Volltext Seite (XML)
2. Beilage zu Nr. 1 der »Sächsischen Vollszeitung" vom 1. Januar LVOS Pslitische Wochenrundschau. In dem „Petersb. Wjedomosti" schrieb der vom Kriegsschauplatz zurückgekehrte Dr. Anitschkow: „Die pessimistische Ansicht, dah uns die Japaner doch end gültig besiegen »verden, kann ein Kriegskundiger unmög lich teilen. Waren die Japaner uns in so hohem Grade überlegen, wie man glaubt, so hätten sie längst Port Ztrthur, Sachalin und Kamschatka in ihren Händen uird das Knropatkinsche Heer wäre umzingelt oder vernichtet. Sticht die ganze Bevölkerung Japans kommt in Betracht, sondern es kommen in Betracht lediglich die 500 000 bis 600 000 wehrkrästigen Japaner und mehr sind nicht vorhairden. Auf der ganzen feindlichen Linie waren niemals über 225 000 bis 250lX10 Bajonette und Säbel neben 600 bis 700 Ge schützen." Nach den neuesten Meldungen beabsichtigt Ruß land Knropatkins Armee nötigenfalls auf 800 000 Mann zu verstärken und vor keinem Opfer zurückzuschrecken, um den Krieg im Laute des Sommers zu beenden, während Japan entschlossen ist, die Armee Oyamas ans 500 000 Mann zu bringen. Zur Verteidigung seiner südlichen Jn- <eln und speziell Formosas gegen die baltische Flotte hat Japan bereits seine Vorkehrungen getroffen, aber in Anbe tracht der bestehenden Unkenntnis des Weges, den die balti- iche Flotte nimmt, der dadurch bedingten Verzettelung der spanischen Seestreitkräfte und in Anbetracht, daß Port Arthur noch immer- energischer: Widerstand leistet, daß Ruß land alli^s daran setzt, uni seine dritte Stille Ozean-Flotte wbald als möglich zum Auslaufen zu bringen, erfüllt bange Sorge das japanische Volk. Der Reformer! aß des Zaren gibt dem Volke die Erweiterung der Semstwoeinrichtnng, die Einheit des Ge- ricbtsnx'sens und die Gleichheit aller Stände vor dem Ge setz. eine staatliche Arbeiter-Versicherung, die Einschränkung der Ausnahmegesetze gegen politische Verbrecher, das Ernst- machen mit der religiösen Toleranz, die Milderung der Juden- und Ansläudergeseygebung, einen weiteren Schritt zur Preßsreilreit. Aber mächtiger als der Wille des Zaren iß dür Wille dcr ausführeirden Beamten, und Leute wie Po- beduoßzew werden schon das Ihrige tun, damit all das t^ute, das der Zar airstrebt, mit russischer Beamtenlangsam fei: oder gar nicht zur Ausführung gelangt. In England herrscht auf der einen Seite »nermeß- ticher Reichtum, auf der anderen Seite bitterste Not. In Westham. einem Londoner Vorort von zirka 800 000 so gut wie ausschließlich der Arbeiterklasse angehörendeu Einwoh nern, sind gegeuwm-tig 9000 Familienväter beschäftigungs los. Das bedeutet, daß etwa 50 000 Menschen, der sechste Teil der Westhamer Bevölkerung, am Hungertuche nagen, daß also im reichen England ein Zustand besteht, wie er trauriger wohl nirgends in der Welt existiert. Nicht allzu erfreulich ist auch die Lage in Frank reich. Während zwar Ende September die Erportüber- ichüne gegen das Vorjahr nur 58,5 Millionen Frank be trugen, aber im Oktober- auf 111 Millionen gestiegen sind, isr andererseits in demselben Geschäftsabschnitt die Nah- rungsmitteleinfuhl- um 74,8 Millionen, die Einfuhr von industriellen Rohstoffen sogar um 168,4 Millionen Frank gegen die