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Mit einer ärgerlichen Geberde streicht sie sich über die Stirn. Dann nimmt sie die Falten ihres grauen Pflegerinnengewandes zusammen und schreitet langsam, den Kopf mit den dicken Haarknoten von entschieden roter Farbe etwas gesenkt, die Marmortreppe hinauf — einen weiten Gang ent lang, bis sie an einer Tür stehen bleibt, lauscht, die Tür behutsam öffnet und sofort dahinter verschwindet. Inzwischen hat Dr. Borgoni drunten vor dem breiten Tor, über welchen in großen Lettern „St. Agatha-Krankenhaus" prangt, seinen Wagen be stiegen, dessen feurige Rappen sofort anziehen. Aufatmend legt sich der Arzt in die Kissen zurück. Ja, er hat wieder einmal eine schwere Tagesarbeit hinter sich. Als einer der erfolgreichsten Nervenärzte Italiens und leitender Arzt des „St. Agatha-Krankenhauses" ist sein Name weithin rühmlichst bekannt, obgleich er erst in der Mitte der Dreißiger steht. Er gilt als ein strenger, pflichtgetreuer Mann der Wissenschaft, dem sein Beruf, seine Ehre über alles geht, aber auch als ein kalter Mann, der jedes tieferen Empfindens, jeder „Gefühlsduselei" unzugänglich ist. Jetzt rollt die leichte Karrozza die Via Venti Setembre entlang — jetzt durch die hochgewölbte Porta Pia . . . Und jetzt hält sie vor einer eleganten zweistöckigen Villa außerhalb der Stadtmauern. Weit steht das kunstvolle, gußeiserne Portal offen. Alle Fenster sind er leuchtet. Einschmeichelnde Walzerflänge durchkosen die Luft, untermischt mit Stimmengewirr und silberhellem Lachen. Rasch, ohne die Hilfe des herbeieilenden Dieners abzuwarten, springt Dr. Borgoni aus dem Wagen. Nachdem er sich im Vestibül seines Mantels und Hutes entledigt und noch einen prüfenden Blick in den goldumrahmtcn Spiegel geworfen, wobei seine seine, wohlgepflegte Hand wiederholt selbstgefällig über den schwarzen Spitzbart strich, schreitet er langsam durch die Flucht der hellcrleuchteten, jetzt menschenleeren Zimmer — in der Richtung nach dem Tanzsaal . . . Da treffen leise Stimmen an sein Ohr. Er bleibt stehen. Aus einer breiten, von schweren, gclbseidenen Damastvorhängen vcr- dccklen Fensternische erschallt eine halb geflüsterte Unterhaltung: „Nein, lieber Junge. Das Gerücht muß falsch sein. Wie könnte die Marchesa ein Fest geben, wenn —" „Und doch, du kannst mir's glauben. Ich weiß es aus bester Quelle. Die Marchesa Borgoni steht vor dem Ruin." „Aber der Luxus! Der Aufwand! Sieh dich doch nur um!" „Alles Blendwerk! Um den Leuten Sand in die Augen zu streuen!" „Zum Kuckuck! Wie soll das enden?" „Ja, wie soll das enden! Bleibt nichts übrig, als daß Maria San Martina den alten Fürsten Torlonia heiratet." „Den alten Fürsten Torlonia? Ter ist doch beinahe siebzig —" „Aber reich, unermeßlich reich." Kleine Pause. Feuerbrände. vornan frei nach dem Italienische von krich frieren. Feuilletou-Beilage zur „Sächsischen Bolkszeitung".