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Sächsische Volkszeitung : 20.08.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-08-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192208206
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19220820
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19220820
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-08
- Tag 1922-08-20
-
Monat
1922-08
-
Jahr
1922
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 20.08.1922
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Sonntag von 20. August 1922 >tc. 192, Seite 2 Der Staats.qerichtshos Leipzig, 17. August. Rcichsjustizminister Dr. Radbruch sollte vor einigen Tagen dein Reichspräsidenten die Namen der Mitglieder des Staatsgcrichtshoses überreicht haben, die nach dem Gesetz voin 2l. Juli für die endgültige Besetzung des Staats« gcrichtöyofcs in Frage kommen. Diese Meldung war verfrüht, doch steht die Bildung des StaatSgerichtshoses unmittelbar be vor. Ter Staatsgerichlshof wird sich dann aus sechs Laien richtern und drei Berufsrichtcrn, insgesamt neun Mitgliedern, zusammensetzen, während ursprünglich auf Grund der Verord nung vom 26. Juni nur sieben Mitglieder ernannt waren, von denen vier Laienrichter waren. Vorsitzender des Staatsgerichts hofes wird, wie wir hören, auf jeden Fall Senatspräsident Dr. Hagen bleiben, auch in der Besetzung der Nichterstcllen sollen gegenüber deni ursprünglichen Plan nur unwesentliche Verände rungen eintreten. Nach seiner Konstituierung, die in den nächsten Tagen zu erwarten ist, wird sich der StaatögerichtShof voraus sichtlich zunächst mit den Fällen beschäftigen, für die bereits für de» 1». August ein Termin anberaumt war. Es handelt sich dabei um die Prozesse gegen den Archivar Karl Laun (Füssen) und Genossen, de» Kaufmann Julius Mcngert (Nürnberg), der die Farben der Republik geschmäht haben soll, den Kapitän Eduard Gccrken (Hamburg), den Kaufmann Georg Buchler (Oppurg), den Studenten Manfred Bacherer (Heidelberg) und Genossen und den Landwirtschaftseleven Rudolf Ziepte (Greifs, wald). Iugenderimierungen von der Leipziger Messe In der Messenummer der Zeitschrift „Deutschland" (Mün chen) widmet Franz Langheinrich in einer bunten Skizze »Unter den Buden" der Leipziger Messe folgenden HymnuL: Das Land meiner Kindheit ist grau, aber von grünen Linde» überrauichi, und an seinen umbuschten Ufern schlägt die Nachtigall. Uno wenn ich seinen Archipelagus iibcrfinne, da leuchtet mir eine Insel in schier exotischer Pracht. Palmen und Dschungel», Tiger, Rothäute und wachsbleichig« mandel- äugige Odalisken, Bratwürste und Krappelchen, die ihre Duft- wolken weit senden, der Lärm von tausend Völkcrstämmen, die alle zugleich singen, schreien, tanzen und gespannte Felle schla gen, Trompetensiguale und Rhapsodien, pfeifende Orgeln und Menschen, Menschen, immer mehr Menschen, die sich drängen, die staunen, jubeln, starren, einander schieben und die Führ zerstampfen und wie graue dunstige Wogen treibe» und sich trei ben lassen. Die alten Häuser rings um di« Meßplätze erwachten aus Schlaf uiid Traum. Der ganze Brühel ivar ein vollendetes Gcltobild, eine slawisch-östliche Karawanserei, von einem uner hörten Leben erfüllt, das bei aller Großartigkeit von lustigem, kleinem Leben durchsetzt war. Fremde Laute tönten an unser Ohr, aus den Wohnwagen der fahrenden Leute roch es nach den Geheimnisse» anderer Welte». Welch ein reiches Feld der Aben teuer war es, das die Kinderherzcn damals aus den Meßplähen durchschwärmten. Stanz hoch