Periode Januar- Oktober 1903 zurückgeblieben, was auf eine erhebliche Minderung der Beschäftigungsgrade in den gewerblichen Betrieben schließen läßt. Unangenehmes erntet Frankreich auch in Marokko. Se:t Wochen hat der Sultan von Marokko keine Gelegenheit ver säumt, uni sich Frankreich unangenehm zu zeigen. Er be klagte sich sehr heftig bei der Sendung „Linais" nach Ar- zila, wo die Anwesenheit eines französischen Kriegsschiffes wegen der in der Umgebung von Arzila ausgebrochenen Unruhen sich als notwendig erwiesen hatte. Er pro testierte gegen die Einrichtung eines Militär-Brieftauben- schlages in Fez. in der er eine Spionage-Organisierung er blickte. Er warf dem französischen Gesandten vor, es sei ein Mangel an Takt, daß die französische Regierung einen Unteroffizier der Militärmission beigegeben habe, ohne daß er, der Sultan, dariiber befragt worden wäre. Nunmehr hat er auch nicht nur die französisch Militärkommission entlassen, sondern ist auch bestrebt, sich seines Großvesiers und Litüegsministers, die Anhänger Frankreichs sind, zu entledigen und sandte Sidi Mokri nach den europäisch!: Häfen, um gegen die letzte,: Verträge, die ohne sein Zutun ^ abgeschlossen worden seien, vorstellig zu werden. In Spanien führt man all diese Maßnahmen auf englische Jntriguen zurück. Es ist dies auch nicht unwahrscheinlich, denn Englands Ziel ist, Frankreich in eineu Kolonialkrieg zu verwickeln, der es auf Jahre hinaus beschäftigt und Eng land die Möglichkeit gewährt, an anderen Punkten im Trübei: zu fischen. Auch die Spanier sind auf die Franzosen nicht gut zu sprechen. Die spanische Presse erklärte direkt, daß die spanischen und europäischen Interessen nie so schlecht genxchrt worden seien, als unter der französischen Protektion. Weit freundlichre Gefühle hegt die Presse Spaniens gegenüber Deutschland. Die Ernennung des deutschen Kaisers zum spanischen Generalkapitän hat sie freudig be grüßt. Der Madrider „Jmparcial" betonte, daß hervor zuheben sei, daß Kaiser Wilhelm der einzige ausländische Monarch sei, dem Spanien die höchste Marschllwürde ver liehen habe, daß es wohl kein Zufall sei, daß der Oberst des Numaucia Regimentes, zu dessen Ehrenoberst Kaiser Wil helm ernannt wurde, ein geborener Deutscher sei und daß offenbar das Bestreben vorherrsche, die bestehenden Bande der Smnpathie zwischen Deutschland und Spanien enger zu knüpfen. Letzteres dürfte auch sicher der Fall sein, denn nunmehr verlautete, daß sich König Alfons mit einer deutschen Prinzessin, der Herzogin Marie Antoinette aus dem Hause Mecklenburg-Schivcriu, aus dem sich auch der deutsche Kronprinz seine Lebensgefährtin erwählt bat, ver loben wird. Shmpathisch wird diese Verlobung weder Frankreich noch England sein. Sachsens Klerus. Dank der Freizügigkeit ist die Zahl der Katholiken Sachsens besonders in den Jndustriebczirken so schnell ge wachsen. daß es bei allem Eifer nicht möglich war, die reli giöse,: und kirchlichen Bedürfnisse der katholischen Ge meinden immer zu befriedigen. Kapellen, Kirchen, Schulen wurden allentl-alben gebaut und werden noch mehr geplant. Jeder Pfarrgeistliche, der eine Diaspora-Gemeinde zu ver- walten hat, muß immer Baumeister spielen. Alles das ist recht