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Beilage zur Sächsischen Bolkszeitung Nr. SLS Sonnabend den 16. September 1916 LS. Jahrg Aus der KriegszeiL eines sächsischen Soldaten Von Willy Hacker. «Ziehe auch die Artikel in den Nummern voin ^II N'cveinber lift.J von« 27. November 2d. Mär; n„o 2. September IMi. ö. OrtSkoinniandcur im Pas de Calais. Als unser Zug in das gewaltige nvrdsranzösische ftohieiigebiet einfulir, da waren die ineisten von „ns j mügerniaßeii verblüfft. Am Horizont Fördert»»! an Fördert»,». Wie ei» ! icltjcwic's Gebirge mit tafelförmige» Abplattungen delmen js«ci, kilometerweit die schwarzen Bergwertshalden, »nd ivie riesige Geisterarme ragen dazwischen «nächtige Kräne in den abendlichen Himmel. Gleich dem Mastenivalde eines verteyrsreiche» Hafens drängen sich die schwarzen und roten Schornsteine der I viiehereieii, Maschinenfabriken, Tertilsabriten, und über all ! den« liegt ein dünner Florfchleier von Ranch, Nuß und üolilenitanb. Und wenn auch zahlreiche Gruben »nd Fa briken zur Untätigkeit verdammt sind, so klingt doch über das ganze Gebiet biiiweg das Lied der Arbeit, das auch vor dem ans der Ferne kommenden Dröhnen schwerer Geschütze ! nicht völlig verstummt. Dlbst wenn man dieses Industriegebiet mir flüchtig iireiit und nicht wie wir monatelang darin lebt, tan» man begleite», ivie schmerzlich Frankreich diesen Verlust emvsinden muß, und findet auch die fortgesetzte», zäben Tiircbbrnchsversnche in dieser Gegend begreiflich. Wir waren ersr wenige Stunden in der Arbeiler- kolonie einguartiert, von wo ans wir in einigen Tagen eine der ailerbrenzlichsten Stellungen beziehen sollte» als mich der Hanptmann zu sich befahl. „Sie sind bis ans weiteres zur Ortskommandant»!' St. P. als Dolmetscher koimnandiert. Mache» Sie Ihre Zache gut!" Tas war mir natürlich sehr lieb zu hören, «nachte ich mir doch die Illusion, eine Zeitlang fern von all den bös artigen Granaten und Schrapnells znznbringeii. Es sollte sreilich anders konnnen. Ich hatte ans meiner Kommando- Helle mehr Granalenbesnch als meine Kameraden im Sctnitze »graben. An einem wundervollen Sonntagmorgen zog ich also los. St. P. sei eine Bergarbeiterkolonie nnweit des Ztädtäiens L., das war alles, was inan mir sagte. Trat; der Nähe der Front herrschte reges Leben ans ^ den Straßen, spielt sich doch in dieser Gegend das ganze Familienleben in voller Oeffentlichkeit ab, und daran hatte auch die Anwesenheit unserer Feldgrann nichts geändert. Jtiitile und Lnrns. Unmittelbar auf dem Pflaster sihe» die Hausfrauen, manche mit einer Handarbeit, die wochen lang in« gleichen Stadium bleibt, die meisten aber im süßen Nichtstun, wenn man das nnerniüdliche Geplauder nicht als Beschäitignng rechnen will. Daneben döst ein alter Groß vater vor sich hin, »nd mitten ans der Straße sitzen ein paar lwsfiinngSvolle Sprößlinge von sechs bis acht Jahre», die Tabakspfeife zwischen den Zähnen, und svielen mit wenig Geld, aber sehr viel Geschrei emsig .starten. Ein skmlli scbes Sonntagsbild. Von einer Höhe ans bemerke ich ein langgestrecktes, im gleichmäßigen Rot der Ziegeldächer leuchtendes Dorf. Mitten drin ein hübsches zweitürmiges Kirchlein, das seine spitze» Dächer gar stolz über die niedrigen Häuser reckt. Es in der Grnbenarbeiterork St. P., die Stätte meiner kiinstigen Wirksamkeit. Eine Anzahl ini Orte einschlagender englischer Schwefelgranaten, die hohe, gelbe Schwaden ver senden, zeigt mir, daß dies Idyll ein trügerisches und der Ort alles andere als ein Kurort ist. einem kleinen Hänschen Räumlichkeiten, so groß Die Kominandaiitnr war nntergebrächt. So klein aber die Aufgaben. Eine Ortskommandant»!' in Feindesland, »nd min gar eine solche hinter der Gefechtsfront, hat einen recht mn fassenden Wirkungskreis. Die unsere vereinigte in sich nicht nur die Obliegenheiten einer Bürgermeisterei mit