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Sächsische Volkszeitung : 26.03.1921
- Erscheinungsdatum
- 1921-03-26
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192103264
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19210326
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19210326
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1921
-
Monat
1921-03
- Tag 1921-03-26
-
Monat
1921-03
-
Jahr
1921
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 26.03.1921
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Rind und Roh im allen deutschen Recht Kultnrgeschichlliche Studie vo» Dr. Johanne» Klei «Paul (Nachvruck verboten.) Da« Pferd ist auch in unserem großstädtischen Lebe» immer noch rme häufige Erscheinung, obwohl e» von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zusehend« seltener wird — die Postkutsche wurde surch die Eisenbahn, die Pferdebahn durch die .Elektrische", der Reiter durch den Radler, die Equipage durch da« Automobil ab- gelöst —, und Rinder haben viele Kinder überhaupt noch nicht gesehen. Nur eine blasse Borstellung aber haben sie von ihre» .breitgestirnten, glatten Scharen", die Allerwenigsten wissen da« von. datz andererseits das Pferd da« Rind ablöste; das; man in ältester Zeit auf Rindern ritt und mit ihnen fuhr. Auch weite Fahnen wurde» aus diese Weise bewerkstelligt: Könige fuhren auf solche Art, bald nach ihrer Krönung, um ihr ganze« Reich, um sich allen« Volke zu zeigen. Noch die Mero winger fuhren auf Wagen, die Ochsen zogen. ln die Volksver sammlung. Auch Frauen: „das; die Königstochter mit Ochsen fuhr", sagt Jakob Grimm in seinen Deutschen RcchlSalter- tümern, „verstand sich von selbst". Ebenso selbstverständlich war es auch, datz Ochsen alle Lasten beförderten. Darauf gründen sich folgende alte Bestimmungen: „Ein Brückenweg soll haben ein Stiegel und soll also weit sein nnd also hoch, und zween gewiedie (gehörnte! Ochsen darüber >ni> gebeugten Knien möchten kommen ohngehindert" und die Brücke soll trägen können, „was zween Ochsen darüber führen möchten." Zwei Ochsen nennt mau ein „Joch". Wieviel Land ein Joch Ochsen in einem Tagewerke vor dem Pfluge bewältigen, ist «in „Morgen". I» ältester Zeit pflügte mau auch Länder von einander ab; so die Riesensöhne GefionS Dänemark von Schwe de»; dadurch entstand zwischen beiden der blaue Oeresund. Rach alledem war das Rind nicht nur das wichtigste Haustier, sondern eS war ein heiliges Tier. Nach sa ri schem Ge fest stand auf dem tanrus regins — dem KönigS- ochsen — die höchste Butze, und dem Landmann gehörte da» „liebe Vieh" mit zur Familie. Das zeigt sich in folgender merkwürdiger Bestimmung altnordischen Rechts über die Adcvtion: „Der Vater soll ein Mahl anstellen, einen dreijährigen Ollnen schlachten, dessen rechtem Fritze die Haut ablösen und daran» einen Schuh machen. Diesen zieht er dann zuerst an, »ach ihm der adoptierte oder legitimierte Sohn, hierauf die Er ben und Freunde"; auf diese Weise sehen wir nacheinandxr d'e ganze Sippe in denselben Schuh steigen. Rinder waren demzufolge auch wertvollster Besitz. Schon die R oiner leiteten die Bezeichnnng für Geld (pecunia) von der Herde (pecuS) ab. Ebenso die Osts riesen; heute »cch steht hier nnd da zwischen ihren Marschen ein „SchaiihauS" (SchatzhauS) als Unterkunft für das drantzen weidende Vieh. Noch in einer anderen merkwürdigen Bestimmung prägt sich die grotze