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Beilage zur Sächsischen Volkszeitnng Nr. L48 ^ Sonnabend den 1. Juli 1916 j LS. Jahrg. Deutschland als Lehrmeister unserer Feinde Unsere Feinde suchen das Deutsche Reich als eine Art moralischen Ungetüms hinzustellen, um den jetzigen Krieg, der für England nur ein kapitalistischer Raubzug, für Ruß land, Frankreich und Italien hingegen ein Raubkrieg nach fremden Ländern werden sollte, als eine Art Befreiungs krieg von deutscher Barbarei, die die Völker bedrohe, hin zustellen. — Barbaren bekämpft man aber nur, man ahmt sie nicht nach; den Griechen, die den Perserkönig Terxes be kämpften. wäre es nie eingefallen, dessen persische Staats- einrichtungen als mustergültig in Griechenland einzuführen. Ebensowenig ahmten die Römer die Sitten und Gebräuche jener Völker nach, die sie als Barbaren ansahen und be kämpften. Bei den uns feindlichen Staaten finden wir aber gerade das Entgegengesetzte. Es gibt keinen Staat, den sie in jeder Beziehung eifriger nachahmen, als gerade das als Barbarenstaat verschriene Deutsche Reich. Frankreich hat bereits nach dem Kriege 1870/71 die deutsche allgemeine Wehrpflicht und auch die allgemeine Schulpflicht nachgeahmt, worin Preußen für alle übrigen zivilisierten Staaten mustergültig wurde. Rußland ist diesem Beispiele bezüglich der militärischen Reformen gefolgt. Gegenwärtig ist dies auch in England der Fall, das sich bis vor kurzem soviel darauf einbildete, die alleinige Groß macht der Welt zu sein, die der allgemeinen Wehrpflicht nicht bedürfe. Gerade auf militärischem Gebiete wird Deutschland überall als unbestrittener Meister und nach- ahmungswertes Vorbild angesehen, und da sind eS die uns feindlichen Staaten, die sich am meisten bemühen, soviel als möglich ihren gefürchteten Gegnern nachzuahmen und ihn womöglich an kriegerischer Leistungsfähigkeit zu über treffen. Tie Franzosen, Russen und Engländer, die seit Beginn des Krieges die Wirkung der deutschen schweren Artillerie so oft fühlen mußten, bemühen sich nun, Gleich wertiges zu schaffen, sie ahmen den Bau der deutschen Haubitzen und großkalbrigen Kanonen nach. Das gleiche gilt auch bezüglich der deutschen Land- und Seeflugzeuge, deren Trefflichkeit auch bei den Gegnern anerkannt wird. Die ausgezeichnete militärische Technik des Deutschen Reiches und Oesterreich-UngaruS ist aber nicht nur die Folge der kriegerischen Tüchtigkeit ihrer Völker, die ja von den Gegnern als ein Rest reaktionärer Barbarei angesehen wird, sondern sie ist auch der Ausfluß der wissenschaftlich begründeten technischen Ueberlcgenheit der deutschen und österreichisch-ungarischen Industrie gegenüber derjenigen der feindlichen Staaten. Deutschland ist auch bezüglich der Munitionserzeugung, die daselbst seit Beginn des .Krieges in umfassender Weise gebildet worden war, zum Lehrmeister aller Staaten des VierverbandeS geworden, die jetzt Deutsch land und Oesterreich-Ungarn auf diesem Gebiete nachzu ahmen suchen. So ist Deutschland der Lehrmeister der .Kriegstechnik für seine eigenen Feinde geworden. Aber auch auf dem Gebiete des Handels und der In dustrie, die nicht kriegerischen Zwecken dient, ist und bleibt Deutschland der Lehrmeister der feindlichen Staaten. Eng land hat in schnöder Weise den überseeischen deutschen Handelsverkehr abgeschuitteu, um auf diese Weise die bis- der von der deutschen Industrie versorgten Märkte in Amerika und Ostasien zu beherrschen. Doch mit welchen Mitteln ging es dabei vor? Es suchte nicht die Produkte der „deutschen Barbaren" durch bessere britische zu ersetzen. Die englische» Fabrikanten beraubten ganz einfach die deutschen Erfinder ihres geistigen Eigentums. Die in England eingetragenen Patente deutschen Ursprunges wur den ganz einfach gesetzlich als nichtig erklärt nnd dadurch ihre Nachahmung den englischen Fabrikanten erlaubt. Dem Gebrochene Schwingen (31. Fortsetzung) Auch Frau Liese war es heute den ganzen Tag über sehr unwohl gewesen. Sie empfand einen rasenden Schmerz in Kopf und Brust, cs