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Nr. LL5 — S. Jahrgang Sonnabend de« 4. Juni 1VLV MMcheNolksMimg Erscheint tiiglich nachm, mit Ausnahme der Sonn- und Festtage. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit Inserate werden dle kgespaltcne Petitzette oder deren Raum mit »8 ^.Reklamen mit SU ^ die geile derechnet, bei Wiederholungen enisprechcndcn Rabatt. Buchdrucker»!, Redaktion und MeschästSNellei Dresden, Ptllnttzer Strafte IS. — Fernsprecher ISSS Für Rückgabe unverlangt. Schriftstücke keine ivrrbtndltchkeU RedatlimiS - Sprechstunde: It —iS Uhr. 01s dsstsn ^nfn>86f>rmA8-6or>h>or>8 v< pfunct 18 unck 20 Pfennigs, unsridbsftesioft »uf fisissn uncl Husslüßsri, ei-vsltsn 8is dsl: Herling 8- ftocüstrosi, ftcesäen. dtisrsselsAsri ln allen Ltsclttsllsn. ltkl Nochmals „die Verunglimpfung des Papstes-. Dresden, den 3 Juni 1310. Auf Grund der gefälschten Uebersetzung der Enzyklika gehen die Beschimpfungen des Papstes weiter. Diese Fälschung stammt aus dem Giftkreise des Evangeli schen Bundes: fast alle akatholischen Zeitungen sind darauf hereingesallen. Nur die „Kreuzzeitg." sagt offen, daß eine der beiden Uebersetzungen, jene des Evangelischen Bundes oder der kathol. Presse falsch sein müsse. Wie wir uns ans Grund des vorliegenden Wortlautes in der italienischen Sprache, in der die'Enzyklika abgefaßt ist, überzeugten, ist die von uns gestern veröffentlichte Uebersetzung zutreffend und richtig. Die Evangelische Bundeskorrespondenz wird ihre Fälschung nicht aufrecht erhalten können, aber vorläufig hat sie ihre Schuldigkeit getan und eine große Erregung in der protestantischen Presse hervorgerufen, die bei Einsicht in den wahren Text nicht zutage getreten wäre. Auf einen wichtigen Punkt haben wir gestern nicht hin gewiesen, auf den Umstand, daß die Enzyklika zunächst nur für Italien berechnet ist und die italienischen Zustände zur Lebenszeit des heiligen Karl Borromäus bespricht. Das Rundschreiben hat daher in erster Linie die italieni schen sogenannten Reformatoren im Auge, denen Pius X. den heiligen Erzbischof von Mailand Karl Borromäus gegenüberstellt. Allerdings sind nicht ausschließlich die ita- lienischen „Reformatoren" gemeint. Dennoch hat der Papst nicht mehr gesagt, als was auch protestantische Schriftsteller und Geschichtsschreiber wiederholt getan haben, wie wir gestern durch Wiedergabe von Aussprüchen der protestanti schen Gelehrten Diezel, Dr. Köpke, K. A. Menzel, Stifts propst K. Hansen, v. Kirchmann, Freiherr v. Stark und des berühmten Historikers Joh. Gust. Droysen nachwiesen, Es liegt also eine Beschimpfung der evangelischen Christen heit ebenso wenig vor, als eine solche in der sachlich-histori schen Darstellung von ehemaligen oder noch bestehenden Aergernissen auf katholischer Seite vernünftigerweise er blickt werden kann. Es widersteht uns. alle die Beleidigungen wiederzu geben. die die sächsische Presse auf Grund der falschen Ueber- sctzung gegen den Papst schleudert. Von dem „päpstlichen Pamphlet" der „Dr. Neuest. Nachr." wollen wir nur eine Stelle anführen, welche die Absicht des wüsten Kampfes dartut; es heißt dort, nachdem die Evangelische Bundes- Uebersetzung wiedergegeben worden war: „Man weiß nicht, worüber inan bei der Lektüre dieser Schmähschrift mehr staunen soll, ob über die maßlose Ge hässigkeit gegen alles, was evangelisch heißt, oder über die blamable Unwissenheit auf historischem Gebiete. Und das von einem Papste, dem von der Reichsregierung bei jeder sich bietenden Gelegenheit die größten Zuvorkommenheiten bewiesen werden, dessen Vertreter in Deutschland von aller höchster Stelle mit Auszeichnungen überhäuft werden." Die „Dresdn. Nachr." deklamieren folgende bekannten Verse: „Wenn aber dieser Geist eines feindseligen Zelotismus von Rom aus unausgesetzt genährt und