Bedeutung, die das Rind für unsere Vorfahren hatte, auS: nach altdeutschem Recht wird ein Acker, den der Eigner verwildern lätzt, wieder Mark und Gemeingut, sobald sich Busch und Gesträuch darin erheben, so hoch, „daß zween Ochsen sich darin bcrbcrgen könnten" oder — nach dem Alter- («aSlacher Weistum — „datz sie das Gestrüpp nicht »«ehr nieder- pflügen können". Der wetterairische Spruch drückt das so auS: Wenn der Busch dem Reiter reicht an die Svor», So hat der Untertan sein Recht ber'orn. Das galt in späterer Zeit, al» daS Pferd an d'e Tielle des Rindes getreten war. Diese Wandkring tut sich auch in angelsächsischen Sage» kund. Jvar, Nag.iar Lodbroks Sohn, lätzt sich von König Elle in England soviel Land abtreten, als eine Ochsenhaut bedeckt. Er verschafft sich die Haut eines alten Ochsen, lätz sie gerben und dreimal ansspannen, hernach in die schmälsten Riemen schneiden und umzieht damit eine weite Strecke, worauf der Grundwall einer grotze» Burg gelegt wird, die Lnndunaborg, das heutige London. Ganz dasselbe wird auch von Hengist und Horsa erzählt, als diese — die sich nach Pferden nanrrien! — zu,,, ersten Male nach England kamen. So gehl alte in neu« Zeit über. Auch das Pferd galt als heilig. Es galt jedoch immer noch nicht so viel, wie ein Ochse. Die Butze für den tarr- rus regins par auf 90, die für den warannio regiu» (König»- ms« Koks/oi' — ll»I» Sicilom» — All»« kstrilir. uns ^»»«l-evillot,,« fein« bürSe« — ü°k«»r lliznstr — bum — ««mdeiwij v. 8v'Mr>g»ul» «1 :! rnptqseobSkt: vr«»lt»a, <lnnii>»ts»I» », ?»u»rv«trrbok. ,! -ila's: Srn«Irir»e 8tc»s« >, neben «ler Xranenepotketr«. Hengst) auf 6« Solidi augeseht, dagegen galt ein gewöhnlicher Ochse nur 85. er» gewöhnliches Bfero aber SO und 45 Solidi, so datz im gemeine» Leber« die Pferde höheren Wert Halle». All- mcblich wurde aber auch der Königsochse vom KönigShenast ganz verdrängt. Nun wurden bei der Mahl und beim Ableben von Könige» Pferde geschlachtet — geopfert n»d bann verspeist. Mrt toten Fürsten wurde zugleich ihr Leibpferd begraben, in ältester Zeit verbrannt. Von kirrem alten Herzog setzte man ir» »rin« besten voraus, datz er »och reite» tonrile. Wo der Landesherr einritt, erlangten Landesverwiesene GnaHi, wenn sie sich an sei» Rotz — später an den Fürstenwage» — hängten; noch wäh rend des dreitzigjährigeir Krieges war da» mehrfach geübter Brauch. Alle» durfte einem Ritter gepfändet werde», nur nicht das Pferd, auf dem er satz. „Der .König, der ein Pferd tötet, hat kein Recht mehr im Reiche." Besiegten Völkern wurde als Tribut eine Herbe Rinder oder blosse anferlogk. So den Sachsen von dein Frankenkönig Ehlodar HO Rinder „für seinen Tisch", ein anderes M« l aber «Ob weist. Pferde. Das wertze Pferd in Erinnerung an Wotan-,. Schimmel — war besonders in Niedersachsen angesehen, aber auch von wcitzen Rindern ist die Rede: dein adelige» Fräulein- slifr zu Memiremeont i» Lothringen mussten die benachbarten Dörfer alljährlich zu Pfingsten einen »>i! vier weitzen Ochse.