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Zweites Blatt SLchfische BoltSzeita«,; vom 9. November 1919 Nr. 255 Eine imposante Kundgebung für die Reichswertzuwachssteuer bildete eine am Sonntag in der Reichshauptstadt abgehal tene Versammlung, die von dem Ausschüsse für Arbeiter vertreterwahlen und soziale Angelegenheiten einberufen worden war. DaS mehrtausendköpfige Publikum, das die weiten Hallen des Zirkus-Busch-Gebäudes füllte, setzte sich in der Hauptsache zusammen aus christlichnationalen Ar beitern und Arbeiterinnen beider Konfessionen. Liz. Mumm eröffnete die Versammlung mit einer Ansprache, in der er als den Zweck der Kundgebung bezeichnete: Wir wollen Zeugnis ablegen gegen das Wohnungselend der Großstädte. Wir erkennen als den Grund des Wohnungs elendes die Wertsteigerung des Bodens in wellenförmig aufsteigenden Terrassen und sagen mit v. v. Bodelschwingh: „Der Bodenwucher schnürt uns den Hals zu!" Der Kampf gegen die Zusammenpferchung der Arbeitermassen in Mietskasernen hat begonnen. Wir wollen für eine wirk same Wertzuwachssteuer demonstrieren. Wir denken nicht daran, uns gegen den Grundbesitz zu wenden, wir wenden uns nur gegen den überwuchernden Grundstückshandel. Nicht dem einzelnen Menschen, aber der überwuchernden Terrainspekulation unserer Tage wollen wir das Brand mal der Gemeinschädlichkeit aufdrücken. Wir wollen gleich zeitig den öffentlichen Gewalten sagen, daß sie wirksamer Vorgehen müssen. Wir warten vergeblich auf Wohnungs gesetz und Wohnungsinspektion. Es ist ein Unrecht, wenn das Reich das Lempelhofer Feld dem Mielskasernensystem ausgeantwortet hat. Das heißt nicht, die Militärtauglich keit der Bevölkerung heben. Allerdings besteht auch kein nationales Interesse, darüber zu schelten, daß die Stadt Berlin nicht eine Villenkolonie innerhalb der Weichbild grenze errichten konnte: wir kämpfen dafür, den Armen Licht und Luft zu mehren. Redner betonte den Zusammen hang zwischen der Heimatlosigkeit weitester Bevölkerungs schichten und den beklagenswerten Straßcnunruhen der letzten Wochen und schloß mit einem Bekenntnis zur christ lichnationalen Arbeiterbewegung. Als erster Redner nahm dann der Führer der Boden- reformbewegung Adolf Damaschke das Wort zur Ver- teidigung der Zuwachssteuer. Man sagt, die Sachverständi gen sind noch nicht einig. Wenn wir in der sozialpolitischen Gesetzgebung gewartet hätten, bis die Sachverständigen einig waren, dann hätten wir heute noch kein einziges Schutzgesetz. Aber wer sind denn die Sachverständigen? Kämpf, der als Vorsitzender des Äufsichtsrates der Berliner Bodengesellschaft Nord seine Aktien anpreist und gleichzeitig als Volksvertreter im Stadthause sich im Namen von Han del und Gewerbe gegen die Zuwachssteuer erklärt? Oder Haberland, der Direktor der Berlinischen Bodengesellschaft, die in den letzten Jahren 100 Prozent Dividende aus- schüttete? Wir fordern, daß die Interessenten sich in dieser Sache als „Sachverständige" anständigerweise zurückhalten. Die Zuwachssteuervorlage hat viel zu niedrige Steuersätze, wenn man dagegen vergleicht die Tabaksteuer, die Salzsteuer und die Zündhölzchensteuer. Hier kann man ruhig bis 60 Prozent gehen und dabei ein gutes Gewissen haben. Man sagt weiter, der Kampf gegen die Zuwachssteuer werde im Interesse der Mieter geführt. Alle nationalökonomischen Autoritäten stimmen darin überein, daß die Steuer auf die Grundrente regelmäßig nicht übergewälzt werden kann. Ich berufe mich auf das Zeugnis des diesjährigen Mieter tages und das Zeugnis des Bundes der Berliner Grundbe sitzervereine. Die Zuwachssteuer soll nichts einbringen. Weshalb regt man sich dann so sehr darüber auf? Die Praxis beweist das Gegenteil. Pankow und Weißensee, zwei arme Berliner Vororte mit je 40 000 Einwohnern, haben aus der Zuwachssteuer mehr als 200 000 Mark Ein nahme, 5 Mark pro Kopf, die sonst durch andere Steuern aufgebracht werden müßten. Treptow mit 20 000 Einwoh nern hat 200 000 Mk. Einnahmen, Zehlendorf mit 16 000 Einwohnern 