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Nr. B68 — LO. giatzr-a», T.nnabend de« November LVU SiiGscheUolksMUlU «scheint U«ltch »«»«. «U »u»na»«, d«r «onn. und Aestta,«. E-H«»« t mit .Die »»»» «n »ort und »Ill>- vlertellL-rNch »»«-». Jn Drk»bn> dur» «o,en ,.4« 4». In -an» Deutlchland ftet Hau» »X 2; tn O«>l«rre»ch 4 4» «. ^ Unabhängiges Tageblatt ^ »atlprechendkn Rabats «u»d»»«»r«»». «»dakttan und — — ^ L>»««d»a. Viüxttz»» 4». - S»rnlpk«chrr IX* für Wahrheit, Recht und Freiheit Der Tripokstrieg und die Finanzlage Italiens. Rom, den 22. November 1911. Die Macht der Feder und jene des Schwertes kämpfen augenblicklich einen schweren Kampf, von dessen, Ausgange es abhängcn wird, ob der Krieg doch noch vor die Tore Konstantinopels verlegt wird oder nicht. Während nun die Diplomaten in der Vorahnung von Koniplikationen be- strebt sind, die Ausdehnung des Kriegsschauplatzes zu ver- hindern, droht Italien mit einem zweiten Ultimatum, um den letzten diplomatisck)eii Schreckschuß nach Konstantinopel abznfenern, von den, es noch immer die Ausnahme von Friedcnsverhandlungen erhofft, die ihnen ohne weiteres Blutvergießen und ohne die gefürchtete finanzielle Ent- krästung den gewünschten Gewinn in Nordasrika bringen sollen. Gerade die finanzielle Seite dürfte den Gedanke» einer Verlegung des Kriegsschauplatzes ins Aegäische und Rote Meer angeregt habe». Die tripolitanischcn Ereignisse hüben in den letzten dre, Wock>en eine solche Wendung genommen, daß sie das ganze Präliminare der Expedition nach Nordasrika über den Haufen werfen. Man hatte anfangs angenommen, daß das Aufgebot fast der gesamten Flotte sowie ein Landungs- korps von höchstens 50 -BO 000 Manu mehr als hinreichend sein werde, die Besitzergreifung von Tripolitanien inner- halb eines Monats zu sichern, und man schätzte die täg- licken Kosten des Krieges auf zirka 1'/„ Million Lire. Nach den Kämpfen der letzten Wocl-en aber, welche die Widerstandskraft der Türken in Tripolis zeigten, hat sich für die Italiener die Notwendigkeit herauögestellt, ihre Streitkräfte namhaft zu verstärken. Bald wird das Erpeditionüheer auf 120 000 Mann gebracht werden müssen. Diese Trnppenvermehrung bringt natürlicherweise auch eine Vermehrung der Kriegskosten mit sich, die sich sehr schtver verzinsen, geschweige denn amortisieren lassen wer- den. Die „Tribuna" erklärt zwar, daß Italien finanziell nicht schwer getroffen würde, sollte sich der Krieg auch noch einige Monate hinziehen. Der Staatsschatz befinde sich in ausgezeichneter Verfassung und könne das für die außer ordentlichen militärischen Ausgaben Erforderliche Geld ohne besondere Maßnahme» herbeisclmsfen. Uebcrdies verfüge der Schatz noch über 225 Millionen Lire kurz fristige Staatsanweisungen, da von den 000 Millionen, zu deren Ausgabe das Parlament alljährlich ermächtige, erst 75 ausgegeben worden seien. Ferner ständen noch beträcht lich Summen zur Verfügung, die in auswärtigen Banken deponiert seien und man habe in den eigenen Kassen 100 Millionen Lire i» Gold und 200 Millionen Lire ander weitige Depositen. Nach dieser Darstellung würde also Italien im Gelde förmlich schwimmen. Andere Umstände deute» jedoch daraus hin. daß sich die italienische Finanzlage in Wirklichkeit in einer ganz anderen Situation befinde. Verfolgt inan die Budget- debattcn im Parlamente inährend der letzten Jahre, so tritt in jedem Jahre dieselbe Erscheinung zutage, daß das Land und das Volk am Ende seiner Leistungsfähigkeit angelangt find. Nur gelegentlich der Flottenrüstungsdebatlen ist zu erkennen, daß die Bereitwilligkeit, Geldmittel zu votieren, eine größere ist, wozu nicht wenig die antiösterreichische Strömung beiträgt. Das war vor de», Kriege. Mährend desselben aber macht sich bereits eine groß-.' Geldknappheit fühlbar. Selbst die größten Firmen bezahlen nur lang sam, während von weniger solventen jetzt überhaupt keine Kassaregulierungen zu erlaugen sind. Die Mehrzahl der Firmen senden keine Reisenden mehr aus, weil wenig Nach frage