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Beilage za Nr. 106 der „Sächfifcheu Volkszeitung" vom 10 Mai !OOS. Aus Stadt und Land. —' Ueber dm am 26. Mai abends bei der Huldi - g un g der Bürgerschaft für Se. Majestät den König stattfindenden Lampion- und Fackelzug kön nen wir nachstehendes Mitteilen: Die „Vereinigte Dresdner Turnerschaft" (Allgenreiner Turnverein, Dresdner Turn gau und die Dresdner Turnvereine des Mittelelbgaues) hat die Leitung des Zuges übernommen. Nach den vor läufigen Beschlüssen, deren Abänderung und nähere Be stimmung in Einzelheiten noch Vorbehalten werden muß, stellt sich der Zug auf der Uhlandstrahe und den anschließen den Straßenzügen der Südvorstadt. Der Zug wird den Weg: Goethestrahe, Wiener Straße, Sidonienstraße, Lütti- chaustraße, Zinzendorfstraße, Johann Georgen-Allee, Mo- ritzstraße, König Johann-Straße einschlagen. Ob an der Ecke der Moritz- und Gcwandhausstraße eine Teilung derart statifinden wird, daß die linke Hälfte des Zuges durch die Gewainidhausstrahe und Kreuzstraße nach dem Altinarkt zieht, ist noch eine offene Frage. Aus dem Altmarkt wird nach Eintreffen Sr. Majestät die Sängerschaft drei Lieder vortragen: diesem Gesänge schließt sich der Ein- und Auf- marsch des Zuges auf den: Altnrarkte an. Die Turnerschaft wird in eigenartigem Aufmärsche Buchstaben und Verzie rungen bilden; danach wird der Herr Stadtverordnetenvor steher Jnstizrat Dr. Stöckel die Ansprache halten. Dieser folgen noch vier Lieder der Sänger und danach der Vorbei marsch des Zuges vor Sr. Majestät dem König, welck)er denselben vom Altan des Rathauses aus abnehmmr wird. Der Zug marschiert dann durch die Wilsdruffer Straße, Postplatz, Wettinerstraße, um sich am Ende derselben in ver schiedene Straßen zu zerteilen. Die Einteilung des Zuges in die verschiedenen Abteilungen kann erst erfolgen, wenn die Anmeldungen eingegangen sind. Es ist deshalb drin gend zu wünsche», ,daß die Anmeldungen möglichst bald und jedenfalls bis zum festgesetzten Zeitpunkte, den 10. Mai, bei der Stadthauptkanzlei, Rathaus, Zimmer 16, erfolgen. Bis jetzt haben ihre Teilnahme außer den Turnvereinen die Innungen, die Radfahrervereine, die Schützcngesellschaften, die Mlitärvereine, gewerbliche und Beamtenvereine und zahlreiche sonstige Vereine, sowie viele Fabriken und Ge- werbtreibende mit ihren Arbeiterschaften in Aussicht gestellt. Der Zug wird sehr belebt werden durch die diesmal mitzu- nehnvenden Fahnen und Banner, durch zahlreich gemeldete Reiter und Festwagen, sowie durch die Räder der Radfahrer und anderes. —* Wie sich echte Wissenschaft benimmt. Die Nachklänge der Häckelschen Reden tönen fort: die libe rale Presse der verschiedenen Schattierungen feiert immer noch den Jenaer Professor als eine Leuchte der Wissenschaft. Derselbe tritt aber in einer Art auf, die man sonst von echten und tüchtigen Gelehrten nickst gewohnt ist: er urteilt mit eruier Sicherheit und Bestimmtheit über die schwierigsten Fragen und hält sich selber hierin für unfehlbar. Nun wollen wir neben ihn einen Mann stellen, dessen Wissen schaftlichkeit über alle Zweifel erhoben steht, es ist Professor Koch, der Erfinder des Tuberkelbazillus. Vor einigen Jahren erklärte er auf dem internationalen Tuberkulosis- tongreß zu London, daß der Bazillus, der bei der an, Rind vieh beobachteten Form der Tuberkulose, der Perlsucht, wie sie im Volksmunde heißt, nicht auf den Menschen übertrag bar sei, außer in ganz seltenen Fällen, wo nach dem Genüsse infizierter Milch eine primäre tuberkulöse Affizierung des Dannes bemerkt wurde. Der Leser wolle nicht denken, das sck ein, Gelehrtenstreit, der ihn praktisch nichts angehc. Denn auf Grund der Annahme der Uebertragbarkeit hat man tuberkulöses oder der Tuberkulose verdächtiges Milch vieh im Werte ungezählter Millionen von Staatswegen be seitigt, die großen Städte haben sich die Untersuchung