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Beilage zue „Sächsischen Volkszeitung" Nr. 141 Mittwoch den 23. Juni 1915 Seite 5 Landsturmdienst lieber dieses wichtige "Thema verbreitet sich ^Der Landsturm", die bekannte von Sachsen heraüsgegebene Kriegszeitung in Vouziers, in seiner neuesten Stummer wie folgt: So mancher mag in der Heimat wohl fragen: Ja. was macht denn nun eigentlich dieser Landsturm da drüben im Westen? Etappendienst, das' wird so manchem zu Hause ein etwas verschwommener Begriff sein. Vor seinem geistigen Auge sieht er Kolonnen und wieder Kolonnen rollen. Aber was da so eigentlich hinter der Front geschieht, das. ist den meisten unklar. Nun, so wollen wir denn ein Weniges über uns selbst berichten. Nicht über unsere jetzige Tätigkeit. Beileibe nicht. Das iväre ja schlimmster Ver rat militärischer Geheimnisse, der unsere Schriftleiter als- baldigst zu „Sitz"-Redakteuren machen könnte. Aber was so vor mehr als einem halben Jahre geschah, darüber können wir zu Nutz und Frommen der Mitwelt schon die Schleier etwas lüsten. h > Also es war am 8. September des vorigen Jahres,, als 2 Kompanien unseres Bataillons — die erste und dritte, die beiden anderen folgten später — an einem heißen Nach mittag in Vonziers, dem in diesen Blättern schon beschrie benen Kreisstädtchen, einriickten, das uns für einige Mo nate Quartier geben sollte. O Weh, hier sah es böse ans. Eine Woche vorher waren die abziehenden Franzosen und unmittelbar vor uns unsere Fronttruppen durchgezogen. Die Herren Franzmänner hatten, um ja den „boches" den Aufenthalt recht zu verekeln, wüst gehaust. Die Straßen eine einzige, scherbengespickte Schmutzschicht, in den Woh- nngen alles kurz und klein geschlagen, durcheinander- geworsen, in übelster Weise beschmutzt, Behälter erbrochen, die Ladeninhalte wirre, wilde Haufen. Entsetzt beäugten wir diesen Unflat. Sollten unsere Truppen . . .? Aber nein, das wäre ja ein unmöglicher Gedanke! Und richtig bestätigten uns später einige Herren preußischer Nadfahr- kompanien, die als allererste deutsche Truppen die Stadt be- treten hatten, daß diese damals schon genau so ausgesehen hätte, wie bei unserem Einmarsch. Die Mehrzahl der Ein wohner, insbesondere der wohlhabenderen, war „parti", an geblich ans Furcht vor deutschen Beitreibungen. Auch mein Hauswirt, ein braver Kollege bürgerlichen Landdurch- schnitts, hatte noch im allerletzten Augenblick, den ange- sangenen Satz im Briefe abbrechend und den Federhalter binwersend, den Strohhnt aufgestülpt, um hinter den ab rückenden Landsleuten — das Datum des Briefkrüppels ergab dies deutlich sich in die Büsche zu schlagen. Wackerer Kollege, eine fröhliche Urständ sei dir als Dank dafür be schert, daß du dein Haus vor den rothosigen Hunnen be- schirmt, aber doch nicht so viel Zeit gefunden hattest, deine recht trinkbaren Weine, ach und den köstlichen Eointrean, den Männcrschnaps, den ihr „Prime" nennt, die ganz vor züglichen Marmeladen — meine Hochachtung, Madame Eollega — und die Stöße Linnen zu verschleppen und zu vergraben. Alles das hat uns und vielen, vielen Verwun deten in schweren Tagen ausgezeichnete Dienste geleistet. — Zunächst galt es, die nötigen Wachen ausznstellen und die Quartiere wie die Stadt wieder in menschenwürdige Gestalt z» bringen. Für die Straßenreinigung hatten wir ja ge nug Hilfe in gefangenen Franzosen. Ihr habt den Treck hereingebracht, nun bringt ibn auch wieder heraus. Mit sichtlich sehr beschränktem Entzücken — aber was half's, die anfgevflanzten Seitengewehre der beaufsichtigenden Land- stnrmmänner redeten doch eine zu überzeugende Sprache — brachten sie mit Besen und Schippe allmählich Grund in die Straßen, so daß bald das Pflaster — wer weiß, seit welch langer Zeit zum ersten Male wieder — verwundert in die Sonne blinzeln konnte. In den Quartieren aber schrubb ten, scheuerten, wuschen, flickten und bauten unsere Leute mit einer wahren Reinlichkeitswut, so daß man bei Gott glauben müßte, der Beruf der Wasch- und Reinemachefrau sei eigent lich ein