« bespannten Wagen Vorführer«. Eine weitere Besonderheit ist das einäugige Pferd, womöglich mit einem einäugigen Reiter, dessen viele alte Bestimniunacn Erwähnung tun; ein solches lies — der Sage nach — die hessische Grenze ab; dadurch wurde sie so zackig. Am sonderbarsten aber berührt heute die ebenfalls häufige Bestimmung „halbes Pferd" und der dazu gehörige „halbe Mann"; sie findet sich beispielsweise im Frankfnrler FronhofS' rech! vom Jahre 1485 (gemeint sind damit Marr'csrl und Knap pen). Beide waren nur ball« so reichlich z» bewirten wie der Ritter »nd sein Rotz. Maulesel, die früher namentlich in Süd- nnd West deutschland viel mehr gehalten wurden als jetzt, werden auch einmal in ähnlichem Zusammenhang«, wie Ochse und Pferd in dem welterauisch'en Spruch erwähnt. Im Hosstetter Weistum heitzt eS darüber: „Wenn ein Bruch oder Loch in einem Dache befunden wird, so grotz oder weit, datz inan ein Gespann Esel möchte hineinwerfcn. soll er solche verbützen." Für Heerfahrten, namentlich, wenn sie über die Alpen gingen, hatten die Untertanen die Pferde zu stellen, nnd zwar jeder sein bestes — wie auch im Todesfälle das „Bs ithau p t'. Wurden sie ihnen nicht zurückgebracht, was gewiss nrrr selten ge- schah, dann waren sie von Gemeindewcgen zu. entschädigen; ,m Anfänge des 15. Jahrhunderts wurde i» solchem Falle ein Pferd mit 5 Pfund bewertet. Die Aufzucht und Ernährung der Tiere machte man sich iemlich leicht. Für die Herde des Herrn hatten die .Hörigen ;» orgen. Sie rnnfsteri iimner einen „eisernen Bestand" unter halten, aemäh dein alten Wort: „eisern Vieh stirbt nicht". Sein Futter suchte sich da? Vieh, so lange als möglich, drantzen. In einer Urkunde aus der Gegend von Lennep vom Jahre 1530 heitzi eS darüber: „Der Ochse soll gehen in der Winterfrucht bi» WalpurgiS und in der Soinmerfr'.icht bis St. Johannistag zu iuilien im Sommer, nnd der Junge soll dem Alten folgen." Das wird hentzniage manchem wundersam genug crschei- »e», aber auch str anderen Fällen dachte man in diesen Dinge» sehr weitherzig. Namentlich Reisenden kam man aatzerordent» sich entgegen. Darüber heitzi es: „Reitet ein Mann aus einem West der durch der Leute Wiese gebt nnd bedarf sein Pferd der Weide, so soll ec haben ein fünf Ellen langes Bindsell nnd ein fadenlanges Zannholz, und soll den Stock des Seile? mitten in den Weg einschlagen, so darf er in der Wiese straflos weiden." Und andere Male: „Der Reisende lat auch sin Pfärde treten mit den bordern Fützen in dar Korn unde lat eS essen und er soll des Futter» nit von dannen führen"; „ain (fremder) Mann snidet wohl sinen müden Pfänden ain Futter, da« gen ainem Pfennig wert ist." Bei der grotze» Bedeutung, die Rind nnd Roh bei un seren Voreltern hatten, wird es nicht Wunder nehme», datz sie auch in der Justiz eine Rolle spielten. Auf fr'scher Tat ergriffene» Dieben band man insgemein da? gestohlene G lt aut oen Rücken. Demgemäh wurden Viehräubern Rindshänte auf den Hals gebunden. Im Norden aber mutzte der Rinder- diel den Balg des gestohlenen Tiere» mit Mehl füllen nnd dem Geschädigten solchergestalt abliefern. Noch im t7. Jahrhundert war eS an kleinen deutschen Höfen gelegentliche Butze, datz Hof- leuie, die wider das sechste Gebot gesündigt batten, der Fürstin eine rote Knh zinste». Der Herzog von Liegnih aber verhängte über eine» Junker die Strafe, drei Tage lang das Wasser zur Tränke der Rosse im landesherrlichen Marstall zu schöpfen und st» tragen. In anderen Fällen mutzten Adelige als Sühne für irgendein Vergehen eine Zeitlang Sättel tragen. Bekannter ist. datz schwere Verbrecher von Pferden zerrissen (geviericli) wur den: in älterer Zeit lietz man r'ie von Stieren zu Tode schleisei und von Pferden zertreten. Noch im 18. Jahrhundert wurden sie auf eine Kuhhaut gebunden und so zur Michtstatl geschleift. Für