der Milchzufuhr auf Perlsuchtbazillen enorme Summen kosten lassen, und die Sterilisierung der als Kindernahrung be stimmten Milch galt in erster Linie der Zerstörung der von der Kuh etwa lierrllhrenden Krankheitskeime. Das Auf treten Kochs und das Häckels gegeneinander gehalten, spricht Bände: der erstere geht langsani und zögernd vor und stellt mit aller Vorsicht seine Thesen auf, mit jener Vor sicht, zu der jeder tvahrheitsliebende Forscher sich von selbst iwnötigt sieht, wenn es ihm um wahre Wissenschaft zu tun ist und der nicht eckleben will, daß seine Aufstellungen morgen über den Haufen geworfen werden. Häckel aber hält sich hieran nicht: über die allerschwierigsten Fragen, über welche sich die Biologen, Philosophen, Altertumsfor scher und Historiker aller Zeiten ihr ganzes Leben hindurch den Kops zerbrochen haben, spricht er sein leichtfertiges Ur teil aus und zeigt damit selbst, daß echte Wissensck)aft von ihm nickst geboten wird. —* Die drei Dresdner Rudervereine haben mit einer großen Auffahrt am 7. Mai vor der Brnblschen Ter rasse die diesjährige Saison eröffnet. —* Der Dresdner M ä n n er g e s a n g v e r e i n hat sein diesjähriges Sommerprogramm herausgegeben. Es sind darin in der Zeit vom 14. Mai bis 10. September nenn gesellige Unternehmungen vorgesehen, darunter die Mitwirkung bei der Königs-Geburtstagsfeier im Aus- stellungspalaste am 23. Mai, ferner verschiedene Ausflüge und Vergnügungen, sowie eine Herrenpartie nach Böhmen am 9. und 10. September. Für Sonntag, den 14. Mai ist als erste Progrannnnummer ein Spaziergang in der Dresdner Heide angesetzt. Pirna. Tie Stadtverordneten haben die Genehmigung zur neuen Kasernenbauanleihe erteilt, welche in Höhe von einer Million Mark bei der Freiberger Knappschaftskasse ausgenommen werden soll. Schmilka. Die Gemeinden von Postelwitz und Schmilka haben die Erbauung einer Straße am rechten Elbuser, welche die beiden Orte verbinden soll, endgültig beschlossen. Die erste Petition hierzu ist im Jahre 1887 an die Stände kammer eingereickst worden. Freiberg. Seitens der Streikenden sind keine weiteren Ruhestörungen vorgekommen, was wohl den energischen polizeilich'» Maßnahmen zu verdanken ist. Bei dem bedeu tenden Zuzug von außen vermindern sich die Aussichten der Streikenden auf irgend einen Erfolg. Als Hauptbeteiligter an dem KrcUvall ist der Maurer Börnert aus Pretzschendorf verhaftet worden. Außer ihm sind noch drei Arbeiter in Haft und weitere zwölf Personen werden sich vor dein Ge richte zu verantworten haben. Freiberg. Aus der Bezirksanstalt Hilbersdorf sind Freitag nachts zwei 20jährige weibliche Korrektionäre enr- sprangen, nachdem sie vorher Kleider und Wäsche gestoh len hatten. Chemnitz. Der diesjährige Derbandstag sächsischer Konsumvereine findet am 1. und 2. Juni hier statt. Meerane. An dem Maurerstreik nehmen etwa 60 Mann teil. Der bisher gezahlte Stundenlohn beträgt 36 bis 36 Pfennig bei 10sH Arbeitsstunden. Die Arbeitgeber haben die Forderung von 38 Pfennig und 10 Stunden Ar beitszeit nicht bewilligt. Auerbach. Durch unvorsichtiges Gebühren mit einen: 6-Millimeter-Teschin verletzte sich hier der 22 jährige Sohn des Klempnermeisters Claus schwer, indem sich die Waffe entlud und eine Ladung Vogeldunst ihm in den Mund drang. Kurort Schmeckwitz bei Kamenz. Am Sonntag fand die feierliche Eröffnung des neuen Kurhauses „Johannis bad" in unserem lieblichen Kurort statt. DaS Kurhaus bat eine ausgezeichnete, gegen Nord- und Ostwiude voll kommen geschützte Lage, ist ringsum von Laub-und Nadel- holzwald umgeben, der sich, zumal nach Norden, stunden weit ausdehnt. Wäre also das Johannisbad infolge der ozonreichen und reinen Lust schon zum Luftkurmt geeignet, so birgt es außerdem noch eine heilkräftige Eiscuschwcsel- guelle und besitzt große Lager bester Moorerde. Das neue Kurhaus ist aus das Modernste geschmackvoll eingerichtet, mit