flimmerte ihr vor den Augen und wiederholt kämpfte sic gegen Ohnmachtsanwandlungen an. In ihren Füßen lag es wie Bleigewichte und cs kostete sie übermenschliche Anstrengung, sich im Hause herum- .zuschlcppen und nicht zusammenzubrechen. Das arme Weib war am Ende seiner Widerstandskraft u «gelangt. Die übergebührliche Ausbietung ihrer Kräfte durch die Arbeit Tag und Nacht, die Entbehrungen, die fortwährende Sorge hatten sie aufgezehrt. Dazu kanien noch die Scham, wenn sie das Treiben des Trunkenboldes auf der Straße gewahrte, die fortgesetzten Streitigkeiten und Skandalszenen, wenn Jörg zu Hause ivar, die fortwährende Unruhe, ja Angst, in welcher sie lebte. Heute fühlte sich Frau Liese besonders beckrückt; wie eine Vorahnung neuen Unheils, eines gräßlichen Ereig nisses, lastete es ihr ans der Brust. Das wildpochende Herz trieb ihr das Blut in rasendem Tempo durch die Adern. Es war ihr sterbensweh zumute. Klein Lieschen schien den Zustand der Mutter zu ahnen oder zu empfinden, denn es folgte jeder Bewegung mit ängstlichen, großen Augen. Der Vater hatte sich den ganzen Tag noch nicht im Hause erblicken lassen. Er hatte gestern wieder ein paar Groschen für Aushilfe in« Steinbruch verdient und die setzte er heute in Branntwein um im „Krug". In solchen Fällen hatte er keinen Gedanken an seine Familie, da lebte er nur sich und seinem geliebten Alkohol englischen Piratenbeifpiele folgte Rußland, Frankreich und die übrigen mit diesen Staaten verbündeten Länder. Be sonders Japan ist durch diesen Raub geistig und materiell reicher geworden. So plündern die angeblich Zivilisierten den „deutschen Barbaren" ans. lind doch wie bedürfen ge rade die uns feindlichen Staaten der deutschen Produkte! Ter Mangel an Einfuhr deutscher Arzneimittel, die eben wegen der herrlichen Entwickelung der deutschen Industrie im Deutschen Reiche ebenso billig als ausgezeichnet bereitet werden, haben in ganz Rußland, in den Kolonien Groß britanniens und auch in Frankreich und Italien schwere Mißstände hervorgerufeu. Selbst die verwundeten Sol daten der uns feindlichen Mächte mußten darunter leiden, noch mehr aber die Zivilbevölkerung- Nun bemühen sich die uns gegnerischen Staaten, eine der deutschen gleich wertige chemische Industrie zu schaffen. Vergebens. Tenn die höhere Oualität deutscher Schulung läßt sich durch die Onautität, über die die uns feindlichen Staaten verfügt, auch auf dem Gebiete der chemischen Produktion nicht er setzen. Was bezüglich der chemischen Industrie gilt, gilt be züglich derjenigen fast aller Produktionsarten, in denen es auf fachmännische Schulung und tatsächliche geistige Ueber- legenheit ankommt. Dies gilt insbesondere bezüglich der englischen Handelsblockade nach Amerika und Asien gar nicht eingesührt werden können. Der dafür gebotene Ersatz minderwertiger englischer und französischer Produkte ge nügt nicht. Letzthin macht sich eine neue Nachahmung des deutschen „Barbaren" geltend. England und seine Verbündeten, besonders Rußland, sehen sich genötigt, die staatliche Lebens mittelversorgung und Verteilung des Deutschen Reiches und Oesterreich-Ungarns in ganz bedeutendem Maße nachzu ahmen. In de» Staaten des Vierverbandes beginnt trotz der riesigen Reserven von Lebensmitteln und Rohprodukten eine Art Knappheit an wichtigen Lebensmitteln einzutreteu. Diese Staaten wollten zu Beginn des Krieges nichts von Maximalpreisen wissen, man verspottete daselbst die deut schen Lebensmittelkarten. Tie Folge davon war nur, daß man in allen Staaten des VierverbandeS dem Lebens mittelwucher alle Wege ebnete und ihm alle Tore öffnete. Nun tritt in Rußland nicht nur eine Zuckerknappheit ein, obwohl dieser Staat sowohl in den inneren als auch in den südlichen Landschaften über riesige Flächen verfügt, Ivo Zuckerrübenbau betrieben wird. Man hat in diesem Reiche mit seinem Viehstand rücksichtslos gewirtschastet. Nun ist man daselbst genötigt, ebenso fleischlose Tage einzuführen, »sie dies in den Staaten Mitteleuropas der Fall war. So hat nicht nur Berlin