ehrlos« Ritter aber galt als Strafe, irr Stiefel» ohne Sporen auf „barfützigen Pferden" (ohne Hufeisen), ohne Sattel und mit bastenem Zaume zu reite». Auch das ist im deutsche , Altertum begründet. Was hier al« Spott erscheint, war d'q bäuerische Rüstung rniitelaiterlicher. aber zugleich die einfachste« ältester Zeit. Lindenbast genügte dem Altertum für Schild und Sattelzeug der Könige, Edel» und Freien; al» da« Leder aq sein« Stelle trat, bedienten sich seiner noch lange Unfreie, Elend« und Verbannte. Zum Schlüsse noch die Bemerkung, datz b e > m Kauf von Knechten, Pferden und Rindern nach bayerischem Gesetz drei, nach angelsächsischem aber dreißig Tage Be denkzeit für gewisse nicht gleich sichibar« Haiipimängel ein- geräumt wurden. Mechanische NajnrerkUüiuui undIweck- mWgkeit in den Naturvorgünqen Von Dr. Robert Gr r hard Solange es rine biologische Witzenschasr, eine Wipenschaft der Lebeiisecschein.lngen givt, solange liege» auf diesem Grenz gebiet zwischen Naturwissenschaft und Philosophie zwei Richtun gen miteinander im stampfe. Tic eine Richtung sucht das Leben und seine zahlreichen Erscheinungen rein inechanisch, d. h. an Hand der Ursache-Wirkung-Gesetzlrchkeu zu erklären, ihre Geg ner, nennen wir diese Richtung teleologische, sehen in den Er scheinungen das Walten einer organischen Zwrckmätzl.-Ieii. Bald hatte die eine Richtung die Oberhand, bald che andere. Doch scheint der Kampf, solange es sich lediglich uni Betrachtung der Natrirborgänge handelt, ein recht mütziger z» sein, denn beide Betrachtungsweise«!, die vom Standpunkte der Kausalbeziehungen, a!s auch die vom Standpunkte der Zweamätzigkeilszusammen- hänge sind doch begrifflich völlig unabhängig voneinander und haben unabhängig voneinander ihre Gülltzstrii und Berechtigung. Einige Beispiele mögen dies erweisen. In der chemischen Zusammensetzung des Wrissers ist es ve- dingt, datz es bei st- 4 Grad Celsius seine größte Dichte, sein grösste? spezifisches Gewicht hat, am schwerste» ist. Dieser Um stand ist chemisch-physikalisch, also kausal bedingt. Beirachte» wrr diese Tatsache vom Standpunkte der Zweckinässtgkci!. w erkennen wir, datz sie von besonderer Bedeutung für die stebenr-baltuiig in stehenden Gewässern ist. Dadurch, das; da? Wasser bei einer Temperaturecnicdrignng unter st- 4 Grad Celsius wieder an Dichte, au Gewicht alnimmt, ist das Ausfrieren einei Teiches verhindert. Wir können diese Eigenschafl des Wasser? als zweck- gerichret cnrnehmeii, ohne dadurch mit einer chem sch pb-'italischen als mechanische» Erklärung in Konflikt zu kommen. Ein anderes Beispiel: In den Drockeiigeb.'er Erde, vornrhmüch in den Steppen und Halbwünen dcr lir : en Zone, zeigen die dort lebende» Pflanzen die vrrsrl,irdensten Anpassun gen an die Trockenheit ihres Wohnbezirker-. Eine Anzahl Pflan zen weisen neben zahlreichen anderen Erscheinungen eine dicke Oberhaut oder eine Schntzöant auf. die sich noch auf die Ober haut legt. Wie sich bereits in einige» Fällen epoeriineniell Nach weisen ließ, handelt e? sich dabei uni Vorgänge chem'scher und physikalischer Natur. Tie Trockenheit der die Pflanze umgeben den Luft führt infolge Mangels an anfnehmbarem Wasser zu einer Sastkonzeirir.rtwn in der Pflanze, zu einer S''sfanhäu- fung. diese wieder zu einer Abgabe von Stolze«: die in oder an der äutzeren Hantsckncht abgelagert werden. W c haben also «ine kausale Wechselwirkung