Volltext Seite (XML)
Miitw-ch. den SS Januar LUi>5 4. Jahrgang. SWsche Kolksffitun »^dcln« täal«» nachm, mit «»-nähme der Sonn-und ffesttage. .. ^ — >! Inserate werde» die «aeivnl,.-ne Peti,zeile odrr de ^chLrLS^M-»-- ^»add-«gigercsgedlankiillvsMett.«ecdtu.freil)eis. Inserate werde» die Ngeipnilene Petiizeile oder deren S,,uin Iki Ps. berechnet, bei Wiederholung dedeuienber Radaü. Bnchbriilkerei, Redaktion und titeschastdstelle; ^re'den Pilrniver Straf!» — Fer-tprecher »Imi I Nr >?'« Für die Monate Februar u. März abonniert man auf die „Sächsische Volkszcitung" mit der täglichen Roman- beilagc sowie der wöck>entl:ch erscheinender! Beilage „Feierabend" zum Preise von L <lilink Skstkllgeld) durch den Boten ins Hans Herreustandpunkt. Born französischen König Ludwig XIV., dieser reinsten Ausprägung des absolutistischen Regiments, stammt das Wort: „DerStaat, das bin ich!" Denselben ab solutistischen Standpunkt unnahbarer Selbstherrlichkeit nimmt augenblicklich der allmächtige Grnbcnadel im Ruhr- revier ein. Bereits vor einigen Monaten, zur Zeit des rücksichtslosen Zechenstillegens, erklärte der Kohlenkönig Hugo Stinnes: „Ich lege die Grube doch still, weil es für mich vorteilhafter ist!" Durch die diktatorische Verlänge rung der Seilfahrt usw. brachte er auf seiner Zeche Brncb- ftratze den Streik zur Erplosion. Trotzdem waren die Ar beiter zu Verhandlungen vor dem Berggemerbegericht als Einignngsamt bereit. König Stinnes lehnte schroff ab. Als die Vertreter der vier Bergarbeitcrverbände der Gesamt- vertretnng des Rnhrbergbanes (Bergbaulicher Verein) in ergebendster Weise die Forderungen der Knappen unter breiteten und um Verhandlungen baten, fertigte man sie barsch ab. Wie schlagende Wetter entlud sich nun der Gene ralstreik. Die Negierung griff vermittelnd ein. Auch deren Anerbieten, gemeinsam zwischen ihnen und den Arbeitern zu verhandeln, lies; man glatt abfallen. So ging's stets. Treffend heben das die kämpfenden Bergarbeiter in dein iüngsten „Ausruf an die Bürgerschaft im Ruhrrevicr" hervor: „Seit dem Jahre 1890 haben die Bergarbeiterver bände wiederholt den Verein der Wcrksbesitzer um Unter- kuiiidlnng über die Bergarbeiterbeschwerden gebeten. Ent weder gaben die Herren gar k e i n e A u t w o r t, oder lehnten rund ab! 1897 hat der Gewerkverein, christlicher Bergleute an den Unternehmerverein eine woblbegründete Eingabe gemacht, aber die Herren lehnten nickst nur alles schroff ab, sondern wollten den Ge- werkverein nicht einmal als eine Arbeiter ve r t r e t n n g a n e r k c n n e n! 1900 haben der „alte" Verband und der christliche Gewerkverein gemeinsam die Bergarbeitersordernngen formuliert, auch jetzt erfolgte A b l e h n n n g. 1903 baden beide Verbände wieder um Erfüllung der Arbeiterfordcrungen gebeten, und wieder lehnten die Herren ein Verhandeln schroff a b." Das ist der nackteste Machtstandpnnkt, das schroffe Herrentum! Wie die Grubenbesitzer im Kohlen- und Koks syndikat bisher dem Publikum gegenüber nach Belieben die Preisschraube anzogen, ohne auf die Klagen der Industrie und der sonstigen Konsumenten zu achten, gerade so hoch mütig ignorierten und ignorieren sie gerade jetzt die ge rechten Forderungen der Viertelmillion Knappen, die ihnen die schwarzen Diamanten im Sckwtze der Erde, umlauert von tausend Gefahren, schürfen. Man erkennt nicht einmal den Arbeitern das elementarste Recht an, das Recht der Or ganisation und Koalition, ein Recht, das gerade die Gruben besitzer im Koblensyndikat in der raffiniertesten und robustesten Art ausbeuten. Man lehnt es prin zipiell ab, mit der Arbeiterorganisation und ihren Ver treter» überbauet zu verhandeln und zu diskutieren. Nur imt dem einzelnen Arbeiter, der natürlich dem ge- N'altigen Ginbenkapital gegenüber einfach machtlos ist, will man verbandeln. Mit vollem Neckst bemerkt dazu das führende demokratisch Blatt Süddentschlands: „Eine Entwicklung von nahezu vierzig Jahren ist an diesen Arbeit gebern spurlos vorübergegangen. Damals sckum, vor vier- zifi Jahren, bat man «ungesehen, das; der einzelne Ar beiter dem Arbeitgeber gegenüber ein Nichts ist. eine Null, nickst viel mehr als das Pferd, das in der Grube Koblen zielst, denn wie dieses mus; er als einzelner nehmen, nxrs man ihm gibt, und alles tun, was ihm besohlen wird, und will er das nickst, so jagt man ihn eben fort. Die „Freiheit" des A r b e i t s v e r 1 r a g e s zwischen dem einzelnen Arbeiter und dem Arbeitgeber ist eine g ro be ll n w abrbeit. denn der einzelne Arbeiter ist in der An nahme der Arbeitsbedingungen nur frei — bei Strafe des Hnngerns. Der freie Arbeitsvertrag wird erst dann für den Arbeiter mehr als ein Klotzes Wort, tvenn er mit seinen Kameraden sich zusammenschlietzen kann und diese Vereini gung durch ihre Vertreter für ihn. wie für alle mit dem Arbeitgeber über die Arbeitsbedingungen verhandelt. Da erst stetst Macht gegen Mackst, da erst kann von einem freien Arbeiter die Rede sein, und weil unsere Zeit freie Menschen und keine Knechte haben will, verlangt sie freie Bahn für dte Organisationen der Arbeiter und deren Anerkennung." Mit erfrischender Deutlichkeit weist auch die „Köln. Volksztg." auf den springenden Punkt hin. „Was uns am meisten mitzfällt, ist die russische Auffassung des Verhältnisses zu den Arbeitern, welche in den Arbeitgebertreisen an der Ruhr herrscht. Ta sprechen sie von „sozialdemokratischer Verhetzung", aber den grotzen Arbeiterverbänden in England und Amerika, die wahrlich nicht unter sozialdemokratischer Leitung stehen, sollten einmal Arbeitgeber mit der Anmatzung kommen, sie hielten cs für unter ihrer Würde, mit ihnen zu verhandeln! Hier ist der Kernpunkt des Streites. Einsichtige und mit der Zeit fortschreitende Vertreter des Kapitals sollten cs unterlassen, heute noch der Arbeiterschaft gegenüber den Grundsatz geltend zu macken: „W i r sind d i e H e r r c n, n n d ihr seid dieKnechte" . . . Tie Arbeitgeber entsinnen sich der alten Zeiten und graben ans diesen ein längst ver modertes Herren recht ans, das mit dem ver gangenen patriarchalischen Verhältnis zu den Arbeitern stand und siel. Von den Opfern und Sorgen des alten Patriarchenreckstcs wollen sie nichts mehr wissen, aber seine Privilegien und Annehmlichkeiten, die möchten sic sich erhalten. Nein, liebe Leute, das geht nickst. Ihr seid entweder ein Jahrhundert z n s rüh , oder eins zu spät ans die W elt g e k o m m e n." Ans politischem (stebiete hat bei uns glücklicher weise das ab'olntistische Regiment schon seit langem dem t o n st i t u t i o n e l l e ii weiche» müssen; cs war eine Kiiltiirerrnngenschaft ersten Ranges, die natnrnotwendige Vorbedingung einer friedlichen Entwicklung unseres ganzen Staatslcbens. Der gleiche Entwicklnngsprozetz »ins; auch auf sozialem Gebiete vor sich geben. Diesem Knltnr- ziele gilt auch in letzter Linie der augenblickliche heroische Kampf der Nuhrbergtnappen. Und deshalb sollte jeder, der ernsthaft für eine A u f w ä r tsentwickel » n g der sozialen Eristenzbcdingnngen des vierten Standes und ein Austragung der gegensätzlichen Interessen in fried lichen Formen cintritt, diesen „Kultiirtamps" in echtem Sinne des Wortes nickst allein mit blotzer Sympathie, son dern auch mit klingender Münze unterstütze». Im andern Lager. Ter Hofprediger Stöcker hat neulich die Bessernngs- mittcl kritisiert, die man zur Beseitigung der Sittenlosig- keit empfiehlt, und dabei das Ehristentnm — das tätige Christentum — als unentbehrliche Voraussetzung bezeichnet. Dem stimmen wir Katholiken voll und ganz zu, betonen nur dabei, das; diese Erkenntnis uns nichts Neues ist, denn gerade die katholische Kirche prägt ihren Gliedern nach- drücklichst das Wort ihres göttlichen Stifters ein: „Jeder gute Baum bringt gute Früchte." Matth. 7, 17. „Jeder Baum, welcher keine guten Früchte bringt, wird abgebanen und ins Feuer geworfen." Matth. 3, 10. und 7, 19. Also fruchtbringendes, tätiges Christentum! Wer staunt nickst über die Riesenleistung der katholischen Kirche, die sich in der Kulturarbeit zeigt, die von allen Völkern in Angriff ge nommen wurde durch alle verflossenen 19 Jahrhunderte hin durch! Wer wird sich auch nur einen Augenblick darüber im Zweifel befinden, welche Stellung die katholische Kirche der sozialen Frage gegenüber einnehmen wird? Getreu der Bahnen ihres Meisters wird sie mit aller Kraft an der Lösung derselben Mitarbeiten, wenn man nickst in offener oder versteckter Feindi'ckxist ihre Mitarbeit znrückstösst. Stöcker meinte zwar, erst seit 5,0 Jahren betätige sich die katholische Kirche sozial. Das ist nun allerdings ein gewaltiger Irr tum . Der protestantische Pastor Stöcker gehört zu den wenigen im anderen Lager, die die Betätigung des Christen tums ans jedem Gebiete, auch dem sozialen, als Naturnot wendigkeit bezeichnen und für diese Idee tätig sind. Seit Jahren arbeitet Stöcker an der Verwirklichung seiner Pläne, wie er sagt, seit 30 Jahren. Seit 0 Jahren ist ilnn die Reali sierung gelungen. „Kirchlich-soziale Vereinigung" nennt sich sein Werk. Dasselbe gliedert sich in Trtsgrnppen. Tie ganze Vereinigung zählt 3000 Mitglieder. Der Mitglieder- beitrag beträgt 1 Mark olme und 3 Mart mit Vereinsschrnk. Tie Gesamtleistung des Verbandes gliedert sich in 7 Kom missionen. die die einzelnen Seiten des sozialen Lebens be arbeiten und damit zugleich an der Gewinnung einer sozialen Bibliothek arbeiten. In Leipzig bestellt davon eine Drtsgrnppe mit über 100 Mitgliedern, Vorsitzender ist Herr Pastor Jeremias. Anlätzlich der Anwesenheit des geistigen Vaters, des Herrn Hofpredigers Stöcker, wurde eine Versammlung der Leip ziger Ortsgruppe veranstaltet. Interessant war dieselbe des halb. weil nach dem einjährigen Bestehen zugleich Rechen- sckiaft gelegt wurde, über die bisherige Tätigkeit der Orts gruppe. Der Kassenbericht schliefst günstig ab. Als Arbeits- ^ gebiet bat man sich wirklich soziale Gebiete erwählt. Es ! wird von der Errichtung eines Volksburcaus in Leipzig be- j richtet, das voraussichtlich am 1. Avril 1905, spätestens am ! 1. Juli ins Leben treten wird. Es soll ein Gcgeugcwickst j bilden gegen die hiesige, sozialdemokratische ähnliche Ein richtung. Rechtsanwälte haben in liebenswürdigster Weise sich für Sprechstunden zur Verfügung gestellt und werden unentgeltlich mündliche Auskunft gelwu. Antzcrdem werden Kräfte zur Disposition stehen, welche.Gesuche und ähnliches anfertigeu. Besonderes Augenmerk hat die Ortsgrnph auch der christlichen Gewerkschaftsbewegung zugewendet. Auch bwr sind Erfolge zu verzeichnen. Es besteht bereits ein Orts- kartell mit Zahlstellen für Lederarbeiter, Schneider, Trans portarbeiter, Holzarbeiter, Metallarbeiter, Gärtner. Rührig arbeitet man an der Gründung der Gewerksckxist für Heim arbeiterinnen. Besonders verdienstvoll hat sich dafür Frau Tr. Lansss-Leipzig-Plagwitz gemacht, die sich in rühmens werter Weise in den Dienst der guten Sach stellt. In einer Ansprach hob der Gründer der kirchlich- sozialen Vereinigung besonders die heute unnmstötzliche Not wendigkeit des Protestantismus hervor, sozial sich betätigen zu müssen, wenn die protestantische Kirche Anziehungskraft auf die Massen ansüben will. Er griff schrf die gegen teilige Meinung an und polemisierte unter anderem ener gisch gegen den leider am Erscheinen verhinderten Rektor Rietschel von der Leipziger Universität, der in seiner An trittsrede, die soziale Tätigkeit der Pastoren scharf ver urteilt. Der Leipziger Ortsgruppe tonnte er das ver- diente Lob reichlich spenden. Die Straßenkämpfe in Petersburg. Tie Privatnachrichten, welche allmählich an die Oeffentkeit kommen, lassen die Lage in Petersburg in einem blutroten Lichte erscheinen. Sie gehen mit ihren An gaben über die Wirkung der verschiedenen in die Menge gefeuerten Salven weit über die offiziösen bez. offiziös zu- gelassenen Angaben hinaus. Das „Berl. Tagebl." spricht von 2000 Toten und 4000 Verwundeten, — Angaben, die einstweilen völlig nnkontrollierbar sind. Natürlich ist cs auch ganz unmöglich, sich irgend ein klares Bild von den Vorgängen in Petersburg zu machen. Wie es scheint, haben viele Arbeiter bis znm letzten Augenblicke die Hoffnung ge habt, das; wenigstens eine Abordnung ihrer Leute vom Zaren empsangen werde, und das; dann der Zar, wenn er sie nur gehört, sehr bald allen ihren Leiden ein Ende machen würde. Inwieweit die Führer diesen naiven Standpunkt wirtlich geteilt oder ihn für andere Zwecke ge pflegt und ansgenützt haben, mus; dahingestellt bleiben. Dem vielgenannten -Priester Gapon mus; man wenigstens das zur Ehre lassen, das; er selbst im Stratzentampf voran- gcgangen ist. während sonst führende Aufwiegler den Kopf viel eher aus der Schlinge zu ziehen pflegen. Militär und Polizei haben insofern leichte Arbeit ge habt, als die Arbeiter im allgemeinen unbewaffnet tvaren, und nicht in geschlossener Masse, sondern in vereinzelten Trupps zur Stadt kamen. Es ist auch nickst anziinehmen, das; jetzt die Schwierigkeiten noch wachsen könnten. Denn die Truppen werden offenbar fest und zielbewusst geführt; die Aufrührer und Angreifer wissen dagegen offenbar nickst, was sie wollen. Den letzten Pariser Nachrichten zufolge wurden 2000 Personen getötet und 5,000 Verwundete in die Spitäler ge brackst. Abends verlautete, das; das Detachement von Mani festanten, welches Zarskojc-Selo zu erreichen suchte, von Truppen nach einem blutigen Znsammenstotze znrückge- drängt wurde. Gegen abend begannen sich im Verkehr der Eisenbalmzüge Schwierigkeiten einznstellen. Man erzählt, das; 20 Kinder, welche im Alerandrapart spielten, während der Füsilade getötet wurden. Den Offizieren wurde znge- rnsen: „Gegen wehrlose Leute seid ihr tapferer wie in Port Arthur und in der Mandschurei!" Dem „Dailn Telegraph" wird ans Wien gemeldet: Eine de» Hobe» diplomatischen Kreisen angehörende Persön lichkeit erhielt Sonntag eine Depesche ans Warschau, die in sremdländischer «nicht russischer) Sprache abgesasst war und trotz ihres Inhaltes von der Telcgraphenzensnr nicht in hibiert worden war. Die Depesche lautet: Ter Zar und seine Gemahlin rechnen mit der Möglichkeit, belnEs Siche rung ilwep fünf Kinder Petersburg und Zarskoje Selo verlassen zu müssen. Am Bahnhofe in Zarskoje-Selo stellt fortwährend ein geheizter Ertrazng zur eventuellen Dis position der kaiserlichen Familie. Man glaubt jedoch nickst, das; der Zar das russische Territorium verlassen werde; viel mehr dürste sich die kaiserliche Familie, wenn sic die Haupt stadt überhaupt verlässt, nach Livadia begeben. Zarskoje- Selo liegt 21 Kilometer von Petersburg entfernt. Ter Zar ist da durch ein Kavallerieregiment überwacht. lieber die Haltung der russischen Regierung bei den Unruhen in Petersburg wird einem Berliner Montagsblatt von besonderer Seite gemeldet: Tie Bittschrift der Arbeiter an den Zaren mit 70 000 Unterschriften soll durch Offi ziere entgegengenommen worden sein, um üe dem Zaren zu überbringcn. In der vierten Linie des Stadtteiles Wassiljewskij Ostrom errichtete die Menge ans Trabt und Brettern drei Barrikaden und hisste auf einer derselben eine rote Flagge. Ans den Fenstern der benachbarten Häuser wurde das Mili tär mit Steinen beworfen und beschossen. Die Menge nahm den Schutzleuten die Säbel weg und bewaffnete sich danüt: sie plünderte die Vafsensabrik Schaff und raubte gegen 100 Säbel, welche aber znm grotzen Teil von der Poliwi wieder abgenomnien wurden. Die Menge zerstörte die Tclephonleitnng und stürzte die Tclegraphenpfosten um. Ans das Aintsgebände des zuzeiten Stadtteiles wurde cin Angriff gemacht und die Aintsränine demoliert. Abends wurden ans der Petersburger Seite fünf Läden geplündcrt. Petersburg, 23. Januar. Amtlich wird bekannt- gegeben: Im Lanke des 23. d. M. fand kein Zusammen- stotz zwischen den Ruhestörungen veranstaltenden Volks mengen und dem Militär statt. Die Truppenabteiliingen