den militärischen Aufgaben, sondern tat noch so manches andere zu Nutz und Fromme» der feindlichen Einwohner. Tas Personal bestand ans dem Ortskommandanten, eineni garnisondienstfähigen Leutnant, einem Unteroffizier und drei Gefreiten. Unsere Tätigkeit war anregend, manch- >nal auch anfregend. und abwechslungsreich. Tie trotz der dauernden Beschießung ziemlich zahlreich zurückgebliebene Bevölkerung wurde registriert und über wacht. alle Adressen- und Penonalienverändernngen ge-- wiiienbaft gebucht. Um Gemme und Kartoffeln für die oft in den kläg lichsten Verhältnissen lebenden Leute zu beschossen, wurden Sämereien und Saatkartofseln in ausreichender Menge verteilt. Aerztlicbe Hilse gewährten unsere Militärärzte. Da der Ort für die ans dein Graben kommenden Truppen als Rnheort benutzt wurde, mußte die Be- legnngssäbigkeit sämtlicher verfügbaren Räume sestgestellt werde«!, bei eiligen hundert Häuser» eine ganz nette Arbeit. Für diese Truppen wurde außerdem ein großes Bad ein gerichtet, das sich lebhafter Benntznng ersrente. Die ziel- und zwecklos hernnibmmnelnöen jungen Burschen wurden zmn Arbeitsdienst herangezogen, und ich batte schließlich eine Kolonne von <«l> Mann zusammen, mit der ich ans dem besten Fuße stand. Zwar waren die Leistungen nicht eben hervorragend, aber sonst war mit den Leute» ansznkoimnen, sie waren willige große Kinder. Ihre Arbeit bestand darin, die Straßen in Ordnung zu i,alten und eine Stellung durch das Dort hindurch anzn- legen und anszubane». Eine geräumige Villa, zu einer Kohlengrube gehörig und nur wenige hundert Meter vom Lanfgraben entfernt, der zn der vordersten Stellung führte, diente mir als Ouartier und wurde gleichzeitig als Niederlage für unser Arbeitsgerät. Spaten, Hacke», Schaufeln. Aerte, Scheren, Stacvelörahl, Sandsäcke und dergl. eingerichtet. Zunächst wohnte ich im Erdgeschoß, »intterseelenallei» in eineni großen Bette, das wir in den Speisesaal gestellt hatten. Als aber eines Nachts eine 7,ö-Ze»tinieter-Granate im Stockwerk über mir durch die Wand fuhr »nd die Decke reckt bedenkliche Risse zeigte, hielt ich es für angenehmer, in den Keller zn ziehen. Dieser wurde mit Hilfe meines franzöfischen „Athletenktnbs", wie ich die Arbeitskolonne getauft hatte, ganz angenehm ansgestattek und war auch ziemlich bombensicher, nachdem wir die darüberliegenden Räume mit starken Grubenhölzern angefüllt hatten. We niger schön, aber nicht zn ändern war es, daß einer der Kellerränine zur Ansbewahrnng von schweren Granaten für die nnweit stehende Artillerie diente. In diesem Keller ging es nach getaner Arbeit ganz ge mütlich zu. Gekocht und gebraten wurde nnnnterbrochen, gaben doch die herrenlosen Gärten so manches her, was wir nicht nnilonnnen lassen konnten. Die Sache wäre also so weit ganz nett gewesen, wenn es keine feindliche Artillerie gegeben halte. Diese benahm jich geradezu gemein. Im Schützengraben konnten wir des öfteren wenigstens einigermaßen berechnen, wo die nächsten z» erwartenden Granaten sitzen würden, hier aber streuten die Gegner den ganzen Ort in vollkommen unberechenbarer Weise ab. Eine in die Kirche, zwei ans den Bahndamm, eine vor den Eingang der Kommandantur, da»» wieder setzten sie uns so ei» Ding direkt vor die Nase, wo wir gerade arbeiteten. Der Ersolg der Beschießung entsprach allerdings kaum den Erwartungen der Feinde, denn in de» vier Wochen meines dortigen Aufenthaltes wurde gerade ei» Soldat getötet und einige verwundet, dagegen eine große Anzahl Frauen und Kinder getötet und verwundet. Ganz seltsam ist es, wie sich sowohl die Erwachsenen ivie auch die Kinder an die Granaten gewöhnt haben. Eine junge Frau, die iw sragte, weshalb sie diese gefährliche Gegend nicht verlassen habe, entgegnete« „Mein Man» ist doch auch im Kriege, weshalb soll es mir da anders gehen?" Ein alter Mann, der vor seinem