über uns aber und von allen be neidet. standen die Altersgenossen, die in der Niesenmaschinerie des gewaltigen Betriebes ein kleines Rädchen drehen durften; vielleicht selber ein Teilchen des zauberhaften Ganzen waren. In de» Karussells spannten sie sich in den Göpel ein und trieben die runde lärmende Fahrt der Rosse, Karossen, Giraffen, Ele fanten und Schtväne im Kreise; in den Menagerien und Akro- batcnbuden führten sie Besen und Bürsten. Wieder andere taten sich zu Verbänden zusammen, die durch die Jrrgänge der Budcnrechen förmlich Raub- und Liebcszüge ausführten. Leipziger Messe, buntestes seltsamstes Eiland der Jugend, lebendigster Traum aus Tausend und Einenacht I Erntevorschau Wctteranzcige durch Kirchenglocken. Der französische öffentliche Wetterdienst ist jetzt modernisiert worden. Vom Eiffel turm wird täglich dreimal ein Wetterbericht herausgegcben, der in einem Umkreise von 500 Kilometern von allen Gemeinden, die mit einem klingenden Empfangsapparat auSgcstattet sind, ausgcfangcn wird. ES ist ferner ein bestimmtes Signalshstem festgclegt worden, nach dem die Wettervoraussagen durch Lau ten der Kirchenglocken der Einwohnerschaft bekannt gegeben wer den. Tic Franzosen werden jetzt also aus den kurzen oder lan- gen Schlägen der Kirchenglocke ersehen, ob sie mit einem Regen schirm oder mit einem Spazierstock ansgehen sollen. In früheren Jahren lagen bereit» Im August die Schlitzungen der Sndausllick en durch das Statistische RelchSamt vor. Jnsola.' der Abänderung in der Verteilung der Umlage haben di« statistischen Anstalten ander« Grundlagen slir die Schätzung ausgestellt, lo daß in diesem Jahre nicht vor Oktober mit der Ermittelung der Zahlen zu rechnen ist. Immerhin scheint festzustehen, daß trotz der ungünstigen Witterung bei der Aussaat bei Wlnterpetreidc und Sommergetreide die Flächen im Umfange der früheren Jahre bestellt wurden. Der Winter brachte jedoch bet Weizen erheblichen Schaden, so daß im Frühjahre rund 10 Proz. wegen Auswinterung umgepflügt werden mußten. Liese Flächen wurden zum Test mit Sommerkorn, vor allem aber mit Kartoffeln neu bestellt. Bei Roggen war die Aus winterung gering; hingegen litt Wintergerste und besonder» Winter raps sehr. Bei Hackfrüchten ist eine Zunahme der KiiliurflSche festzu stellen; bei Zuckerrüben beirägt der Zuwachs 8.S Proz. Die Futter pflanzen nehme» etwa dieselbe Fläche ein wie im Vorjahre, jedoch sind sic infolge der Trockenheit im Sommer 192t meist schlecht auf gegangen und mußten teilweise im Frühjahr umgepflügt werden. Die Frühjahrsbestellungen konnten wegen de» langen Frostes und der ungünstigen Witterung eist spät in Angriff genommen werden und verschoben sich gegenüber dem Vorjahre um 6-4 Wochen Bis zum Junt blieb da» Wetter mit vereinzelten Nachtfrösten ungünstig: eS muß während der WachStumszeit für die diesjährige Ernte als abnorm bezeichnet werden. Er ist schwer, heute schon ein einigermaßen sicheres Urteil über die Ernteaussichten abzugeben. Der erhöhte Produktionsmittel- auswand der Landwirtschaft wird sich in Norddeutschland in bezug auf die Brotgktreideernte nicht voll bezahlt machen. Am günstigsten dürfte die Noggenerntc auSsalleo, die einen guie» Durchschnitt verspricht. Die Weizenernte wird zum Teil weit unter dem Stande dcS Vorjahre« bleiben; im besten Falle ist mit einer knappen Mittel» ernte zu rechnen. Bei Gerste ist das Ernteergebnis im allgemeinen befriedigend. Hingegen sind di« Aussichten für Hafer in ganz Deutschland ungünstig. Die Kartoffelernte, über die man im gegenwärtigen Zeitpunkt