löblich, indes es gibt eine fast noch größere Not und das ist der Mangel an GeistIichen. Kaum irgend wo, abgesehen von Berlin, ist die Priesternot so fühlbar als in Sachsen. Im Jahre 1871 zählte Sachsen 53 642 Katho liken und 66 angestellte Weltpriester. Jetzt sind es über 200 000 Katholiken und doch nur 89 in: Amt befindliche Weltgeistliche, dabei ist der Hof-, Militär- und Schul-Klerus eingeschlossen. Um das Vierfache ist die Katholikenzahl ge wachsen und die Zahl der Priester nur um ein Drittel. Wenn die Katholikenzahl Sachsens nicht zurückgeht, und das ist kaum anzunehnien, muß notwendig Abhilfe geflossen tverden. Will ein Knabe Priester werden, so l-at er drei nötige Erfordernisse aufzmveisen, Talent, Geld und vor allem einen gläubigen Vater und eine fleißig betende Mutter. Solcher Knaben gibt es nun in Sachsen hin reichend genug, auch in ländlickien Gemeinden, aber es fehlt an geeigneten Studicnanstalten. Das Prager Priester seminar ist für Neu-Sachsen unzureichend. Es müßte wenigstens für Giiiuiiasialsludium innerhalb Sachsen ein Konvikt gesclxisfen werden, damit den Armen das Studium nicht ganz verschlossen und den Eltern tatholisckzer Gymna siasten eine Garantie sittlicher Führung gegeben wäre. Die 89 in Sachsen angestellte:: Geistlichen entstammen zumeist der Lausitz und zwar ans den ländlichen Stamm gemeinden. und zwar sind nach dein neuen Verzeichnisse 47 Lausitzer, davon sind 9 aus dem Amtsbezirk Ostritz. 8 aus dem Amtsbezirk Schirgiswalde-Bautzen und 30 aus dein wendischen Bezirk Marienstern-Bautzen. Aus den Erb landen sind 17 Geistliche gebürtig und 25 sind aus dem übrigen Deutschland. Das spricht dafür, daß so ein geist liches Konvikt in der Lausitz, etwa im frühere» Lehrer semiuar, in Bautzen bestehen müßte. Verhältnismäßig ist unter den Wenden schon jetzt am besten für Heranziehung des Klerus gesorgt, reiche Stipen dien, die Bautzner Tomschule und das Kapitelkuabeniustitut wirke,: da fördernd zusammen. Mehr möchte da für die deutschen Katholiken Sachsens gesclx'ben. Es ist bitter für eine,: Pfarrer, wenn man io einen: munteren Knaben, der voller Vertrauen das große (Geheimnis mitteilt.- „Ich möchte gern ein Pfarrer werden" sagen muß: „Mein Kind, du bist zu arm zum Studium!" Wenn nur für den Anfang gesorgt nxire, könnte das klebrige sich schon finden, allein da fehlt's gerade am erste::. Ein solches Studentlein kann am Ende durchgebracht werden, aber 10, das geht dann nicht. Wein: daher unter Sachsens Katholiken Einer ist, der ein Verständnis für Heranbildung von Priestern für Sachsen bat, der stifte ein Stipendium für katholische Gymna siasten zunächst für seine P f a r r g c m e i n d e. Hätten wir in Sachsen nur 10 solcher Stipendien, besonders für die katholischen Gemeinden der Lausitz, viel Segen könnte es bringen! 96 — Ei« guter Faniilien-Kalender ist und bleibt dcr Aenno MbisM VMsleM Sill «Iss M1305. Illustriertes Jahrbuch der Unterhaltung und Belehrung. 