verbreitet wird, wie soll dann unter der Herrschaft des Ultramontanismus, der die breiten katholischen Massen in Deutschland heute schrankenlos unterworfen sind, eine ehrliche Pflege konfessio neller Versöhnlichkeit möglich sein? An Friedensbeteue rungen nach dieser Richtung mangelt es ja freilich auf den ultramontanen Parteitagen nicht. Wäre es ihren Urhebern aber auch nur halbwegs ernst mit solchen Versicherungen, so müßten die leitenden Größen des Zentrums vor allen Din gen dafür Sorge tragen, daß Ausschreitungen der jesuiti schen Verfolgungssucht gegen den Protestantismus, wie sie in der jetzigen Enzyklika in so krasser Form in die Erschei nung treten, von der Parteipresse mit gebührendem Nach- druck verurteilt und zurückgewiesen würden." Sollen vielleicht die katholischen Zeitungen die Refor- matiousgeschichte aus den Lesebüchern der protestantischen Mittelschulen zur Grundlage ihrer Anschauung machen? Warum nicht die anerkannten Historiker auf beiden Seiten? Und diese urteilen, wie der Papst geurteilt hat. — Gemeiner als alle Blätter, deren Artikel uns zu Gesicht kamen, ist die „Tägl. Rundschau". Sie ist offen und sagt zynisch heraus, um was es sich bei dein ganzen Kampf handelt: sie schreibt: „Tie Augen der evangelischen Welt sind in diesen Tagen auf Preußen gerichtet, weil der König von Preußen einen Vertreter bei dem Manne hat, der auf diese Weise die Vor fahren seines Königshauses und seines Volkes so schwer be leidigt hat. Wird dieser Vertreter einem solchen Manne weiter die Huldigungen feines evangelischen Monarchen darbringen? Die bisherige Haltung der Negierung dem Vatikan gegenüber läßt leider kaum Hoffnung auf eine energische und selbstbewußte Haltung aufkommen. Unsere Negierungsleute haben sich bisher eingebildet, daß der Va tikan durch eine nachgiebige Haltung für uns eingenommen werden könnte. Mit peinlichster Sorgfalt vermeidet der Gesandte Preußens auch dort, wo cs nicht am Platze ist, was im Vatikan unangenehm empfunden werden könnte, unser jetziger Reichskanzler wohnte in St. Peter dem Got tesdienste mit einer geweihten Palme in der Hand bei, und als ein Vorgänger dem Papste seinen offiziellen Besuch machte, gab die Gesandtschaft eine offiziöse Note heraus, in der Pius wegen seiner Modernistenverfolguug durch die famose Enzyklika Utweencli belobt wurde. Wozu solche Umwedelung des Vatikans genutzt hat, hat die neueste Be schimpfung gezeigt. Mit Recht sagt sich die Kurie: Wenn evangelische Regiernngsmänner sich derartig wegwerfen, dann müssen sie uns bitter nötig haben, wir können ihnen daher alles bieten und sie unsere Macht kosten lassen. Hätten unsere Regiernngsmänner dagegen die Kurie mit etwas mehr Selbstbewusstsein behandelt, würde letztere die Trag- weite ihrer Worte besser abgemessen haben." Während die „Dr. N. Nachr." wohl auch auf den Kaiser Hinweisen, die „Dr, Nachr." sofort das Zentrum für die „Ausschreitung der jesuitischen Verfolgungssucht gegen den Protestantismus" verantwortlich machen, mißbraucht das Organ des Evaugelisclpm Blindes, die „Tägl. Rundschau", das päpstliche Rundschreiben zu politischen Zwecken. Da sieht man wieder, wer hetzt! Es geht doch den Bündlecr. nichts an, n>as der Papst zu den italienischen Katholiken spricht! Er sagt von der Vergangenheit die geschichtliche Wahrheit, sonst nichts: wenn es den Protestanten unange nehm ist, so ist das nicht unangenehmer, als wenn den Ka tholiken aus der Kirchengeschichte Fehler früherer Zeiten vorgcworfen werden, das muß eben ertragen werden, da ja kein Lebender damit beleidigt wird. In derselben Nummer bringt die „Tägl. Rundschau" die schwersten Anklagen gegen Päpste des Mittelalters: warum will sic denn verwehren, daß auch die „Reformation" und ihre Urheber nach der ge- schichtlichen Wahrheit geschildert werden? Für die Katholiken