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Sächsische Volkszeitung : 10.02.1905
- Erscheinungsdatum
- 1905-02-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-190502107
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19050210
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19050210
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-02
- Tag 1905-02-10
-
Monat
1905-02
-
Jahr
1905
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 10.02.1905
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die alten himmelschreienden Frevel gegen die elementare Toleranz abzustellen? Nichts. Oder stellenweise noch weniger; denn in Sachsen hat der protestantische Land tag gleich nach der ersten Loleranzverhandlung im Reich-, tage sich bemüht, die Negierung festzulegen auf das be- stehende rückständige System der Bedrückung der ka- tholisckxm Minderheit. Es ist wahrlich keine Ehre für den Protestantismus, daß er der Hort und der Nutznießer von diesen alten Zwangsbestimmungen gegen die konfessionelle Minderheit ist, während in den Staaten mit vorwiegend katholischer Bevölkerung die Freiheit der Minderheit längst durchge- führt ist. Und die Verantwortlichkeit fällt auf die genann- ten Parteien, die in den betreffenden Staaten nichts gegen, aber manches für die Erhaltung dieser Knebelgesetze tun. W«S fehlt a» d«» »e»e« Gar viel, wird die Antwort lauten, je nachdem diese aus den Kreisen der Industrie und Landwirtsck-aft erfolgt. Kn den Reihen der letzteren ist man im Norden und Osten zufrieden, nicht so im Westen und Süden. Wir behaupten wahrlich nicht zu viel, wenn wir sagen, daß zu einem guten Teil die süddeutsche und westdeutsche Landwirtschaft neben der Industrie die Zeche bezahlen muß. Trotzdem kommen wir nicht zu einer Ablehnung der Verträge, falls Kompensa tionen auf anderen Gebieten geboten werden. Und dieie liegen bei den E i s e n b a h n t a r i f e n. An den Verträgen selbst können wir nichts ändern; sie müssen entweder angenomnieu oder abgelehnt werden. Aber ans dem Gebiete des Verkehrswesens sind wir unabhängig; die Verträge selbst bestimmen nur, daß in der Bemessung -er Tarife, bei Beförderung in derselben Richtung ein Un terschied zwischen Inländern und Ausländern nicht gemacht werden darf. Aber in der Festsetzung der Tarife selbst sind wir gar nicht gebunden; wir können diese nach unserem Be lieben und unseren Bedürfnissen bestimmen und hier muß eingesetzt werden! In vorderster Linie stellt die Frage der Staffel- tarife auf den preußischen Bahnen; diese liegen lediglich im Interesse des Ostens; der Süden und Westen leidet sehr unter diesen. Bei Abschluß des russischen Handelsvertrages im Jahre IKO'I hat Reichskanzler Graf Eaprivi die Zusage erteilt, daß für die Dauer dieses Vertrages die be stehenden Staffeltarife ausgeboben werden. Nun ist dieser Vc-rtrag abgelaufen und deshalb muß Fürsorge getroffen werden, daß sie nicht wieder eiugeführt werden, namentlich der süddeutsche Gerstenbauer müßte sonst bluten. Ta aber gerade die süddeutsche Landwirtschaft nicht genügend berück sichtigt ist, darf ihr nicht auch noch diese Konkurrenz aufge- bürdet werde». Tie Prcmßische Negierung muß sich also da zu verstehen, daß sie eine entsprechende Zusage gibt und die Wiedereinführung der Staffeltarife verhindert. Eine nicht minder wichtige Frage ist die Neuordnung der Eiscmbalmtarise von Mehl und Getreide; jetzt werden unbegreiflicherweise beide zu denselben Sätzen ver frachtet, was einer gesunden Volkswirtschaft widerspricht. Mehl ist ein künstliches Produkt und muß als solches höher tarifiert werden als das Naturprodukt Weizen. Beim Zoll tarif und bei den Handelsverträgen