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1 Mszeitimg Erscheint täglich nachm, mit Ausnahme der Soun« u. Festtage. Bezugspreis r Vierteljahr!. 1 Mk. 5V Pf. (ohne Bestellgeld). Post-Bestellnummer 8858. Bei auherdeutschen Postanstalten laut Zeitungs-Preisliste. Einzelnummer 1« Pfennige. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit. vtlcdirrucittrel, beaalttlsn una kercdSNrzteller Dresden, Pilluitzer Straße 43. Inserate werden die 6 gespaltene Petitzeile oder deren Raum mit 15 Pf, berechnet, bei Wiederholung bedeutender Rabatt. Redaktions-Sprechstunde: 11—1 Ilhr. Fernsprecher: Amt I. Nr. 1566. Ä1Ä. Katholiken: Thomas. Freitag, den 18. September 1903. P»,Ti,».. 2. Jahrgang. Eine Woche der Kongresse müßte man die letzte Woche nennen, wollte man ihr einen besonderen Namen geben. Es haben, nm nur einige zu nennen, der Anwaltstag in Straßburg, der Aerztetag in Köln, der Kongreß des Verbandes für Binnenschiffahrt in Mannheim, der bayerische Landestag des Evangelischen Bundes in Rothenburg o. T., der Handwerks- und Gewerbekammertag in München, der Verbandstag der Gewerbegerichte in Dresden, der Kongreß des Vereins für Sozialpolitik in Hamburg und der sozialdemokratische Parteitag in Dresden getagt. Auch wenn man von den beiden letztgenannten Versammlungen absieht, hatten ver schiedene dieser Veranstaltungen allgemein bemerkenswerte politische Bedeutung. So wurde in Mannheim eine Kund gebung nicht nur für den Mittellandkanal, sondern auch für die Kanalisierung des Oberrhcins, des Mains und des Neckars beschlossen. In München wurden mancherlei be rechtigte Forderungen des Handwerks an die Negierungen lll'.d Parlamente gestellt. In wurde gleich- mäßig zu fröhlichem Kampf gegen die Katholiken ge blasen und zugleich heuchlerische Friedensschalmei geflötet. In Köln wurde mit großer Begeisterung der Ausbeutung der Aerzte durch die Krankenkassen Fehde angesagt und damit zugleich den streikenden Aerzten in Rheydt eine er wünschte Rückenstärkung geliefert. In Hamburg trafen sich die Sozialpolitiker aller Parteien, die nicht den zwei Extremen, dem Klassenkampf und der Scharfmacherei, hul digen, zu fruchtbringender Arbeit. Hier in Dresden, das in diesem Sommer wegen der Städteausstellnng eine bevorzugte Kongreßstadt ist. holten sich die Sozialdemo kraten eine moralische Niederlage, indem sie mit ihrer Ab lehnung der Proportionalwahl für die Gewerbegerichte ihren nackten Partei-Egoismus allzu offen enthüllten. In noch schlimmerer Beleuchtung zeigten sich freilich die Zustände in der Umsturzpartei bei dem unmittelbar aus den Gewerbegerichtstag ebenfalls in Dresden folgenden sozialdemokratischen Parteitag. Daß die „Ober genossen" auf ihreu Kongressen hart aneinander geraten, ist man ja freilich gewöhnt, und es hat auch schon bei früheren Gelegenheiten nicht an den gegenseitigen Schmeicheleien duftigster Art gefehlt. Aber so erbittert wie jetzt sind die Herrschaften doch noch kaum jemals über einander hergesallen. „Schulbnbenmätzige Beschimpfungen" warf Präsident Singer in aller „Brüderlichkeit" den Sprechern der verschiedenen Richtungen vor. Aber diesmal lag freilich auch ein ganz besonderer Anlaß zu hitzigen Auseinandersetzungen vor; Bebel, Kautsky usw., die „Un entwegten" der revolutionären Fahne, hatten es sich nämlich in den Kopf gesetzt, dem „Komödienspielen" in der Partei endlich einmal ein Ziel zu setzen und mit den „ver schwommenen" Revisionisten gründlich aufznränmen. Der „große Kladderadatsch", den Bebel so oft schon für die bürgerliche Gesellschaft prophezeit hat, nm nachher durch die Ereignisse Lügen gestraft zu werden, sollte nun aber gewiß und wahrhaftig kommen — wenn auch einstweilen nicht innerhalb jener „verrotteten" Gesellschaft, sondern innerhalb der Sozialdemokratie