Zentralheizung und elektrischen, Lickit versehen, hat vor- treffliche Badekinr'ckstungeu verschiedener Gattung und besitzt 46 Zimmer. An den, anläßlich der Einweihung gegebenen Festessen beteiligten sich alle Gesellschaftskreise sehr zahl reich aus „ah und fern. Der Badearzt Dr. Rachel be grüßte im Namen der Besitzer die Tafelrunde, worauf Laudtagsabgeordneter Kockel in herzlichen Worte» den Wunsch aussvrach. daß die Heilanstalt vielen Erholungs- bedürftigen sei ein Ort der Erholung, für alle Leidende aber der Ort sei. wo sie vollständige Genesung finden mögen. Redner schieß seine Ansprache mit einem Hoch ans Seine Majestät den König, worauf die Sachsenhynme gelungen wurde. Lehrer Melzer rahm in Hinblick auf die national, konsessionell, wirtschaftlich und politisch in der Festversanimlnng vertretenen verschiedenen Richtungen Veranlassung, auf dis Einigkeit ?n toastiere». Nachdem Dr. Rachel noch des ehemaligen anwesenden Besitzers des Territoriums. Kohlenzechenbesitzers Johannes Noack. und seiner Verdienste in einer Ansprache gedacht batte, brachte Kantor Hille ans Erostwitz ein Hoch auf die Frauen ans. Es wurde sodann ein HnldigungStelegrawm an Seine Majestät der: König abgesandt. Au das Festessen schloß sich ein animiertes Kränzchen. Wir können znm Schluß nicht unterlassen, das vortreffliche Arrangement der Tafel in bezug auf Küche und Keller lobend hervorzuheben, welches Badedirektor Zander und seine Frau Gemahlin getroffen hatten. — 06 93 — gab dem Drängen der Kinder nach und trat an das Gitter, WÄches den Gurten tmn der Straße schied. In ihrer Nähe standen einige weibliche Personen, welche sich eifrig unter- lstelten; sie erkannte unter ihnen sofort die Stimme der Wirtschafterin des Präsidenten und ivandte schnell den Kopf nach der anderen Seite; deutlich per imH,,, sie aber, was die geschwätzige Frau ziemlich laut erzählte. „Es wird ein herrliches Fest sein, sie neunens zlvar nur ganz einfach, es sind ungefähr 50 Personen, aber lauter vornehme Leute. Die Trauung in der Kirche soll nachmittags um 3 Uhr sein: Fräulein Frieda wirk wunder schön aussehen in der langem Atlasschlepp,' mit den echten Spitzen; Präsidents sind reich genug, und der Bräutigam, der Regierungsrat von Ralbow, soll auch incht arm sein. Die Brautschwestern haben rosa Atlaskleider; es ist eine wahre Pracht." Wetter hört Lisbeth nichts mehr; die Frauen waren in den Garten getreten und schon zu weit von ihr entfernt. Also Frieda feierte ihre Hoch zeit und zwar mit Ralbow. Es tvar Lisbeth neu; sie hatte seit dem Austreten aus dem Hause des Präsidenten nichts mehr von der Fanrilie gehört. Bei dem Gedanken an Rolbow wollte ein Gefühl der Bitterkeit ihr Herz beschleichen; sie überwand es; sie gedackste der Freundlichkeit, welche sie stets gerade von seiten Friedas erfahren hatte, welche ihr nicht einmal Lebewohl hatte sagen können. Sie kam an einer Mumenhalle vorbei. Schnell entschlossen trat sie ein, kaufte ein entzückendes Bukett weißer Rosen und schon eine halbe Stunde später trug es ein Dienstmann nebst einigen herzlichen Worten des Glück wunsches in das Haus des Präsidenten. Mau war dort vollauf beschäftigt und als der Portier nur den einfachen, unadeligeir Nanren Fräulein Ulmenau hörte, Hafts er nicht viel Acht auf das herrliche Bukett und hätte es tvahrscheinlich auf die Seite gelegt, um es zu vergessen, wenn nicht in demselben Augenblicke Manfred vorbei gekommen toäve, der ebenfalls den Namen Ulmenau vernommen hätte. Der Dienstnmnn, nicht sehr zufrieden mit der Aufnahme — er hatte aus ein reichliches Trinkgeld gehofft — war schon im Begriffe, aus dem Hause zu gehen, da hielt ihn Manfred auf. „Sie sagten von Fräulein Ulnrenau?" „Ja, sie schickt das Brikett zur Hochzeit des gnädigen Fräuleins." „Hat Ihnen Frärllein Ulmenau selbst das Bukett übergeben?" „Hr." „So ist sie hier in der Stadt? Wo wohnt sie nur