kommt auch diese rich tige Ansicht zum Durchbruch. Der Zoll für Weizen ist 5,50 Mark, für Mehl 10,20 Mark. Nun könnte mau auf den ersten Blick meinen, daß diese Spannung genügen sollte, und doch ist es nicht der Fall. TaS Ausbeuten des Getreides bringt 00 Prozent; im AnSlande aber ist diese Ausbeute wesentlich billiger zu gewinnen; dort sind niedrige ArbeitS- löhne, keine Versicherungsgesetze »iw. Wenn nun beide Waren zu demselben Tarife befördert werden, so hat daS die Folge, daß daS Ausland uns nicht mehr Getreide lie fert. sondern sofort Mehl, umgebt so den Getreidezoll und hebt den Vorteil des erhöhten Zolles wesentlich aus. Selbst »neun aber Getreide nach Deutschland kommt, so wird eS so fort au der Wasserkante vermahle», um die relativ billige Fracht für Mehl z» erhalten. Wir würden somit nur die Großmühleu fördern; die Biuueumüller gehen zurück und das Ende ist ein riesiges Meblsrmdikat, das dann die Preise Haar ein. Um die Kostiimwahl der Gardedamen zu erleich tern, läßt man sich bei ösfeutlicheu Veranstaltungen mir an einem durch die Parole des Festes bedingten Kopfputz genügen, bei Maskeuzwang werden vielfach statt der Sam metlarven Perlen oder Spitzenlarven, sowie Schleierver- hiillnngen getragen. Der Schnitt der Dominos gleicht ans ein Haar den letztmodernen Abendmänteln mit runder Cchnlterpasse, an welche faltige 2^ahnen angesetzt sind; un geheuer große Aermel verwischen jede Linie der Figur, und ein langer von der Frisur niedersallender Schleier um gibt gleich einer dürftigen Wolke die Gestalt. Für beson ders elegant gilt der Domino aus weicher weißer oder schwarzer Seide, den Spitze» wassersallartig beim -Halse und ani Aermelrnud garnieren. Im intimen Kreise, namentlich bei HanSbälleu mit Maskenzwang erhalten die Damen beim Eintritt in die Garderobe oft ganz gleickie Dominos ans zartfarbigem Kattun, so daß die anwesenden Herren, die ja zumeist den Bekanntenkreis des Hauses kennen, Mühe haben, die sie interessierenden Damen herauSznfinden. Gar vielfältig sind die Kleinigkeiten, die beim Kotillon zur Verwendung kommen, geschickte Hände werden bei dem hübsche» Papiermaterial, daS zu diesem Zwecke auf den Markt gebracht wird, mit Leichtigkeit vieles selbst anferti gen können. Sehr nett sind .zartsarbige Holzstäbe, an deren oberes Ende mittels eines gleichfarbigen Bandes eine große Sonnenblume. RiesennachtsclxUteu, Ehrpsamtbemen oder Bluinenzweige aus Papier gebunden werden, falls es sich uni ein Blnmenfest handelt. Als komische Kopsverkleidungen sind Lampenschinne, Nachtmützen, Zylinder und Sportskappen, sowie Direktere- linke und Häubchen ans buntem gonsfrierten Papier nickst, kostspielig. Kleine Schür,zchen mit ansgelmckteii stickerei- ähnlichen Bordüre» werden glcickstalls aus Papier plissiert und mit bunten Seidenbändern um die Mitte gebunden. Schulterschleifchen mit Blumen oder Früchten bilden be liebte Abzeichen siir Damen, ebenso Kokarden ans Papier, Pavierschmetterlinge und Papierboas: nicht zu vergessen der mit Süßigkeiten gefüllten Papiersäckchen, die namentlich bei der Jugend als Kotillonspenden großen Anklang finden. diktiert. Zu diesem Wucher darf es nicht kommen, die Er- Haltung unserer Handelsmüller ist eine Lebensfrage für die Landwirtschaft wie für den Konsumenten. Deshalb muß unbedingt darauf hingearbeitet werden, die Eisenbahntarife für Mehl zu erhöhen. Nur so läßt sich die geschilderte Ge- fahr aufhalten I Ganz Deutschland hat somit hieran ein Interesse. Nun ein spezieller Wunsch Süddeutschlands. Der Gersten zoll ist ungemein niedrig; für Malzgerste ist nur 4 Mark bestimmt, aber für Futtergerste 1.80 Mark. Seither tvar Gerste mit einem Zoll von 