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Zweites Blatt Sächsische BolkSzeituag vow 25. November 1VN Nr. 268 Sächsischer Landtag. Dresden, den 23 Rooember t»l1 Erste Kammer. Dir Erste Kamm-w erledigte heute in einer kurzen Sitzung zunächst die Registrande und verschiedene Beschlüsse auf die Eingänge. Zu Mitgliedern deS Landtagsausschusses zur Verwal- »ung der Staatsschuld nuten die Herren Oberbürger meister Geh. Rat Dr. Beutler, Bürgermeister Dr. Käubler und Kammerhcrr Graf Rex-Zehista und zu Stellvertretern die Herren Rittergutsbesitzer v. Hübel, Graf v. Könncritz und Oberbürgermeister Keil gewählt. Den Bericht der 4. Deputation über die Zusammen stellung der während des ordcntlicl>en Landtages 1900/U) von den Kammern gefaßten Beschlüsse und gestellten An träge und der darauf gefolgten Erledigungen und Ent schließungen erstattete v. Scl>önberg-Mockritz. Die Kammer erklärte sich mit dem Bericht einstimmig einverstanden. Nächste Sitzung: Freitag U12 Uhr. Tagesordnung: Beschlußfassung über das Königs. Dekret betr. die vor läufige Erhebung der Steuern, Petitionen. Zweite Kammer. Die Zweite Kammer beschäftigte sich heute mit einer abermaligen Dauersitzung mit den Interpellationen von freisinniger und sozialdemokratisck>er Seite über die Lebens m ittelteuer u ng. Die freisinnige Interpellation hatte fol genden Wortlaut: „Welcl-e Stellungnahme hat im Bundesrate die König liche Staatsregierung gegenüber Maßnahmen zur Herab- minderung der Lebensmittelteuerung eingenommen und was gedenkt die Königliche Staatsregierung in dieser An gelegenheit noch zu tun?" Die Interpellation der sozialdemokra tischen Fraktion lautet wie folgt: Was Hat die Königliche Staatsregierung getan und was will sie weiterhin tun, um der bestehenden Lebens- mitteltenerung entgegenzuwirken?" Am M i n i st e r t i s ch e bemerkte man die St, ls- minister Grat Vitzthum von Eckstädt und v. Seydewitz. die Ministerialdirektoren Dr. Roscher und Dr. Schroeder, sowie mehrere Negierungskommissare. Die Tribünen waren bis auf den letzten Platz besetzt. Staatsminister Graf V i tz t h u in erklärte sich namens der Staatsregierung bereit, die Interpellation zu be antworten. Abg. Günther (Fortschr. Vp.) verwies zunächst auf die Wirkungen und die Verbreitung der Maul- und Klauen seuche in Sachsen, sowie auf die große Dürre des letzten Sommers. Von sozialdemokratischer Seite sei bei der Be urteilung dieser Fragen vielfach über das Ziel hinausge- schossen, da hier gesagt worden sei, daß der Zwischenhandel die Schuld an sder Preissteigerung der Nahrungsniittel trage. In erster Linie sei die große Trockenheit die Ur sache der allgemeinen Teuerung, da hierdurch zu wenig An gebot von Nahrungs- u,rd Futtermitteln vorhanden ge wesen sei. Es sei auch festgestellt worden, daß die Klein händler zum Teil noch zu alten Preisen verkauft hätten, obwohl die Großhändler und die Fabrikanten die Preise bedeutend erhöht hätten. Die Angriffe auf die Kleinhänd ler müßten infolgedessen auf das richtige Maß zurückgeführt werden. Der Redner besprach nunmehr die Vorgänge im Reichstage bezüglich der Teuerung und die Stellung der Fortschrittlichen Volkspartei hierzu, die selbstverständlich nicht zu den enragierten Freihändlern gehört. Daß aus vielen Futtermitteln keine Zölle liegen, sei jedenfalls kein Verdienst der Agrarier. Bereits in der Thronrede seien Maßnahmen zur Hebung der Teuerung angekündigt wor den und das Volk erhoffe eine Antwort der Staatsregie- rnng, die allgemein befriedige. Er hoffe auch, daß die säch- sisck)e Staatregierung für Maßnahmen im Bnndesrate ein- treten möchte, die dem Wohle des Volkes dienen. Abg. Sinder mann (Soz.) begründete hierauf die sozialdemokratische Interpellation. Er knüpfte an die Rede des Abg. Günther