der Mittagsbörse befestigte sich nur Mai- Weizen auf einige Platzdeckungen und notierte 1/2 Mark höher als gestern, sonst blieb es matt, da die Weltver schiffungen ganz bedeutend zugenommen haben; Rußlands Weizenausfuhr stieg allein in letzter Woche um fast 40 000 Tonnen. Juliweizen und Roggen gaben Mark nach. Die ausländischen Offerten zeigten keine nennenswerte Ver änderung. Vermischtes. V Zum Mülheimer Eisenbahnunglück. Ter bei dem Mülheimer Bahnunglück schwer verletzte Zug führer des Militärzuges, der gegenwärtig noch im Kran kenhause liegt, machte die Aufsehen erregende Erklärung, daß er, alsbald nachdem er zu sich gekommen war, alle Kräfte zusammennahm und von der Stätte der Katastrophe einem Schnellzuge entgegengelausen wäre, der, von Opladen kommend, bereits von Mülheim aus sichtbar war. Es fei ihm gelungen, diesen Zug kurz vor der Unfallstelle zum Halten zn bringen. Da die Gleise voll von Soldaten stan den, die soeben den verunglückten Zug verlassen hatten, so wäre ein weiteres, namenloses Unglück herbeigeführt worden, wenn nicht der Zugführer trotz seiner schweren Verletzungen dem Zuge entgegengeeilt wäre. Alsbald nach der erreichten Warnung des Zuges brach der Beamte ohn mächtig zusammen und wurde ins Krankenhaus gebracht. v Wegen Vergewaltigung weiblicher Patienten in Hhpnose wurde der praktische Arzt und Spezialarzt für Chirurgie und Nervenleiden Dr. Egon Hart u n g in Nixdorf verhaftet. Theater und Musik. Dresden, 13. April. Infolge einer plötzlichen Er krankung des Fräulein T r e ß u i tz muß die für Donnerstag den 14. April im König!. Schauspielhause angesetzte Erst ausführung des Trauerspieles „Leidenschaft" von Herbert Euleuberg verschoben werden. Es geht an diesem Abend das Lustspiel „Ein Glas Wasser" mit Fräulein Ulrich als Herzogin von Marlborough, Frau Salbach als Königin in Szene. Die Erstaufführung des Trauerspieles „Leidenschaft" von Herbert Euleuberg findet Sonnabend den 16. April im Köuigl. Schauspielhanse statt. — Im König!. Schauspielhause wird Freitag den 15. April Herr Professor Siegwart, Friedmaun nochmals als Shylock in Shakespeares „Kaufmann von Venedig" auftreten. Dr.sdeir. Da, letzte Saison-Konzert desGewerbe« c» aus - 01 chesterL »and am Sonntag statt. Noch einmal waren alte Freu.,de und treuen Verehrer heibeigeeilt, um Meister Olsen m d seinrc K.irstlcriLar c.u baldigen. Herr Olsen bot nochmals als Solist in Paraphrase über Th:men der Oper »Der Bajazzo* von N. Lco-cwallo sein bestes Können, sodaß sich der Beifall nach semem Vorr-age g,r nicht !eg:n wollte. Such die Baüolt-Sutte »TSiueraida" von R. Drigo zeigte uns noch einmal ein so abge rundetes wunderbares, cxakles Zusammensptel aller Instrumente, — 96 — .Mein armer Vater," schrie Hanna auf. Sie hätte diesen schrecklichen Menschen am liebsten die Verachtung ins Angesicht geschleudert; aber sie unterließ es ans Furcht, seine Rache herauszuforderu. Sie konnte dieses all- zuschwere Opfer niemals bringen, lieber wollte sie sterben. Aber durfte sie nur an sich selber denken? Mußte sie nicht ihrem arme», blinden Vater die Heimat erhalten? Durfte sie ihn hiuausstoßeu ins Elend? Mußte sie ihn nicht retten? War es nicht ihre Pflicht, dies Opfer zu bringen? . . . Sie zitterte vor Angst und Grauen und Sorge, sie sah keinen Ausweg, leine Rettung. In ihrer Herzensangst flehte sie: „Laßt mir Zeit — nur ein paar Wochen! Ich muß erst mit mir zu Rate gehen, ehe ich das harte Wort ausspreche, das über mein Lebeusglück entscheidet. Aber quält mich nicht. Ich werde Euch selber Antwort gebe», wenn . . . wenn ich einen Entschluß gefaßt habe . . ." Ihre Kraft war zn Ende. Sie winkte mit der Hand, da ging dcr Knecht mit finsterem, drohenden: Gesicht. Als sich die Tür hinter ihn: geschlossen hatte, brach Hanna ohnmächtig zusammen. Martini kam näher — wie ein Schreckgespenst. Magnus Faller sah voraus, was dieser Tag bringen würde: den Amtsboten mit dein versiegelten Briefe . . . Kündigung aller Hypotheken . . . Gant . . . Schande und Elend. Er mußte das alte liebe Haus verlassen — die Heimat war verloren. . . Die Wucht dieses Schreckcustages drückte ihn nieder. Auch die beiden Mäd> chen waren niedergeschlagen, selbst Gretes fröhliches Lachen war verstummt. Tafinger saß Tag für Tag vor seinen: Schuldbuche. In seiner großen, steilen Schrift schrieb er- Brief auf Brief und schickte sie an