600 000 Mk. Die Zuwachssteucr ist eine reich lich fließende Steuerquelle. Wir brauchen und wollen die- ses Geld. Wir brauchen es für unsere Kriegsveteranen. Die Siege auf den böhmischen und französischen Schlacht feldern haben es bewirkt, daß aus dem Schöneberger Kar toffelland Millionen werte Baustellen wurden und deshalb inüssen hier die Mittel genommen werden, um der natio nalen Ehrenpflicht gegen die Veteranen zu genügen. Das Gold liegt wirklich auf der Straße. Es handelt sich bei der Zuwachssteuer um eine Frage sozialer Gerechtigkeit, deren Bedeutung über die Finanzfrage weit hinausgeht. Wir lieben das Land unserer Väter, aber ebenso sehr das Land unserer Kinder. Es ist für Berlin bereits ein Bauplan ge nehmigt worden für Mietskasernen für 12 Millionen Men schen. Was ist das für ein Kinderland? Hier verdirbt deut sches Volkstum, deutsche Sittlichkeit, deutsche Ehre. Wehe den Vertretern des deutschen Volkes, wenn sie die Inter essen des Werktätigen Volkes zurücksetzen und verraten zu gunsten weniger Terrainspekulanten. Reichstagsabgeordneter Behrens schilderte in länge ren Darlegungen die wichtigsten Momente der Entwickelung unseres Volkes: die Reichsgründung, die Einleitung der nationalen Wirtschaftspolitik und die Einleitung der So zialpolitik, und bezeichnete als nächste große Aufgabe die Wiedergewinnung des Bodens. Seit der Reichsgrllndung hat sich die Einwohnerzahl Berlins um das Dreifache, der Wert des Bodens Berlins aber um das Zwanzigfache ver mehrt. Haben die Grundstücksbesitzer diesen Mehrwert geschaffen? Zu gleicher Zeit hat sich die Zahl der Wohnun gen auf derselben Bodenfläche verdoppelt, die Zahl der Be wohner auf derselben Bodenfläche ist von 69 auf 77 gestie gen. Die Hälfte der Berliner Wohnungen ist unzulänglich, zu teuer und überfüllt. Je geringer das Einkommen ist, desto größer ist die Mietsquote und desto schlechter die Woh nung. Auch das Elend, das im Mittelstände beklagt wird beruht zum großen Teile auf der Bodenverteuerung. Als im vorigen Jahre die Beamtengehälter erhöht wurden, da kamen zahllose Petitionen an uns, daß die Erhöhung be reits im voraus fortgenommen sei durch die Erhöhung der Wohnungsmieten. Auf der einen Seite sehen wir einen außerordentlichen Aufschwung des gesamten Erwerbslebens, auf der anderen Seite besitzen 90 Prozent der Bevölkerung ungenügende Wohnungen. Die Gewerkschaftsarbeit ohne Bodenreform ist unnütz. Don 66 000 Gemeinden haben 470 die Zuwachssteuer eingeführt, da ist die Neichszuwachssteuer eine Erlösung. Das Wichtigste ist der Sieg des Prinzips, daß die Zuwachssteuer von Reichs wegen eingeführt wird. Die Gemeinden müssen vom Reiche zu arbeiterfreundlicher Bodenreformpolitik gezwungen werden. Wenn die Masse des Volkes über 300 Millionen neuer Steuern trägt, dann ist es gerecht, daß auch die Besitzenden und gerade von dem mühelos erworbenen Besitze abgeben müssen. Mit jubelndem Beifall wurde der -ritte Redner. Exzellenz Wagner, empfangen. Er führte aus: DaS Wohnungselend ist außerordentlich groß, wir sind an die Grenze gekommen. Deshalb gehört die Bodenpolitik zu den wichtigsten Mitteln der Sozialpolitik. Wir müssen für bessere und billigere Wohnungen sorgen. Der Bodenwert hat eine natürliche Steigerung, aber diese darf nicht künst lich befördert werden. Das aber tut die Vodenspekula- tion. ES ist kein gesunder Zustand, wenn die Bodenpreisö so schnell und stark steigen. Erst die Neuzeit hat den Grund und Boden zum Spekulationsobjekt gemacht. Die Terrain- spekulation ist eine Geschäftsart, die der ordentliche Kapi talist nicht treibt, die öffentliche Meinung muß solche Tätig keit verachten. Der Mißstand besteht nicht nur in den Städten sondern auch im Großgrundbesitze. Man wirft mir das Schlagwort entgegen: Sozialistische Politik. Es ist mir gleich, aber es ist eine richtige Politik. Schon Bis marck ist damit diesem dummen Schlagworte entgegenge treten. Die Streitfrage ist heute nicht mehr: Zuwachssteuer oder nicht, sondern Gemeinde- oder Reichssteuer. Die