männlicher und nur zu Unrecht von der besseren Hälfte des Menschengeschlechtes mit Beschlag belegt. Mer ken wir uns jedenfalls diesen wichtigen Punkt, meine Da men, wenn die Emanzipationsbestrebungen nach dem Kriege wieder aufs Tapet kommen! — Schon nach wenig Tagen glänzten, alle Hochachtung vor den braven Landstürmern, die Quartiere nur so in Sauberkeit und Ordnung. Und dabei diese rührende, echt deutsche Schonung für das Eigen tum des besiegten Feindes! Als ich der Vorsicht halber darauf hinwies, daß ja nichts am Eigentum der geflohenen Einwohner ohne Not zerstört werden dürfe, erfolgte aus offenbar schwer getränkter Seele die Antwort: „Herr Leut- nant, darauf halten wir alle; wir sind meistens Familien- väter und wissen, wie es uns zumute sein würde, wenn Franzosen in unseren Wohnungen säßen. Bei uns kommt nichts weg und wird nichts kapnt gemacht. Die können doch nichts für den Krieg". Aber die Jnstandsetznng der Quar tiere zeigte doch manche nationale Eigentümlichkeiten der Franzosen, die von unseren Gewohnheiten recht ungünstig abstachen. Welcher Fabrikant mochte denn nur, zum Tensel, diese Finkennäpfchen von Waschbecken erfunden haben? Kanin die Nase geht hinein! Tie Reinigung wird znm Gednld- spiel. Jedoch siehe da, welche Unmassen von wohlriechenden Wassern, Literflaschen von Kölnischem Wasser und anderem, Puder, Schminke und weiß der Kuckuck was noch all für Zeug stand ans den Waschtischen herum. Qb da etwa das Bestreben war, mit Wohlgerüchen zu verdecken, was das seh lende Wasser übrig gelassen hatte? Wasser scheint über haupt nicht die besondere Schwärmerei der Franzosen zn sein. Badewannen, du lieber Gott, kaum eine auf ein paar hundert Einwohner, und auch kein Flußbad in der dazu wie geschaffenen Aisne. Das schlimmste aber war derjenige na menlose Raum, nach dessen Beschaffenheit man den Knltnr- wert eines Hanfes zn bestimme» Pflegt. Herrgott, welche eis zeitliche Ursprünglichkeit der Anlagen. Ich bin überzeugt, als Tante die Hölle beschrieb, hat er die Motive hier genommen falls nicht Jialien ilnn schon genügend Stoff geboten baden sollte. (Schluß folgt.) Eine interessante Notiz kam uns jüngst in die Hände. Im Dezember 1011 hielt Herr Universitäts-Professor Geheimrat Schmidt in Leipzi g einen Vortrag über de» französischen Volksgeist. Die Blät- : ter berichteten darüber. Ans irgend einein Grunde kam da mals ein uns zngesandter Bericht nicht znm Abdruck. Heute, nachdem durch die gewissenlosen Treibereien der französischen und italienischen Loge, Italien in den Weltkrieg eingetreten ist, wollen wir den Artikel nachholen. Er lautet: „Was haben wir von der Loge zn erwarten?" Die Freimaurer in Italien und Spanien suchen ihre Länder in den Krieg gegen Deutschland hinein zn treiben. Zum Glück ist ihr Einfluß doch nicht hinreichend, um dieses Ziel zu er reichen. Jedenfalls sind die Bemühungen der „Loge", Deutschland zn erniedrige», geeignet, unzweifelhaft klar zn machen, daß die Freimaurer den Kampf gegen christlich regierte Staaten grundsätzlich betreiben. Die fran zösische Freimaurerei hat soeben bewiesen, daß auch sie ihren Teil an der Niederwerfung Deutschlands haben will. Daß sie geradezu den Krieg mitverschnldet bat, sprach in einen: gedankentiefen Vortrag über den französischen Volksgeist der Leipziger Universitätsprofessor Geheimrat R. Schmidt (Nach folger von Binding) vor kurzem mit aller Deutlichkeit aus. „Der freisinnige, skrupellose Großkapitalismus, sei es, der in Verbindung mit dem Proletariat und der Freimau rerei das Absterben des Rachegedankens verhindert und damit diesen Krieg heraufbeschworen habe." Dieser Satz, der von den Leipziger Zeitungen nur unvollständig wieder gegeben ist, verdient beachtet zn werden. ES sckieint in wei ten Kreisen, auch bei uns Katholiken, die Ansicht zu herrschen, daß die Loge in Deutschland eine ganz harmlose, nur sozi- alen Zwecke« dienende Vereinigung ist. Die Beschim - p fu » g welche die deutsche Frei m a n r erei jetzt aus Anlaß des Krieges durch die Leitung der französischen Loge