seine Schuldner — und an jedem dieser Blätter hing ein Menschenschicksal. Die Bauern ans fünf Stunden in der Runde zitterten: wenn solch ein Blatt ins Haus flog, dann brachte es Gant und sicheres Verderben, denn Ta- fuiger inahnte nie ein zweites Mal. Am schlimmsten war cs im Erlengrunde. Alle Hypotheken waren ge kündigt, einzelne Besitzer hatten aus Not ihre Häuschen an Tafinger ver kauft; bis im Frühjahre hoffte er die meisten so weit zn haben, daß mit dem Abbruch begonnen werden konnte. An einzelnen Stellen hatte Tafinger bereits mit den Grabarbcitcn be ginnen lassen, und der harte Klang dcr Pickel und Aexte mahnte die Ve- wohner des Erlengrundes täglich daran, daß ihnen die Heimat in Trümmer geschlagen werden sollte. Machtlos standen sie dieser brutalen Gewalt gegen über. Wie sollte das nur in Zukunft werden? Schon jetzt war die Not groß, die Männer hatten keine Arbeit, die Kinder hungerten, die Frauen liefen blaß und krank, den Bettelsack auf dem Rücken, durch das Land. Die Erbitterung gegen Tafinger wuchs vou Tag zu Tag. Zu viele hatte er bedrückt, vielen Unrecht getan. Die Leute sahen in ihm ihren Be drücker, ihren Tyrannen — und haßten ihn. Seltsame Reden gingen von Mund zu Mund. Die Vergangenheit stieg aus ihrem Grabe empor, alte, längstvergejscne Geschichten wurden wieder lebendig, der Mund des Volkes fing zu reden an . . . Man sprach von Verrat und Treubruch, von Bedrückung, Meineid und Mord. „Di, Schuld steht ihm auf der Stirn geschrieben," hieß es. - 93 - Thilde besann sich einige Augenblicke, dam: griff sie sicher in die Tasten, schlug ei» paar Helle Akkorde a» und hrg-inn mit voller, starker Stimme zu singe»: Allmächtige Jnngsrnn, hör mein Flehen! Zu dir, Gepries'ne, rufe ich . . . Es war das Gebet der Elisabeth ans Tannhänscr. Thildes Stimme klang hoch und hell «nie feierlicher Orgelton, und in den Pinnostellci: so weich und schmelzend und mit einer Süßigkeit, die rein stes Entzückei: hervorrief. Ans allen Ecken und Winkeln des Zimmers schien es zn klingen und z» singen, wie ein freudiges Echo. Herr Fink hatte Tränen in den Auge». Er klatschte diesmal nicht, aber er trat zu Thilde und drückte einen Kuß aus ihre Hand. Und dann bat er leise um ein neues Lied, nur noch mn ein einziges. Thilde zögerte keinen Augenblick. Ihre schlanken Finger meisterten die Tasten, und mit aufwärts gerichtetem Blicke, wie in süßer Verzückung, sang sie Liszts wnnderbares Ave Maria . . . Ta hielt sich Frau Cornelia nicht mehr. „Entsetzlich!" stöhnte sie, hielt sich beide Ohren zn und eilte ans dem Zimmer. Tie Töchter begleiteten sie. Thilde tat, als bemerke sie die zornigen Augen Frau Cornelias nicht, die wieder znrückkehrte, als Thilde geendet und de» Beifall der drei Herren geerntet hatte. Sie setzte sich »eben Herrn Fink senior und fragte mit lustigen Augen: „Hat es Ihnen gefallen?" „Es war prächtig. Sie sind eine Künstlerin." „Nein, das bin ich nicht," wehrle Thilde ab. „Aber so ganz unwissend und dumm sind wir draußen in der Provinz doch nicht." Dann machte sie ernste Angei: und sagte zn dem alten Herr,:: „Nicht lvar, Herr Fink, wir wollen uns doch keine Komödie Vorspielen. Sie wissen doch, daß es eine ernste Sache ist, die mich und Mama hierhergesührt hat. Ich glaube, wir sollten uns darüber klar aussprechen." Herr Fink ward unruhig. Er blickte ans seine Frau, als erwarte er von dieser ein Wort, aber diese blieb stumm. Da platzte dcr alte Herr heraus: „Ja, Fräulein Thilde, mir gefalle» Sie ausgezeichnet— ausgezeichnet. Von mir ans —" Das lvar denn nun Frau Cornelia doch zn stark und riß sic aus ihrer Reserve: „Ich finde es für ein junges Mädchen sonderbar, eine so heikle Sache zu berühren," sagte sie sehr von oben herab. „Man muß sich doch erst kennen lernen." Thilde machte verwunderte Augen. „Kennen lernen? Ich dächte, Ihr Sohn, der Herr Assessor, hätte das Nötige bereits mit Ihnen besprochen, sonst wäre ich ja nicht hierhergekominen. Er hat doch bei meinem Vater um mich geworben, das müssen Sie doch wissen —" Die Dame erhob beschwörend die Hände. „Eberhard — ist — ist das »nähr? Trotz nieines Briefes?" „Allerdings, Mamal Aber . . ." Thilde unterbrach ihn. Sie erhob sich »nie eine beleidigte Königin. „Trotz Ihres Briefes," sagte sie scharf. „Das habe ich freilich nicht gewußt, daß Sie von Anfang an gegen die Verlobung waren. Sonst hätten wir und v - -