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Zweites Blatt Sächsische Bolkszeittmg vom 23. Dezember 1811 Nr. 291 Nachdem ^Frankreich mit großer Mühe sich kaum mit Deutschland über Marokko verständigt hat. stellen sich jetzt neue Schmierigkeiten aus ähnlichem Anlaß ein. Spanien hat wertvolle Teile Marokkos besetzt und beansprucht dieselben sür sich. Frankreich hat nun anZSpanien das Ansinnen gestellt, aus diese Teile zu ,0»"^ »A>r verzichten und dafür Kom pensationen^ in sAsrika ge boten. Aus Stadt und Land. (Kortsetzrmg ans drm Hauptbiatt) —* Der Sächsische Verein zur Hclmng der Sittlichkeit hielt am 18. Dezember in seinen Vereinsräumen, N-eritz- straße t l unter dem Vorsitz des Herrn Pfarrer Mätzold seine diesjährige Hauptversammlung ab. Nach dem Jahres- berichie zählt der Verein gegenwärtig über 1000 Mirglieder. Im Hanprvsrein und in dem Ortsgruppen herrschte reges Leben, besonders entfalteten die Ortsgruppen Meerane, Z'tta" und Crimmitschau eine lebhafte Tätigkeit. Im letzten Vsreinejahre wurde wiederholt zu der Frage der Prostitution Stellung genommen und die Amtshauplmann- schasten sollen ausgesordert werden, ihre besondere Aufmerk samkeit ans das Ziehlinderwes.n zu richten. An tcr Wirk- samkeit d>S Verbandes sür Jugendhrlse nahm der Verein lebhaften Anteil und trat dein Dresdner Jugendbunde als Mitglied bei. Mit großer Freude sei die von Herrn Pastor Müller eingerichtete Nachtmiiston zu begrüßen. Gegen gewisse Kinematographenthsater müsse eine entschiedene Aktion ein leitet werden. Die Mmisterialoerordnung, welche das Kine- matographenwesen in Sachsen regele, sei in Deutschland vielfach nachgeahmt worden, doch sei sie noch nicht genügend, um dem Unwesen vollständig zu st turn. Infolgedessen fordere der Verein aus. Material zu sammeln, um bei den gesetzgebenden Körperschaften nochmals vorstellig werden zu können. Der Redner verbreitete sich ferner noch über die Tätigkeit des Deutschen Vereins zur Hebung der Sittlich, keil und berichtete über die letzte Hauptversammlung des- selben i i Stellst', auf welcher u. a. auch die Frage zur Hebung der Sittlichkeit auf dem Lande besprochen worden sei. Die im letzten Sommer in Dresden stattgefundenen Kongresse für Mutterschutz und Sexualreform und sür Neo- malthustanismus seien geeignet, die sittlichen Anschauungen der Menschheit immer mehr herabzudrücken. Weitcr refe rierte der Vorsitzende über die Tagung des deutschen Komitees zur Bekämpfung des Mädchenhandels in Karls- ruhe, worauf er zur Erstattung des Kassenberichtes über ging. Die Einnahmen betrugen 3527.19 Mark und die Ausgaben 2785.10 Mark. Die aus dem Vorstände aus- scheidenden Herren Pfarrer Rohde, Stadtbezirksarzt Dr. meb. Leonhard, Stadtrat Dr. med. Hopf. Geh. Finanzrat Dr. jur. Werner, Pfarrer Mitzold und Geh. Regierungsrat Freiherr v. Wirsing wurden einstimmig wiedergewählt. —* Im Festsaale des neuen Rathauses fehlten bekanntlich an der Decke noch das große Mittelbild und die beiden Seitenbilder. Die letzteren sind nunmehr Pom Osch. Hofrat Professor Hermann Prell vollendet wor den. Tie beiden Bilder sind in der Größe 6:41/? Meter ge- halten. Das eine Bild zeigt, wie Markgraf Dietrich der Bedrängte den Umfang der Stadt Dresden durch das Umpflügen der Grenze feststellte. Der Pflug