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Rr. LS7. Sonnabend den SS. August LVS8 7. Jahrgan«. achsischeNoMffltuns MLSZMMI N-EHW-es T-gM-tt flr WMHnt. Recht «.Meit, Für den Monat September abonniert man aus die „Sächsische Bolkszeitung" mit der täglich-n Roman- beilage sowie der wöchentlich erscheinenden Beilage „Feierabend" zum Preise von 60 söhne SeSrllgkid) durch den Boten ins Haus 70 Jagd auf Beamte Dresden, den 28 August 1908. Tic freisinnige Preise hat bisher den Mund im Falle Schücking sehr voll genommen: sie sprach von einer Spren gung des Blockes. Fetzt aber scheint die Sache eine Wen dung anzunehmen, als werde tatsächlich damit ernst ge macht, denn den Konservativen wird die Behandlung der Frage zu bunt. Sie müssen erleben, wie derzeit in der libe ral-freisinnigen Presse eiim förmliche Jagd ans Beamte ein setzt. Fast kein Tag vergeht, an dem nicht ein Artikel gegen irgend einen der konservativen unbegnemen Beamten er scheint. Damit hat freilich der Liberalismus seine Negie- rnngsfähigkeit begonnen, denn kaum war man am Nnder, da hieß es: Althoff muß fort! Studt muß fort! Scbwarz- kopff muß fort. Und wir wissen nicht, wer sonst noch ab danken sollte. Bei einigen dieser Beamten hatte der Libe ralismus auch Erfolg, man brachte ihn, Opfer. Nun rast der See weiter. Wenn ein konservativer Beamter etwas unternimmt, was den Liberalen nicht gefällt, so wird er förmlich zu Tode gehetzt. So geht seit Jahr und Tag eine Treibjagd gegen den konservativen Landrat des Kreises Grimmen vor. Wenn aber eine Behörde gegen einen libe ralen Beamten oder Lehrer einschreitet, so wird gar nicht erst abgewartet, zu erfahren, was die Ursache des Vorgehens ist, sondern schlankweg gefordert, daß die Untersuchung ein gestellt werden müsse. Es ist nicht unsere Aufgabe, die Maßnahmen der Regierung zu verteidigen, aber noch weni ger können wir dies lieberale Treiben gutheißen. Ten Konservativen ist nun die Geduld gerissen. Sie schreiten zu einem ganz außerordentlichen Mittel und er lassen in ihrer parteiamtlichen „Konservativen Korrespon denz" folgende parteioffiziöse Erklärung zum Fall Schücking: „Wir haben dem sogenannten Fall Schücking bisher ein besonderes Gewicht nicht beigelegt, da dies weder der Bedeutung der erwähnten Persönlichkeit, noch der Sache selbst entsprochen hätte, deren bisherige dienstliche Behand lung, nach allem, was davon in der Oeffentlichkeit verlau tete. völlig korrekt erschien. Befremdlich würde es aber berühren, wenn die kürzlich erwähnte Beurlaubung des zu ständigen Regierungspräsidenten, wie man hier und da munkelt, in irgend welchen ursächlichen Zusammenhang mit dieser sogenannten Affäre gebracht und etwa auf poli tische Motive, welche außerhalb der Sache selbst lägen, zu- lüniel. klolüelvsn» König ktismiL,'. p'oi'rellan Majolika lerracotta krirtsll u. ^etsü rückgeführt werden könnte. Es würde dies eine peinliche und in den Annalen der preußischen Verwaltung immer hin so seltene Erscheinung sein, daß der Sachverhalt seiner zeit zur völlig authentischen Klärung gebracht werden müßte. Wir beschränken uns einstweilen auf diese Bemer kung, um die Situation nicht unsererseits, so lange nur nicht völlig klar sehen, zu verschärfen, zweifeln aber nicht, daß unsere parlamcntarischen Vertreter seinerzeit nicht säumen werden. Licht in die Sache zu bringen. Tie Autori tät und Selbständigkeit des preußischen Staatsdienstes ist wichtig genug, um nicht ohne jede fremde Rücksicht gewahrt werden zu müssen." Das ist ein Warnnngssignal für die Regierung, wie cs schärfer und deutlicher nicht gedacht werden kann: es heißt in das richtige Deutsch übersetzt: Bis hierher und nicht wei ter. Tie „Kreuzzeitg." spricht auch von einer „berechtigten Verstimmung" der Konservativen und droht mit Gegen maßnahmen beim Etat: es sei ein ganz ungewöhnlicher Fall, daß man einen Beamten derart bloßstelle. Wenn zu dem der Liberalismus der Regierung noch Vorwürfe mache, daß sie diesem den demselben zukommenden Einfluß nicht gewähre, so möchte das Blatt doch endlich einmal die Gren zen kennen, bis zu denen sich dieser Einfluß erstrecken, und die Voraussetzungen, auf denen dessen Berechtigung beruhen soll. Man sei es von dem Liberalismus gewohnt, daß er desto lauter und beharrlicher fordert, auf das Staatsleben Einfluß auszuüben, je geringer seine Fähigkeit sei, diesen Einfluß aus eigener Kraft geltend zu machen. Sei der Liberalismus stark genug, dann stehe er nicht an, rücksichts los seinen Einfluß in jeder Hinsicht und ohne andere Ein flüsse neben sich zu dulden, durchzusetzen. Aber schon Bis marck habe der Linken auf ihre angeblich berechtigten Wünsche mit der Frage geantwortet: Was kannst du armer Teufel bieten? Gegenwärtig allerdings habe der Liberalis mus im „Block" eine so günstige Gelegenheit, zu Einfluß zu gelangen, wie sie ihm kaum jemals geboten war, noch je wieder geboten werden werde. Und er habe auch wahrlich alle Ursache, mit dem bisher Erreichten zufrieden zu sein. Aber: l'nppatir vicut <->. imiugg-aut, und der Appetit der Linken sei groß. Das sei aber ein Verlangen, das Unmög liches fordert. Wenn bei dem geringsten Anlasse mit dem Sprengen des Blockes gedroht werde, dann müsse die Re gierung und müssen die übrigen Mehrheitsparteien endlich der Sache müde werden und zu der Ueberzeugnng gelangen, daß ein solcher Block, dessen Bestand von der Stimmung dieser oder jener kleinen Gruppe abhängig ist, überhaupt nichts taugt. Tie Verstimmung zwischen beiden Lagern wächst also: aber sie führt nicht zum Bruche. Dagegen entnehmen Mil ans der ganzen Entwickelung der Tinge, wie recht wir hatten, daß der Block nie durch die Schuld der Linken zum Scheitern kommen werde, sondern dann anfhöre, wenn die Konservativen ihn satt hätten, die letzteren seien es, die das Leder zu den liberalen Schuhen hergeben müßten, und wenn sie es satt hätten, mehr Leder aus ihrer Hont schnei den zu lassen, dann höre die ganze HerrUchkei aus. konservative Presse bestätigt»ns. daß diese Anfsa'snng der ^inge zutreffend ist und daß diese Grenze bald erreicht ist. ^arum hat ne glich Ausschau nach einer Rückversicherung mit dem Zentrum gehalten. Tie Konservativen aber er- galten nur die verdiente Strafe, wenn ihnen der Liberalis- „ins hart zusetzt. Seit mehr als 20 Jahren haben Kon- iervative und Zentrum im Reiche im allgemeinen Mam men gearbeitet. Ta gefiel es dem derzeitigen Reichs kanzler nicht mehr und sofort schwenkten die Kowervativeu ab und schlossen sich dem Antizeiitruiusblock an. Eni wlcheS wenig treues Verhalten muß geahndet werden. Früher hatte die konservative Presse nicht dergestalt über da-.- Zen trum zu klagen, wie sie es heute über die Freisinnigei»tnu muß Aber auch diese Erscheinung ist nicht zufällig. Tein preußischen Staate sitzt eben der konservative Polizeigei,t tief im Blute: so ist seine ganze Erziehung gewesen, so wurde er groß Ta fehlt ihm heute der Wille und die Ge lenkigkeit. nun nach den Wünschen der Liberalen sich zu drehen und für diese zu arbeiten. Man kann gespannt sein, was die Regierung ans diese deutliche Warnung hin tun wird, sie kann sie nicht unbeach tet lassen. Ter Freisinn wird sich in der Presse nicht stark hieran kehren: aber dem Minister des Innern kann es etwas schwindelig werden, denn er erhält schließlich die Hiebe von allen Seiten und hat im Parlamente gar keine Rücken deckung mehr. Erst nach dieser parteiamtlichen Erklärung der Konservativen