an und meinte, daß sich Eugen Richter heute im Grabe umdrehen wiirde, wenn er hören könnte, was seine Epigonen über die Schutzzollpolitik sagten. Die Rede des Abg. Günther sei ein Liebeswerben an die Kon servativen zur Wahlhilfe im 23. sächsischen Neicl-stagsivahl- kreise, denn wenn der Abg. Günther hier zur Stichwahl komme, dann brauche er die Konservativen sehr notwendig. (Heiterkeit.) Gegenüber den Ausführungen des Vorred ners müsse er fcststellen, daß die freisinnige Volkspartei 400 Millionen Mark indirekte Steuern und Zölle be willigt hätte. lAbg. G ü nthe r ruft dazwiscl>en: Das ist nicht wahr!) Abg. Sinder mann (fortfahrend): Eine kolossale Steigerung der Lebensmittel sei unbestreitbar und zahl reiche Gemeinden hätten sich bereits hiermit beschäftigt und Gegenmaßregeln ergriffen. Dies seien jedoch alles nur Palliativmittel, und in einer Zeit, wo die Arbeitslosigkeit immer mehr znnehme, müsse man an weitere Maßregeln denken. Selbstverständlich trage die große Teuerung mit einen Teil der Schuld, doch sei die Getreideernte verhältnis mäßig gut gewesen. Die Trockenheit habe wohl eine Ver teuerung der Futtermittel herbeigeführt und hiergegen habe die Staatsregierung Maßnahmen angeordnet. Man müsse sich jedoch fragen, warum die Getrcidepreise immer »och so hoch seien. Nach seiner Meinung trage unsere ganze Zoll- und Steuerpolitik, sowie das System der Einfuhr scheine die Schuld, wodurch den Großhändlern bedeutende Summen in die Taschen flössen. Er sei weit entfernt, zu sagen, daß durch die Landwirtschaft die Teuerung ver- nrsacht worden sei, sondern unsere Schutzzoll- und Steuer politik müsse zu einer Katastrophe führen. Die landwirt- schriftliche Bevölkerung sei bedeutend zurückgegangen und könne infolgedessen das deutsche Volk nicht mehr ernähren, da die Fleisch- und Brotproduktion mit dem Anwachsen der Bevölkerung nicht gleichen Schritt gehalten habe. Der Redner besprach dann die Wirkung der Getreidezölle. Er habe erivortet, daß die sächsische Staatsregierung ihren Ein fluß im Bundesrate für die Suspendierung der Getreide-, Fleisch- und Futtermittelzölle geltend gemacht hätte. Tie Konservativen ständen auf dem Standpunkte, daß die gegenwärtige Zollpolitik beibehalten werden müsse, deshalb rechne auch die Sozialdemokratie nicht auf sie zur Uh- stellnng der Mißstände Er wende sich heute deshalb an die Mitte des Hauses und niack-e darauf aufmerksam, daß wir großen Lohnkämpfen cntgegcngingen, da die meisten Familien in Sachsen ein Einkommen von 000 Mark und darunter hätten. Der Schnapsboykott der sozialdemokra- tiscl>en Partei habe jedenfalls gezeigt, daß sie für die Wohl fahrt des Volkes eintrete und daß sie eine Kulturpartei sei. Durch die Reichsfinanzrcform sei auch der Mittelstand in eine Kampfstellung Hineingetrieben worden, da auch er unter der Teuerung zu leiden habe. Unsere lnmtige Gesell schaftsordnung möge so vollkommen sein, wie sie wolle, christlich sei sie jedenfalls nicht. Da nun Christus, der dem Volke helfen wollte, nicht mehr auf der Erde sei. so seien jetzt die Sozialdemokraten hierfür da. (Gelächter.) Jeden falls müssen die Regierungen alles tun, um die Bevölkerung vor einem weiteren Umsichgreifen der Teuerung zu schützen (Bravo links.) Präsident Dr. Vogel rügt eine unzulässige Be merkung des Abg. Sindermann, der gejagt habe, der Reichskanzler Fürst Hohenlohe habe Maßnahmen zu seine,» eigenen Vorteile angeordnet. Staatsminister Graf Vitzthum v. Eckstädt schließt sich dieser Zurückweisung an. Er halte es für unmöglich, daß der höchste Staatsbeamte des deutscl-en Reiches Maß nahmen zu seinen, Vorteile eingeleitet habe. Dann ver wies der Minister auf die Trockenheit des letzten Sommers durch welcl-e die Ernten der Kartoffeln, Gemüse und des Viehfntters