erfährt, scheint den Beweis zn liefern, daß die Logen in bei den Ländern bisher Hand in Hand gearbeitet haben, denn sonst hätte die Aufregung der „Brüder" in Paris doch keinen Sinn." Was man im Teezember 1011 noch nicht für möglich hielt, daß der Logeneinfluß Italien in den Krieg treiben würde, ist mittlerweile eingetroffen. Die Folgen des Krie ges werden hoffentlich den Logcnfrennden in den betreffenden Ländern die Augen öffnen. X Zum St. Johannistag 24. Juni 1915. Vor Jahresfrist, am Fest der Rosen. War's ring« noch still und alles gut: Doch bald entströmte roten Wunden Des hohen Paares Fürstenblut. . . Seitdem ist vieles Blut geflossen, Und purpurn glüh'u die Rosen heut: O brächte bald ein Sankt Johannes Die Botschaft sel'ger Friedenözeitl . . . Max Oberbreyer aeb. St. Iohannislag 1851). Preissteigerung während des Krieges Unter dieser Ueberschrist veröffentlichte die sächsische , Landwirtschaftliche Zeitschrift unlängst folgende Aussüh- I rnngen: I» der Reichstagssitznng vom Sonnabend, den 20. Ma: § dieses Jahres, bat der Abgeordnete Dr. Rösicke die Frage der i Preissteigerung näher behandelt. Wir entnehmen dessen Ausführungen folgendes: Wie verhält sich der Höchstpreis zn den früheren Prei sen? In Berlin setzt der Höchstpreis für Roggen mit 220 ! Mark ein, im Jahre 1817 betrug der Preis in Berlin bereits 22l Mark, >8.0.0 .00 Nil und 221 Mark, 1801 stieg der Preis im November auf 288 Mark. Die Preise in den -liier ::>d 7.0er Jahren darf man aber nicht einfach netto betrachten da das Geld damals einen viel höheren Wert hatte. Es stand vielleicht um 20 Prozent höher in: Werte als heute. Tie ' Spannung zwischen Roggen und Roggenmehl hat sich wäb > rend des Krieges sehr verschoben. Sie betrug im Juli 101 l 7>.0,1 im April 101.0 128,8, die Spannung zwischen Weizen und Weizenmehl im Juli 101 I .00,8 und im April UNO l 10,2 Mark. Der Meblvreis ist von 208 Mark im Juli 10! 1 ans l>7 Mark im April 101.0 gestiegen. Als Beweis dafür, i daß die heutigen Preise nicht nur niedriger sind als vielfach § in den früheren Jahren, sondern daß wir in Deutschland ^ tatsächlich niedrigere Preise haben als unsere Feinde, führt - Dr. Rösicke folgende Zahlen an: Der Weizen- und Roggen pieis bat sich in Berlin im April 101-0 auf 27 und 23 Mark gestellt. Berechnet man hiernach den Durchschnitt nach den: Verbrauch und der Erzeugung von Roggen und Weizen, so stellt sich der Preis auf 21,10 Mark, in Ehicago ans 23.07. Tie Steigerung des Preises hat in Berlin zwischen 101-1/10 Der Erbherr von Hohenau (.03. Fortsetzung) Nachdruck verboten Woche um Woche verging, Monat um Monat, eine trübe, traurige Zeit für die Bewohner des Schlosses, am trübsten für die Gefangene im Turmverließ. Seit jenem Tage, an welchem Gasda den wahnwitzigen Einfall gehabt, seine Tochter zn einer Gräfin von Hohenau zu machen, war zwar eine gewisse Großmut über ihn gekommen und er batte angefangen, das (Los Hildegards zn erleichtern, soweit es ihm der Eid erlaubte, welchen er geschworen — er hatte ihr Stroh auf das harte Brcttergestell gebrachi und wollene Decken, aber das alles war es nicht, wonach sich die Arme scbnte. wenn sie es auch mit stillem Danke annalnn, und das eine, wonach sic Verlangen trug, gab er nicht. Auch Florian, der Lehrling des schwarzen Peter, hatte einen langen und bangen Winter gehabt. Als er die beiden Schlüssel angefertigt hatte und der Meister seiner Geschick lichkeit nicht länger bedurfte, da war auch seine gute, glück liche Zeit vorbei, da fingen die Mißhandlungen mit neuer Stärke an. Aber er trug sein Geschick, ohne zu klagen: er sah ja auch Susanno und deren Kinder unter der rohen Be handlung des Meister leiden. Wollte er es etwa besser haben? Der arme Junge hatte sich in der Fensterhöhle eine eigentümliche Art von Lebensweisheit erworben: sie bestand in dem ersten einzigen Grundsatz: es gibt auf Erden Starke und Schwache, und die Starken sind da, um zu herrschen, zu drücken, zu treten, die Schwachen, um von ihnen gepeinigt zu werden. Sein Meister gehörte zu den Starken, er