selbst! Kein Pardon! Das war die Losung auf Seiten derer um Bebel und Kautsky. Die Revisionisten Bernstein, Heine, Braun, Göhre nsw. ans der anderen Seite waren auch nicht schlecht mit Gift und Galle geladen. Doch überwiegt hier wohl noch immer der Wunsch, mit den anderen zusammen in einer Partei zu bleiben, zumal für beide Teile doch außerordentlich viel ans dem Spiele steht. Das sehen auch die Ruhigen unter den Alt-Marxisten ein. die als eine Art Mittelpartei die Versöhnung der Gegensätze austreben. Ob ihnen dies jetzt noch gelingen wird, mag dahingestellt bleiben. Wir als Gegner der Sozialdemokratie wünschen ihnen — in allem Ernste gesprochen — Glück dazu. Denn es ist unseres Er- achtens für die Unentwegten in der Sozialdemokratie zehn mal schlimmer, wenn die Revisionisten in der Partei bleibbil »ns varin weiter als Sauerteig wirken, als wenn sie ausgeschlossen werden. Ihr Anhang ist ja — etwa von der Gefolgschaft des Herrn v. Voll mar in Bayern abgesehen — offenbar nicht sehr groß. Sozialdemokratischer Parteitag zu Dresden. Opa. Dresden, 10. September 11)03. (Nachdruck verboten.) Nach der Mittagspause hat zunächst Pfannkuch das Schlußwort. Inzwischen ist folgende Resolution einge gangen. „Der Parteitag fordert die Fraktion auf, es in der Frage der Besetzung der Vizepräsidenten- und Schriftsührcrposlen im Reichstag bei ihrer bisherigen Stellung — Anlehnung aller nicht durch die Geschäftsordnung vorgcschriebeucn Verpflichtungen — zu belassen. Der Parteitag verurteilt auf das entschiedenste die revisionistischen Bestrebungen, unsere bisherige bewährte und sieggekrönte, auf dem Klassenkampf beruhende Taktik in dein Sinne zu ändern, das; au Stelle der Eroberung der politischen Macht durch Uebcrlviudung unserer Gegner eine Politik des Entgegenkommens an die be stehende Ordnung der Dinge tritt. Die Folge einer derartigen revisionistischen Taktik wäre, daß aus einer Partei, die auf die möglichst rasche »mwaudlung der be stehenden bürgerlichen in die sozialistische Gesellschaftsordnung hin arbeitet, also im besten Sinne des Wortes revolutionär ist. eine Partei tritt, die sich mit der Reformierung der bürgerlichen Gesell schaft begnügt. Der Parteitag verurteilt ferner jedes Bestreben, die vorhan denen, stets wachsenden Klassengegensätze zu vertuschen, um eine Anlehnung an bürgerliche Parteien zu erleichtern. Der Parteitag erwartet, daß die Fraktion die größere Macht, die sie durch die vermehrte Zahl ihrer Mitglieder wie durch die ge waltige Zunahme der hinter ihr stehenden Wählermassen erlangt, entsprechend den Grundsätzen unseres Programms dazu benutzt, die Interessen der Arbeiterklasse, die Erweiterung und Sicherung der politischen Freiheit und der gleichen Rechte für alle aufs kraftvollste und nachdrücklichste wahrzunehmen und den Kampf wider Militaris mus und Marinismus, Wider Kolonial- und Wellpolitik, Wider lln- Blei ini Herzen. Erzählung von I. N. von der Lans. Aus dem Holländischen übersetzt von L. van Heemsiede. (4. Fortsetzung.» (Nachdruck verboten.» „Ich finde, daß die Lenke einen übertriebenen Luxus an den Tag legen", sagte die Dame, die der Doktorsfran wiederholt allerlei Schmeichelhaftes über ihren auserlesenen Geschmack zugewispert hatte, „es ist überladen, prahlerisch, so recht Parvenümäßig." „Das kann ich nun gerade nicht behaupten", erwiderte der Herr Gemahl, „obschon ich gestehen muß, daß ich alles nicht so sorgfältig ausgenommen habe, wie Du." „Ich weiß auch, weshalb sie es tun, wenigstens die Frau Doktor, denn der Doktor selbst kommt dabei gar nicht inbetracht, er wird einfach überstimmt." „Und das wäre?" „Nun, sie will höher hinaus, wie alle Frauen!" „Danke für das Kompliment! Aber, warum laden sie denn die Juden mit ein?" „Das wird wohl auch seine Gründe haben. Der Junker