freilich nur mit größter Vorsicht urteile» darf, veripricht eimn günstigen Ausfall, ebenso die Zuckerrüben» rrnte, bei der vor allem auch die Vergrößerung der Anbaufläche hinzukommt. Die Futtermittelnot wird allerdings in diesem Jahre noch nicht behoben werden. Der erste Schnitt der Heuernte, der wegen des regnerijchen WctterS zum Teil jetzt noch nicht ganz beendet ist, war sehr gering; der zweite veripricht mehr Erfolg. Die Obst« und Gemüse er nt« befriedigt allgemein; insbesondere fällt die Pflaumen- und Aepielernte ausnahmsweise reich au». Annähernd richtige Zahlen für die Erntemengcn abzugeben, ist «noch nicht möglich. 1921 hatte Deutschland eine Weizenernte von 6 Millionen Tonnen gegen 2.5 Millionen Tonnen 192« und eine Roigenernte von 6.8 Millionen Tonnen gegen 4.9 Millionen Tonnen 1920. Für den rationierten Bedarf brauche« wir eine jährliche Brot- getrcidcmcnge von etwa 4,6 Mill onen Tonnen, Von diesem Bedarf wurden 1921/22 durch die Umlage 2.5 Millionen Tonnen aufgebracht, etwa 1,9 Millionen Tonnen durch Einfuhr, der Rest durch Auskaus von Jnlandgetrelde >m freien Verkehr. In diesem Jahre wird wiederum die Hanptmenge in Höhe von 2,6 Millionen Tonnen durch Umlage von der Landwirtichast ausgebracht. Damit wäre der Grundstock für die Volksernährung fichergestellt. Wtevicl darüber hinaus sür de» freien Jnlandverlehr noch zur Verfügung stehen wird, läßt sich kaum schätzen, ehe nicht die endgültigen Ernteschätzungen und die Aubau- flächensiatistik bekannt sind. Jedenfalls dürfte sich daS ErnleergebuiS zwischen dem der Jahre 1920 und 1921 bewege». Die Freidenker gegen den Münchener Katholikentag Mittels roter Handzettel wurden die Teilnehmer an der von der Sozialdemokratie veranstalteten VersassungSfeter am Königsplatz in München zu einer Protestaktion gegen den Münchener Katholiken tag aufgesordet. In demselben werden „die sreigesinnten Münchener" „alle Mitglieder der sreigeistigen, sozialistischen und freigewerkschast- lichen Organisationen" „aus Anlaß der reaktionären Veranstaltung des Katholikentages" für Samstag darauf zu einer „Massenkund gebung" berufen. Der Bundesvorsitzende der Freidenker Oesterreichs will über „Der Katholikentag und die geistige Freiheit" sprechen, der Sekretär der Gemeinschaft proletarischer Freidenker über „Kirchen- glaube und Bolksnot". Tie Volksgenossen, heißt eS in dem Ausruf, sollen .durch wuchtigen Aujmarsch ihren Willensausdruck gegenüber der klerikalen Reaktion bekunden, die besonders in Bayern auf Polizei und Regierung, in Familie und Schule ihren schädlichen Einfluß ausiibt". Sie sollen den .Kampf sür Geisteslultur und freies Menschentum" unterstützen und 3 Mark im Vorverkauf oder 5 Mark au der Kasse zahlen. Die Herrschaften hoffen mit der Hetze ein gutes Geschäft z>, machen. Aus dem Ausland Oesterreichs bedrohliche Lage Nachdem die Regierung Seipel ihr Menschenmögliches ge tan hat, um unter den schverstei, Opfern die innere Finanz, gcsundung Oesterreichs herbeizusühren, ist sie durch die Weige rung des obersten Rates, auswärtige Geldmittel zu erhalte», in eine verzweifelte Lage geraten. Offen und ehrlich hat sie er klärt, daß unter diese» Umständen sie die Geschäfte der Regie, rung nicht weiterführen könne und auch leine Partei bereit sein wird, sie weiter zu führen. Sie will nur noch die Entscheidung des Völkerbundes abwarten. Wenn das eintritt, wäre damit das Chaos in Oesterreich gegeben und ein Braiedherd entstünde, der die folgenschwerste,, Verwicklungen nach sich ziehen könnte. Das hat die Kunst jener Staatsmänner