Ge- meinden müssen an der Steuer teilhaben, aber es ist nicht richtig, daß sie den ganzen Ertrag haben müssen. Die innere Begründung der Steuer, daß der Wertzuwachs nicht durch den einzelnen geschaffen ist, sondern durch die Entwickelung des ganzen Volkes und der ganzen Volkswirtschaft, spricht für die Neichssteuer. Denn an dieser Entwickelung hat zweifellos das Reich den größten Anteil. Die ursprüngliche Regierungsvorlage ist nur lieber als die Vorlage in ihrer jetzigen Gestalt. Eine tüchtige objektive Beamtenregierung leistet in solchen Fragen besseres als die ZnfallSarbeit des Parlamentes. Exzellenz Wagner schloß seine Ausführun gen mit der Mahnung: Wir wollen dem Staate und dem Reiche geben, was ihnen gebührt. Nachdem noch Fräulein Behm, die Vorsitzende des christlichen Heimarbeiterinnenverbandes, die Annahme der Zuwachssteuer im Interesse der Besserung der Lage der Heimarbeiterinnen, die gerade unter der Wohnungsnot so bitter leiden, empfohlen hatte, nahm die Versammlung ein stimmig folgende Entschließungen an: 1. Die Versamm lung, einberufen von der christlichnationalen Arbeiterschaft Berlins, ist der Ueberzeugung, daß eine Reichszuwachs steuer, die den unverdienten Wertzuwachs wirksam be steuert, im Kampfe gegen die gewerbsmäßige Terrainspeku lation eine wirksame Waffe ist und ersucht den deutschen Reichstag, sich in diesem Sinne schlüssig zu machen. 2. Die Versammlung sieht einen inneren Zusammenhang darin, daß die letzte große Fläche in der Umgebung der Reichs hauptstadt, das Tempelhofer Feld, dem Mietskasernensystem ausgeliefsrt wurde und daß in Moabit wurzellose und ver- — 172 — vertrauen zu können. Das kann ich aber nur, wenn Sie mir Ihr Wort geben, mich nicht zu verraten. Wollen Sie daS? Er sah mich mit seinen treuen Augen fast vorwurfsvoll an. Verraten is 'n häßliches Wort. Ich denk', das werden Se nich von mir glauben. WaS Se mir auch sagen werden, bei mir ist es begraben. Aber seh'n Se — ehe ich Ihnen mein Wort gebe, muß ich erst wissen, was ich beschwör'n soll. Nicht doch. Sie verstehen mich falsch. Einen Eid verlange ich nicht. Mir genügt vollkommen die Versicherung, die Sie mir eben gegeben haben, und somit frage ich Sie, ob ich auf Sie als Freund, ob ich auf Ihren tätigen Beistand rechnen kann, falls jenrals die Zeit kommen sollte, wo sich mir ein Weg zur Flucht bietet? Ja, haben Se denn 'nen Plan? Ich kann doch nich so ganz blind auf 'ne Sache eingeh'n, bei der's sich um den Hals handelt. Nein, einen Plan habe ich vorläufig nicht. Augenblicklich läßt sich ja noch keiner fassen. Ich bin aber entschlossen, die erste günstige Gelegenheit zu ergreifen, und da wäre es möglich, daß ich Ihres Beistandes bedürfte. Nicht nur ich würde mich dankbar erweisen, sonders ganz besonders auch die Mutter der jungen Dame, die eine Davon brauchen Se gar nich sprechen, lieber Herr, unterbrach er mich. Bei mir bedarf's dergleichen Köder nich, um jemand, der in Not is, nach Kräften zu helfen. Und damit Se's nur wissen, versprech' ich Ihnen — wenn sich's machen läßt — mein Bestes zu tun, der Dame und Ihnen auf den Heim weg zu helfen. Mehr zu sagen nutzt nichts, denn wir wissen beide nich, wie'S kommen wird. Und nu mein ich, wär's Zeit, daß wir auseinandergingen, denn der Mann am Steuer wird sich Wohl schon gewundert haben, daß wir so lange zusammenstecken. Richtig, richtig, Len hatte ich ganz vergessen, erwiderte ich, mich sogleich -um Gehen »sendend und ihm die Hand reichend. Ich danke Ihnen von Herzen. Bald darauf saß ich am Tische mit meiner Gefährtin zusammen und erzählte ihr meine Unterredung. So haben wir doch wenigstens einen, auf den wir zählen können, fuhr ich nach mancherlei Fragen ihrerseits fort. Und, wissen Sie, jetzt wünsche ich nichts sehnlicher, als bald in der Länge und Breite zu sein, in der die Insel liegen soll, denn da ich nun durch Wetherley erfahren, daß ich die Insel finden muß, wenn nicht großes Unheil über uns kommen soll, so habe ich die feste Absicht, sie zu schaffen, wenn sie