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Nr. 220 — ». Jahrgang DienStag de« 27. September LVLV ZächslscheUMszeitlmg »tchelnt ISgttch «ach«. «U kulna-me der Sonn- und Alltage. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit Anserat« werden die Sgkspaltene Petit,eile oder deren Raum mit Va'?Reklame» mit LO I die Keile dcrechnet. bet Wiederholung«» entsprechenden Rabatt vnchdraik»»,«. Rednttioa «nd «eich<iit»ft.lle> Lreddea, Vtllttttzer «t»ahe 4». — Fernsprecher 1»«P »kr Rückgabe «nverlanat. rchriftftUck« keine Verl Redaktion,-kprechslnnoe! II —IS Uhr. keine iverbtndltchkeil kitte sskobiereii 5ie imsereki lioeliseinen l^ämiÜen-^Zffee per kfuncj 1.35. ^eriing L stocicstrosi, Dresden. biisclsnIüKdN ln alloei ShacidtvIIott. "lb 23. Generalversammlung des Evangelischen Bundes. tkhemnitz, den 2V September tStv. Die fleißige Industriestadt ist allenthalben festlich ge- schmiikkt. Nach Hunderten eilen die Menschen der Stätte zu, wo der Evangelische Bund die von seiner Seite bereits tot gehetzte Borromäus-Enzyklika noch weiter für seinen Kampf gegen den Katholizismus ausnützen will. Was bllndlcriscl)er Fanatismus zu der Enzyklika sagen konnte, ist bereits längst gesagt, und wenn er trotzdem die Enzy klika in den Mittelpunkt der diesjährigen Generalver sammlung stellt, so erbringt er somit den Beweis, das; es sich für ihn dabei nicht um eine Stellungnahme zu der päpst lichen Kundgebung handelt, sondern lediglich um eine wei. re konfessionelle Verhetzung. Eingeleitet wurde die Versammlung am Sonntagabend durch Festgottesdienste, die in mehreren Kirchen abge halten wurden. Nach Beendigung des Festgottesdienstes trug auf dem Neustädter Markt ei» Bläserchor verschiedene Choräle in Gegenwart einiger hundert Menschen vor. Die Begrüßungsfeier begann um 8 Uhr abends im Kauf männischen Vereinshause. Zu derselben hatte sich eine stattliche Menschenmenge eingefunden. Nach gemeinschaft- Iicl)em Gesang des Altniederländischen Dankgebetes be grüßte Pfarrer Dr. Költtzsch die Versammlung. Er feierte Sachsen als Hort des Protestantismus und des Deutschtums, wobei ihm in letzter Beziehung die Ent gleisung passierte, daß er die „evangelischen Glaubens brüder" scl)on seit zwei Jahrtausenden das Blut für das deutsche Vaterland vergießen ließ. Wenn er den Kampf gegen den Atheismus als eine Aufgabe des Evangelischen Bundes bezeichnet«:, so möchten wir, nicht zum geringsten im Interesse der evangelischen Kirche wünschen, daß diese Tätigkeit des Bundes nach außen hin mehr in die Oeffent- lichkeit träte. Daß die Anwesenheit von Vertretern des Kultusministeriums, des Landeskonsistoriums und zum ersten Male des deutsch-evangelischen Kirchenausschnsses den Redner mit Genugtuung erfüllte, glauben wir ihm gern. Es ist ein Beweis, daß sich selbst die amtliclx'n Stellen der politischen Macht des Bundes beugen trotz des rücksichts losen Vorgehens gegen den konfessionellen Friede». Der kirchliche Liberalismus geht siegreich vor und ist bereits im Begriffe, die Landeskonsistorien niit seinen Männern zu besehen, um der verhaßte» Orthodoxie die Mackst zu ent winden. Das ist der Grund, daß selbst die Vertretung friedliebender Männer sich für die gefährlicl-en Bestrebungen des Evangelischen Bundes nicht mehr schroff abweisend ver halten. Allerdings werden sie diese seine negative Seite nicht billigen, sondern nur das in den Statuten formell enthaltene Festhalten an dem Evangelium. Daher berührten auch die Worte des Präsidenten des Landeskonsistoriums Dr. Böhme sympathisch. Er wies den Bund auf die Auf gaben hin, die seiner harren, den Kampf gegen den inneren Feind, gegen Jndifferentismus und Materialismus. Dann betonte er den allgemeinen Wunsch, mit den Katholiken in Frieden zu leben. Diesen hcrrsck-enden konfessionellen Frieden in dieser Stadt betonte besonders Oberbürgermeister Dr. Sturm. Eine schlechte Illustration zu der Bezeugung des