fertig gebracht, die solch ein Monstrum schufen, wie den Friedensvertrag von Trianon. Das Moskauer Bluturtett Warschau, 19. August. Wie erst jetzt bekannt wird, hielt Trotzki in einer Sitzung des Allrussischen Zentralexekutivkomitees eine Rede, in der er die sofortige Erschießung der verurteilten Sozialrevolutionäre forderte; er konnte jedoch mit seiner Mei nung nicht durchdringen, und die Mehrheit sprach sich für die Aufhebung des Urteils aus. Unter anderem bekämpfte der russi sche Botschafter in Berlin, Krestinski, die Auffassung Trotzkis. Ec erklärte, daß er nach Berlin nicht zurückkehren könne, wenn das Urteil vollstrcckt würde. Aus Enver-Paschas Leben Der bekannte türkische Führer Enver-Pascha hat in der Nähe von Buchara im Kampfe mit roten Tr,y>pc>, seine» Tod gefunden. Damit ist ein abenteuerliches, wildromantisches Leben zn Ende gegangen. Als Ivjähriger Leutnant schon verschafft er sich im Kampfe mit griechischen Banden bei Monastir einen Na men, taucht dann im bewegten politischen Leben der Türkei auf. Er ist der Gründer des bekannten Freiheitskomitces und wird weltbekannt als einer der einflußreichsten Führer der jiingiür- kischen Bewegung. Als die Jungtürken an die Regierung gelan gen, geht Enver als MilitärattaW nach Berlin, verteidigt dann Tripolis gegen den italienischen Eindringling. Im Balkankrieg taucht sein Name wieder auf als Verteidiger der Tschataldscha- linie und Eroberer von Adrianopel. Er wird Brigadegencral. dann Pascha und endlich KriegsministerI Seine in Deutschland erworbenen Kenntnisse benutzt er zur Reorganisation der tür kischen Armee, mit der er im Weltkrieg an die Seite Deutschlands tritt. Trotz aller Größe und allen Ruhmes lastet aber a»S dieser Zeit auf seinem Namen auch die unauslöschliche Sch»,ach der scheußlichen Massakers, an denen fast das gesamte Arnienicrbolk verblutete! Nach dem Zusammenbruch 1918 aus der Türkei vertrieben, wird er zum Tode verurteilt und von mystischen, französisch«,, und türkischen Häschern verfolgt. Vor den Augen der englische», Behörden taucht er mit einem Flugzeug in Danzig aus und fliegt wieder davon: nach Rußland! — Nach tollkühnen Irr fahrten gelingt es ihn,, mit Lenin und Trotzki in Fühlung zu treten. Er sagt England schärfsten Kampf an. Auf seine Ini tiative dürfte nicht zuletzt die Gärung der ganzen islamitischen Welt zurückgehen. Was sich in Vorderindien und Aegypten in den letzten Jahren zugeiragen und England peinlichen Kopf schmerz verursacht hat, ist In erster Linie Enver Paschas Werk Ein Schreiben hat er d,y»ch den amerikanischen Journalisten von Wiegand an England gerichtet, worin unter andere», gesagt wird: ,.Da in Versailles, St. Germain, Neuilly usw. das Schwert in der Hand brutaler Macht und nicht die Gcrechtiakeit den Ausschlag gab, so soll „un Feuer und Schwert die Ent scheidung treffen zwischen den Mohammedanern und Englän dern." — lieber die weiteren Taten Enver Paschas herrscht ziem liche Dunkelheit. Jetzt taucht plötzlich die Nachricht auf, daß er im Kampfe mit moskowitischen Truppen geblieben ist. Ein cingizartiger Lebenslauf schließt in den einsamen Gebirgen von Buchara. Die große Hoffnung Originalroman von Erich Ebenstein Urheberrecht durch Greiner u. Comp., Berlin W. 3« (9.» Fortsetzung.) ..Macht er noch Geschäfte mit der Stadtverwaltung?" fragt» Otto so beiläufig, ohne Ferdiiumd anzuschcm «Ei freilich! Die großen Lieferungen werden alle chm übertragen. Zwar der Heschl drüben hat sich da jetzt auch ein bißchen eingedrängt, wie mir scheint. Beim neuen Gemeinde haus haben sie