gleich?" „Beim Kanzleirat Güttor, Friedrichstraße 5, im dritter: Stock." „Ich danke vielmals. Hier!" Der Dienstmamr, sah in seiner Hand ein Goldstück blitzen. „Noch ein Wort! Wie sah denn Fräulein Ulmenau aus?" „Eine wunderschöne junge Darne mit blonden Haaren und blauer: Augen." „Noch einmal meinen Dank!" und Manfred ließ den freudig über raschten urrd verständnisinnig schmunzelnden Dienstmann stehen und sprang zrrrück in die Loge des Portiers. Da lag das weihe Rosestbukett, welches ihn: schöiuw dünkte, als alle Pracht und aller Glanz deS Hauses. Sorgfältig nahm er es an sich und ging damit zu seiner Schwester, nicht ohne unterwegs eine Knospe abzubrechen, die er für sich behielt. „Spotte nur nicht, lieber Paul. So eine alte Jungfer, wie ich, kommt aus mancherlei seltsame Ideen. Aber wer weiß, ob sie nicht dabei auch manch mal das Nichtige trifft und klarer in das Herz hineinsieht, als der eigene Be sitzer desselben. Dock), Scherz beiseite! Die Adresse des Briefes lautet an dich." Sie hielt ilm bei diesen Worte»: ihrem Neffen hin. Dieser wies ihn lächelnd zurück. „Die Adresse ist an mich, der Inhalt für dich; denn aus dem eigenen Vkunde des Fräuleins weiß ich, daß sie an dich schreibe»: wollte. Nun, für jeden Fall gebe ich dir die Vollmacht, den Brief zu öffnen; ich l)abe keine Ge heimnisse vor dir." Die Baronesse entfaltete das Schreiben; es enthielt nur wenige Zetten und diese schienen in größter Hast geschrieben zu sein; selbst ein Tintenfleck verunzierte das unsauber zusammengelegte Blatt. Dem aufmerksannm Auge des Barons entging nickst der ungünstige Eindruck, den das Aeußere des Briefes auf seine Tante mackste. „Du »mißt Nachsicht baben, Tantchen, sie war gezwungen, noch spät am Abend zu schreiben," sagte Baron v. Eggcnberg. Die Baronesse batte schnell den Brief überflogen. .Er ist an dich, lies selbst?" sagte sie in merkwürdig kühlem Tone. Ueberraickst nahm der Baron das Schreiben aus der Hand seiner Tante und las wie folgt: „Es nxn- eine l)errliche Idee von Ihne»:, mir bei Jbrer Tante eine Stellung ansznwirken und ich bin durchaus nickst unempfindlich gegen solch feine Anfnwrksamkeiteu. Leider aber kann ich das Anerbieten nickst annehmen. Ich kam: sck>oi: nicht von meinem Hubert fort; er käme um vor Eifersucht, und ick: glaube, er wäre fähig, mich anfzugeben und das kann ich dock) für den Angenblick noch nicht wagen nach dem alter: Sprichwort: Ein Sperling in der Hand m'w. Wanln Sie gegen mich so gesinnt sind. :vie ich hoffe und Sie mich ahnen ließen, so rechne ich bestimmt ans einen rockst baldigen Besuch von Ihnen und weiß ich erst genau, was ich von Ihnen zu erwarten habe, so soll mir Hubert durchaus kein Hindernis sein. ^Xu rovoirl Denken Sie noch „O Täler weit, o Höhen, o schöner, grüner Wald?" Mußte uns da die tugend- stolze Lidwina störe»:! Ja, schöner, grüner Wald! Ich wünschte, wir könnten bald darin promenieren. Nun Gute Nacht, du mein lrerziges Kind! Mir falle:: schon die Augen zu. Glückliche Reise! Ihre Lisbeth." Der Baron hatte den Brief beendet; er starrte aber noch darauf, wie einer, der eine Hieroglyphenschrift enträtseln will. ..Nun, Paul?" Die Stimme seiner Tante brachte ilm zu sich. „Das ist Zalcherei!" stieß er wild heraus. „Und solch ein Mädchen wolltest du nur empfehle::. Doch ich will dir keine Vorwürfe machen, mein armer Junge. Trotz deiner Gelehrsamkeit, trotz deiner großen Reisen hast du dir — Gott sei dank — noch ein recht un- erfalwmws Kinderherz bewahrt, das, selbst rein und lauter, nichts von der Verdorbenheit der Welt ahnt. Du hast jetzt eine bittere Erfahrung ge- nmcht." Paul von Eggenberg Hatto sein Haupt tief auf ihren Schoß gesenkt. Jetzt schaute er auf; die Baronesse sah die Spur von Träne»: in seinen Augen; ihre Vermutung wurde zur Sicherheit, daß der Schmerz ihres Neffen einen tieferen Grund hatte, als getäuschtes, allgemein menschliches Wohl-