herrscht. Sehr empfindlich macht sich auch bereits der antiitalienische Boykott bemerkbar, obgleich er in den türkischen Hafenstädten nur privat geübt wird. Abgesehen von den Opfern, die Italien bisher an Menscl-enleben gebracht hat, ohne einen namhaften und für die Kriegsführung ausschlaggebendeil Erfolg zu er reichen, gesellen sich nun zu dem fragwürdigen Unternehmen auch bereits die Geldsorgen, die darin zum Ausdrucke kom men, daß sich die Negierung veranlaßt sieht, einen außer ordentlichen Kredit von 05 Millionen Lire zu eröffnen. Da nach den Berechnungen die täglichen Kriegsausgaben rund 0 Millionen Lire betragen, so kann der erwähnt-: außerordentliche Kredit kaum länger währen als einige Wochen, während welcher Zeit Italien augenscheinlich hofft, durch eine Flottenaktion in den türkiscl-en Gewässern die Türkei zum Friedeuöschluß zu bringen. Es bleibt also die Frage offen, ob dieses Mittel aus- rcick-en wird, einen Erfolg für die Italiener herbeizuführcn. Sicher ist nur das eine, daß sich Italien mit der Tripolis- expedition sowohl in militärischen, als auch finanzieller Hinsicht stark verrechnet hat. Inzwisclren soll, wie der englische Kriegskorrespondent Mc Cullagh ersehen haben will, für Italien eine andere Gefahr cmporivachfen, welche mit einer Finanznot zunehinen würde: es ist die sozialistisck>e Revolution. Es ist allge mein bekannt, daß im italienische» Volke Elend und Not zu Hause ist. In mancl-en Teilen des Landes hat der Sozialismus daher einen guten Nährboden gefunden. Be sonder» ist dies in Norditalien der Fall. DaS -Haupt- guartier soll in London sein. Die Bewegung hat zugleich ein irredentistischeü Gepräge und richtet sich gegen Oester- reich-Ungarn, um Südtirol und Triest z» erlangen. Sollte die Jrredenta die Oberhand gewinnen, so müßte sich die Donaumonarchie gezwungen sehen, von der Lombardei Be- sitz zu ergreifen, um seine eigenen Grenzen zu sichern. Auf jeden Fall hat Italien, das in Tripolis leichten Ge winn zu holen hoffte, sich dort sein eigenes Grab gegraben. Tie Truppen der Italiener sind in Tripolis wegen der fortdauernden Regengüsse vollkommen festgelegt und wer den secl)s Monate dort stecken bleiben müsse» Das weiß die Türkei ganz genau, und deshalb will sie jetzt nichts von einem Frieden hören. Innerhalb der kommende» sechs Monate sind daher nach allem für Italien die schwer wiegendsten Folgen zu befürchten. Politische Rundschau. Dresden, den 24 N vember ISN. — Die Marokkoverhandluugrn der Budgrtkommissio» de» Reichstage» sind am Dienstag beendet worden. Im Plenum des Reichstags wird der Abg. Dr Frhr. v. Hert- ting über die Verhandlungen der Budgetkommisston münd lichen Bericht erstatten, und so wird es noch einmal im Reichstage zu einer Diskussion über diesen wichtigen Akt unserer auswärtigen Politik kommen, während der Gesetz entwurf, wonach zukünftige Veränderungen unsere» Kolonial- besitzet» nur durch Gesetz stattfinden sollen, im Plenum kaum noch eine nennenswerte Debatte Hervorrufen dürfte, nachdem er in der Kommission einstimmig angenommen und in der vorgeschlagencn Form von der Regierung ge nehmigt worden ist. Die Verhandlungen deS Reichstags über die politischen Fragen, die sich an daS Marokko abkommen anknüpfen, und die in den Tagen vom 0. bis 1l. November bereits Gegenstand der Debatte gewesen sind, werden wahrscheinlich nicht gegen Mitte oder Ende der nächsten Woche stattfinden, da man aus guten Gründen allerseits abwarten möchte, wie sich am nächsten Montag der englische Minister des Auswärtigen Sir Edward Grey über Englands auswärtige Politik und insbesondere über Englands Nolle während der deutsch-französischen Marokko verhandlungen ausspreche» wird. Durch die Reichsversichkrungsordiimig und die Privatbeanitenversicherung werden der sozialen Fürsorge in Deutschland neue bedeutende Lasten aufgebürdet werden. Nach einer amtlichen Berechnung kostet bereits die heutige soziale Versicherung auf Grund der Arbeiterschutzgesetze allen Beteiligten pro Jahr rund 012 Millionen