ihm die Spenglerarbeiten übertragen, und zwar hinter dem Rücken deines Vaters. Der war ganz krebsrot vor Zorn, als er neulich vom Stadtsekretär Hobinger davon erfuhr. Nämlich früher ist das alles durch deines Vaters Hand allein ge gangen. Baute die Stadt, so wurde ihm alles in Bausch und Bogen übergeben, und er suchte sich dann die Leute aus, von denen er es bezog. Dabei hatte er dann natürlich seinen Nutzen — er und der Baumeister Merz. Diesmal aber wurden die Spcnglcrarbeiten dem Heschl gleich direkt vom Bauamt übertra ge» und scitdeni tut er sich dick wie ein aufgeblasener Frosch. Galt weiß, wer es ihm zugeschanzt hat? Muß wohl einen guten Freund im Banamt haben." Otto schwieg zu diesem Berichte. Desto lebhafter arbei tet« sein Hirn. Also das ging noch immer so fort mit den unsauberen Ge schäften! Vor ein paar Jahren war er zufällig dahinter ge. komme» durch ein gegen seinen Willen aufgefangenes Gespräch zwischen seinem Vater und dem Stadtsekretar Hobinger, wo sie gegenseitig ihre Prozente an einer Lieferung Eisenbander aus- machtcn. Damals war ihm für alle Zelten die Lust vergangen, je das väterliche Geschäft zu übernehmen. Um gar keinen Preis. Denn mit solchen Dingen wollte er sein Lebtag nichts zu schaffen haben. Und hätte es doch mit ansehen und dazu schweigen müssen. > Gottlob, daß Ferdinand davon nichts ahnte. Der war eine ehrliche, arglose Seele, die nur sah, was man ihr zu sehen gab. Mit Gustl hatte er übrigens richtig vermutet. Der hübsche Dragoner hatte wirklich wieder Schulden. 9600 Mark waren e» diesmal. 6000 hatte er in einer Nacht beim Spiel verloren. Die anderen spielten auch, da könnte er sich nicht ausschließen. Dan» war sein Reitpferd krepiert und er mußte ein neues haben. Der Verkehr mit der Gräfin kostete viel Geld. Jeden Tag Blu. men. da und dort kleine Aufmerksamkeiten, Vielliebchen usw., kurz — auf einmal waren es 9000 Mark. Diesmal vertraute er sich erst der Mutter an. Vater war. wie er gleich merkte, nicht guter Laune. Das plötzlich fabelhast rasch cmporwachscnde Geschäft des alten Heschl gegenüber, das »ur crnsiliche» Konkurrenz für die Firma GerSdorfer zu-werden drohte, ärgerte ihn Tag und Nacht. So wenigstens sagte die Mutter. lieber GustlS neue Schulden war sie außer sich. Woher um Tolles willen das Geld nehmen? Da waren ja die 12 000 Mark, die sie im Lause der Jahr« heimlich beiseite gespart hatte und von denen ihr Mann nichts wußte. Aber sollte sie die wirklich angreisen? Dann blieb ja kau», ein Pappenstiel für Annchens Aussteuer und gar nichts für ji« selbst auf ihre alten Tage! Sie weinte und rang die Hände. „Gustl, Gvstl, du bringst uns »och alle an den Bettelstab!" Er starrte vor sich hin. „Mutter, nicht ich, die Verhältnisse sind es, die mich immer wieder dazu brnrgenl Hättest du mich doch nie zu dem teuren Regiment gegeben!" Frau Magdalene raffte sich gewaltsam ans. Ohne auk seinen Vorwurf einzugehen, fragte sie: „Wie stehst du mit der Gräfin?" ^ .... „Ausgezeichnet- Ich glaube, sie hat sich wirklich in mich verliebt. Wir passen auch sehr gut zusammen. Sie liebt den Sport wie ich." „Wann wirst du um sie anhalten?" . „Ich dacht- jetzt gleich, wenn ich vom Urlaub zursickkomnre. Sie ist inzwischen zu Bekannten gefahren. Einen Teil der Fahrt machten wir gemeinsam." »U,ü> die andere . . . diese Olga Petrasch?" „Das ist aus — gottlob! Sie wollte es zwar immer noch nicht glauben und macht beständig Versuche, mich zu sehen oder brieflich auf mich einzuwirken, aber ich bl,eb fest. Und jetzt, ehe ich auf Urlaub ging, schrieb ,ch ihr