zu den Schwachen, — so war sein Schicksal entschieden, und er wäre töricht gewesen, das nicht geduldig zu tragen, was zu tragen seine Bestimmung war. Die Wohnung des Meisters hatte er nicht betreten dür fen und ebenso batte es der schwarze Peter seinem Weibe und seinen Kindern verboten, in die Schmiede zn kommen. So war ihn: auch die letzte Freude genommen, und wenn ihn der Meister nach der Arbeit des Tages, welche ihm die Lunge anSdörrte und den Rücken krümmte, in der Werk- stätte einschloß, so blieb ihm dann nichts übrig, als von üen glücklichen Stunde» zn träumen, die er mit Gottfried und Evchen jubelnd und spielend im Garten, in den Bergen und in Feld und Wald verbracht hatte, den einzigen glücklichen Stunden seines ganzen Lebens. Und in diesen Träumen tanckite dann auch das Schloß Hohenau auf, das stolze Schloß mit den feste», gewaltigen Mauern und den hohen Zinnen und dem finsteren, runden Turm, sah er wieder und wieder das Bild der schöne» Gräfin, wie sie, umwallt von dem himmelblauen Kleide und de» lange», sonnenhellen Locken, über die Zugbrücke gekommen, glaubte er wieder ihre sanfte und freundliche Stimme zn hören. Tie schöne Gräfin war jetzt lange tot. aber er hatte noch nicht vergessen, was sie zu ihm gesagt und konnte er nicht mehr für die Lebende beten, so betete er allabendlich für die Ruhe der Toten. Als aber der Frühling die Natur zn neuen: Leben er weckt und die Sonne Wald und Flur mit frischen: Grün und jungen Blumen geschmückt hatte und die Nächte wärmer ge worden waren, da litt es den Knaben nicht länger in der dumpfen, schmutzigen Werkstatt, und jeden Abend, sobald es in der Wohnung des Meisters still geworden nur das Lämp chen erloschen war, öffnete er heimlich die Türe und schlich sich leise hinaus in die sternenhelle Friihlingsnacht. Zuerst war er in der Umgebung der Felsenschmiede geblieben, dann hatte er seinen nächtlichen Spaziergang ausgedehnt und bald kannte er ringsum alle Felsen und Schluchten, alle Wege und Pfade, die hinauf in das Gebirge und in das Land hineinführten. Einst war er auf seinen Streifzügcn auch in die Nähe des Schlosses Hohenau gelangt, und hatte den: Verlangen nicht widerstehen können, den Riesenbau, welchen er einst im Lichte des Tages bewundert, auch in dem träumerischen Halbdunkel des gestirnten Himmels zu betrachten. Er batte es verlernt, sich z» fürchte», der Tag war sein Feind, die Nacht seine Freundin geworden. Florian hatte sich auf den Rand des Grabe,,s gesetzl und maß die scharf sich abzeichnenden Umrisse mit staunenden Blicken. Noch stolzer, »och mächtiger als früher erschien ilnn alles, »nd wie es dalag, übergossen von dem bleichen Lichte drs Vollmondes, glaubte er eines de: Zauberschlösser zn scben, von denen die Märchen erzählen. Regungslos saß er da, ganz in die Herrlichkeit des magischen Anblicks versunken. Plötzlich zuckte er zusammen. Ei» leiser, klagender Ton hatte sein -Ohr berührt. Was war das? Er kannte die Stimmen der Nacht, aber einen solchen Ton hatte er noch nie gehört. Woher war er gekommen? Wer hatte ilm ansge stoßen? — Er schnellte empor: er lauschte mit vorgestrecktem Ober körper und mit verhaltenen: Atem. Da da kam es schon wieder — zitternd schien es über das Wasser z» kommen dann ward es lauter, hclljmn- niernd rief es: „Waldemar, Waldemar!" Ter Geist der bleiche» Gräfin, fuhr es ihm wie der Blitz durch den Kopf, und ei» Frösteln überlief seinen Leih. Aber im nächste» Augenblick schon wieder hatte er sich er mannt. „So rufen nur Unglückliche," mnrmelte er, „und Un glückliche braucht man nicht zn fürchten." Er eilte in der Richtung vorwärts, woher der Ton zn ihm gedrungen war und stand »ach einigen Sekunden vor den: Turme: der Mond war hinter eine Wolke getreten, schwarz und drohend ragte die gewaltige Masse des Turmes zum nächtlichen Himmel empor. Florian warf sich nieder und drückte das Ohr auf den Boden, aber es blieb still. Er kletterte die Böschung des Grabens hinab, als die Schloßnhr mit schweren Schlägen die vierte Stunde verkündete. (Fortsetzung folgt.)