2 Mark belegt. Es erheben sich nun schon gewichtige Bedenken, ob es überhaupt möglich ist, Futtergerste und Malzgerste zu unterscheiden; die Gefahr droht, daß Gerste als Futtergerste eingeführt und nachher als Malzgerste verwendet wird. Hierüber muß volle Klarheit geschaffen werden. Aber noch ein anderes! Der Malzzoll ist zu niedrig mit 5,75 Mark. Unsere Malz- fabrikanteu könnten dies nicht aushalten, zumal Gerste und Malz auf der Eisenbahn zu demselben Satze befördert wer den. Auch hier muß der Tarif für Malz erhöht werden, sonst führt das Ausland statt Malzgerste sofort Malz ein und das würde den Ruin weiter Gerstengegenden bedeuten. In diesen Punkten ist ein Entgegenkommen der ver bündeten Regierungen, absolut geboten, sonst müßte Süd- deutschlaud die gesamte Zeche bezahlen, und das kann man ihm nicht zumute». Wir hoffen, daß genügende Zusiche rungen gegeben werden. Derrrscher Reichstag. «. Lerlm. 130. Sitzung am N. Februar >A-ö. DaS H«us setzt die erste Lesung deü TolernnzaAtrn-eS fort. Avg. EchrnAer (Freu. Arg.): Die Verhandlungen sind nicht so verlauten, wie es das Zentrum hoffte; die Beratung vor drei Jahren vertief anders. Seit Aushebung des Artikels 2 des Jesniten- gejctzes ist eine andere Etimniung eiugciretc». Die laihotischc Kirche gibt keine religiöse Toleranz; sie will aber auf politischem Gebiete, was sie aus religiösem verweisen. Das Zentren, ver tritt mit aller Enorgic die Absicht, der katholischen K»rche jene Stellung zu verschaffen, die sie für nöiig hält. Die Kircke will den griamtcn Unterricht beherrsche». Seil Jahren Geht der Katho lizismus darauf hinaus, die Kalholiken zu isolieren. Vom uattonalen Standpunkt ans verurteilen wir das. Aber das Zentrum will die Macht in der Hand haben. Jede,Mich?, die auf einem bestimmten Standpunkt steht, mutz intolerant sein. (ScLr richtig! hört!) Im zweiicn Teil fordert das Zentrum bolle Freiheit für daS gesamte Klosterleben. Das wird der Reichstag nie genehmigen. Warum nur für die anerkannten Religionsgemeinschaften die Freiheit? Biele Sekten wollen sich nicht »anerkenne»" lassen. Der erste Teil sichert die individuelle Religionsfreiheit, ras ist rin Grundgedanke des Liberalismus und des modeinen Staates. Koniwijsioiisbcra- tung halte ich nicht für geboten. Abg. Hoffmnnn-Berlin (Sozd ): Unsere Stellungnahme ist durch das Programm gegeben; aber das Zentrum kann keine Toleranz geben Auch an dem ersten Teil mutz vieles geändert werden. Der Austritt aus der Kirche soll künstlich verteuert werden. In Schwarzbnrg-Sonderöhauseri ist es am teuersten, sich die Kirche vvm Halse zu laden; cs kostet dort 100 Mark. Eine einfache Austrittserklärung sollte genügen. Freie ReligionSvereine sollte man nicht hindern, sondern fördern. Viele erblicken in Kunst und Wissenschaft ihre Religion. In St. Petersburg konnte man den Frevel mit der Religion sehen. Wir reden mit der Kirche einen ganz energnchen Ton, tvenn sie sich zum Schleppenträger der herrschenden Klassen macht. Seine weiteren Ausführungen sind in der Tat nichts anderes als fortgesetzte B/asphemien und Gespött über die Religion. Dann schildert er seine eigenen Erlebnisse, die er als Dissident wegen des Religionsunterrichts seiner Kinder hatte. Dr. Sattler hat die verkörperte Furcht vor Rom verraten. Wollen Sie einen neuen Kulturkcriiips? Dann nimmt das Zentrum Ihnen vollends die Mandate ab. (Heiterkeit.) Die Bibel ist ein Buch von Menschenhänden, mit allen menschlichen Vorteilen und Nachteilen. Wir verlangen Glaubens- und Gewissensfreiheit für „dem gesamten deutschen Volke"! (Starke Heiterkeit.) Abg Müller-Meiningen iFreis. VvlkSp.): Die Rede meines Vorredners war eine moderne