Mark. -Hier von tragen die Arbeitgeber -110, die Arbeitnehmer 014, das Reich 52 Millionen. I» den beiden nächsten Jahren wer- den durch die beiden neuen sozialen Gesetze weitere neue Lasten von 201 Millionen Mark hinzutreten, so daß im Jahre 101.0 für soziale Fürsorge auf Grund von Neichs- gesetzen in jedem Jahre 1000 Millionen Mark, also über eine Milliarde ausgegeben werden. Tie neuen Lasten ver teilen sich »yie folgt: Arbeitgeber 110, Arbeitnehmer 100, das Reich 27 Millionen Mark. Tie Gesamtlasten werden von diesem Jahre ab betragen für die Arbeitgeber 505 Millionen Mark, die Arbeitnehmer 102 Millionen Mack, das Reich 70 Millionen Mark in jedem Jahre. Zweimal dicht vor dem Kriege standen wir im letzten Sommer, und zwar infolge des Verhaltens Englands. Am 21. Juli gab der deutsche Botschafter in London dem eng lischen Staatssekretär Grey vollen Ausschluß über die Marokkosrage und erklärte, daß Deutschland keine unersüll baren Bedingungen stelle: trotzdem hielt noch am Abend dieses TageS Lloyd George jene bekannte Rede, welche die ganze englische Presse als gegen Deutschland gerichtet bc zeichnete: man wollte in England den Krieg, den deutsche Festigkeit unterdrückte. Das zweite Mal war die Situation noch ernster: obwohl die deutsche Flotte im September in der Ostsee war, verbreitete sich in den maßgebende» eng lischen Marinekreisen das Gerücht, die deutsche Flotte sei auf den, Wege nach England. Die englische Flotte wurde sofort in den Kriegszu st a n d versetzt und in die Nord see geworfen. Nur dein einen Umstande, daß die deutsche Flotte nicht dort war, verdanken tvir den Frieden. Eng land war entschlossen, über uns herzufallen. Die neuer- dingS vollzogene Besetzung einiger Aenitcr in der englischen Marinevcrwaltnng zeigt, daß.man dort stärker als je mit der Mobilmachung rechnet. England will den Krieg mit uns trotz aller schönen Rede» und Resolutionen. Wir sind gerüstet. Unsere Armee und unsere Marine haben gelernt, schweigend ihre Pflicht zu tun und eitles Prahlen anderen zu überlassen. Aber der Geist, der in ihnen wirkt und arbeitet, ist lebendig genug, um ihrer ungeheueren Aktions- kraft in der Stunde der Gefahr in Angriff und Verteidi gung die Erfolge zu sickern, die wir von ihnen erhoffen. Und hinter der bewaffneten Macht würde das 05-Millionen- Volk sich in allen seinen Teilen einmütig znsannnenschließen und mit seinen! unerschöpflichen Reservoir an geistigen und materiellen Mitteln die Stoßkraft unseres in Waffen stehenden Volkes ins Ungemessene verstärken. Stark und geschlossen würde die deutscl-e Nation hinter ihren Fürsten stehen, wenn ihr Recht auf Selbstbestimmung, wenn ihre Ehre und Würde angetastet werden. Keiner Macht der Erde würde es gelingen, mit ihr fertig zu werden, und der Ruf Feinde ringsum!" würde ihre Kainpfesfreudlgkelt nur verzehnfachen. Tie großen Zeiten von 1070/71 wurden wiederkehren, und den Gegner, der unS vernichten wollte, würde kein anderes Schicksal erwarten, als es dem fran zösischen Kaiserreiche vor 10 Jahren beschiedcn war. So werden die Erfahrungen dieser Tage für die Zukunft nicht verloren sein! Die Welt kann sich nach ivie vor darauf ver lassen. daß Deutschland eine mutwillige Störung des Frie- dcns sich niemals zuschulden kommen lassen wird. Aber gegen Angriffe werden wir uns zu wehren wissen. Die auch m England bevorstehenden Parlamentsdebatten »verden wohl einige Klarheit bringen. Manche englischen Kreise haben es satt, sich vor den französischen Wagen dauernd spannen zu lassen. Sie verlangen nachdrücklich Aufklärung über die Verpflichtungen, die die französiscl-e Freundschaft dem Lande anferlegt: Mitbestimmung der Volksvertreter m der auswärtigen Politik und eine Annäherung an Deutschland. Ob sie den Mut finden »verden, für die Neso- lution zu stimmen, die das bekannte irische Parlaments- mitglicd Tillen eingereicht hat, ist zweifelhaft: jedenfalls aber drückt Tillon ihre Gedanken und Gefühle aus. Die Resolution lautet: „Tie Mitteilungen, die diesem Hause vom Auswärtigen