55. Iahra«„g. - Inhalt: Allgemeiner Kalender-, Gottesdienstordnung, Umfang der kath. Seelsorgebezirke, Regierung dcr katb. Kirche, Verzeichnis der Kardinale, Erzbischöfe »nd Bischöfe Deiickchlands und Oester reichs: Verzeichnis dcr kalh. geistlichen Behörden, der Geistlichen, der Lehrer, der Bruderschaften und Vereine Sachsens re. re. Zur Unterhaltung und Belehrung mehrere Erzählungen und Aussätze, darunter „Die kalh. Kirche im Königreich wachsen" rc», PH. Rauer und »Erste Hilfeleistung bei UngluckSfällen" von Dr. Friedrich o. ESmarch. Im Anhänge ein umfangreicher Inseratenteil empfehlens werter Firmen des Landes. Unter den Illustrationen befinden sich drei mächtige Vollbilder: »Bischof Dr. Georg Wnschanski", »Frau -s- Prinzessin Johann Georg". »Die kath. Kirche in Dresden Cotta*. Preis ^ehestet 00 Pf., kartoniert 80 Pf. C'iuzelbestellttuqen von auswärts werden nur» gegen vorherige Einsendung des SvEnsA«» Luiüylivl» 2V effektuiert — 93 — „Entsteigen! Höchste Zeit!" ruft der Kondukteur, Virgilio ins Coup«"- schiebend. Ein Pfiff — langsam bewegt der Zug sich vorwärts. „Morgen erhalten Sie Ihr Geld!" ruft das Kind noch znm Fenster hinaus. „Wie heißen Sie, mein Herr?" „Marcktz?se Ernesto Doria." „Und wohnen?" „In Albano." „Danke. Leben Sie wobl, Herr Marchese!" Mit iliiiiacksshnilicher Grazie winkt das Kind den letzten Abschiedsgruß ziim Fenster hinaus. Tann setzt es sich ans der Bank zurecht und denk: nach . . . Wie dumm von den Leuten, zu sagen, er sei vergiftet worden! Was soll das nur bedeuten? . . . Und seine Familie ängstigte sich so sebr um ihn? Sollte er am Ende gar ohne Bewilligung seiner Mutter oben in Rocca di Papa ziirückgehalteii worden sein? Hat etwa die seltsame Frau mit den roten Haare», vor der er sich immer so sehr fürchtete, und die mit ihren schillernden Augen seinen kindlichen Willen so ganz beherrschte, die Hand mit im Spiel ge habt? Oder gar der garstige Dr. Borgoni, den er stets haßte? In brennender Ungeduld sitzt das Kind da. Wenn doch der Zug erst hielte! Endlich. Heraus aus dem Eoupä. Heraus aus der Balmhofsballe. Hastig nach dem Corsa Umberto gefragt. Ein Stückchen gelaufen. Daun wieder ge fragt, um ganz siclzer zu sein. Jetzt auf der Piazza Venezia - eine für Virgilio bekannte Gegend. Er fragt nicht mehr. Schnurstracks biegt er in den Eorso Umberto mn. eilt er hin zum Palazzo Tosti. Vor dein Cingaugsportal halten mehrere Eguipageu. Die Kutscher und Diener in erregten: Gespräch, an welchem sogar der galonierte Portier teil- nimmt. Niemand achtet ans den kleinen, schlechtgekleidetcn Knaben, der atem los die Treppe hinaufrennt. Da - Virgilio glaubt, sein Herzchen müsse stille stehen oben ben>e,ftc. vor Tränen halberstickte Stimmen . . . Er bleibt stehen und lauscht. „O. diese entsetzliche Fahrt! Wäre sie nur erst vorüber!" hört er eine liebe, ach so wohlbekannte Frauenstimme sagen. „Armer, armer Virgilio! Was werden wir von ihn, noch vorfinden in seinem kleinen Grabe!" Jetzt hält es Virgilio nicht mehr aus. „Maria! Maria!" schreit er ans. Und sck)on ist er oben und sclsiingt die Aennchen uni den Hals der traurigen, ganz in Schwarz gekleidete:: Dame und drückt das Köpfchen an ihre Brust und lacht und weint in einen: Atem. Maria ist totenbleich gclvorden. Schlafs sinken die Arme an ihren: Körper herab. Wie eine:: Geist starrt sie sprachlos den §knaben an. „Maria! Maria! Ich bin nicht tot! Ich lebe! Sieh doch meine Backe::! Und meine Hände! Und meinen Mund! Alles lebt und ist warm, rot und