wird von einem Gespann weißer Ochsen gezogen und von einem Krieger geführt. Zur Seite geht ein Priester mit dem Kreuz über der Schulter und hinter der Gruppe reitet der Markgraf mit seinen! Gefolge. Er trägt das Schild mit dem Meißner Löwen auf gelbem Grunde. Aus der nahen Elbe schaut srne Nymphe dem Vorgänge zu. Das andere Bild zeigt den Elbstrom beim Eintritt ins Meer. Die Figur der Germania steht aus einem Felsen, an den die Wellen des Meeres heranbrausen. Germania zeigt in die Ferne, wo man in schwachen Umrissen die deutsche Flotte siehk. Zu ihren Füßen strömt das Wasser hinab ins Meer, au» dem ein Triton und drei Nereiden heraufgrüßcn. Prell hat in den beiden Bildern den Elbstrom als Kulturträger in der Vergangenheit und in der Gegenwart meisterhaft dar gestellt. Das große Mittelbild wird Dresden als Kunst- stadt darstellen. —* Karneval 1912 inDresden. Die Studie- renden der Königlichen Akademie der bildenden Künste zu Dresden veranstalten dieses Jahr kein Gauklerfest. Der schrankenlose Frohsinn und Humor, der die Feste von jeher emszeichnete, soll nußmehr durch die Initiative der Studie renden der Akademie der bildenden Künste zu Dresden in die Oeffentlichkeit übertragen werden. Um dieses zum Aus druck zu bringen, gedenken die Studierenden der Akademie der bildenden Künste einen künstlerischen Karnevalszug zn veranstalten. Dazu sind bereits sämtliche Hochschulen und Künstlerkorporationen (Zunft und Genossenschaft) eilige- laden worden, und haben dieselben zum größten Teile ihre Mitwirkung zugesagt. Der beispiellose Erfolg, den im vori gen Jahre der von den Studierenden der Akademie der bil denden Künste inszenierte Karneval in allen Kreisen der Dresdner Bevölkerung zn verzeichnen hatte, läßt mit Sicher heit auch ein derartiges großes Interesse in diesem Jahre erwarten. Ta nun das geplante Unternehmen beträchtliche Kosten, die im vorigen Jahre die Studierenden allein ge leckt haben, infolge seiner künstlerischen Ausgestaltung an die Beteiligten stellt, und in diesem Jahre die künstlerischen Dualitäten des Fest^nges ganz wesentlich gesteigert werden sollen, so ist das Gelingen desselben von der pekuniären Unte-stütznilg von seiten der Gönner und Interessenten wie in den anderen Karnevalstädten sehr abhängig. Dafür steht aber der Dresdner Bevölkerung ein Ereignis bevor, wie man es in Münchm und in den Rheinländer: nicht besser kennt. X Nach sechs Instanzen zn — einer Mark Geldstrafe verurteilt. Ein interessanter Straf prozeß. der nacheinander sechs Instanzen beschäftigte und schließlich zu einer Verurteilung des Angeklagten zu — einer Mark Geldstrafe führte, fand jetzt vor dein Königlich Sächsischen Oberlandesgericht seinen endgültigen Abschluß. Tcr Fabrikbesitzer Kemps in Syran i. V. errichtete im vori gen Jahre m Syran einen Fabrikneubau, in dem auch eine Wohnung für den Werkmeister eingebaut wurde. Im Sep tember 1910, als der Neubau bereits fertiggestellt, aber zur Inbetriebnahme noch die Genehmigung der Amtshaupt- manuschaft ausstand, trat der Fabrikherr eine Reise ins Ausland an. Er verbot aber zuvor seinem Werkführer, die neue Wohnung in der Fabrik zu beziehen, bevor nicht die amtshanptmannschaftliche Genehmigung eingetroffen sei. Am 27. September kehrte der Fabrikbesitzer von der