Ober- bürgermeisters, daß der konfessionelle Zwist in Chemnitz fremd sei. waren die Worte des Chemnitzer Superinten denten Dr. Hoffma n n, der den Katholizismus so ziem lich mit Lüge, Heuchlet, jesuitischer List und Tücke identifizierte und den Konservativen protestantiscl-er Kon fession den unverblümten Vorwurf machte, daß sie mit Rück- sickst auf das eigene Portemonnaie gegen die Enzyklika nicht genug gewettert hätten. Herr Dr. Hoffmann scheint die Parlamcntsverhandlnngen in Preußen nicht gelesen zu haben. Wenn der nachfolgende Vertreter des evangelisch- sozialen Kongresses Herz meinte, daß der Kongreß, der das zerklüftete Volk ini konfessionellen Frieden einen wolle, dasselbe Ziel verfolge wie der Evangelische Bund, so ver kennt er diese Ziele ganz gewaltig. Ein Deputierter des österreichischen Evangelischen Bundes Pastor Kappus aus Wien machte aus seinem Herzen keine Mördergrube. Zum Entsetzen der gesamten Pastoren erklärte er offen heraus, daß die LoS-von-Rom- Bewegung in Oesterreich keineswegs protestantisieren wolle. Ihr einziges Ziel sei. die Katholiken romfrei zu machen, gleichgültig, ob diese freireligiös oder protestantisch tverden. WaS werden nun die reichsdeutsclien freigebigen Gönner der LoS-von-Rom-Bewegung sagen, wenn sie hören, daß der Abfall gar nicht einmal in die Scheuer der protestan tischen Kircl-c gesammelt werden soll, sondern daß er dem Winde preisgegeben ist? Dafür erntete Redner mit dem geistlosen Witz viel Beifall, als er den Papst den „großen Bundesgenossen" der Los-Von-Nom-Bewegung nannte. Ein Redner des Zentralvorstandes glaubte dem österreichischen «mkant tarribla sofort entgegnen zu müssen, daß ihm doch sehr viel daran liege, wenn die abgefallenen Katholiken — evangelisch würden. — Als letzter Redner sprach Geh. Kirckx'nrat IX M e y e r. Nachdem auch er getcrdelt, daß nicht alle Protestanten an dem Protest gegen Rom in gebührender Weise teilgenommen hätten, pries er die Erfolge der Protestbewegung und erlaubte sich den Scherz, zu be haupten, daß der Bund nicht die Polemik gegen Rom an erste Stelle setze, sondern die Festigung des Volkes im Protestantismus. « * Im großen Saale des Kaufmännische» Vereinshanses fand heute die Begrüßungsversammlung zur 23. General versammlung des Evangelischen Bundes statt. Nach Orgelvortrag und Chorgesaug begrüßt Pfarrer Tr. Költzsch die Versammlung. Er gedenkt der Zeit, wie vor 40 Jahren auf blutgetränkten Schlachtfelder» das Deutsche Reich begründet wurde, und wie Sachsens Kinder in hervorragendem Maße daran beteiligt waren. Der Evangelisckie Bund steht da und will dieses Heiligtnmes Hüter sein! der Bund, mit einer halbe» Million Mit gliedern, der begründet wurde auf den Namen des Evan geliums zur Wahrung dentsch-protestantisclier Interessen. Wir sehen das Heiligtum vor uns aufgebant und uns an vertrant, unser herrliches deutsches Vaterland, unsere über alles teurere evangeliscl>e Kirche! Wir sind entschlossen: Nur lassen das Heiligtum nicht vernnehren und nicht ver heeren. Mit unserer Generalversammlung erklären wir uns bereit zu treuer Wacht; mit unserem Blute sind wir bereit, wenn's sein muß, das Heiligtum zu retten! Und wir lassen uns darin nicht beirren, weder durch erschreckende Gleichgültigkeit, noch durch nackten Atheismus! Und schon schlagen die Hände ineinander, schon fügt sich Herz zu Herz. Heil unserer Sache! Heil! (Lebhafter Beifall.) Redner begrüßt dann die erschienenen Vertreter von sämt lichen Behörden. Seine Mitteilung, daß der deutsch evangelische Kirchenausschuß zum ersten Male auf der Generalversammlung vertreten sei, wird mit Bravo- und Heilrufen ausgenommen. Vom sächsischen Kultus ministerium ist ein Begrüßungsschreiben eingegange». Es folgen die Begrüßungsansprachen. Konsistorialrat Dr. Kaftan-Kiel überbringt die Grüße und Glück wünsche des deutsch-evangelischen Kirchenausschusses. Der deutsch>evangeliscl>e Kirchenausschuß, der eine Zusammen fassung der evangelischen Landeskirchen sein will, um zu gegebener Zeit gegen römische Angriffe die Ehre »nd die Interessen der deutschen evangelischen Kirchen zu wahren, dessen Geschlossenheit und Stärke sich herschreibt aus dem Jahre einer frühere» Enzyklika, der Canisius-Enzyklika — er weiß die Arbeiten des Evangelischen Bundes vollauf z» würdigen. Wir wünsche» nichts mehr, als daß wir mit unsere» katholischen Volksgenossen im Friede» lebe» könnten, aber nicht um den Preis, daß wir von der Wahr heit weichen, nicht um den Preis, daß wir priesterlichen An sprüchen uns beugen! (Lebhafter Beifall.) Gebunden in Gott, sind wir frei gegenüber aller Welt, auch gegenüber der Welt im Prieslerkleide. In der Zuversicht, daß wir uns in dieser Gesinnung begrüßen, spreche ich de» herzlichen Wunsch aus, daß Ihre Tätigkeit auch in diesem Jahre im Sinne Ihrer wertvollen Bestrebungen eine gesegnete sei» möge. (Beifall.) Präsident des Landeskonsistorinms Dresden Dr. Vöh in e : Zum dritten Male begrüßt Sie die a in t l i ch e Vertretung der Landeskircl>e Sachsens. Schon die Tat- sack^>. daß Ihr Bund sich zu Jcs» Christi bekennt, den ein geborenen Sohn Gottes, als alleinigen Mittlers des Heils, daß Sie Ihren Glauben verteidige» und Ihr evan- geliscl^S Bewußtsein stärken gegen Jndifferentismus »nd Materialismus, muß der Vertretung der Landeskirche ein Anlaß sein, Ihren Beratungen volle Aufmerksamkeit zu schenken. Wir haben in Sachsen das Glück, einen Mon archen an der Spitze des Landes zu haben, zu dem alle Staatsbürger beider Konfessionen in vollem Vertrauen emporblicken. (Beifall.) Und unsere Verfassung sichert upserer Landeskirche die nötige Selbständigkeit, einen maß gebenden Einfluß auf unser öffentliches Leben und die Anfrechterhaltung des konfessionellen Friedens. (Beifall.) Ter Wunsch, mit den katholischen Glaubensgenossen unsere? Landes in stetem Einvernehmen zu leben, wird allerseits geteilt und noch erst auf der letzten evangelischen Landes- synode haben wir in der so wichtigen Friedhofsfrage, wie Ipir ohne Ueberhebung sagen können, einen schönen Beweis hochherziger Toleranz erbracht. (Bravo!) Namens des Landeskonsistoriums tvünsche ich Ihren Beratungen den besten Erfolg. Oberbürgermeister Dr. Sturm-Chemnitz: Als der Vertreter einer zu 92 Prozent evangelischen Stadt heiße ich Sie herzlich willkommen. Wir leben hier in unserer Stadt in tiefstem Frieden mit unseren andersgläubigen Mit- bürgern und konfessioneller Streit ist unS fremd. Aber so wenig wir Andersgläubigen verarge», wenn sie für ihren Glauben eintreten, so werden auch wir »nS das Recht nicht nehmen lassen, einzutrcten für unsere innerste Ueberzcugung und Zeugnis abzulcgen für die Kraft des Evangeliums. (Beifall.) In diesem Sinne herzlich willkommen in Chemnitz. (Beifall.) Kirchenrat Superintendent Dr. Hoffmann- Chem nitz: Wir begrüßen und segnen euch, die ihr kommt im Namen des Herrn! Mit dem Herrn Oberbürgermeister freue» wir uns, daß der konfessionelle Friede hier nicht ge stört wird, daß wir unseres Glaubens leben können. Aber diese Ruhe schließt eine gewisse Gefahr in sich, die Gefahr der Erschlaffung und deshalb sind wir deni Evangelischen Bunde dankbar, wenn er uns zürnst: Protestanten Deutsch lands! Wahret eure heiligsten Güter (Beifall) und reißt denen die Maske vom Gesicht, die im Schafskleid zu euch kommen. Wenn unter dem Deckmantel der Toleranz die schnödeste Intoleranz ihre Ränke spinnt, wenn jesuitische List und Tücke ausgegcben werden für wahres Christentum, wenn unter dem schönen Titel: „Historisches Welturteil" (Gelächter) unserer Kirche Sck>and und Brand angetan wird, dann erhebt unser Evangelischer Bund seine Stimme wie der Prediger in der Wüste und ruft in alle Lande hinaust Lüge bleibt doch Lüge, Wahrheit ist doch Wahrheit, und Recht muß doch Recht bleiben. (Beifall.) Auch gegen die Gefahr der Gleichgültigkeit, des Jndifferentismus ruft der Evangelische Bund uns auf die Schanzen. Wir hassen nie manden. Den möchte ich sehen, unter uns, der etwa einen Katholiken seines Glaubens wegen beleidige» oder zurück setze» wollte. Aber dennoch gibt es auch die Glut eines heiligen Zornes und eines heiligen Hasses — das ist der Haß gegen die Lüge, gegen die Heuchelei, gegen die Sirenen- stimme, die da rufen: Friede und Liebe, und Gift und Galle im Herzen tragen. Und worüber wir uns weiter er zürnen. das sind die Beschimpfungen, die man uns antut, (Bcifall.) Wir müßten Fischblut haben, wenn wir da nicht zornig würden. Pastor Herz überbringt die Grüße des Evangelisch- sozialen Kongresses, der die zerklüfteten Völker irn konfessionellen Frieden einen wolle und der sich daher alS einen Bruder des Bundes betrachte. — Pastor KappuS überbringt Grüße vom Deutsch-evangelischen Bund in> Oesterreich. Zur Los-von-Rom-Bewegung übergehend be merkt er: Wir wollen die katholischen Oesterreicher nicht evangelisch-lutherisch machen — aber römisch-katholisch sollen sie nicht sein. Ob sie evangelisch oder frei religiös werden, das ist uns gleich. Vielleicht ersteht uns in Oesterreich auch einmal ein großer Refor mator, hat uns Gott doch erst neulich den großen Bundes genossen in Rom beschert. (Großer Beifall.) Der zweite Vorsitzende des Bundes Dr. W ä ch t l e r - Halle dankt für die Begrüßung und bemerkt dem Vorredner gegenüber, ich möchte doch wünschen, daß die Oesterreicher nicht bloß frei von Rom werden, sondern daß sie evangelisch werde». (Leb hafter Beifall.) Die Schlußrede hielt Geh. Kirchenrat Dr, Meyer-Zwickau. Er führte etwa aus: Erbitterte Wut rast gegen den Evangelischen Bund durch die römische Presse. Namentlich in dem Blatte, das die Dreistigkeit hat, sich „Sächsische Volkszeitung" z» nennen. (Großer Beifall.) Aber es berührt uns nicht mehr als das Summen einer schwarzen Brummsliege. (Erneuter Beifall.) Und wenn andere gegen uns Widerspruch erhoben haben, so gesck-ah das. weil ihnen die ideale Forderung obenan deutsch protestantische Interessen zu vertreten, nnbegnem geworden oder weil ihnen jede Betonung religiösen Lebens als kon fessioneller Streit ersck>ei»t. Ter Papst hat dem deutschen Protestantismus eine Kriegserklärung voller Beleidigung und voller Verleumdung geschickt. Man glaubt dort a» die Legende von der Auflösung des Protestantismus, aber unsere herrliche Protestbewegung hat die Wirklichkeit dar getan. Sie war nicht bloß eine Absage an Rom: aus ihr müssen alle Gegner des Christentums das Nein der deutschen Volksseele für ihre Bestrebungen hören. Weg. du halb wüchsiger Bursche des Unglaubens, der Jesus und sein Werk auü der Geschichte lösen Null, erklärt unser Volk. Unser Protest brachte znm Ausdruck, daß man es nicht verstehe, wenn man über die Politik so manches Gut des Protestan tismus Preisgäbe. Dem Evangelischen Bunde steht die Polemik gegen Rom nicht obenan, viel wichtiger ist ihm unser Volk im Protestantismus zu festigen, und daher muß unser Volk zur Wahrung deutsch-protestantiscl-er Interessen auch in seiner politischen Betätigung sich erziehen lassen. Vor mehr als -10 Jahre» trat ich ins Amt. Da war's öde im Vaterlande, öde in der Kirche, öde überall. Und jetzt? Welch ein Umschwung der Zeilen! Welch ein Fortschritt der Geschichte! Gott hat den Deiitsclie» einst den Luther gegeben und nun sollte er den Ignatius v. Loyola an die Spitze der deutsck-en Geschichte stellen? Wer das denken kann, der befindet sich im Delirium. (Heiterkeit.) Gott hat Deutschtum »nd Protestantisinus znsammengefügt: er wird sie beieinander halten und so beide segnen. (Beifall.) Nach gemeinsamem Gesang ging die große Versamm- lung auseinander. Zoseph Kainz -j-. Wien, den 24. September 1910. Da» Leichenbegängnis, da« am Frettagnachmittag statt- fand, war fürstlich. Die Trauerreden wurden in dem licht- durchfluteten Tobelinsaale gehalten, in dem die sterbliche