Kulturkampssredc. Die Verquickung von Politik und Religion wollen wir nicht. Wegen des Toleranz antrages ist eine Bcuiiruhignng entstanden, namentlich wegen der klerikalen Verstötze auf dem Schulwesen. Dan» nimmt die Kirche rein weltliche Dinge für sich in Anspruch: Ehe, Begräbniswesen uslv. Dann geht er aus das bekannte Gebetbuch von Pfarrer Keller näher ein, bringt den Wackerschen Erlaß, zur Sprache. Der Kawpf- standpnnkt von Süddeulschland hat mich hierher geführt. (Hört!) Im Toleranzantrag öffnen wir eine EinfallSpivrtc für spätere Wünsche Ueber den zweiten Teil hat Dr. Bachem kein Wort ge sagt (Dr. Bachem: Das wird in der Kommission erfolgen.) Her aus mit der Sprache! Die freie Tätigkeit der Kougregatione» ist mir am bedenklichsten. Lehnen wir den zweiten Teil ab! (Dr. Müller läsp beim Verlassen der Tribüne das Gebetbuch liegen. Das Zentrum macht ihn hieraus aufmerksam; Dr. Müller holt es und will es dem Abg. Gröber geben, der cs unter stürmischer Heiterkeit dankend abiehnt. Abg Gröber (Zentr ): Namens meiner bayerischen Freunde danke ich dem Abg. Dr. Müller für die unfreiwillige Unterstützung, die er diesen für de» Wahlkampf geliefert hat. (Sehr gut!) Man glaubt vielfach, unser Antrag richte sich gegen den Protestantismus, mehrere Synoden faß,ten entsprechende Beschlüsse. Aber die Auf fassung ist ein sehr großer Irrtum. Auch die protestantischen Hospitanten des Zentrums haben den Antrag unterschrieben. Denn der Inhalt sagt deutlich, datz diese Bewicklung nickt zritrtfft. Zahlrcicke Anhänger des evangelischen Glaubens haben vor drei Jahren für den Antrag gestimmt »nd niemand wird diesen vor- werfcn können, daß sie ihren Glauben verleugnen. Hervorragende liberale Blätter haben sich für den Toleranznntrag ausgesprochen, die nationalliberale Fraktion hat eine andere sckärferc Stellung jetzt aus politischen Gründen eingenommen. Redner verliest Stellen aus der „Köln. Ztg ", die siir den Toleranzantrag einst ul. Nur ein Reichsgefttz kann abhelfen. Die „Nat. Ztg." und „Straßb. Post" haben sick ähnlich ausgesprochen. Dr. Müller sicht furchtbare Gefahren im Klosterleben, er bat sogar die Nonnen zu den Geist lichen gerecknet. (Stürmische Heiterkeit.) Ich bedauere nur, daß man ihn mit dem Ae etbuche nicht photographieren konnte (Große Heiterkeit) Selbst protestantische Gemeinden haben un« Petitionen um Annahme des Toleranznntrages eingereicht. diese find katholiken- freundlich gesinnt, denn sie nennen den Papst den „Antichristen". Diese Gemeinden mußten ihre Gottesdienste heimlich, in der Nacht, im Walde abbalten. (Hört!) Und erst die hohen Strafen für die Prediger dieser Gemeinden. Also unser Antrag verfolgt nickt nur katholische Interessen. Nun kommt man mit der Kirchenboheit de« Staates. Der Antrag richtet sich nur gegen da» StaatSkirchentum. wonach der Staat als Kirchenvater in religiösen Dingen entscheiden darf. Die staatspolizeilichen Schranken wollen wir nicht beseitigen, jeder Bundesstaat soll da» Recht bebakten, innerhalb deö Rahmen« der Reichsgesetze seine kirchenpolitischen Verhältnisse zu regeln. Die Kirckenhabeit der Einzelstaaten wird hierdurch nickt aufge hoben- Die Bevormundung durch die staatliche Bureaukratie soll anfbören. (Sehr richtig!) Jede Religionsgemeinschaft kann sich Rechtsfähigkeit verschaffen, sie dark nur eine Aktiengesellschaft zur Ausbringung der Mittel gründen. (Heiterkeit) vielleicht auch eine Genossenschaft, keine Behörde kann hiergegen etwa« etnwenden. A»S der Literatur haben wir nicht viel Vorteil gehabt, unsere Freunde im Lande draußen haben nickt viel geschrieben, ganz ander- auf der anderen Gelte Wir wollen für unseren Antrag die freiere Auffassung von