Reise zurück. Ain 28. September erfuhr er, daß sein Werkmeister, der mit seiner zahlreichen Familie kein Unterkommen hatte finden können, während seiner Abwesenheit die Wohnung in der Fabrik bezogen hatte. Er fragte seinen Baumeister um Rat, der ihm sagte, daß die amtshanptmannschaftliche Genehmigung in jeder Minute eintreffen müsse. ' In Wirk lichkeit traf sie aber erst am 4. Oktober ein. Der Fabrikbe sitzer wurde nun wegen Vergehens nach 8 161 des Bau- gesetzcs unter Anklage gestellt. Da die Strafverfügung — 140 — „Es war schwer, euch Zu finden, Hilde." Viktors Augen strahlten förm lich. „Aber wie schön es hier ist . . . ach, mein Sonneck, meine Heimat! . . Er löste sanft ihre Arme von seinen: Halse. „Ich will Papa begrüßen. Zürnt er mir noch?" Hildes Augen glitten mit heimlicher Neckerei an ihm vorüber. „Frag ihn doch, Viktor! Frage ihn . . Viktor machte ein paar Schritte. „Papa — lieber Papa." Herr von Sonneck hatte sich schwer auf seinen Stock gestützt, in dem galten Gesichte zuckte es und seltsam iveich und tief klang seine Stimme, als er sagte: „Viktor ... du trägst des Königs Nock? Trägst du ihn zu Recht?" Viktor richtete sich hö^er auf. „Wer sein Blut auf dem Schlachtfelde vergossen hat, der wird wohl damit alle Schuld gelöscht haben. Ich stand im heißen Sonnenbrände von Afrika und die Kugeln haben mir um den Kops gepfiffen. Ich werde mich Wohl wacker gehalten haben — sonst hätte mich Se. Majestät nicht zum Oberleutnant ernannt —" Da warf Sonneck den Stock weit von sich und kam mit schweren Schritten auf Viktor zu. „Viktor . . . mein Jungei Mein lieber, tapferer Junge! . . Nun ist ja alles wieder gut!" Sie hielten sich lange umschlungen, und als Viktor seines Vaters schnee weißes Haar und die tiefen Runen in: Gesichte erblickte, da überkam es ihn: wie heilige Ehrfurcht vor dem Manne, auf dessen Haupt er Sorge und Gran: gehäuft hatte. Und in seiner Seele schrie es: „Gutmachen — tausendmal gut- machen was ich an den Meinen verbrochen habe. Sie mit Liebe umhegen, - sür sie arbeiten, ihnen ein sorgenfreies Leben verschaffen — das soll meine Lebensaufgabe sein. Himmel — wie schön ist das Leben!" Dann saßen sie beisammen auf der Terrasse und Sonneck staunte immer fort seinen stattlichen, verbannten Sohn an. Der war nun ein Mann gewor den voll Ernst und Kraft und mit einem starken, zielbewußten Willen., Viktor hatte keine Ruhe. Cr stand immer wieder auf, lief dahin und dorthin, betrachtete jedes Ding und hatte seine Freude daran. Und dann stan den alle drei mit einem Male an der Brüstung und schauten ins Tal hinaus. WaS da vor ihnen lag im Sonnenglanze, von Gold umsponnen, in keuschen Blütenschnee gehüllt, danach hatte sich Viktor all die Jahre her in heißer Liebe gesehnt. Das war doch das Schönste und Köstlichste von allem, was er in der Welt gesehen hatte: die Heimat! Die Heimat! DaS Ziel seiner Wünsche, die Sehnsucht seiner Träume, der Herzschlag seines Lebens! Er hatte sie verloren gehabt und wiedergewon nen. Nun wollte er sie festhalten mit ganzer Seele und sich nie von ihr trennen. — Hilde erzählte ihm, wie alles gekommen war, und daß sie im Grunde genommen nur Gäste der Schloßherrm wären. Aber diese sei so zartfühlend, daß sie das kaum entständen, daß sie eine einzige Familie wären. Viktor