von Grünsen wird jedoch wohl in erster Reihe stehen, schade nur. daß die einfältige Henriette sich wenig oder garnichts aus seinen Huldigungen zu machen scheint." „Na, die Welt ist nun einmal so, uns geht daS eigent lich auch weiter nichts an. Bei Doktor de Vries speist man übrigens vorzüglich, das muß man ihm lassen. Er ist ein äußerst respektabler Mann und seine Gemahlin eine treff liche Gastfrau. Was kann man mehr verlangen?" „Sie hat gewiß wieder auf die Dekoration für ihren Mann angespielt?" „Warum sollte sie nicht? Der Doktor hat zweifellos weit mehr Ansprüche aus eine Auszeichnung, als so mancher andere. Wenn ich etwas für ihn tun kann, werde ich es nicht unterlassen. Es sind nur zu viele Anwärter da!" „Wenn die Frau Doktor das fertig brächte, und ihre Tochter sich mit dem Junker verlobt, na, ich glaube das Land würde ihr zu klein!" Während diese und ähnliche Gespräche zwischen den heimkehrenden Gästen geführt wurden, hatten der Gastherr und die Gastfrau eine Unterhaltung, die nicht weniger pikant war. Konrad hatte sich sofort, nachdem die Gäste fort waren, mit seinen elektrischen Batterien zu schaffen gemacht, während Henriette, die sich in der Gesellschaft des Junkers den ganzen Abend gelangwcilt hatte, sich in ihr Zimmer zurück- zog, um sich umznkleiden. Die Dienstboten waren eifrig beschäftigt, den Tisch abzuräumen, was natürlich mit nicht geringem Lärm vor sich ging. Die Lohndiener hatten ihre schwarzen Röcke ansgezogen und damit zugleich ihre feierliche Miene abgelegt: sie scherzten mit den Mägden, freuten sich der reichlichen Trinkgelder, die ihnen zngeflossen waren, und gedachten, sich an den Resten der Tafel in der Küche gütlich zu tun. Von dein Herrn und der Frau des Hauses, die soeben noch den Mittelpunkt der glänzenden Versammlung gebildet hatten, nahm jetzt keiner mehr Notiz. Frau de Vries, müde von der Komödie, die sie den ganzen Abend gespielt hatte, ließ sich in ihrem malven farbigen Seidenkleid auf ein Sopha im Salon nieder und betrachtete mit einem Gefühl von Mißbehagen die rings angv-richtete Unordnung. Der Doktor stand mit den Händen ans dem Rücken vor dem glimmenden Kamin und starrte düster vor sich hin auf die zarten Farben des kostbaren Smyrnateppichs. In dem Hellen Lichte der Gaskronen schienen seine grauen Haare fast weiß, die Furchen seiner Stirn waren tiefer, die Wangen eingefallen; er mochte wohl nm zehn Jahre älter erscheinen. Mit einem tiefen Seufzer ließ er sich in einen begnemen Sessel, der in seiner Nähe stand, fallen. „Dachte ich cS mir nicht," murmelte seine Frau zwischen den Zähnen, „das habe ich nun wieder von all meiner Mühe!" „Du weißt recht gut, daß es mir weit lieber wäre, wenn Dll Dir diese Mühe spartest," erwiderte ihr Gatte verdrießlich. „Ja, wenn es nach Deinem Willen ginge, so lebten recht, Unterdrückung und Ausbeutung in jeglicher Gestalt noch ener gischer zu führen, als es ihr visher möglich gewesen ist. Bebel. Kautsky. Singer. Es folgt die Abstimmung. Es wird zunächst die Abstimmung über den Antrag des Parteivorstandes vorgenommen: dieselbe ist eine namentliche. Der Antrag wird mit 233 gegen 21 Stimmen angenommen. Es ent halten sich der Abstimmung vier Mitglieder, darunter Bernstein, Auer, Heymann-Stuttgart. Es folgt der Punkt „Differenz zwischen dem Ge nossen Bebel und der VorwärtS-Nedaktion". Bebel: Inzwischen habe sich die Sachlage so geändert, daß eine lange Diskussion nicht nötig sein werde. Von der Zurückweisung seiner Erklärung durch den Vorwärts sei er sehr überrascht gewesen; er habe telegraphisch die Auf nahme verlangt. Eisner vom Vorwärts habe ihn nicht vergewaltigen wollen, sondern habe im Partciinteresse zu handeln geglaubt. Diesen Standpunkt halte er für bedenklich, wenn er auch an seinem guten Willen nicht zweifle. Die