nicht da ist. Sie sah mich groß an. Das verstehe ich nicht. Nun, näheres darüber kann ich auch noch nicht sagen, aber der Gedanke, der mir dunkel vorschwebt, ist vielleicht nicht unausführbar und läßt mich hoffen — merken Sie aber wohl, nur hoffen —, einen Weg zur Flucht mit Wetherley zusammen in dieser Bark zu finden. Sie glühte vor Aufregung bei meinen Worten. Mein Gott, welcher Plan! Wie könnte solch ein Wagestück gelingen? Wie? DaS erfordert noch viel Nachdenken. Jedenfalls ist die Südsee voller kleiner Felseneilande, und darunter hoffe ich auf eins zu stoßen, das meinem Plane entspricht. Doch nun will ich schnell noch etwas schlafen, denn um zwölf Uhr beginnt wieder meine Wache. — 169 — Diese Warnung nagte an mir wie ein fressender Wurm, ich fühlte, tvie meine physischen und geistigen Kräfte darunter litten und nachließen. Ich nahm daher eines Tages Gelegenheit, ein ernstes Wort mit meiner Ge nossin zu sprechen, ihr vorzustellen, wie sehr der Gram über ihren Zustand an mir zehrte und wie ich unter dem Druck desselben befürchtete, vielleicht einmal irgend ettvas zu begehen, tvas unberechenbare Folgen nach sich ziehen könnte. Noch nie hatte ich so zu ihr gesprochen. Ich verhehlte ihr nichts von dem, was ich früher in meiner Brust verschlossen hatte, um ihre Angst nicht noch zu erhöhen; ich schenkte ihr einmal vollständig klaren Wein ein, und da mit erreichte ich, Gott sei Dank, meinen Zweck. Der Gedanke, daß sie mög licherweise ohne mich auf dem Schiff Zurückbleiben könnte, verfehlte seine Wirkung nicht. Schon am nächsten Tage zeigte sie ein anderes, mich wieder er mutigendes Wesen. Beim Frühstück sagte sie: Ich habe mir Ihre Vorstellungen von gestern zu Herzen genommen und Einkehr gehalten. Ich schäme mich meines Benehmens und will mich bessern. Es war selbstsüchtig von mir, nur an mich und nicht auch an Sie zu denken, wo Sie in allem nur allein an mich dachten. Sie sollen sich von nun an nicht mehr über mich zu beklagen haben. Und sie hielt Wort: fortab zeigte sie sich mutig und entschlossen: ich hörte keinen Seufzer mehr. Mit ungeheuerer Willenskraft, unterdrückte sie jede heftige Gegenrede, gleichviel, in welche Stimmung uns auch dies oder jenes Gespräch versetzt hatte. Oesters wurde ich durch eine fast liebevolle Rücksicht überrascht, ja mitunter sogar erhaschte ich einen beinahe zärtlich auf mich gerichteten Blick, wenn ich plötzlich einmal von meiner Arbeit aufsah. Trotzdem aber ließ sie sich niemals verleiten, mir durch Worte irgend welche Hoffnung zu geben, daß ich ihrem Herzen näher getreten tväre. Bei den Verhältnissen, unter denen wir lebten, war dies eigentlich auch natürlich. Ich schätzte mich schon glücklich über die plötzliche Aenderung ihres ganzen Wesens und bewunderte von neuem ihre Charakterstärke. Ich sann auch viel darüber nach, ihr irgend eine Beschäftigung zu ver schaffen. Endlich kam mir in dieser Beziehung eine Eingebung. Wir näherten uns mehr und mehr dem rauhen Klima des Kap Horn, und da mußte sie durchaus wärmere Bekleidung haben. Unter der Garderobe des Kapitäns hatte ich einen langen, noch kaum getragenen Ueberzieher bemerkt-: den brachte ich ihr eines Tages und sagte: Werden Sie mir nicht böse sein, wenn ich Sie bitte, sich einmal diesen Rock anzusehen? Vielleicht paßt er Ihnen, und wenn nicht, versuchen wi» beide ihn zurecht zu bringen. Was meinen Sie? Sie lachte heiter auf, besah sich das Ding von allen Seiten und hatte offenbar Spaß an der Idee. Ach Gott, wissen Sie, rief sie, munter auf springend, was tut man nicht alles in der Not. Ich will ihn anprobieren. So hielt ich ihn denn, und sie fuhr hinein. Wir waren dabei beide fröhlich wie Kinder, die sich verkleiden. Der Rock war jedenfalls in seiner Weite für breitere Schultern als die des Kapitäns bestimmt gewesen und glitt spielend über die Schultern des Mädchens. Ich trat einige Schritte zurück, um sie besser betrachten zu können, und war entzückt, wie gut ihr das Kleidungsstück jtck- Sie müssen sich selbst sehen.