die volle Wahrheit, daß ich im Begriffe stehe, um «ine Andere zu werben." „Das war sehr unvorsichtig bei einem so exaltierten Frauenzimmer." „Es war der einzige Weg, der mir blieb. Sie mußte end lich sehen, daß da für sie keine Hoffnung mehr blieb. UebrigenS nannte ich natürlich keinen Namen. Olga Petrasch ist also ab getan. Jetzt bleiben nur mehr die Schulden. Wenn Nadine davon erführe, wäre allerdings alles aus, denn sie hält auf So lidität. Und eine Frau, die immer in Geld schwamm, könnte die Zwangslage eines armen Teufels, wie ich einer bin, auch nie begreifen." Frau Magdalene seufzte tief auf. > „Ich will also in Gottes Namen deine Schulden noch ein mal zahlen," sagte sie, „aber eines muß ich dir vorher sagen, Gustl" — ihre Stimme wurde seltsam scharf ,„ü> eindringlich: „Du übernimmst dafür als heilige Verpflichtung die Notwendig- keit reich zu heiraten, denn ich will «und muß dies Geld dereinst zurückerhalten." „Gewiß, Mutter, gewiß! Wenn ich erst Nadine Worosefss Gatte bin." „Auch wenn du nie ihr Gatte werden solltest! Ein hübscher Mensch wie du findet immer eine gute Partie, wenn er nur ernstlich will! Und wäre die Frau häßlich wie die Nacht, und bucklig und alt — du mußt daun eben nehmen, was du findest!" Er schüttelte sich und lachte dann, so komisch kan, ihm die Vorstellung vor, er könne sich an ein altes buckliges We,b wcgwerken. '' „Eine solche Frau würdest Mutter?" du mir wirklich zumuten, «Wenn keine andere da ist, — ja!" Etwas Kaltes lief ihm fröstelnd durch den Leib. War das eine Mutter — seine Mutter, die so sprach? So sehr hing sie am Geld? So wenig galt ihr daneben sein Lebensglück? „Nun, so schlimm wird es ja mein Schicksal nicht mit mir meinen," sagte er dann leichthin und wandte sich ab. Zum ersten Male im Leben fühlte er. daß da in len Mauern seines elterlichen Hauses etwas lebte, den, er entwab- sen war. das ec nicht verstand und dem er fremd gegcniiberst.ind, Etwas, das vor nichts zurückschreckte, wenn es den eigenen Vor teil galt — vor gar nichts. Das Zimmer schien ihm plötzlich eng und dumpf. Er ging hinüber in sein eigenes, das am Ende des langen Ganges lag. einen eigenen Eingang besaß u,ck> von Frau GerSdorfer so ele gant wie möglich ausgestattet worden war. Dort stellte er sich ans Fenster, pfiff leise vor sich hin und starrte dabei gesangweilt auf die Straße, durch die nur ab und zu ein Mensch gegangen kam. Komische daß man sich mit einem Male so fremd fühlen kann im Elternhansel Als wüßte man mit allem, was einem bisher lieb und vertraut gewesen, plötzlich nichts mehr a»z:,- fangen. Ob es Annchen und Otto auch schon einmal so einsam zumute gewesen sein mochte, wie ihm jetzt? > Eigentlich waren sie beide doch auch hiuckuSgewachsen ül,er den Krämergeist hier. . . Dann warf er den Kopf zurück. Ach waS, wozu grübeln? DaS führte doch zu nichts. Dit einen waren eben so, die anderen anders. Alt, bucklig, hatzlichl Co eine würde ihn, die Mutter zu« miuäen, bloß um' das für ihn auSgelcgte Kapital wieder hereiiy zubringen? Unglücklich eigentlich! 1 Er rief seinen Burschen, den er diesmal mitgebracht hatte, und schickte ihn nach dem Kasino, »m zu sehen, welche Herren etwa drüben zu einem Dämmerschoppen versammelt waren. Als er hörte, Leutnant Ehrhardt und Kassati säßen allein dort, schnallte er seinen Degen um und kleidete sich an. „Sag der gnädigen Frau, ich sei ins Kasino gegangen and würde vielleicht später zum Abendessen kommen." Damit ging er. Fortsetzung folgt. cKe. bLLdr. : wetzte
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