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Beilage zu Nr. 26l der „Sächsischen Volkszeitung". Die polnische Nationalliga. st. Breslau, 1. Nov. 1904. Der Öfteren l,at die Presse in Deutschland darauf bin- gewiesen, daß die sog. radikalpolnische Bewegung mit ähn lichen Faktoren über der Grenze in Verbindung stehen muß. Ein Hehler, der dabei in der Regel gemacht wurde, war der, daß man alle Erscheinungen des polnischen Elementes als gleichbedeutend ansah. daß man nicht unterschied zwischen Polen und Polen und nur eine Art des Polonismus gelten ließ, die des staatsgeführlichen, mit Elementen anderer Reiclze korrespondierenden Radikalpolonismus. Auf diese Ansiassung sind die meisten der antipolnischen Gesetze anf- gcbaut, die alsdann vor allem die breiten, entiveder un schuldigen oder verführten Volksmassen treffen, die Schul digen aber leer ausgehen lassen. Um so freudiger muß inan es begrüßen, wenn das vor Kurzem erschienene Werk Dr. Stephans: „Der Benthener Prozeß im Lichte der Wahr heit" darin etwas Klarheit gebracht hat. Es ist jederzeit gut. wenn Unrecht geschieht, daß man sieht, wo die Unrecht handelnden sind. Nach deit Darlegungen Tr. Stephans ist ein Zweifel daran, daß polnische Elemente Preußens mit Elementen anderer Länder an einer Trennung östlicher Landesteile arbeiten, so gut wie ausgeschlossen. Aber eben so ist klargelegt, daß nur eine bisher kleine Partei an dieser Arbeit beteiligt ist; es ist die Partei, die sich ans der soge nannten polnischen li^n nai<»<l«»vn ans der polnischen Natwnalliga heraus entwickelt hat, in Galizien und Rnssnch-Polen den Namen „nationaldemokratische Partei" oder „allpolnische Partei" führt und bei uns in der Regel große polnische oder radikalpolnische Partei genannt wird. Diese Partei ist gegenwärtig nur in Oberschlesicn im Katto- witzer Gornoslazak vertreten, den der Gleiwitzcr Gloßlasti scheinbar nnbewnßt unterstützt: ein Posensches Blatt, das denselben Ideen huldigte, scheint in den letzten Monaten znrückgetreten zu sein. Alle anderen Richtungen unter den polnischen Politikern mögen andere Hehler machen, unrecht ist jedoch, wenn man diese als Radikalpolen bezeichnet und ans eine Stufe stellt mit den genannten Nationäldemotraten. Es steht auch nicht fest, wollte man in der Nationalliga eine Institution erblicken, der sich der Gornoslazat' blindlings fügen mußte. Was aber das genannte Werk nachweist, is: das. daß zwischen dem Gornoslazak und der Natwnalliga eine Einheit des Zieles, des Programms der Grundsätze und Mittel in der Tätigkeit besteht, und der Name, den sich die Natwnalliga gern beilegen läßt, „Nationalregiernng", Erben der Gewalt der alten polnischen Könige und Reichs tage eine weitere Bedeutung nicht hat. Die Nationalliga hat ihren Sitz in Warschau und einen geheimen Charakter. Ihr Ursprung ist znrückznführcn einerseits ans eine Vereinigung unter den polnischen Emi grauten, den nach den Aufständen von 1848 und 1808 nach England, Frankreich und der Schweiz ansgewanderten Polen, andererseits ans eine Verbindung von jungen Leuten, meist Studenten, in Warschau, die im Jahre 1880 entstand, sich liga polska nannte und nach eigenem späteren ! Geständnis sozialistischen Ideen huldigte. Nachgewiesen , ist wenigstens, daß ein Teil der Mitglieder das sozialistische ! Blatt Glos (Stimme) herausgab, daß das in London ge- j gründete polnische Sozialistenblatt Przedswit (Dämme rung) von ihnen moralisch und materiell unterstützt wurde. Als jedoch im Jahre 1894 die russisclte Polizei sowohl den Glos inhibierte als auch einige Mitglieder der liga polska verhaftete, wurde mit einigen Änderungen im Statut aus der liga polska die liga nawodnotva, deren Zentralkomitee aus 5 Mitgliedern besteht und in Warschau seinen Sitz hat und statt des sozialistischen Glos wurde nun eine Zeitschrift gegründet mit dem Namen Przagladwszech-polski (alt polnische Rnndschan), die in (Yalizien gedruckt und durch Zwischenleute über die Grenze geschasst wird. Diese Natio- ualliga arbeitete bis zum Jahre 1890 im Geheimen, grün dete dann aber die sogenannte uationaldeniokratische Partei nnd erließ als deren Leiterin Ende 1899 au alle polnischen Zeitungen einen Aufruf, der jedoch von beinahe allen Zeitungen als eine Torheit und als ein Narrenwerk ersten ! Ranges hingestellt wurde. Ter Gornoslazat hat jedoch in Nr. 92 des Jahres 1908 das darin enthaltene Programm als „allein seligmachend" hingestellt und arbeitet ans dem Boden desselben. Die Hanptideen dieses Ausrufs sind, wenn einige Kommentare zu Hilfe genommen werden, folgende: Polen ist bisher ein ausgewachsenes Gebilde, weil darin stets nur besonders bevorzugte Klassen, der Adel und die Geistlichkeit, die Herrschaft führten, das eigentliche polnische , Element, das Volk, gar nicht zur politischen Beteiligung gekommen ist. Deshalb muß dafür gesorgt werde», daß im küustigen polnischen Reiche das Volk, die ganze Nation, ! alle Polen an der Regierung Mitarbeiten und daß jetzt schon i als Fundament für dieses künftige Polenreich die ganze polnische Nation, alle Polen zur gemeinsamen Arbeit heran gezogen werden, damit ans Grund dieser allpolnischen Par tei eine „nationale Demokratie" zu stände kommt. Was diese nationale Demokratie für Grundsätze vertreten wird. ! ist ersichtlich aus den Grundsätzen, welche die Natwnalliga als die Vorstufe dazu oder als die antizipierte National regierung in dem genannten Aufruf veröffentlicht. Dort i wird nach dem Wortlaut in genannten Worten gesagt, daß sie „nicht die unmittelbare Vorbereitung zu einer Kamps- bewegung znm Ziele hat", daß sie aber aus kein Mittel der Tätigkeit verzichtet, das sich als wirksam erweist, daß sie vor allem aus den Volksmassen tätige politische Kräfte ans- bilden und sie znm ständigen und systematischen Kamps um die Rechte der Nation in Bewegung bringen sollte, einen Kampf, der im letzten Ziel zur Wiedererlangung der »»ab ! hängigen staatlichen Cristen,z führt, daß sie „ihre Schar voi allem durch die Werbung unter dem Volke stärkt", daß sie. j „die Vertreterin des Volkes" und zwar „beute die einzig" - Vertreterin der Nation ist", daß, wie in ihrem Standpunkt alles was sie dem Ziele der politisclien Unabhängigkeit näher bringt, gut, was sie davon entfernt, schlecht ist. daß dies das richtige Maß in Sachen der Nationalpolitik ist, nnd dergleichen. Es scheint nun, als ob die anderen polnischen Zeitungen bisher nicht gewußt haben, daß die obersclzlesischen Radikal- polen diese Politik verfolgen, sonst hätten sie der Bewegung nickt soviel Vorschub geleistet durch Bekämpfen ihrer Gegner, vor allem hätten sie den Männern vom Gornos lazak nicht geglaubt, wenn sie ihnen vorredete, daß sie sich und das oberschlesische Volk nur gegen die Germanisation ! verteidigen. Die Politik der polnischen Natwnalliga ist , es vor allein, welche die oberichlcsische Geistlichkeit nnd das ! Zentrum in der Bewegung des Gornoslazak verfolgt und in diesem Kampfe steht ihr der Katholik in seiner Weise bei. Wenn sie Tr. Stephans Schilderung der polnischen Nati- ^ »aldemokrateu gelesen haben, müssen sie selbst sich der Be- ! kämpsung der unheilvollen Politik des Gornoslazak an- ! schließen. Aus Ltndt und —* Die „Dresdner Nachrichten" bringen im ! Briefkasten ibrer LonntagSuirmmer folgende Notiz: Ein böses Beispiel kalhotn'ctier Undulös,,mkcn bcrichlcte kürzlich aus einer Veranstaltung des Gustav Ädvls-Bereius ein Heber evange- l liicher Kirchenbeanue:. In, Paienschcn wurde eine evangelische i Kirche eingeweidr. Der Zrslzvg zm» neuen Gviieshanie inuyte an der katholischen Kurve vorbei. Die Teilnehmer an, ^esiznge waren nun nicht wenig erstaunt, als sic an der Tür der katholischen Kirche mit großen Kreidebuchsraben folgende Worte keien niaizien: «Herr, ! Gon, der die Rache ist. erscheine! Erhebe dich, du Richter der