gewinnt der Fall Schücking erhöhte Be deutung: es will uns scheinen, als sei er jetzt an einem Politische Rundschau. Dresden, den 28. August 1608. — Ter Kniscr nahm nach seiner Rückkehr in das Ge neralkommando eine große Reihe militärischer Meldungen entgegen. Ilm 5 Uhr nachmittags fand bei der Kaiserin ein Tamenempfang statt. Später besuchten beide Maje stäten die Kathedrale. Abends 7 Uhr fand in den Räumen des Allgemeinen Militärknsinos Tafel statt, an welcher außer dem Kaiserpaare die Kronprinzessin, die Prinzessin Eitel Friedrich, die vier kaiserlichen Söhne, der König von Sachsen, der Großherzog von Baden, Prinz Leopold von Bagern, die Generalseldmarschälle von Hahnke und Graf Haeseler, der sächsische .Kriegsminister Freiherr von Hansen und der sächsische General der Infanterie von Kirchbach und eine große Anzahl Generale und höhere Offiziere teil- nahmen. Während der Tafel brachte der Kaiser folgenden Toast ans: Unter den Angen Sr. Majestät des Königs von Sachsen, Sr. Königlichen Hoheit des Großherzogs von Bade», und Sr. Königlichen Hoheit des Prinzen Leopold von Bagern hat das 10. Armeekorps heute seine Probe auf seine Disziplin in der Parade bestanden. Das Korps hat einen vorzüglichen Eindruck gemacht und ich spreche noch mals den Herren meinen Glückwunsch aus, dem ich den an deren Wunsch hinzufüge, daß es stets der hohen Aufgabe, die seiner hier harrt, gerecht werden möge und stets im Kriege wie im Frieden sich meine Zufriedenheit erhalten möge. Ich trinke auf das Wohl des lO. Armeekorps! Hurra! Hurra! Hurra! Auf den Trinkipruch des Kaisers erwiderte der kommandierende General von Prittwitz und Gaffron, indem er für die Anerkennnng, die das Korps Rußlands greiser Philosoph. Zu-n 80. (Geburtstage Leo -rolstots. Am 38. August 1828 wurde auf dein Gute Jasnaja Poljana im Gouvernement Tula Leo Nikolajewitsch Graf T o l st o i geboren, ein Mann, der durch sein philosophisches System der Mittelpunkt einer eigenen russischen National- literatur wurde und wie ein Geistesriese auch in die euro päische Literatur hineiuragt. Seine Art hat etwas spe zifisch Russisches. Dennoch verwirft er jede positive Reli gion: er bildet sich eine eigene Weltanschauung („Urchristen tum"), deren Grundgedanke die Idee des Guten und der christlichen Liebe ist: er verwirft die Bekämpfung des Bösen, die das Böse nur vermehrt, den Krieg, den Staat, das Eigentum. Als Verächter jeglichen parlamentarischen und staatlichen Treibens hält er sich grundsätzlich vom politischen Erwachen Rußlands fern. In seinen Werken predigt er Rückkehr zur Natur, Arbeit und Einfachheit. Weil das Wissen und die Kunst den Menschen nur vom wahren Leben und Lieben abzögcu, so verpönt er diese und verdammt sic. Ein solches System mußte bei den Hütern der russischen Staatsreligion die strengsten Gegenmaßregeln herausfor dern. Daher verhängte die heilige Synode im Jahre 1000 die Exkommunikation über ihn. Folgerichtig genommen fuhren seine Lehren zum geistigen Anarchismus und Nihilismus. Tolstoi war aber nicht nur der Erfinder eines eigenen Systems, sondern verstand es auch, dies in angenehmer Form in das Herz des Menschen zu bringen. Seine Kunst, zu er zählen und zu schildern, benützte er, um seine Ideen den Lesern darzureichen. Ein echtes Kind seines Volkes in sei nem Hange zur Träumerei, voll Mitgefühl für dasselbe, ist er im Verkehr mit der russischen Nation aufgewachsen. , Sein äußerer Lebcnsgang ist ein einfacher. Die häusliche Erziehung, die dem früh geweckten Knaben geboten wnrde, war eine vorzügliche, so daß er gut vorbereitet bei der Universität Kasan inskribiert wurde, wo er ein Jahr lang orientalische Sprachen und zwei Jahre lang die Rechte stu dierte. 