schlecht ausgefallen sei. Bezüglich der Kar toffelernte habe sich dann noch herausgestellt, daß die Be fürchtungen nicht so schlimm waren, und daß die Ernte »nimer noch als 70 Prozent einer Normalernte bezeichnet werden konnte. In, allgemeinen sei die Lage nicht mehr so bedenklich als wie vor einigen Monaten. Trotzdem hätten wir immer noch höhere Preise für Kartofseln, Gemüse, Milch »sw. Eine Teuerung könne nur für eiben Teil der Nahrungsmittel zugegeben werden. Dagegen könne von einer Brottenerung nicht gesprocl>en werden, da sich der Preis für das Kilo gegen voriges Jahr nur um einen Pfennig erhöht habe. Die Preise für Rind-, Schweine- und Hammelfleisch bewegten sich noch auf der gleichen Höhe des Vorjahres, ja der Preis siir das Schweinefleisch, das be kanntlich bis zu 60 Prozent den Bedarf des kleinen Mannes decke, sei von 6 bis 13 Prozent zurückgegangen. Die Wir kung der Dürre des letzten Sommers lasse sich nicht so ohne weiteres heben. Deshalb sei es das Ziel der Re gierung, die Wirkungen der Trockenheit nach Möglichkeit abzuschwäcl-en. Infolgedessen sei die sächsische Staats- rcgierung für eine völlige oder teilweise Aufhebung der Zölle auf die wichtigsten Nahrungsmittel beim Reichs kanzler vorstellig geworden, ebenso habe sie bei demselben auch weitere Maßnahmen beantragt. Der Reichskanzler habe jedoch in der betreffenden Konferenz betont, daß ein Festhalten an unserer jetzigen Wirtschaftspolitik durchaus notwendig sei. Erfreulicherweise habe sich der Abgeordnete Günther sachlich über die Wirkungen der Trockenheit und über die gegenwärtige Zollpolitik ausgesprochen. Dagegen habe der Abgeordnete Sindermann versucht, die Angriffe, die bereits im deutschen Reichstage zürückgewiesen worden — 48 — rückte Stolz nein, es hätte nicht gut getan zwischen uns. Jetzt sollen sie da droben meine Faust spüren. Jetzt gibt cs Krieg auf Leben und Tod." Er stieg ein, der Chauffeur wandte den Wagen und die „Weiße Alice" trug ihren Herrn in rasender Eile de" Villa zn. 7. Es war eine dunkle slürniische Herbstnacht. Ter Regen schlug klatschend Gegen die Mauern, der Wind heulte um das Schloß, die Bäume ächzten »ud mancher stolze Wipfel ward geknickt. Drinnen im Schlosse war cs traulich und warm. Die Scheite knisterten in, Kami», die züngelnden Flammen Narfcn blutrote Reflexe auf das glän zende Parkett und der große Lüster mit den Kugellampen strahlte ein Helles, ruhiges Licht iiocr den weißgedeclten Tisch aus, an dein Herr von Sonneck, Elga und Hilde still l eisaiumensußen. Hilde stichelte an einer Arbeit, aber ihre Hand zitterte und die Nadel fuhr in die Fingerspitze, an der ein kleiner roter Tropfen hing . . . Elga von Sonneck las in einem Romane. Sie duftete mjeder io stark nach Patschouli, daß der Major nach einer Havanna griff. „Du gestattest. Elga. Bei solchem Wetter muß man doch einen Zeitvertreib haben." Elga seufzte. „Ich muß mich wohl daran gewöhnen." sagte sie und klappte das Buch zu. Sie wetzte das rote Zünglein an den Lippen, als schärfe sie ein Messer zum Kampfe . . Nun stieß sie den Roman heftig von sich »nd sagte: „Eckiges Zeug! . . . Selbst Maupassant wird auf die Dauer ungenießbar. Ich muß mir einen anderen Autor suchen . . ." Als ihr niemand antwortete, zog sie die Brauen hoch und ihre Angen flackerte». Sie ging zum Angriff vor. Nun Hilde," sagte sie, „war es anrüsant bei Bergmanns?" Hilde schoß alles Blut i»S Gesicht. Sie blickte ihre Mutter flehend an. daß sie schlveige. Allein Frau Elga wollte nicht verstehen. „Du hast noch kein Mort von deinen, Desncl-e erzählt " -Herr von Sonneck. der in einem Journal geblättert hatte, blickte be- fremdet auf. Seine Augen blitzten unter den buschigen Brauen hervor. „Was redet ihr?" „Ihr hört wohl beide nicht gut," sagte