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^scheint täglich ««chm. mit Ausnahme der Sonn- u. Festtage. Brz*gsprri»r Vierteljahr!. 1 Mk. SV Pf. (ohne Bestellgeld). Post-Bestellnummer 68S8. Bei außerdeutschen Postanstalten laut ZeitungS-PreiSliste. Einzelnummer 1V Pfennige. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit. »»cdOniclltt«. KeSalMsn «na «rrcdSNttiille, Dresden, Pillnitzer Straße 43. olksMng Inserate werden die 6 gespaltene Petitzeile oder deren Raum mit IS Pf, berechnet, bei Wiederholung bedeutender Rabatt. Redaktions-Sprechstunde: 11—1 Uhr. Fernsprecher: Amt l. Nr. 1366. Sir. 82. Freitag, den 10. April 1903. 2. Jahrgang. Aarfreitag. Wenige Tage sind es her, da feierten wir in der Erinnerung den Einzug Christi in die Stadt Jerusalem. „Hosianna dem Sohne Davids, hochgelobt der da kommt im Namen des Herrn; Hosianna in der Höhe!" Mit diesen Nusen begrüßte den Heiland die Volkesmenge; mit Palmen in den Händen kamen sie ihm entgegen, mit grünen Zweigen bestreuten sie seinen Weg, und Kleider wurden vor ihm ausgebreitet, gleich als gelte es einen König zu empfangen. Und der Herr, der am Palmsonntag einzieht in Jerusalem wie ein König, wie ein Triumphator, über den spricht dasselbe Volk wenige Tage später sein Verdannnungsurteil mit dein furchtbaren Rufe: „Kreuzige ihn! kreuzige ihn!" Und das ungetreue Volk schleppt seinen Heiland zur Richtstätte und schlägt ihn an das Holz der Schande. Mit Spott und Schmach bedeckt, in tiefster Qual muß der „König der Juden" sein Leben aushauchen. Welcher Gegensatz zu dem Hosianna des Palmsonntags! Nicht schärfer konnte die Treulosigkeit und Undank barkeit der Welt zum Ausdruck kommen, als in diesem Gegensätze zwischen dem Palmsonntag und dem Karfreitag. Und doch, obwohl er voraus wußte, wie das jüdische Volk ihm so viele Segens- und Wohltaten vergelten werde, hat Jesus am Palmsonntag keinen Augenblick gezögert, seinen Schritt in die treulose Stadt zu setzen. Ebensowenig suchte er in den folgenden Tagen irgend eine Gelegenheit, um dem furchtbaren Schicksale, das ihm hier bevorstand, zu entgehen. Wie sehr er auch am Oelberge die Todesangst voraus empfand, so daß mit Blut vermischter Angstschweiß ihm ans den Poren drang; wie klar auch vor seiner Seele die ganze Undankbarkeit der Menschen stand, er gab sich doch willig den Häschern hin und verwies dem heiligen Petrus, der im Feuereifer das Schwert für seinen Herrn und Meister zog, jede Gewalttat und allen Widerstand. Ties alles und noch vieles mehr müssen wir beherzigen, wenn wir die Bitterkeit des Leidens Jesu Christi, das am Karfreitag seinen Höhepunkt erreichte, recht zu würdigen suchen. Wie furchtbar mußte es an sich schon für das reinste und heiligste aller Herzen sein, nicht nur eine Todsünde, sondern alle Sünden der ganzen Welt auf sich zu nehmen als seine eigene Schuld. Und nun voraussehen zu müssen, daß dieses unendliche Opfer, daß alle seine Leiden und sein schimpflicher Tod am Kreuze für so viele Menschen vergeblich dargebracht sein würden! Voraussehen zu müssen nicht nur die laue Gleichgiltigkeit von Millionen und Millionen erlöster Seelen gegen ihr eigenes Heil und gegen die Opfertat ihres Heilandes, sondern auch den kecke» Unglauben und den frechen Hohn, die schnöde Un dankbarkeit der Welt und die fortdauernde Verfolgung seines Werkes, seiner Kirche durch alle Zeiten! Wahrlich, auch die Verfolgungen unserer Zeit hat der Gottmensch klar vorausgesehen in jenen Augenblicken, als er, seiner menschlichen Natur den Tribut zollend, schmerzlich anistöhnend die Worte ausstieß: „Herr, mein Herr, warum hast Du mich verlassen?" Frecher als je hat der Unglaube sein Haupt erhoben; durch alle Länder hallt der Ruf: „Los von Rom — los vom Kreuze — los von Gott!" Schon jubeln die Feinde des Christentums in unserem westlichen Nachbarreiche, gleich als hätten sie mit den demütigen Bekennern Christi, den Mönchen und Nonnen, schon Jesus Christus selbst aus ihrem Lande, ans dem Herzen ihres Volkes vertrieben. In andern Ländern holen ihre Gesinnungsgenossen zu dem gleichen Schlage aus. Da ist es wahrlich Zeit, daß wir wenigstens, die wir treu zu dem Gekreuzigten halten, die wir mit dankbarem Herzen uns bewußt bleiben, welch ungeheures Opfer er für uns und die ganze Menschheit gebracht hat, uns mutig und offen um das Kreuz scharen und furchtlos unserer Liebe zu dem Welterlöser Ausdruck geben gleich jenen Jüngern, die anch in der Todsünde ihren göttlichen Meister nicht verlassen haben. Und wie könnten wir dabei auch klein gläubig sein? Wir wissen ja, daß der Heiland sterbend Tod und Hölle bezwungen hat. So werden auch alle Verfolgungen seiner Kirche nur dazu dienen, ihre unver wüstliche Lebenskraft und damit ihren göttlichen Ursprung immer aufs neue zu beweisen. Wir selbst müssen uns aber anch immer vor Augen halten, daß die Welt das Christentum nach seinen Bekennern beurteilt. Möge daher jeder Einzelne von uns stets daran denken, daß er als ein Beispiel angesehen wird, das; er also durch sein Beispiel wirken muß ! Haben wir den rechten Bekknnermut und einen heiligen Opfermut, in welchem nur heute öas erhabenste Vorbild schauen in Jesus Christus, in seinem blutigen Opfer auf Golgatha! protestantische Unklarheiten. I. Daß der Protestantismus voller Widersprüche ist, zeigt sich immer von neuem wieder, wenn die gläubigen Pro testanten mit den ungläubigen oder liberalen oder auch mit der sogenannten Mittelpartei in Streit gerate». Hört man die Wortführer auf beiden Seiten, so möchte man beiden Recht geben. Das ist aber nur möglich, weil sie beide tatsächlich in mindestens einer Beziehung Unrecht haben. Sie gehen von ganz verschiedenen Voraussetzungen aus und kommen infolgedessen natürlich zu keiner Ver ständigung. Das hat man neulich im preußischen Herren Hause gesehen, wo Frhr. v. Dnrant mit an erkennenswerter Entschiedenheit gegen die ungläubigen Theologie-Professoren zu Felde zog. Er hat ganz recht, wenn er diese Christnslengner ans den Professorenstühlcn, wie Harnack, Banmgarten u. a. für ungeeignet erklärt, die zukünftigen Geistlichen der evangelischen Kirche heranznbilden. Andererseits aber hatten auch die Professoren Schmoller, Löning und Bierling recht, wenn sie vom Standpunkte des protestantischen Grundsatzes der freien Forschung für die volle und unbeschränkte Freiheit der Theologie-Professoren eintreten. Sie hatten dabei die Genugtuung, anch den Kultusminister Stndt und den Hosprediger Dryander trotz ihres persönlichen gläubigen Standpunktes für die theologische Lehrfreiheit eintreten zu sehen; beide Herren taten dies allerdings mit schwerem Herzen, in voller Erkenntnis der Gefahr der ungläubigen Theologen für das Bekenntnis der Kirche, aber sie vermochten vom protestantischen Stand punkte aus den Widerspruch nicht zu lösen. Dieser Widerspruch kommt in der Hauptsache daher, daß der Protestantismus einerseits das Prinzip der freien Forschung ausgestellt und dadurch sowohl den Theologen als den Laien das Recht eingerünmt hat, a»S der heiligen Schrift herausznlesen, was jedem einzelnen in den Kram paßt, ja sogar über Christus und die hl. Schrift selbst ver schiedener Meinung zu sein, andrerseits aber doch eine Kirche mit einem festen Bekenntnisse »ein will. Das letztere möchten freilich die liberalen Protestanten anch lieber heute als morgen über Bord werfen, aber es ist ihnen dieses bisher nicht gelungen, »veil die Staatsgewalt in diesem