sind solche Wutausbrüche der akatholischen Presse ein Warnungssignal. Man will uns zwingen, die Wahrheit zu verschweigen oder allenfalls nur in verschwommener Form auszusprechen. Wir sollen uns beugen der Lügenatmosphäre, die uns umgibt. Die Katholiken sollen in den wichtigsten Dingen in derselben erdichteten Scheinwelt' umhergehen, in der noch vielfach die Protestanten gehalten werden: wir sollen ans Rücksicht auf den konfessionellen „Frieden" die Wahrheit mit dein Mantel der Mythe zudecken. Dagegen wird gegen die Katholiken ohne Rücksicht auf ihre Gefühle nicht nur deren Geschichte bis ins Kleinste seziert, sondern auch noch gelogen und verleumdet, so viel eben noch die Wahrscheinlichkeit ver trägt: die geschichtliche Wahrheit verlebt das protestantische Ehrgefühl, die geschichtliche Unwahrheit darf aber das ka tholische Ehrgefühl nicht verletzen. Wir müssen ans dem letzten Vorkommnis die Lehre ziehen, daß allein verschwom menen Jntcrkonfessionalismus entgcgenzutreten ist, wie es im Rundschreiben so treffend heisst. Wir verurteilen jede Beleidigung, die den Protestanten von Katholiken zugefügt wird, auf das schärfste. Aber wir lassen cs uns auch nicht verdrießen, immer wieder auf die unehrlichen Waffen hin zuweisen, mit der man die katholische Kirche bekämpft. Wie im alten Nom von Christen erzählt wurde, daß sie Kinder verzehren, so machen die heidnischen Protestanten den Ka tholizismus zum schauerlichen Wauwau, damit ihre Zu hörer denselben in den Abgrund der Hölle verwünschen. Wenn die Schulbücher noch heute der protestantischen Ju gend erzählen, daß die katholische Lehre Götzendienst ent hält, ein Ablaß Verzeihung der schwersten Sünden ver schafft und dergleichen Unsinn mehr, so wird das gebilligt: die Katholiken sollen aber die geschichtliche Wahrheit nicht hören, und wenn der Papst sie spricht, so schlachtet sie der Evangelische Bund nicht nur konfessionell, sondern auch poli tisch für seine Hetzarbeit aus. Man will aus diese Weise die ganze Aufmerksamkeit auf das konfessionelle Gebiet lenken, um einen Streit anzuzctteln, den sie politisch aus- nützen können. Wir hoffen, daß die konservative Presse sich nicht verlocken lassen wird, das konfessionelle Feuer schüren zu helfen. Politische Rundschau. Dresden, den 9. Juni 1910. — Fürst Georg von Schanmburg-Lippc hat durch einen Erlaß mitgeteilt, daß er, um die Aufbesserung der Beamten- und Lehrergehälter zu ermöglichen, der Landeskasse aus seinem eigenen Vermögen die Summe von 100 000 Mark zur Verfügung stelle mit der Bestimmung, daß diese Summe so lange in Anspruch genommen werden könne, bis die regelmäßigen Einnahmen wieder die zum Ausgleiche des durch die Gehaltserhöhung entstehenden Mehrbedarfes er forderliche Höhe erreicht haben. Der Fürst bezieht im übri gen keine Zivilliste, sondern zahlt für die Verwaltung sei nes Landes jährlich seit einigen Jahren ungefähr 200 000 Mark zu. — Ter Gesetzentwurf über die Schiffahrtsabgabcn wird am 17. Juni nachmittags den Ausschuß des Bundesrates beschäftigen und dann am 30. Juni, wahrscheinlich der letz ten Sitzung vor den Ferien, in der Plenarsitzung des Bun desrates verhandelt werden. — Eine zeitgemäße Verfügung des Kaisers erregt leb hafte Zustimmung. Ten Einjährigen ist nicht mehr er laubt, sich während der Hebungen in den benachbarten Gast- Höfen oder in Privathäusern auf eigene Kosten einzumieteu. Ferner ist an die Einjährig-Freiwilligen ein dienstliches Verbot ergangen, den Vorgesetzten Geschenke irgendwelcher Art zu machen, oder sich ihnen gegenüber in anderer Weise freigebig zn erweisen. Wer diesem Verbote zuwider han delt, hat Bestrafung wegen Ungehorsams, wenn nicht gar wegen Bestechuugsversiichs zu gewärtigen. Dieses Vorgehen des Kaisers wird allgemein begrüßt werden. — Im Preußischen Abgeordnetenhaus«: wurde