hörte stillschweigend zu. „Wo ist Iris?" fragte er, als Hilde ge endet hatte. ,Zm Parhe. Sie ergeht sich da stundenlang oder sitzt in der Laube. Nun j« — eS hat ein jeder seine Sorgen." — 137 — Ehe er abreiste, erwartete ihn noch eine freudige Ueberraschung. Haupt- mann von Zehren hatte eine leichte Verwundung erholten und war nach Wind huk gekommen, um sich ausznhcilen und dann wieder zu den Truppen zu stoßen. Am Tage vor Viktors Abreise nun versammelte er erne Anzahl Offi ziere, die in Windhuk anweseno waren, darunter auch Leutnant von Reuther. der zum Oberleutnant avanciert war, um sich. Leutnant Reuther zwinkerte mit den Augen und sagte zu Viktor. „Ich wette, der Alte hat cme Ueberraschung in petto. Er zieht den Schnurrbart durch die Zähne, als ob er einen Degen schleifen müßte. Das bedeutet etwas." „Natürlich bedeutet es etwas," sagte Viktor. „Daß der Schnurrbart in Afrika zu lang geworden ist." — „Na. Sie werden ja sehen —" Gleich darauf zog Houptmann von Zehren aus seinem Mantelauflchlage ein großes Kuvert mit Dienstsiegel und sagte mit seiner schnarrenden Stimme: „Meine Herren, ich habe Ihnen eine Mitteilung zu machen, die Sie sicher er freuen wird. Es sind jetzt acht Monate her, daß sich Herr von Sonneck als Freiwilliger in der deutschen Schutztruppe meldete. Er känststte als schlichter Soldat, obwohl er drüben den Degen getragen hat wie wir alle. Ein Miß geschick wand ihn ihm aus der Hand und trieb ihn aus der Heimat hierher. Wir haben mit eigenen Augen gesehen, mit welcher Tapferkeit und Uner schrockenheit er kämpfte und wie er mehr als einem Soldaten das Leben rettete. Herr Oberleutnant von Reuther kann davon erzählen —" Reuther schlug die Hacken zusammen und stand stramm. Seine Augen glänzten vor Freude. „Jawohl, Herr Hauptmann!" rief er laut. „Ich habe," fuhr der Hauptmann fort, „Herrn von Sonneck nach jener Attacke, durch die er einem unserer Offiziere das Leben rettete, zur Dekorie- rung vorgeschlagen —" „Bravo!" rief Reuther. der nicht mehr an sich Hallen konnte. Der Hauptmann nahm es nicht übel. Er nickte Reuther zu und sagte. „Heute kann ich Ihnen, meine Herren, die Mitteilung machen, daß Herr von Sonneck hiermit seinen Degen zurückerhält und daß ihm zugleich daS Patent als Oberleutnant in der Armee Sr. Majestät verliehen ist. Wir beglück wünschen Herrn Oberleutnant von Sonneck herzlich und heißen ibn als treuen Kameraden aufrichtig willkommen in unseren Reihen. Wer so tapfer wie er seinem Volke und seinem Kriegsherrn gedient hat, der ist wabrlich solcher Auszeichnung wert. Wir preisen aber auch die Gerechtigkeit unseres obersten Kriegsherrn, und auS diesem Grunde bitte ich Sie, meine Herren, mit mir zu rufen: Seine Majestät der deutsche Kaiser: Hurra! Hurra! Hurra!" Sie stimmten begeistert sin. und nachdem nun der offizielle Teil vor über war. drängten sich alle um Viktor von Sonneck und drückten ibm die Hände. Sie mochten ihn wohl leiden, er war ein guter, aufrichtiger Kamerad, stets gefällig und zuvorkommend gegen jeden, und die meisten batten ibn im Felde schätzen gelernt. Viktor von Sonncck erwiderte ihre Händedrücke und dabei standen ihm die Tränen in den Augen. Sic sahen es alle und verstanden daS mächtige Gefühl der Freude, daS ihn durchströmte. »Schloß Sonneck.