18-18 bestand er in Petersburg das juristische Kan- didateneramen. Dann kehrte er wieder in die Stille seines väterlichen Gutes zurück. Im Kaukasus, den er 1851 be reiste, fand er Gefallen am militärischen Leben. Er trat als Junker in eine am Terek stationierte Artillcriebrigade ein. Ter Türkenkrieg berief ihn zur Tonanarmee des Für sten Gortschakow: hier zeichnete er sich beim Sturme auf Sewastopol rülnnlichst ans: uach Beendigung des Krieges nahm er jedoch seinen Abschied. Nun finden wir ihn abwechselnd bald in St. Peters burg, bald in Moskau, bald auf seinem väterlichen Gute. Auch Reisen ins Ausland unternahm er mehrere Male. Dann verheiratete er sich. Und von rinn ab lebt er ganz in der Stille und Zurückgezogenheit auf seinem Landgute, ganz mit schriftstellerischen Arbeiten beschäftigt. Hatte der Tichterphilosoph bisher schon die Welt durch kleine formvollendete Erzählungen in Staunen gesetzt, so sollte er sich durch Veröffentlichung seiner beide» großen Romane „Krieg und Frieden" und „Anna Karenina" einen ersten Platz unter den Dichtern seines Vaterlandes, ja unter den Tichtern der gesamten Weltliteratur, erringen. Mari wurde aber auch auf seine ethisch-sozialen Ideen aufmerk sam, die er auf seinem Gute allmählich praktisch zu ver wirklichen begann. Und nun begann auch die Kritik mit Ernst und Spott über den „Einsiedler" herzufallen. Aber Tolstoi ließ sich nicht beirren. In den Kreisen der niederen Bevölkerung fand er bald großen Anhang, obwohl er selbst absolut keinen Wert darauf legte, für sich und seine Weltanschauung irgend welche Pro paganda zu machen. Aber seine Ausleger — deren Zahl in Rußland sowohl, wie im Auslände stetig wuchs — sorgte für die Popularisierung der Schriften des Einsiedlers von Jasnaja Poljana. Wie Tolstoi zun? Leben steht, erzählt er uns einmal in einer kleinen Fabel, die ihn außerordentlich gut charakte risier!. Sie lautet: „Ein Weiser wurde gefragt, welche Zeit im Leben die wichtigste, welcher Mensch der bedeu tendste, und welches Werk das wichtigste sei. Und der Weise antwortete: „Tie wichtigste Zeit ist allein die Gegenwart, weil nur in ihr der Mensch Macht über sich hat, der bedeu- dendste Mensch ist der, mit dem du im gegenwärtigen Angenblicke zu tun hast, weil niemand Nüssen kann, ob er »och mit irgend einem anderen Menschen zu tun haben wird. Das wichtigste Werk aber ist die Liebe zu eben die sem Menschen: denn nur zur Liebe ist der Mensch geboren." Tiefer Standpunkt kommt in allen seinen Schriften mehr oder weniger scharf pointiert znm Vorscheine. Tolstoi will die Tinge beim rechten Namen genannt wissen, er deckt kranke Stellen am Volkskörper auf, zeigt Wunden, die heilen müssen, weist die Wege, die seiner Meinung nach ein modellier Staat zn gehen hat. um aus der sozialen Misere der Gegenwart herauszukominen. Dabei entwickelt er viel- fach Ideen, die mit dem Gedanken Jean Jagnes Ronsseaus eine gewisse Aelmlichkeit haben, aber weniger zur Rückkehr zur Natur auffordern, als znm sogenannten ..Urchristen- tum . Lieses ist überhaupt immer die letzte Kouseguenz aller Tolstoischen Lehren. Was er in dieser Beziehung sagt, kommt aus ehrlichem Herzen, daran ist nicht zu zweifeln. Wir führen hier einige Sätze seiner Lehren an, um ihn zu charakterisieren. Ta sagt er: „Ter Zweck des Lebens ist die Turchdringung all seiner Erscheinungen mit Liebe, ist eine langsame, allmähliche Verwandlung des Bösen in ein Gutes, ist das Schaffen wahren Lebens und — weil wahres Leben nur Leben in Liebe ist — die Geburt wahren, das beißt eines Lebens in Liebe." Dasselbe Ideal verfolgt er überall. An anderer Stelle lehrt er: „Beides, was wir Glück und was wir Unglück nennen, ist uns gleichmäßig von Nutzen, wenn wir das eine und das