und Wien seine Lebensmittelsorgen, sondern auch die größeren Städte Rußlands. Auch in Eng land, in welches in Friedenszeiten ans allen Ländern des europäischen Kontinents Rübenzucker eingesührt worden war, beginnt sich eine Zuckernot geltend zu machen. Eng land wird nun mit dem Kolonialzucker Amerikas und seiner Kolonien verproviantiert. In Frankreich herrscht eine bedeutende Fleisch- und Milchnot, in Italien eine Not au nahezu allen Lebensmitteln und außerdem noch an Kohle. — So ruft man nun in allen Ländern des Vier verbandeS nach richtiger, durch die Behörden durch zuführender Verteilung der Lebensmittel. Will inan aber dies, so muß man notgedrungen den „Barbaren" nach ahmen, d. h. das Deutsche Reich und Oesterreich-Ungarn, man muß die umsichtigen behördlichen Verfügungen, die in Berlin und Wie» erflosseu sind, in sinngemäßer Weise auch in den Staaten des Vierverbandes zur Durchführung brin gen. So wird das von den feindlichen Staaten in ge hässiger und verleumderischer Weise als „Barbarenstaat" verschriene Deutsche Reich, sowie auch Oesterreich-Ungarn zu Lehrmeistern ihrer ärgsten Feinde. und aus Nachhausegehen dachte er dann nur, wenn der letzte Heller vertrunken war und es nichts mehr für ihn gab. Dann erst ging er nach Hause und tobte dort, bis er vor Müdigkeit einschlummerte, oft bis zum grauenden Morgen. Wenn er nur nicht mehr heimkehren würde; so dachte Lieschen oft mit kindlichem Sinne, denn es empfand nur »och Furcht vor dem Vater. Alle übrigen Gefüllte waren längst verschwunden. Es sah in dem Vater nur noch die Person, welche ihnen das Leben verbitterte, welche Streit und Zank ins Haus brachte, welche der Mutter Kummer und Schmerz verursachte und von welcher sie alle sogar körperliche Mißhandlung zu gewärtigen hatten nnd oft auch erleiden mußten! An der Mutter hingegen hing Lieschen mit leiden schaftlicher Liebe, gleichsam als »volle es ihr Entgelt ge währen für die verlorene Gattenliebe. — Langsam war der Tag zur Neige gegangen. Frau Liese hatte sich für kurze Zeit vom Krankenbette Trndchens losgerissen, uni das frugale Nachtessen zu bc, reiten, das sie dann mit Lieschen ziemlich schweigsam ver zehrte. Lieschen aß in gewohnter Weise, während die Mutter kaum einige Bissen zu sich nahm. Sie hatte auch gar keinen Hunger. Auch während des Essens warf Lieschen der Mutter spähende Blicke zu, was dieser nicht entging. Sie sah, daß sich das Kind um sie sorgte. Ein eigentümliches Gefühl kam über sic und sie nahm sich vor, die Gedanken des Kindes auf etwas anderes ab zulenken. Nach beendeter Mahlzeit ging sie nach Trudchens Be- finden sich nmzusehen, und da die Kleine schlief, so kam sie wieder in die Stube zurück, setzte sich zu Lieschen und er zählte ihm von dem Weihnachtsfeste, das vor der Türe stand. Fortschritte der katholischen Caritas organisation in Deutschland Tie im August 1015 zu Fulda versammelteu deutschen Bischöfe babeu die Organisation der Earitas in ihren Diözesen und den Ausschuß dieser Tiözesan-Organisationen au den allgemeinen Earitasverband in Freiburg i. Br. ein mütig zum Beschlüsse erhoben. Tie seit zwei Jahrzehnten im katholischen Deutschland vom Earitasverband ver> tretenen Bestrebungen hatten zwar schon seither die Zu stimmung der einzelnen hochwürdigsten Bischöfe gefunden. Aber nunmehr ist ihnen die feierliche G>fft>eißung des höchsten Areopags der katholischen Kirche in Deutschland zuteil geworden, und der wirkliche Ausbau der Caritas- orgauisatiou ist damit als Aufgabe der kirchlichen Behörden anerkannt. Wie erfreulich dieser Beschluß der hochwürdigsten Bischöfe zum Ausbau der EaritaSorganisationen und zur Belebung der Earitasarbeit beigetrage» hat, zeigen die Fortschritte, die in dem tetzten Jahre durch Gründung neuer D i ö z e s au - E a r i t a s v e r b ä n d e nnd durch Abhaltung von T i öz e j a u - E a r i t a s t a g e n und -kur s e u gemacht worden sind. In acht Diözesen (Breslau, Ermland, Freiburg, Glatz, Limburg, Metz, München, Straßburg) war die Earitas- orgauisaliou bereits vor dem