am Don nerstage verschiedenes aufgearbeitet. Einzelne kleinere Vorlagen wurden in erster, zweiter und dritter Lesung fast debattelos beraten. Die Sozialdemokraten brachten mit ihren Anträgen wieder etwas Abwechselung. Der Abgeord nete Liebknecht ließ sich zu Ausfällen gegen die russische Regierung Hinreißen und veranlaßte dadurch, daß die Rechte den Saal verließ: er selbst zog sich aber während seinen Ausführungen zwei Ordnungsrufe zu. Ten Schluß bilde ten Petitionsberatungen. — Dir Rcichstagscrsabwahl in Landeshnt-Jauer zei tigte eine Stichwahl zwischen Freisinn und Sozialdemo kraten. Es erhielten bei der Neichstagsersatzwahl Büchte- mann (Fortschr. Volksp.) 6116, Proll (Soz.) 6475, Strosser (kons.) 3676, Herschel sZcntr.) 3819 Stimmen. In der .Hauptwahl am 25. Januar 1907 wareu abge^en worden für den verstorbenen freisinnigen Abgeordnete,'. Dr. Otto Hermes 5728, für den freikonservativen Kandidaten 6050, für den Sozialdemokraten 6019 und für den Zentrums kandidaten 4307 Stimmen. In der Stichwahl war dann Tr. Hermes unt 9340 gegen 7195 Stimmen, die der Frei- konservative erhielt, gewählt worden. Wir können „ich! sagen, daß dieses Resultat ein besonders günstiges sei. weder in seiner Gesamtheit noch in seinen Einzelheiten. Das Zentrum hat eine große Menge von Versammlungen abgehaltcn und doch einen Stimmenrückgang erfahren, ähn lich die Konservativen. ES gab Zentrumskreise, die sich m der Hoffnung wiegten, dah das Zentrum in die Stichwahl kommen werde: eine solche phantasievolle Politik ist wohl nun zu Ende. In den Reihen der Neichstagsfraktion hätte man es sehr gern gesehen, wenn Zentrum und Konservative sich hätten auf einen gemeinsamen Kandidaten verständigen können: dann würde dieser heute in der Stichwahl stehen und hätte das Mandat erobert. Jetzt kommt wieder der Freisinn in die Stichwahl und wird wahrscheinlich siegen: dies hätten die Zentrumswähler vereiteln können. Wenn die zuständige Zentrumsorganisaiion trotz dieser Einigun gen eine selbständige Kandidatur aufstellte, so hat sie ganz gewiß ihre guten Gründe gehabt und in der beste» Absicht gehandelt, das darf nicht verkannt werden: aber der Erfolg war nicht auf ihrer Seite. Man wird für kommende Wah len aus diesem Vorgänge lernen müssen. — Bloßer Neid ob der erfolgreichen ZeiitrnmStnktik diktiert der „Frs. Ztg." folgende Worte in die Feder: „ES ist wahr, die Taktik des Herrn v. Heydebraud ist der des Herrn Ministerpräsidenten weit überlegen, wozu nicht viel gehört: die des Zentrums ist aber doch noch geschickter. Das Zentrum hat die Freundschaft der Konservativen behalten, ist nicht als minderwertige Partei ausgeschaltct worden, es hat noch in letzter Stunde sogar den Tank der Negierung in Empfang genommen und kann sich dem Lande trotzdem als demokratische Partei zeigen. Diese Partei erzählt nun Tag für Tag prahlend, daß sie es war, die i» die öffentliche Wahl Bresche gelegt und die geheime Wahl in die Vorlage hineingebracht habe ssie ver schweigt natürlich, daß ihre geheime Wahl in Verbindung mit der indirekten gar keine Bedeutung hat und nur ein Betrug ist): sie kann ferner erzählen, der Verlauf der Ver handlungen habe gezeigt, daß das Zentrum gar nicht daran denke, den Konservativen oder sonst jemandem zuliebe Regierungspartei »nn» pliraüa zu sein, daß es dem Herren- hausbeschlusse sofort ein „Unannehmbar" entgegengesetzt habe, nur weil das plutokratischc System durch die neue Drittelung nur noch verschärft werden würde (nicht etwa, weil die Partei dadurch einige Mandate verlieren kann). Alles dies kann jetzt das Zentrum als Vertreterin des Neichstagswahlrechtes für Preußen mit der nötigen Um biegung der Wahrheit seinen Gläubigen erzählen. Die siegreichen Konservativen, die so siegestrunken und stark waren, daß sie dabei auch noch ihren eigenen Brüdern im