der Anerkennung der Religion«gesellschasten, wozu die Anerkennung de« Staate- gar nicht nötig ist. Aber diese Frage nötigt uns. auf eine Kommifftonsberatung zu dringen. Wir sprechen nur von .au-wärttgrn" Geistliche«, nicht von „ausländischen", die Gefahr, tzaß Russen. Griechen und gar Türken hcreinkomeuui könnten, ist somit nicht da. (Heiterkeit!) Die Hauplbeschwerden der Katholiken werden erst erledigt, wenn auch der zweite Teil an- genommen «ird. Kompelenzbedenken kann man nicht erheb«,: man tut e- in der Regel, wem, man nicht an die Sache heran will. (Zaruf.) I« man möchte e« auf allen Seilen. Spiegel- berg. ich kenne Dich! (Heiterkeit.) Und ivo waren diese Bedenken beim Iesuitengesetz? Dr. Skockuurnn meint zwar, ««ich dieses sei unrechtmäßig erlassen, wo war er aber, al» etz sich um Aufhebung diese- uiwechtmäßig er'assenen Gesetze« bandelte? (Lehr G«l!) Helfen kann un« nur ein Reichsgesetz. Selbst der nationallibcrale Abg. Kulmann hat da« neue braunschweigische Gesetz scharf kriti siert. (Hört!) DaS mecklenburgische Gesetz ist ebenso ungenügend. DaS Ministerium entscheidet, ov ein Bedürfnis für den Gottes dienst vorhanden ist. Die Arbeikg.b c selbst bemühen sich, ihren Schnittern für Gottesdienst zu sorgen: aber der Staat verhindert es. Man schämt sich bald, etz sagen zu müssen, daß der Wunsch auf einmaligen Gottesdienst im Monat versagt worden ist (Hört!) DaS ist die richtige Bureaukratie, die statt des menschliche» Her zens ein Tintenfaß oder etue Streusandbüchse hat! Diesem Unfug muß ein Ende gemacht werden. (Sehr richtig!) Dr. Müller hätte Gelegenheit, auch in Meiningen etwas zu tun. Dort sind sehr drückende Bcsttmnuingen gegen die Katholiken Am schlimmsten stehr es in Sachse». (Ruf: Wie immer!) ES freui mich, daß ein sächsischer Vertreter am BundctzratStisch ist! Sachsen gehört, watz die Toleranz aubetrifft. zu den rückständigsten deutschen Staaken. Nur ein paar Fälle, die man sonst so gern totschweigt. Wir behandeln diese hier im Reichstage so lange, bis die Miß- stände verschwunden sind. (Beifall.) Redner gibtzwei recht krasse Fälle von Intoleranz an, die das sächsische Gesetz förmlich auf- zwingl. Ein Geistlicher, der einem sterbenden Katholiken die Sakramente spendet, wurde mit 3c Mk. Geldstrafe bestraft. (Rufe im Zentrum: Pfui!). Präsident Gras Vaüestrcm: Dieser unschöne Ruf nt nicht zulässig. Abg. Gröber (fortfahrend): Religiöse Toleranz ist nicht möglich! DaS ist klar! (Rufe!) Ja, die Kanone ist geladen: ich könnte Nachweisen, daß sie auf keiner Seite gewährt wird. Aber gefordert werden muß die staatsbürgerliche Toleranz! Auch Papst Leo hat sich hierfür ausgesprochen. Redner verliest eine Stelle aus einer Enzyklika. Im Morgenland hat zuerst rin freisinniger Katholik die staatsbürgerliche Toleranz eingeführt. Die Toleranz ist herangewachsen aus der politischen Notwendigkeit, sich zu oer tragen. Haben wir das in Deutschland nicht ebenso notwendig? Füist Bismarck hätte, wenn er länger am Ruder gewesen wäre, uns schon längst das gebracht Wir stehen jetzt mitten in der Weltpolitik. Ich bitte, sorgen Sie mit. daß Freiheit der Religions übung nnS gewährt wird (Lebhaftes Bravo!) DaS Haus vertagt sich auf morgen l Uhr. HandelSoerträge. Politische Rundschau. Dresden, den 0. Februar t!>0l». — Der H-udelSvcrtragSvercin und die Handelsvertrüge. Der Gesamtansschnß des Handelsveriragsvereins hat ein- stimmig eine Erklärung beschlossen, in der er Protest gegen die Handelspolitik, die den neuen Handelsverträgen zu Grunde liegt, erhebt und der Meinung Ausdruck gibt, daß die neuen Handelsverträge die schlimmsten Befürchtungen bestätigen. Trotzdem fordert der vorsichtige Handelövertrags- vereiu die Abgeordneten nicht auf. gegen die Verträge zu stimmen. Er weiß wohl warum. — Ein 24. deutscher Adel-t-g soll am 20. Februar in der Kriegsakademie in Berlin stattfinden. Wie groß die Interessen sind, um die die Herren sich bemühen, zeigt die Tatsache, daß an erster Stelle ein Vortrag über das Thema „Aberkennung des Adels" steht. Die Herren scheinen danach tatsächlich noch in der Ansicht zu leben, daß das Adelkprädikat auch heute noch irgendwelchen Wert besitze. DaS ist bekanntlich nicht mehr der Fall, seit die moderne Kultnrentwickelung rücksichtslos hinweggegangen ist über die begründeten und unbegründeten Vorrechte aus einer Zeit, in der man von Recht und Unrecht andere Anschau ungen hatte, wie daS heute der Fall ist. Tie Budgetkommission des Reichstages erledigte am Mittwoch den Etat für Südwestafrika und ging zum Etat für Tentsch-Ostasrika über. Prinz von Arenberg (Zentr.) beantragte Zustimmung zu der Besserstellung für nicht etatsmäßigc Beamte in den Schutzgebieten für den Fast der Dienstnilfähigkeit. Ein Antrag Erzberger (Zentr.) wünschte diese Besserstellung auch ausgedehnt ans die Neichspostbe- aniten in den Kolonien, der Antrag fand einstimmige An- nähme. Dr. Spahn (Zentr.) betonte, daß der Gouverneur stets den obersten Befehl über die Schntztrnppe haben müsse; mit der Verleihung von Orden mit Schlierter» sollte man vorsichtiger sein, um den Uebcrcifer der Offiziere nicht an- znspornen! Erzberger (Zentr.) wünschte gerechtere Vertei lung der Gewerbesteuer und Verhütung der Ausräubung des Gebietes von Bukat; der Kolonialdirektor gab eine ent gegenkommende Erklärung ab. Sehr eingehend begiindctc dann Erzberger (Zentr.) die Forderung nach Einführung der Neichsmarkwährnng statt der Nnpienwährnng und die Errichtung einer staatlichen Kolonialbank, soweit die Reichs- post dem Gesdanstansch nicht genügen könne. Die Ver gebung des Rechts der Notenausgabe an eine Privatgesell, schaft wie hier sei sehr bedenklich. Geheimrat Helferich hält zunächst die Nupienlr>ährung noch für nächtiger und hat Bedenken gegen eine staatliche Kolonialbank; am Donners- tag schon werde der Bnndesrat der neuen Privatbank die Rechtsfähigkeit verleihen. Hierauf vertagte sich die Kom mission. Die Debatte geht morgen weiter. - Die Petitionskommisfion deö Reichstages befaßte sich heute mit Eingaben betreffs Konzcssioniernng deS F l a s ch e ir b i e r h a n d c l s. Die Zentrumsabgeordnetdn nahmen sich sehr warm dieser Petition an. Aber die sozial demokratischen Abgeordneten Pens und Eichhorn meinten, die ganze Petition entspringe nur „ganz grobem Futterneid der Wirte". Nun können letztere sich bei den Genossen hier- für bedanken! Wie kann ein Sozialdemokrat sich noch be schweren wenn ihm ein Wirt sein Lokal nicht mehr zu Ver sammlungen gibt, wenn diese derart beleidigt lverden. Die Wünsche der Wirte sind ganz berechtigt. Znr Lage im Ruhrgebiet. Am Donnerstag lvird in Essen die Entscheidung über die wertere Entwickelung der AnSstandsfragc fallen. Bekanntlich ist eine Revierkonferenz der Delegierten aller Bergarbciterverbände zn diesem Zweck einberufen. Die Lago ist so kritisch wie möglich. Man kann den gegenwärtigen Stand in vier kirrzen Sätzen zusammen- fassen: 1) die hochmütige Abweisung der Zechenbesiher ist unverantwortlich; 2) die Haltung der Regierung mit ihrem Schwanken und Hinausziehen ist wachsend tadeln-wert; 3) die Erbitterung unter den Streikenden und einem gro ßen Teil der Bevölkerung ist bedrohlich; 4) die materielle Notlage und dadurch der Appell an die Leidenschaften und ihre beklagenswerten Folgen ist im Zunehnren begriffen. —
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