Beschlüsse der Fuldaer Bischofskouserenz durchgeführt. Inzwischen sind neue Diözesau-Earitasverbände in den Diözesen Paderborn, K öl», Trier und O s u a b r ü cl gegründet worden, so daß gegenwärtig zwölf große Tiözesau-CaritaSverbände be stehen. In der Diözese Münster wird noch im Laufe des Monats Juli bei Gelegenheit eines Tiözesau-Earitastages ein Tiözesau-Earitasverband gegründet werden. In den Diözesen H ildeshei m , R ottenb u r g, Augsburg und RegeuSburg sind bereits Vorbereitungen im Gauge, um Diözesau-Earitasverbände ins Leben zu rufen. Neben dein Ausbau der Earitasorganisatiou geht rüstig die Belebung der Earitasarbeit und die Schulung für die durch den Krieg hervorgernfeneu neuen Earitasausggben einher. In Dortmund, Köln, Trier und Osnabrück fanden anläßlich der Gründung der Diözesan-Earitasverbände große Diöz e s a u - Earit a s t a g e statt, auf denen die wichtigsten Fragen der neuzeitlichen Earitas eingehend be handelt wurden. Alle genannten Earitastage zeichneten sich durch einen überaus regen Besuch der Earitasfreunde aus dem Geistlichen- und Lnienstaude, insbesondere auch aus der Frauenwelt, aus. Ter Earitasverband für die Erzdiözese Frei bürg veranstaltete vom 0. bis 12. Mai dieses Jahres einen be sondere» Lehrgang über Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebeneu-Fürsorge, um seine Mitglieder auf die so wichtige Mitarbeit in dem Verein „Badischer Heimat- dauk" vorzubereite». In M ü u st e r wird bei Gründung des Diözesau-Earitasverbaudes am 25. Juli ein Diözesan- Earitastag stattfiudeu. Ter Earitasverband für Ber- I i u und Vororte bereitet für den Monat September be reits einen Earitastursus vor, aus dem die Fragen der. Kriegscaritas und der Kleiukindcrfürsorge von Fach männer» behandelt werden sollen. Im äußersten Osten unseres Vaterlandes wird sich ein Earitastag in Königs berg, dessen Vorbereitung der Earitasverband für die Diözese Ermland übernommen hat, im gleichen Monate anschließen. Die Mitglieder des allgemeinen Earitasverbands- AuSschusses und die Vorstände der bestehenden Diözesan- und Orts-Earitasverbände werden sich am 6. Juli in Frankfurt a. M. zu einer wichtigen Besprechung über Organisationsfrage» zusammenfindeu. Klein Lieschen lauschte mit verbaltenem Atem der Schilderung der Mutter von der Geburt des Christkindes, das in noch ärmeren Verhältnissen lebte als wie es selber, das doch eine regelrechte Wohnung hatte, während jenes in einem Stalle zur Welt gekommen war. Und als dann die Mutter ihm gar mitteilte, daß das Christkind auch dieses Jahr zu ihm kommen und ihm gar schöne Sachen bringen werde, da leuchteten seine Aeuglein froh auf. Er rückte ganz dicht zur Mutter hin, um etwas Näheres über die zu erwartenden Geschenke zu erfahren. Wie wohl tat cs Frau Liese, daß sie dieses Jahr tat sächlich den Kindern eine Bescherung in Aussicht stellen konnte dank der Freigebigkeit der Frau Direktor, die ihr gestern mitgeteilt hatte, daß sie den Kindern eine Weih- nachtssreudc bereiten wolle. Als Lieschen vernahm, daß es verschiedene Kleidungs stücke, Nüsse, Aepfel und Backwerk und außerdem noch eine sehr schöne Puppe erhalten werde, wenn es brav für den Vater bete, da kannte das Entzücken des Kindes keine Grenzen mehr. Jubelnd fiel es der Mutter um den Hals und bedeckte deren Gesicht mit glühenden Küssen. „Mammi, liebes Mammele," jauchzte Lieschen, „o wie lieb ich das Christkindlein habe, das mir so schöne Sachen bringt, grad so lieb wie dich. Ich werde aber auch immer recht artig sein, gel Mammi. und recht viel für den Vater beten, damit auch er wieder lieb zu dir und uns allen wird. Gel, auch an ihn wird das Christkind denken nnd ihn be suchen? Und auch dir wird es eine Freude bereiten? Du hast es doch sicher ebenfalls verdient." Frau Liese stieß einen tiefen Seufzer aus. dann preßte sic das Kind stürmisch an sich und erwiderte: „Bleibe immer so brav. Liebling, dann bin auch ich glücklich. Denn schau, ibr beide, du und dein Schwesterchen, ihr seid ja mein einziges, fein großes Glück auf dieser