Punkte auf Seiten der positiven, der gläubigen Protestanten stand. Der Kampf nin das apostolische Glanbensbekennlnio, der bei dem Streit »m die neue Agende so lelchaft entbrannt war, geht indessen anch heute noch weiter, er muß weiter gehen, bis entweder der Staat den liberalen Theologen die Verpflichtung ans das aposto lische Glaubensbekenntnis, an das sie nicht mehr glauben, erläßt, oder aber die von vielen Positiv.» gewünschte Ans- scheidung der liberalen Richtung aus dem evangelischen Landeskirchentmn erfolgt. Daß diese letztere Möglichkeit jemals eintrete, ist allerdings sehr unwahrscheinlich, denn auch die liberalen Prediger haben keine Lust, auf ihre Pfründen zu verzichten, und sie hoffen, mit der Zeit auch innerhalb der Landeskirche den vollen Sieg davonzn- tragen. Erleichtert wird ihnen diese Absicht dadurch, daß die kirchlichen Oberbehvrden, die Konsistorien und der Ober- kirchenrat, nur sehr selten gegen ungläubige Prediger ein- schreiten. Geschieht es doch einmal, so wird natürlich in der gesamten liberalen Presse ein großes Geschrei erhoben und dadurch die Agitation gegen die Bekenntnis Verpflich tung aufs »eile angefacht. Ein neuer, etwas eigenartiger Fall dieser Art schwebt jetzt in der Berliner Petri Gemeinde. Tie Liberalen, welche in dieser Gemeinde die Mehrheit haben, hatten znm Diakonns den freigeistigen Greifswalder Prediger Heyn gewählt; der Propst an dieser Kirche aber, 1)r. Frhr. v. d. Goltz, erhob gegen diese Wahl Einspruch. Das ist um so bemerkenswerter, als der Propst v. d. Goltz selbst bisher als ein liberaler Mann galt und tatsächlich auf den Synoden anch schon als Verteidiger der theologischen Lehrfreiheit ausgetreten ist. Mit diesem grundsätzlich liberalen Standpunkte ist jetzt offenbar sein seelsorgerliches Ge nüssen in Konflikt geraten. Ans die Entscheidung des Kon sistoriums darf man deshalb gespannt sein; wie ein Bericht erstatter wissen will, hat das Konsistorium nach langem Zögern jetzt seine Entscheidung getroffen, aber wie dieselbe ausgefallen ist, wird einstweilen nicht mitgeteilt. Der a»»stralische Erbe. Roman von Edgar Pickering. Deutsch von Franz Paul. (26. Fortsetzung.» (Nachdruck verboten.» Dick war aufgestanden und hatte sich der Türe ge nähert. „Wart noch ein Weilchen," rief ihm der Onkel zu. „Mochte, Du solltest mich zu Ende hören. Habe mir in den Kops gesetzt, Du solltest Judith Gutch heiraten, mein Junge. Aber ich verlange nicht von Dir, daß Du noch heute Abend ja oder nein sagen sollst, kannst Dir die Sache überlegen." „Gewiß, das will ich tun, obwohl mein Entschluß schon heute feststeht, sagte Dick, und verließ init diesen Worten das Zimmer. 10. Kapitel. Weder an demselben Abend, noch am folgenden Tage ließ sich, sehr zu Mortimers Befriedigung, Mr. Dormann in Whyteleas Manor sehen, und der Abend, der auf jenen folgte, an dem das Zusammentreffen zwischen den beiden Männern erfolgt war, sank düster über die grasbewachsene Allee und das alte Haus. Er brachte einen ungewöhnlich traurigen und regnerischen Tag zu Ende, den Mr. Tor mann im Billardzimmer des „Goldenen Löwen" verbracht hatte, vergeblich im Spiel Trost für sein verwundetes Haupt suchend. Daß er im Streit mit Mortimer den Kürzeren gezogen hatte, bekümmerte ihn weniger, als daß Madge Selby ihn so gründlich hatte abfallen lassen. Gegen 8 Uhr abends verließ Mr. Dormann das Hotel und ging über die Straße, die zu dieser Stunde ebenso verlassen war, wie die Wüste Sahara, wandte sich dann dem Wege zu. der nach Whyteleas Manor führt und eilte mit scharfen Schritten auf das Wächterhäuschen zu. Hin und wieder blieb er lauschend stehen, doch nichts war zu vernehmen als das Sausen des Winterwindes, der nahen Schneefall