Amte gemacht worden sind, sind gänzlich nnznlänglich, um cS dem Hause zu gestatten, sich über fol- gende Punkte ein Wohl begründetes Urteil zu bilden: n) Tie Ursachen, die die Negierung veranlaßten, die fran zösische Negierung in ihrem letzten Angriff auf Marokko zu unterstützen: I») die Natur »isid das Maß der Verpflich tungen, durch die dieses Land an Frankreich in bezug aus die Angelegenheiten Marokkos gebunden ist: <0 die Ur sachen, die zu der letzten akuten Spannung zwischen diesem Lande und Deutschland führten, und der Zweck des Krieges ,-wischen den beiden Ländern, der, wie es schien, im Juli dieses Jahres ausznbrechen drohte: «I) die Auslegung, die die Negierung den Bestimmungen des englisch-russischen Abkommens gibt in bezug auf die Anwendung auf Persien und auf die spätere offizielle Mitteilung, die der persischen Regierung von dem britischen Gesandten in Teheran ge macht worden ist: die gegenwärtige Stellung der Regierung angesichts deS russischen Ultimatums an Persien und des drohenden Einsalls in das nördliche Persien durch russische Truppen. Dieses Haus ersucht die Negierung, dem .Hause ohne Verzug volle Information über die obengenannten Angelegenheiten zu geben, und wünscht ferner, seiner Mei- nung Ausdruck zu geben, daß das Unterhaus und das Volk des vereinigten Königreiches in Zukunft viel ausführlichere Insorniationcn über die auswärtige Politik erhalten sollte, als die Negierung während der letzten zehn Jahre veröffent- licht hat." Man wird heute ohne jeden Protest zugestehen müssen, daß die internationale Lage eine sehr ernste ist und daß die Kriegsgefahr noch immer nicht gebannt erscheint. Ucbcr den kommenden Kolonialstaatüsrkretär wer den in den Zeitungen allerlei Vermutungen angcstcllt. Dabei handelt es sich entweder um zielbewußte Stimmungs mache oder um Börsenspekulationen. Der geradezu typische Fall dieser Art ist die Nennung des Namens Helfferich, der in der Zeit des Bankrotts der .Kolonialverwaltung im Dienste war und dann zur deutschen Bank ging: sein Name wurde genannt, ein Steigen der Kolonialkurse trat ein, der Zweck war erreicht und das Dementi konnte erfolgen. Ein anderer Fall scheint uns in de.» Artikel einer Korre spondenz vorznliegen, die ausführt, daß aus verschiedenen Okünden weder Tr. Solf noch Direktor Helfferich für die Nachfolge des Herrn v. Lindegnist in Betracht kämen, und daß „somit" Freiherr v. Rechenberg der aussichtsreichste . Beinerber" um diesen Posten bleibe, zumal er „ja Wohl euch der Kandidat der Mehrheit des Reichstages" sei. Der Auslassung über die Herren Tr. Solf und Direktor -Helfferich kann man wohl beipslichten: die Gründe dafür brancben nicht erst näher erörtert »verden: dagegen muß die Folgerung, daß nnnniehr eigentlich nur »och Freiherr v. Rechenberg in Betracht komme, als unberechtigt zurück- gewiesen »verden. Jedenfalls entbehrt die Behauptung. Freih. v. Nechenberg sei „der Kandidat der Mehrheit des Reichstages" jeder Begründung. Verschiedene Parteien würden seine Ernennung schwerlich mit Freuden begrüßen. Wir rechnen dazu die Alldeutsche» und Nationalliberalcn, die dem tüchtige» Beamten nicht vergessen können, daß er Katholik ist. Man wird noch andere Namen hören, aber im Kerne sind es nur Kombinationen und Spekulationen. Der Reichskanzler hat noch gar keine Schritte getan, um einen neuen Staatssekretär zu erhalten. — Reichstagskandidatnren. Der ZevtrnmS. bgc-ordnete Erzberger ist unter anderen in folgende» Kreisen als Zählkandidat ausgestellt worden: Waldenburg in Schlesien. Zittau in Sachsen. Kiel, Rottenbnrg in Württemberg. Auf dein natioiiallibrrale» Parteitage in Berlin ist in der Diskussion, die sich an die Rede des Abg. Bassernianu anschloß, auch ein nativnalliberaler Postsekretär Morath ans Berlin zum Wort gekommen. Wie die uationalliberale ..Rheinisch-Westfälische Zeitung" mitteilt, erklärte er zuin Entsetzen des Parteitages, das Zentrum sei ein besserer Freund der Beamtenschaft als dir Nationalliberalcn. »veil letztere sich so wenig für