Preßkommission habe zu seinen, Redners, Gunsten J'"'''"edLN. Da der „Vorwärts" seine Erklärung am 0. September gebracht habe, habe er 'Orteresst; mehr gehabt, die Entscheidung des Parteitages anzurnfen. Er )ei damit völlig befriedigt gewesen. Eisner: (Redakteur des Vorwärts) erklärt, nachdem Bebel die Loyalität der Redaktion anerkannt habe, wolle er diese Frage nicht zum Gegenstand einer allsgedehnten Diskussion machen, umsoweniger, da die Parteigenossen im Lande die berechtigte Sehnsucht hätten, zu hören, was der Parteitag tun wolle. (Sehr richtig!) Abg. Aller meint, die Stichwahl in Marburg (die in der Bebelschen Erklärung auch eine Rolle spielte) zeige, daß es künftig einfach unmöglich sein werde — was man in München leider getan habe — die Taktik der Partei ans Jahre hinaus festznlegen (Beifall und Zustimmung). Abg. Heine gibt Aufklärungen darüber, wie es sich mit dem Bebel gemachten Vorwurf verhalte, daß er „in Küßnacht schlafe". Er, Redner, habe in einer Versammlung anSgesührt, Bebel habe die Idee, es bestehe eine revisionistische Verschwörung, der sich in der Haupt- und Staatsaktion der Kniehosen (Heiterkeit) äußere. Das sei ein Gespenst und ein Traninbild, das ihn genarrt habe. — Ans einen Zuruf, den er dahin verstanden habe: darf er das nicht? habe er dann weiter ansgeführt: „Selbstverständlich gönne ich dem Genossen Bebel seine Ruhe; er ist der Wächter der Partei und er hat nur in diesem Falle von dem Rechte eines jeden Wächters Gebrauch gemacht: er ist mal eingeschlafen und hat sich durch Traumbilder und Gespenster narren lassen, und dann hat er zur Unrechten Zeit Alarm geblasen." Diese Aenßerung sei mm Bebel in verstümmelter und tendenziöser Form von irgend einem Genossen hinterbracht worden und Bebel habe sich dadurch zu Unrecht verletzt gefühlt. (Zuruf des Abg. Stadihagcn: Marbnrger An- wir wie die Einsiedler und gäben all unser Geld den Armen." „Das stände uns jedenfalls besser an, als diese über mäßige Verschwendung." „Uebermäßige Verschwendung!" entgegnete seine Frau mit geringschätzigem Achselzucken, »veil Du in beschränkten Verhältnissen emporgewachsen bist, nennst Du alles Ver- schivendnng und bedenkst garnicht, was »vir unserem Stande schuldig sind. Du solltest mir lieber danken, daß ich über Deine bescheidene Herkunft den Schleier breite und Dich mit Angehörigen der ersten Kreise, zu welchen Du Dich nie emporgeschwnngen hättest, znsammenführe." „Ich verlange keineswegs danach, mich in Kreise zu drängen, wohinein ich nicht gehöre." „Das ist es ja eben, was ich sage: Tn fühlst Dich in diesen Kreisen nicht heimisch, aber das ist kein Grund, mir und meinen Kindern den Platz zu mißgönnen, der »ns zn- konnnt. Du siehst nicht ein, was ich damit bezwecke, wenn Du aber durch melne Vermittelung den Orden vom nieder ländischen Löwen oder eine Professur an der Utrechter Universität erhältst, wirst Du wohl anderer Meinung werden." „Du weißt, daß ich mir ans Anszeichnnngen und Ehren posten nie etwas gemacht habe." „Ja, ich weiß es leider, und ick» weiß auch, daß Dir an den» besseren Fortkommen unserer Kinder nichts ge legen ist. Umsomehr werde ich darauf Bedacht nehmen. Während Tn Deine Zeit und Dein Geld an eine Aunen- Praxis verschwendest, die —" „Das nennst Du Zeit und Geld verschwenden, wenn man sich der Arme» annimmt? Ich meine, das wäre eine Arbeit, die uns Segen bringe» muß; was dagegen an einem solchen Abend wie diesen» daranigeht, das ist buchstäblich fortgeworfen!" „In Deinen Angen natürlich! Meinst Du denn, »vir hätten Junker von Grünsen bei »ms gesehen, wenn wir nns nicht den Ansprüchen seines Standes gemäß eingerichtet hätten? Wenn Du nicht blind wärest, hättest Du sehen können, »vie eifrig er sich nm die Gunst unserer Henriette bewarb." (Fortsetzung folgt.) '