Welt; , vergilt den Hossärtigen. was sie verdienen!" Das war der Grus; der ..schwesler'-Kirche, geschrieben von der Hand des katholischen Probsies! ^ein Rachegebel war rninoinnn n ans den, !0. Psalm, , den, „Gebete gegen die llntcidrsirker des Volkes Gottes!" Bevor nicht der Name und der Wohnort des „hohen evangelischen Kircheiibeamleii" genannt und der Ort. wo das Vorkommnis sich abgespielt hat, genau bezeichnet wird, müssen wir die ganze Darstellung siir ein böswilliges Lügengewebe Hallen, erfunden, um die Gemüter der Protestanten gegen ihre katholischen Mitbürger ansznregcn. Wir glauben aunehmeu zu ionnen, daß sich die Sache als ein würdiges Seileiistuck der „schönen Tat religiöser Duld- sumkcit" aus Meißen crweisen wird. Nn» haben die „Dresdner Nachrichten" das Wort! — * Sachscnstislnng. unentgeltlicher Arbeit-:Nachweis für gediente Soldaten. Nachdem die Entlassung kur Riser- Piste» nun bei allen Truppenteilen erfolgt ist und bei den Geschäftsstellen der Stiftung noch zahlreiche Arbeiluicheude eingetragen sind, die bisher noch nicht untei gebracht werden konnten, richtet die Storung erneut au die Arbeitgeber die Bitte, ihre durch die nunmehr erfolgte Einziehung der Rekruten zum Militär in ihren Geschäften und Fabriken wieder neu zu besetzenden Stellen der Stiftung baldigst anzuzeigeir, durch welche ihnen von allen Truppenteilen entlassene und für die verschiedensten Erwerbsgebiete ge eignete. au militärische Zucht und Ordnung gewöhnte Leute schnellstens zugewieseu werde». Geschäftsstellen der Stiftung befinden sich an jedem Sitz einer Anrtshanptmannschast und in allen Garnisonen. Die Zentrale der Sachsenstistmig, für den mündlichen Verkehr geöffnet Sonntags l l — l Uhr, i wochent.2 —8 Uhr, brnndet sich in Tre.-deii-Löbtau, Bünaustr. 8 t, II. AIS Adresse genügt: „?In die Sactzseiistiftmig zu . . ." — 100 — Jahrhunderts nur wenig von unserer Zeit abwicheu. Darum kann ich nur wiederholen, daß — trotz der Eiuweuduugeu sehr ehrenwerter Freunde, welche die meisten Tinge, die nicht ganz so alt sind wie sie selbst, verdammen — wir alle Ursache haben zufrieden zu sein, daß wir in einer Zeit leben, wo die malerische Postkutsche nicht mehr zu den Bedingungen unseres täglichen Lebens gebärt. Hauwitch lag ungefähr 5,0 Meilen von London. Heute würde ein Reisender die Strecke in ungefähr 1-"^ Stunden zürücklegeu. Wenn Holds- worth um halb acht des Morgens sich auf den Weg machte, tonnte er vor ausgesetzt, daß der Wagen nicht entzwei brach oder umwarf - - die Stadt um vier Ubr nachmittags erreichen. Er erwachte um halb sieben und stand sofort auf. Der Morgen war freuiidlich, aber trotz aller Beiiiülmugen des Sonnenscheins, die Trabtgitter und staubigen Scheiben der Fenster der Friibstücksstube zu durchdriiigeu, ver mochte derselbe doch nicht, dem uuaufgeräumten Zimmer mit seinen unge deckten Tischen, dem blau augelaufeueu Spiegel über den: Kamin und den altmodischen Stichen au den Wänden ei» freundliches Aussehen zu geben. Aus Holdswortbs Klingeln erschien verschlafen und ungewaschen der Kellner. Hvldswortb batte cs versäumt, eh' er zu Bett ging, zu bestellen, daß er zu einer uugewöbulich frühen Stunde sein Frühstück haben wollte. Aus Rache leierte ibm der Kellner nun einen laugen Speisezettel ab, erklärte aber bei jedem Gericht, welches Holdswortl, verlangte, daß dasselbe unmöglich vor halb neun fertig sein könnte. Tee und kalter Schinken mußte daber ge- uügen. Der Kellner zog sich zurück, blieb aber mit dem Bestellten so lauge aus, daß, als er endlich kam, Holdsworth eben im Begriff war nuszubrecheu, da er befürchtete, den Abgang der Post zu versäumen. Der Tee wie der Im biß war von so schlechter Beschaffenheit, daß Holdswortl), nachdem er nur wenig davon gekostet batte, alles sieben ließ, seine Rechnung bezablte und, gefolgt vom Hausknecht, der seinen Koffer trug, zur Post ging. Als er dort anlangte, fehlten noch zehn