Häuschen saß und sein Pfeifchen schmauchte, während die Beschießung gerade ihren Höhepunkt erreicht batte, antwortete ans meine wohlge meinte Warnung« „Die schießen ja nicht nach mir, sondern nach euch. Außerdem hat der Ort noch so viel Häuser, die bisher nicht getrosten wurden. Es ist also sehr fraglich, ob meines nun gerade drankoimnt." Eigenartig mutet das Verhalten der Kinderwelt gegen über den Granaten an. Tie Kinder haben eine außerordent lich feine Witterung dafür, wohin sich so ein aiigebenlt kommendes Ungetüm wenden wird. Dann fahren sie wohl von ihren Spiele» kreischend anseinander, aber kaum ist die Erplonon erfolgt, so rennen sie fröhlich lachend zn dem Granatloche, sehen sich die angei icbtete Verwüstung an und sammeln Granatsplitter. Kleine Jungen und Mädel, die verwundet wurden, laufen mit einem unnachahmlichen Stolze umher und säble» sich als Helden in dem Bewußt sein, mit im Kriege gewesen zn sein. Die Einwohner verhielten sich uns gegenüber sehr srenndlich und zuvorkommend, ost sogar bedenklich liebens würdig. Daß dies nicht so ganz echt war, ging daraus hervor, daß eines Tages anläßlich einer neuen sranzösischen Offensive die Frauen mit großen Blmnrnstränßen an Fen stern und Türe» standen, um den Einzug der siegreichen sranzösischen Truppen zn erwarten. Dieser erfolgte aber nicht, die Patriotinnen mutzten die Blumen zur Schmückung der eigene» Häuslichkeit verwenden und wurden von uns natürlich weidlich ansgelackit, was sie mit der Bemerkung: „Nun, dann auf später!" Hinnahmen. Geradezu drollig war eines Tages das Erstaunen verschiedener Einwohner, als ich vor ihren Augen ein halbes Dutzend Heiniatpakete anspackte« Speck, Schinken, Wurst. Käse- Schokolade njiv. Eine äußerte, ich müßte doch recht liebe Angehörige haben, daß sie mir „das Letzte", das sie noch hätten, ins Feld schickten! Wenn der Ortskommandant Streitigkeiten zn schlichten hatfts was bei dem streitsüchtigen Ebarakter der dortigen Frauenwelt ost nötig wurde, so war dies immer für mich ein Fest. Eines Tages erschienen zwei Frauen vor dem Kadi. Die eine beulte, die andere läckrette. Tie Heulende erzählte: Als ibr Mann einkreffe» mußte, befand sie sich gerade in Ronbair bei Verwandten. Der Man» übergab die gesamte Wäsche des Haushalts der Nachbarin zur Aufbewahrung. Als die Frau von ihrer Reise zurückkehrtc, verweigerte die Nachbarin die Herausgabe der Wäsche mit der Begründung, diese vom Manne erhalten zn haben und infolgedessen ver pflichtet zn sei», sie auch »nr diesem nach seiner Heimkehr ans dem Kriege zurückzngeben. Urteil« Wenn die Wäsche binnen zehn Minuten nicht an die rechtmäßige Eigen tümerin znriickgegeben ist, wird sie nebst der eigenen Wäsche der Nachbarin gewaltsam geholt. Jetzt lächelte die Heulende, und die Lächelnde heulte. So ging dort das Leben «in kleinen seinen Gang. Tau sende von Granaten sahen wir zerspringen, Tausende von Tränen sahen wir rinnen, hundertfaches Lachen traf das Obr. Und ungestört blühten und dufteten die Rosen und sangen die Vögel, lbz.l Im heiligen Land Tirol Ein Zeitroman von Anny Wothe (Nachdruck verboten.) Äesctzöch vorgeschriebenes amerikanisches (topvrlgllt 19 l 6 bv rZuuv Wotbs-Kcclin, üssti'K^ (57. Fortsetzung.) An sich selber dachte sie nicht mehr. In ihrem Herzen schien alles tot und begraben. Wenn sie des Abends tot- müde von der Anstrengung des Tages aus ihr Lager sank, dann dankte sie oft Gott, daß Stefan nicht wieder ge- schrieben. Sie hätte es nicht vermocht, ihm zu antworten, denn ihre Gedanken waren weit von ihm. Kein anderer lebte in ihren Gedanken, als Andreas Äregern. von dem sie kürzlich einen Brief erhalten. Sie wußte ihn bereits auswendig, so oft hatte sie ihn gelesen. Er lautete: Gnädigste Gräfin! Ich hörte, daß Sie sich mit dem Grasen Stefan Heidenkainp verlobt haben. Demnach wäre es wohl geboten, mich mit dieser