Elga gereizt. „Ich fragte, ob sich Hilde bei Bergmanns gut amüsiert hätte - " Der Major stemmte die Faust auf den Tisch und blickte seiner Frau starr ins Gesicht. „Bei Bergmanns?" „Nnn ja. Hilde war doch in der Villa drüben . . ." Des Majors Faust fiel dröhnend auf die Eichenplatte. „Zum Kuckuck, habt ihr mich zum Narren? Hilde, so sprich doch: warst du wirklich in der Villa?" Hilde sah ihren Vater bittend an: „Ja, Papa!" Der Major erhob sich mit einen, Ruck: die Havanna fiel achtlos zu Boden und brannte ein großes Loch in den Teppich, aber niemand achtete darauf. Sonneck ergriff seinen Stock und machte ein paar mühsame schwerfällige Schritte. Die Adern auf seiner Stirn schwollen an. „Hilde!" schrie er. und seine Stimme klang so bruchig, als käine sie aus einer zerrissenen Brust. — 46 — Alice war voll übersließender Freundlichkeit. „Ach, wie freue ich mich," sagte sie. „Aber Sie gestatten, daß ich mich aus dieser häßlichen Hülle schäle." Und sich zu Iris wendend, sagte sie: „Nimm mir mal .Kappe und Brille ab' . . . Nein — draußen! Und sin wenig rasch, ja?" — Während Iris bei Alice Zofendienste verrichten ,nutzte, erzählte Berg mann von seiner Fahrt. „Es war wunderbar." sagte er. „Die Maschine läuft wie eine Equipage auf Gummirädern — leicht, graziös, lautlos. Und e,ne Geschwindigkeit, sage ich Ihnen — fabelhaft! Eigenes Modell, gnädige« Fräulein! Neuestes System. Natürlich habe ich den Wagen „Alice" qetaukt. Die ist unbesiegbar, auf Ehre!" . . . „Ich weiß nicht," sagte Alice, die wieder eintrat, „Reiten ist doch nobler' Finden Sie nicht, gnädiges Fräulein?" „Aber ich bitte dich, Alice!" rief Bergmann ganz entrüstet. „Auto ist der neueste Sport! Sogar Seine Majestät der Kaiser fährt Auto . . " Sie stritten sich eine Zeitlang, dann ging auch Bergmann, um sich seines ...Kostüms" zn entledigen. Im Gebrock und mit der unvermeidlichen Gold- kette, quer über den Leib gespannt, kehrte er zurück. Tie Unterhaltung wollte nicht recht in Fluß kommen, bis Hilde kurz entschlossen sagte: „Herr Bergmann, ich wollte ein paar Worte in Geschäften mit Ihnen reden. Deshalb bin ich eigentlich gekommen." Alice, die begriff, daß sie hier überflüssig sei, verließ den Salon. „Ich habe eine Bitte an Sie," sagte Hilde. „Um sie aber Vorbringen zu können, muh ich erst eine kurze Erklärung vorausschicken." Sie berichtete daß Viktor gespielt und verloren habe — 20 000 Mark. Bergmann, der den finanziellen Stand des Hauses Sonnsck wohl kannte wußte sofort, was Hilde wollte. In diesem Augenblicke veränderte sich sein Wesen: er wurde der unnahbare Geldsürst. Zugleich aber formte sich mir Blitzesschnelle ein fester Plan in ihm. Sein Wesen hatte jetzt etwas Kaltes, Berechnendes. Die Höflichkeits- Phrasen verstummten, er war nur noch Geschäftsmann . . . „Gnädiges Fräulein," sagte er, 20 000 Mark ist eine große Summe Der Herr Major —" „Um Gotteswillen," rief Hilde, ..Papa darf von der Sache nichts er fahren. Viktor und ich wollen nnS verpflichten, das Darlehen auf uns zu nehmen —" „Erlauben Sie, gnädiges Fräulein." unterbrach sie Bergmann. Das geht nicht. Denn die Sache hat in dieser Weise keine reale Grundlage. Ihr Vater muß unbedingt von der Sache erfahren. Und dann — Sie verzeihen meine Offenheit bann müßle ich auch .zuerst wissen, ob Schloß Sonneck noch eine weitere Hypothek verträgt —" Hilde errötete. Da wußte Bergmann, woran er war: die Sonnecks hatten abgewirtscl-aftet. Er war nicht abgeneigt, ihnen anfzuhelfon. aber er verlangt.' seinen Lohn dafür. „Gnädiges Fräulein." sagte er, „so geht es nicht. Aber ich weiß an» Ende doch einen Ausweg . . . Wissen Sie was? Ich fahre Sie in meinem Auto ins Schloß. Es regnet draußen in Strömen. Sie könne»' unmöglich zu Fuß gehen. Ich gebe sofort die nötigen Befehle."