Minuten bis zur Abfabrtszeit. Der Wagen stand noch im Postliof und wurde erst bespannt. Holdsworth trat deshalb ins Wartezimmer und ließ sich bier, um die Reise nicht mit ganz nüchternem Magen anzutreten, etwas Gebäck und einen Schnaps geben. Er konnte das mit Muße verzehren, denn es wurde mit der Zeit nicht sehr ge nau genommen. Endlich aber fuhr der Wagen vor, der Postillion schmetterte das Abfahrtssignal und unter Stoßen, Lachen nn- Schreien suchte jeder der in großer Zahl vertretenen Passagiere seinen Platz zn gewinnen. Während dessen stand der Postillion, eingemumnit, als wäre tiefster Winter und ein Schneetreiben zu erwarten, neben den Pferden. Eine kurze Pfeife zwischen den Zähnen, blickte er mit lustigen, pfiffigen Augen auf den Vorgang, der noch bunter und geräuschvoller wurde durch eine Menge Männer nnd Jungen, die Zeitungen, Spazicrstöckc. Messer, Kämme und sonstige Kleinigkeiten den Fahrgästen anboten und sich im Anpreiscn ihrer Waren zu überschreicn suchten. Als endlich jeder seine sieben Sachen nnd sich selbst so gut cs ging unter- gebracht und das Posthorn noch einmal geschmettert hatte, ging die Reise los. Die Räder rasselten über das harte Pflaster die langen Straßen entlang. Holdsworth saß neben dem Postillion. — 97 — „So babe ich mich also nicht getäuscht," rief entzückt das schwatzhaste Männchen. „Ihre Hand, Herr, lassen Sie sich die Hand schütteln. Jeder Whig ist mein Freund. Ich trinke ans Ihr Wohl. Und nun sagen Sie, freilich ansseben tun Sie nicht danach - sind Sie hier z» Lande gebürtig?" „Wahrscheinlich." „Und wo sind Sie denn zn Hanse? - - wenn ich so frei sein dars." „Vorläufig nirgends." „Was Sie sagen! Nichts für ungut, da sind Sie wohl gar überseeisch, und sehr weit her?" „Ans Australien." „Gott bewahre! Klar ans Australien!" Ter Neugierige zog mit einem Ruck seinen Skulil dicht an de» seines Opfers heran. „Ans Australien! Na. so Inas! Ich bin auch ein Reisender, aber dagegen muß ich mich freilich ver stecke». Sagen Sie mal, das muß ja ein ganz wunderbares Land sein, dort wachsen ja die Kirscbe» mit den Kernen ans der Anßeioeite, und die Papageien fliegen bernm wie bei uns die Sperlinge." Holdswartb lachte. „Ja, ja," snbr der andere sort, „wenn einer so etwas gesehen bat, dann lanii er was erzählen. Ich bin in meinem Leben ans England nicht heraus- gekommen. dafür leime ich aber auch liier jeden Winkel wie meine Tasche, und schöne Wintelchen baben wir bier, das tann ich Ihnen sagen. Ist Ihnen znm Beispiel Deponsbire oder Knmberlaiid bekannt?" „Nein." „Na, lieber Herr, dann kennen Sie überhaupt gar nichts! Und dann Vortsbire, baben Sie das vielleicht mal geseben?" „Niemals." „Potztausend, da müssen Sie aber bin! Gar nicht zu sprechen van unse ren großartigen Heidelaiidschasten, unseren meileiilaiigen. gramarbige» Mooren, deren Oede nur hier und da von einem vertrüppelten Baum unter brochen wird. Ja, die sind schaurig, aber ich kenne nichts, was mich mehr an- heimelt. Vielleicht wundern Sie sich über meinen Geschmack, aber ich sage Ihnen, noch ans dem Sterbebett wird mich ihr Bild nmschwehen. Das Schönste des Schönen aber ist Kent." Dieser Name ließ Holdsworth plötzlich ansblicken, ein eigentümliclx'S Gesiibl erfaßte ilm: er sab den Redseligen neben sich mit gespannter Er wartung an. „Sie müssen nämlich wissen." sprach dieser nx'iter, „im Kentschen bin ich geboren." „So, das interessiert mich," bemertte Holdsworth. „Wo denn da?" „In Kanterbnry. Hören Sie. schon die Kathedrale allein ist eine Reise daliin wert." „Die Kathedrale von Kanterhury?" wiederholte Holdsworth wie träu mend und bemüht, ein nebcllhastes Bild festznhalten, welches in seiner Seele emportanchte. „Und dann die Gegend nin Hauwitch herum, na . . ." „Hauwitch," stieß Holdsivvrth hervor, als wenn ihn ein Dolchstoß ge troffen hätte. Er wurde leichenblaß, zitterte am ganzen Leibe und legte die Hände über seine Augen..