Tatsache zn bescheiden und Sie z» vergessen. Das aber ist nicht der Liebe Brauch im alten Land der Treue, und ich will erst dann glauben, daß Sie mit mir gespielt haben, wenn Sie mir auf Ehre und Gewissen versichern, daß Sie Stefan Heiden- k»mp lieben. Dann habe ich Ihnen nichts mehr zu ,'a^n. Ihr ergebener Andreas von Weegerw sinnier wieder hatte Sabine die Feder angesctzt. um Weegern zn schreiben: „Ich habe Stefan aus Liebe ge- wä-lt". aber immer wieder zeniß sie das Briesblatt. Diese Lüge, diese furchtbare Lüge wollte uichl über ihre Lippen. Ein Granen empfand sie vor Stefan, der ihr doch sonit so lieb und wert gewesen, mit dein sie ein still harmonisches Leben zn führen gedacht, ohne große Aufregungen, aber doch alle Annehmlichkeiten des Daseins voll anskostend. Eine Rolle in der Gesellschaft, gefeiert und bewundert zu werden in der großen Welt, das waren die Lockungen, denen sie ihr Herz zn opfern gedachte. „Nun es soweit war — wo Stefan sie zum Weibe erwählt — da segnete sie jeden neuen Tag den Zufall, der ihre Kriegstrauung mit ihm noch immer hinansschob. Wenn nur Weegerns Brief nicht gewesen wäre! Antwortete sic nicht, was würde er dann aus ihrem Schweigen folgern? Sabine wurde, so in Gedanken über sich selbst, plötzlich an den Fernsprecher gerufen. Arel Heidenkamp wollte sie sprechen. „Sabine, bist Du da?" „Ja, Arel, ist irgendetwas vorgefallen ? Deine Stimme klingt so eigen." > „Man hat uns Schloß Heiden über den Kopf zu- saminengeschosseu. Nur ein Flügel blieb bisher verschont. Ich habe ansgehalten bis zuletzt. Glücklicherweise ist das Telephon noch unversehrt." Sabine konnte einen Schrei des Entsetzens nicht unter drücken. ..Aber Du, Arel. Du bist doch unversehrt?" fragte sie ängstlich. „Was können wir für Dich tun?" Ein bitteres Lachen kam zurück. „Einen Platz zum Sterben gönnt niir bei Euch. Schickt einen Wagen. Hier kan» ich nichts mehr nützen. Macht Euch aber noch ans eine Anzahl Verwundeter gefaßt, die nicht weiter zn trans portieren sind. Wären unsere braven Soldaten unter Führung des Oberleutnants Weegern nicht rechtzeitig er schienen, die Italiener batten keinen Stein auf dein anderen gelassen, und keiner der unsrigen wäre lebend davon ge kommen — die Ueberniacht war zu groß. Dc-r Anführer der Räuberbande, denn so haben sie sich benommen, war der saubere Eonte. Weegern schoß ihn nieder, wie einen Hund. Leider röchle sich der Lump durch einen Gegen- schnß, der Weegern schwer verletzte." Weegern! Sabine stand das Herz still — sie wollte fragen — sie konnte es nicht. „Ich komme mit Tante Brandine gleich selbst. Axel! Ich höre an Deiner Stimme, daß Du am Ende Deiner Kraft bist. Halte aus, mein lieber Bub! Wir holen Dich!" „Dank. Sabine! Ich möchte nur zn Dir!" Da stand Sabine einen Augenblick wie erstarr! und merkte es gar nicht, daß Bereue eingetreten war und alles gehört halte. ..Das also war auch Pinghcttis Werk", sagte Vere»e tonlos. „Bei dem jüngsten Nachtgefecht unserer Kolonne stand er mir zimi zweiten Mal gegenüber. Diese Wunde hier" — sie zeigte auf ihren Arm „danke ich ihm, weil ich mich nicht zwingen lassen wollte, ihm zn folgen. Er drohte, die Brandfackel in mein Elternhaus zu schlendern, wenn ich nicht sein würde. Da habe ich den» mit kafteni Blick ans ihn geschossen und als er taumelte — ich weiß nicht, ob ich ihn ge troffen — da kamen mir die Nnsrigen zn Hilfe. Sabine hatte sich inzwischen schon fertig gewacht, den Wagon beordert nnd Tante Brandine verständigt. „Du mußt mich mitiiehiiieii," bestimmte Bereue. „Nein, das geht nicht. Wir haben nur den einen Wagen zur Verfügung, und wer weiß, wie viele Verletzte lieimzubringen sind. Zudem bitte ich Dich, mich beute bei Baron von Bergeln zu vertreten, der gewiß schon ans mich wartet." Bereue wurde ganz blaß. Der verwundete M«: in der Schlinge bebte, und dann sagte sie leise: