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Zweites Blatt Deutscher Reichslag. Sächsische Volkszeitunq vom 1. März 1911 Nr. 50 Sitzung vom 27. Februar 2 Uhr 20 Minuten. Die zweite Lesung des Militäretats wird fort gesetzt. Abg. Gröber (Ztr.) will auf einige Fragen der Vor redner eingehen. Wenn die Löhnung der Soldaten noch nicht erhöht worden ist, so haben die Sozialdemokraten gar keinen Grund sich aufzuregen; denn sie lehnen ja alle Steuern ab, selbst die Wertzuwachssteuer. Gleichzeitig stellen die Soziademokraten die weitgehendsten Anträge aus Aufbesserung. Eine solche Politik muß gekennzeichnet wer den. Zudem haben die bürgerlichen Parteien dafür gesorgt, daß den Soldaten das Putzzeug gratis geliefert wird; daS kostet jährlich 5 Millionen Mark. Auf diesem Gebiete wollen wir weiter fahren. Die Verordnung über die Ehrengerichte ist neu redigiert worden. Die Rechtsgllltigkeit dieser Ver ordnung ist nicht unbestritten: aber die staatsrechtliche Seite ist nicht genügend geklärt. Eine Auffassung geht dahin, daß die neue Vorschrift unter keinen Umständen dahin gehen dürfe, für Zivilpersonen eine Zeugnispflicht aufzustellen: für Bayern ist diese Verpflichtung bereits wieder beseitigt. Die Neuredaktion dieser Vorschrift bringt wenig Besserung: einzelne sind darin enthalten. So erfährt er jetzt den ganzen Tatbestand, kann Ergänzungen und Richtigstellungen anbringen. Aber auch Verschlechterungen sind darin enthalten, z. B. die Beeidigung im Vorver fahren. Aber dabei ist unterschieden zwischen Zivilisten und Militärpersonen: erstere müssen schwören, letztere geben die Aussagen auf Ehrenwort. Bei elfteren steht Meineid mit Zuchthaus, bei letzteren Entfernung aus dem Offizierkorps als Strafe bei Verletzung der Zeugnispflicht: diese Un gleichheit wirkt erbitternd. Leider hat der Angeschnldigte keinen Anspruch darauf, daß er bei Zeugenvernehmung dabei ist und Fragen stellen kann. Die lange Vorlesung der Aussagen wirkt in der Verhandlung geradezu er müdend. Eine gründliche Reform der Ehrengerichtsvor schriften ist geboten. Nachdem Bismarck 1869 das Paritäts gesetz dnrchgesctzt hat, kann man sich nicht mehr auf seine früheren Auslassungen gegen die Juden berufen. Wir wohnen nicht auf einer isolierten Insel: in Oesterreich- Ungarn sind längst die Israeliten zu Offizieren zugelassen und zwar 1893 mit 8,1 Prozent. Ich kenne die leidenschaft liche Antipathie weiter Kreise gegen die Juden: aber diese können nicht entscheidend sein in einer Rechtsfrage und um eine solche handelt es sich. 1813 erhielten 16 jüdische Offi ziere das eiserne Kreuz: 1810 hat das Ministerium des Krieges selbst sich für die Zuziehung der Juden ausge sprochen und anerkannt, daß die Inden sich im Heeres dienste bewährt haben. Im deutsch-französischen Feldzuge haben 1192 jüdische Soldaten und 100 jüdische Offiziere gekämpft. 373 Juden sind dekoriert worden. (Hört!) Wenn nun in Preußen seit Jahrzehnten kein Jude mehr Offizier wird, so ist der Grundsatz des Gesetzes von 1869 verletzt; auf die Einzelfälle kommt es nicht an, aber auf die prin zipielle Ablehnung der jüdischen Bewerber. Als Katholiken haben wir allen Anlaß, für die Durchführung des Gesetzes von 1869 einzutreten: denn dieses Gesetz ist der einzige Schutz der Katholiken. Es sind vielfach dieselben Leute, die heute gegen die Juden, morgen gegen die Katholiken und die Orden eintreten. Wir wissen sehr wohl, daß viele libe rale Juden über katholische Dinge ihren Hohn und Spott ausgießen: (Sehr richtig I im Zentrum) aber das hindert uns nicht, trotzdem für die staatliche Gleichberechtigung der Juden einzutreten. Der Kampf der konfessionellen Minder heiten ist mit dem Gesetz von 1869 nicht beendigt; es dauert noch länger, bis volle Gerechtigkeit durchgeführt ist; aber wir stehen auf dem Posten, wenn es gilt, diesen Kampf zum Siege zu führen, denn wir kämpfen für Wahrheit und Ge rechtigkeit. (Lebhafter Beifall.) Abg. Dr. Osann (Natl.): Der Abg. Raab hat die Juden am Sonnabend schwer beleidigt, mit Rüstzeug aus dem vergangenen Jahrhundert. Wir protestieren gegen eine solche Zurücksetzung des Judentums. Wir wollen kein über- altetes Osfizierkorps. Technische Verbesserungen sind stets einzuführen. Unser Heer ist das Rückgrat des deutschen Volkes: je mehr hier geschehen kann, desto besser für unser Volk. (Beifall.) Abg. Schöpf! in (Soz.): Diese Rede paßt sonder bar zu dem Anträge der Nationalliberalen in der Kom mission auf Streichung der Armeeinspekteure. Aber als der Kriegsminister nur ein Wort sprach, da fielen alle Nationalliberalen auf den Bauch. (Große Heiterkeit.) Unser Milizsystem denken wir uns anders als das in der Schweiz. Wie kann Herr Osann sich erlauben, solche Bemerkungen gegen uns zu machen. (Große Heiterkeit rechts.) In der Judenfrage redet sich die Militärverwaltung immer in wenig würdiger Weise heraus. Die Reserveoffiziere han deln gegen das Gesetz, wenn sie stets Juden ablehnen als Reserveoffiziere. Man kann doch sonst in der Armee gegen renitente Offiziere Vorgehen. Wird ein Offizier auch aus dem Heere entfernt, wenn er ein reiches Rebeckchen heini führt? (Heiterkeit.) Wie viel Blut der Nachkommen Abrahams, Isaaks und Jakobs fließt in den Adern des preußischen» Adels! Die Antisemiten verstehen das Ge schäft; sie wechseln alle drei Jahre die Firma. Redner schildert eine Anzahl von Soldatenmißhandlungen. Abg. Kopsch (Vp.) polemisiert gegen Raab. Die Polen fordern konfessioielle Trennnung der Armee; wir sind die schärfsten Gegner eines solchen Vorschlages. Die konfessionelle Scheidung schadet dem deutschen Volks körper. Die Sparsamkeit will noch lange nicht zum Durch bruch kommen. Von dem Begriff eines wahren Volks heeres sind wir noch weit entfernt. Kriegsminister v. Heeringen: Der Etat von 1911 enthält 1,7 Millionen Mark weniger als im Jahre vorher; aber auch dieser war schon sparsam ausgestellt. Meine Ver fügung richtet sich gegen den Verkehr von Abgeordneten und Offizieren: denn Offiziere haben Beziehungen zu allen bürgerlichen Parteien. Wir wollen die Politik aus der Armee herauslassen, mehr verfolgt mein Erlaß nicht. Antisemitische Neigungen sind im Volke vorhanden und sie färben auf daS Volk ab. (Beifall rechts.) Wenn ein Fall vor kommt. wo wegen konfessionellen Gründen die Ablehnung erfolgte, da greife ich sofort ein. Ich halte die Wahl zum Reserveoffizier für eine sehr freiheitliche Einrichtung. Einen Kadavergehorsam gibt es im Heere nicht. Wir müssen unS auch darauf vorbereiten, einen eventuellen Aufstand nicder- zuschlagen. Sonst verletzen wir unsere Pflicht. Ich tue meine Pflicht auch ohne die Ermahnung der Sozialdemo kratie. Die Soldatenmißhandlungen gehen dauernd zu rück, besonders die Schindereien. Ich danke sehr für die sozialhemokratische Agitation unter unseren Rekruten; ihre Zeitungen sagen selbst, daß sie den Kasernendienst den Soldaten verekeln wollen. Wir begrüßen eine jede sachliche Kritik; aber die zersetzende Kritik schadet dem Heere sehr und damit dem deutschen Volke. (Lebhafter Beifall rechts und im Zentrum.) Sächsischer Militärbevollmächtigter v. Salza be dauert die Mißhandlungen in einem sächsischen Ulanen- rcgiment. Ter König von Sachsen habe daraufhin sein ernstes Befremden ausgesprochen und scharfe Maßnahmen angeordnet. Mit den Unteroffizieren, die mißhandelten, wird keine neue Kapitulation abgeschlossen. (Beifall.) Wir werden auch in aller Zukunft sehr scharf gegen die Sol» datenmißhandlungen Vorgehen. (Beifall.) Bayerischer Militär-bevollmächtigter v. Gebsattel: An dem Unterricht in Landau ist die Militärbehörde gar nicht beteiligt. Es hat sich um Rekruten gehandelt, für welche Geistliche Vorträge hielten; ob cs Jesuiten waren, weiß ich nicht; denn so viel ich weiß, sind Jesuiten nur ganz vorübergehend in Deutschland anwesend. (Stürmische Heiterkeit.) Tie Militärverwaltung war an der Sache nur so weit beteiligt, daß sie Strohsäcke und wollene Decken ab- gab, wie es auch an Turngemeinden geschieht. (Neue Heiterkeit und Beifall.) Abg. v. Oertzen (Rp.): Auch wir verurteilen jede Soldatenmißhandlung. Abg. Raab (W. V.): Er habe gegen die Juden erst gesprochen, nachdem der Freisinn zwei Jahre lang stets diese Frage aufgeworfen hätte. Auch in katholischen Kreisen ist man über die Zulassung der Juden verschiedener Ansicht. Man formiere reine Judenregimenter, dann kann man sehen, wie sich sich bewähren. Vom Freisinn erwarte ich keine Hochschätznng, sondern Geringschätzung, aber das habe ich nicht verdient, daß man mir nur den Kollegen Kopsch entgegenstellte. (Stürmische Heiterkeit.) Wieviel Juden sind nach China und Südwestafrika gezogen. Der konser vative Berg hat nur Herrn Kopsch geboren. (Heiterkeit.) Tie Debatte ist damit geschlossen. — Es folgt die Ab stimmung über die Resolution. Die freisinnige Resolution bctr. Zulassung der Inden wird gegen die Linke (einige Nationalliberale stimmen gegen die Resolution) abgelehnt. Dienstag Weiterberatnng. — Schluß 7 Uhr. Sport. Np Dresden, 27. Februar. Für das erste Dresdner Scchs-Tagc Rennen, das am 1. März abends 11 Uhr be ginnt. macht sich in hiesigen sportlichen Kreisen ein lebhaftes Interesse geltend. Auf der neuen Rennbahn im alten schlachtbofe herrscht infolgedessen bereits j.tzt regeS Lben und die Fahrer sind eifrig b-tm Traini' g. Bis j tzt haben siß gemeldet die Mann'ch s en Rist — N l W nze>—Kübner» 112 „Wolfbert war immer ein Schleicher, ein Wolfsgänger und Römer- freund", sprach der Alte. „Darum kennt das Gesetz keine Milde und Nach sicht gegen ihn." Und er erhob noch lauter seine Stimme und rief: „Wer ein fremdes Volk zu einem Einfalle ins Land einladet, um hier Beute zu machen und es durch Brand zu verheeren, der werde, wenn er dessen über wiesen ward, mit dem Tode bestraft. Sein ganzes Besitztum aber fällt dem Gau anheim ... So spricht das Gesetz der freien Alamannen I" Herimuot fragte auch die anderen Beisitzer und sie bestätigten das Urteil. Dann wandte er sich an das ganze Ding. „Und nun sprecht auch ihr das Urteil, ihr alle im Ring." „Der Tod!" rief es hundertstimmig. „Wolfbert," sprach der Gaugraf mit furchtbarem Ernst, „daS Volksding hat gesprochen, dein Leben ist verwirkt: du bist dem Strange verfallen." Wolfbert schrie auf. „Nein, nur das nicht! Nur nicht solche Schmach. Ich bin ein Freier —" „So will es das Gesetz: am dürren Eschenast sollst du hängen, zwei Wölfe zur Rechten und Linken. Doch sei dir verstattet, die Milde des Dings anzu rufen, welches dann die Todesstrafe bestimmt. Willst du das?" Wolfbert nickte; sprechen konnte er nicht. Herimuot trug die Bitte der Versammlung vor und bat selber für den Verurteilten, aber die Männer waren so zornig auf Wolfbert, daß sie seine Bitte verwarfen. Erst nach längerem Beraten erwirkte der Graf eine weniger schmachvolle Todesart und verkündete sie der Versammlung: „Er soll den Opfertod sterben! Führt den Verbrecher zum Weihaltar in Wotans heiligen Hain." Der Wotanpriester stand schon bereit und empfing sein Opfer. Es war ein riesenhafter Alamanne, mit gelbem Bart und langem Haar, das, in zwei dicke Zöpfe geflochten, bis auf den Leibgurt niederhing. (Bei Wildberg wurde das kolossale Steinbild eines solchen Götterpriesters aufgefunden und der König!. Altertümersammlung in Stuttgart einverleibt. Abbildung siehe Sattlers Geschichte von Württemberg.) Im Gurt stak ihm ein scharfes Messer, fo daß er eher einem Henker als einem Priester gleichsah. Wolfbert wurde von zwei Kriegern in den Wald geführt, der Priester schritt mit finsterer Miene hinter ihm her. Nicht lange darauf ertönte vom Walde her ein gräßlicher, entsetzlicher Schrei — ein Todesschreil . . . „So sterbe jeder Verräter!" sprach der Gaugraf finster. Und Schweigen legte sich für Augenblicke, während Menschenblut vom Götteraltare floß, über die Versammlung. 1. Graf Herimuot stieg vom Steinsitze herab, legte Mantel und Adels- binde ab und stieß den Schaft des Speercs auf die Erde. „Das Volksding ist zu Ende," sagte er, und damit auch mein Amt als Richter im Gau. Nun hört: — eS gilt einen Herzog zu küren für diesen Kriegszug gegen die Römer —" Lauter Wortschwall unterbrach ihn. Die Speere wurden an die Schilde geschlagen, daß eS wie Donner klang, und von allen Seiten rief es: „Sei du »tnser Herzog, Herimuot!" — 109 — „Dank dir, Graf Herimuot!" rief Sigmar. Herimuot neigte das Haupt und gab einem Diener einen Wink. Dieser verschwand binter dem Eichcnstamme und kehrte gleich darauf mit Waffen beladen zurück. Er stellte sich mit ihnen neben den Grafen. Dieser nahm zuerst den Schild aus Lindenholz und reichte ihn Sigmar. „Schütze und schirme dich selbst! Aber schütze und schirme auch deine Brüder wehrlose Frauen und Kinder." Dann reichte er ihm Helm und Speer, indem er sprach: „Nie zerbreche der Speer in deiner Hand, immer treffe er des Feindes Brust. Und der hoch- gewölbte Helm schütze dein Haupt und zeige sich nie rückwärts dem Feinde!" Darauf gab er ihm noch ein Schwert mit den kurzen Worten: „Streite immer für Ehre und Recht!" Sigmar schwang es in der Sonne, daß der blanke Stahl glänzte und rief mit schallender Stimme: „Leben und Blut laß ich für der Alamannen tapferes Volk, dem ich zu eigen bin mit Leib und Leben, bis zum Tode!" Laute Zurufe erschollen, und Sigmar stellte sich in den Kreis der Edlen, während sein Blick hinausschweifte über den Ring bis zu einer großen Eiche, an deren Stamm Bissula stand und mit leuchtenden Augen und glühend roten Wangen, aber stolz auf den Helden, zu ihm herüberblickte. Sigmar grüßte sie mit seinem Schwerte, und Bissula erwiderte den lieben Gruß: sie ließ die weiße Binde flattern, die Busen und Lenden als Zeichen ihrer Jung fräulichkeit umschlang. „Ein neues Gericht," kündigte Herimuot an. „Hatto und Berchta -- tretet her an den Ring!" Tie beiden drängten sich durch die Menge der Umstehenden, bis an die rote Schnur und blieben da, gespannt auf den Grafen blickend, stehen. „Treu habt ihr beide mir gedient und meinem Hause," sagte der Gau- graf, „und nie nxir der Meier genötigt, euch für ein Vergehen zu peitschen. Auch unserem Volke habt ihr treu gedient: da die Römer in meine Halle brachen, habt ihr uns gewarnt, und mit hundert Heermännern, mit Frauen und Kindern konnten wir uns in den Wäldern bergen . . . Schweren Der- rat habt ihr aufgcdeckt und mir angckiindigt, wohin meine Tochter von den Römern geschleppt worden war' . . Und in den letzten Tagen habt ihr euch ins Römerlager geschlichen und erspäht, was wir zu wissen brauchen: des Feindes Stärke und Schwäche, die Größe des Lagers und wie die Gassen laufen und vieles andere noch: den ganzen Lagcrplan habt ihr uns über bracht — und damit den Sieg über die Römer I" Herimuot wandte sich an das Volksding. „Was haben Hatto und Berchta dafür verdient als Lohn?" fragte er die Volksgenossen. „Die Freiheit!" rief.es tausendstimmig. Hatto und Berchta stießen einen lauten Freudenschrei aus, als sie diese frohe Kunde vernahmen, und wären sich am liebsten in die Arme gesunken. Aber die Fronboten hinderten sie daran; sie fesselten ihnen, als Zeichen ihrer bisherigen Unfreiheit, leicht die Hände, und dann gebot der Gaugraf: „Oeffnet die Schranken! Führt sie in den Ring!" Die beiden liefen hastig, in kurzen Sprüngen, vor den Grafensitz. Heri- muot gab jedem einen Schlag auf die Wange, zerlckmitt die Fesseln mit dem