verkündete. So verfolgte er denn seinen Weg bis der Eingang zur Allee weiß vor ihm auftauchte. Einen Fluch unterdrückend, denn der Platz brachte 'hm lebhaft die Er eignisse des vorhergehenden Abends in Erinnerung, gelangte er zu dem Wächterhäuschen, dessen Türe, die er vor einigen Tagen erst wieder in die Angel gehängt hatte, heftig aufstoßend. Dann trat er rasch in das kleine Haus und direkt auf das Fenster zu, von dem aus vor längerer Zeit der nun verstorbene Torwärter auf die Besucher oder Landstreicher hinausgeblickt hatte, wenn die Torglocke läutete. Es war wärmer in dem Zimmer als draußen in der freien Luft und so öffnete er denn seinen Mantel, während er wartete. Ans seiner Stirn trat wieder die häßliche Falte zwischen den Augen hervor und in seinem Blick waren die verschiedensten Gefühle zu lesen. Aerger, Zorn und insbesondere die spannende Erwartung, mit dem er dem Kommen Jean Kedars entgegensah. Während dessen hatte eine schwarzgekleidete Gestalt die Eisenbahn station verlassen, nachdem der von London kommende Zug in Marlhurst einen einzigen Passagier abgesetzt hatte. Es war Jean Kedar, der erst ungewiß um sich blickte, bevor er sich entschloß, den Bahnhofsportier um die Straße nach Whyteleas Manor zu fragen. Nachdem er die ge wünschte Auskunft erhalten hatte, setzte er sich in einen ge mütlichen Trab nach dem Ort seiner Bestimmung, in der Tasche die Abschrift vom Testamente Mr. Giffords. Ge mütlich und vergnügt zog er die Straße dahin, die keine Nebengassen anfwies, in die er sich hätte verlieren können, wie es ihm so oft in London geschah, und so erreichte er den Torweg zum Haus, ohne es zu merken, bis er von Mr. Dormann angesprochcn wurde, der ihm entgegen getreten war. „Folgen Sie mir." sagte dieser kurz. Die beiden Männer traten in das Zimmer, wo Dor mann eine Kerze anzündete, die er mitgcbracht hatte, um bei dem trüben Licht in der dumpfigen Stube das Doku ment zu lesen, das Jeau Kedar ihm auSfolgte. Langsam ging er es Wort für Wort durch, während der kleine Schreiber ihn aufmerksam beobachtete. So stumm und teinahmsloS blickte er dabei drein, daß sein zartes Gesicht wie aus Wachs gegossen anssah und nicht das geringste Zeichen von Interesse anfwies. während der ganzen Zeit, die der andere dazu verwendete, die Abschrift zu studieren. „Wann soll das Testament unterzeichnet werden?" fragte Tormann, und obgleich es bitter kalt im Raum war, standen ihm dabei große Schweißtropfen ans der Stirn. „Vorausgesetzt, daß Mr. Gisford mit dem Entwürfe einverstanden ist —" „Er ist doch nach seinen eigenen Instruktionen gemacht", unterbrach ihn Dormann. Warum sollte er nicht zufrieden sein?" „Ich dachte nur, daß sein Sinn sich vielleicht mit Bezug auf Sie ändern könnte oder daß ein Ereignis ein treten könnte, daß dies hier überflüssig machen würde," erwiderte Jean Kedar, mit dem Finger auf das Papier weisend. „Ich kann ihrem Gcdankengange nicht folgen," er widerte Mr. Dormann. „Hier ist der Entwurf von Mr. Giffords Testament, und Sie haben es ihm zu bringen, damit er es lese?" „Ja!" „Sie kehren doch heute noch nach London zurück?" fuhr Dormann fort. „Ja. mit dem Zuge, der Marlhnrst um l l Ul»r ver läßt, so lautete der Auftrag des Mr. Scripp!" „lind wann werden Sie wiederkommen?" „llebermorgen werde ich das Testament znm Unter schreiben bringen!" Dormann überlegte eine Weile. „Wissen Sie, was es zu bedeuten hat. »venu Mr. Gifford ein Testament unterschreibt, das die Bestimmungen dieses Entwurfes enthält? Was cs für Sie zu bedeuten hat? wiederholte er. Jean zuckte mit seinen schmalen Schultern und schauderte. Wahrscheinlich, weil es ihn in der dumpfen Luft des Zimmers bis in die Knochen hinein fror. (Fortsetzung folgt.)