zwischen Autzenweli und lebendem Organismus. Betrachten wir diese Erscheinung vom Stand punkte der Zweckmäh,gleit, so können wir rin? etwa folgender- matzen fassen: Die an einem wasserm nren Stand,'-« pflanz lichen Organismen schützen sich gegen allzu grotz-n, Wast'erverlust und damit notwendig bedingien Tode dadu rch datz sie die Ver dunstung in den hanpisächlrck verdunstenden Orzanen dnrch einen wasserundurchlässigen Ueberzng hintanhalten ES wird wohl niemand auf den Gedanken kommen, zu be haupten, diese beiden Betrachtungsweisen stünde» einander in, Wege. Man mörlste Vielmehr sage», die kausale Forschung, die weitere Ergründ»».« dcr den Lev-nserscheiniiiisirn zichrnnde lie genden chemisch-physikalischen b- ige, verdrängt keineswegs die Zweckbetrachtnng. indem sie o. räderlegi, sondern sie bringt ihr eher: immer wieder eine Erwetrerang ihrr? 15, itmn,«bereiche». Betrachtet man von beiden Standpunkten, also von, Boden der reinen Naturwissenschaft, aus, sa stehe» sich beide Rich tungen keineswegs feindlich gegenüber. Ander? aber, wenn w'r uns auf das Gebiet der Weltanschauung begelc». Dort finden wir mechanisch-kausale »nd teleologische V-clrachinng de» Lebens in unversöhnlicher Gegnerschaft. Die inechanst-he Schule sieht im Leben und den mannigfachen LehenSerkcheinnngen nicht» andere» als Umsetzungen, Umgruppierungen, die durch bestimmte chemisch-physikalische Gesetze hervorgernfen werden. Doch ist diese Lehre heule keineswegs wissenschaftliche Wahrheit, sondern eine Annahme, eine Hypothese, für die erkt noch der WalicbeiiSbewel« zu erbringen wäre. Sächsische Volközertung — Nr. 70 — 26. März I02l Der Schimmelretter Von Theodor Storni (Ü Fortsetzung.) m ili nicht! Grl: nicht! Hauke, noch einmal," riesen sein« P. . . W er der Kreiler der Geestleuie sprang dagegen ans: „Muh Mo! > gelte»; geworfen ist geworfcnl" . Olel Ole Peters!" schrie die Marschjngend. „Wo ist Ol«? W zum Teufel, steckt er?'" Aber er war schon da: „Schreit nur nicht sol Soll Hank« wo geflickt werden? Ich dachi'S mir schon." — „Ei, waSI Hauke muh noch einmal werfen; nun zeig, dag du das Maul am rechten Fleck hast!" . Das Hab ich schon!" rief Ole und trat dem Geest-Kretler gegenüber und redete einen Haufen GallimathiaS aufeinander. Aber die Spitzen und Schärfen, die sonst aus seinen Worten blitzte», waren diesmal nicht daber. Ihm zur Seite stand da» Mädchen mit den Rätselbrauen und sah scharf au» zornigen Augen auf ihn hin; aber rede» durfte sie nicht; denn die Frauen ballen keine Stimme in dem Spiel „Du leierst UnsinnI" rief der andre Kretler, „weil die der Sinn nicht dienen kann! Sonne, Mond und Sterne sind für uns alle gleich und allezeit am Himmel; der Wurf war ringe- schickt, und alle ungeschickten Würfe gelten!" So redeten sie noch ein« Weile gegeneinander; aber da« Ende war, datz nach Bescheid de« Obmanns Hanke seinen Wurf mckst wiederholen durfte. „Vorwärts!" riefe» die Geestleute, und ihr Kretler zog Rn, schwarzen Stab aus dem Boden, und der Werfer trat aus i.'iien Nnmmerruf dort an und schleuderte die Kugel vorwärt» 4lS der Grotzkneärt des Deichgrafen dem Wurfe zusehen wollte, za'te er an Elke VolkertS vorbei müssen: „Wem zuliebe liehest in heut deinen Verstand zu Hause?" raunte sie ihm zu. Da sah er sie fast grimmig an, und aller Spatz war au» 'einem breiten Gesichte verschwunden. „Dir zrrliebl'" sagte er; denn dr, hast deinen auch vergessen." „Geb nur; ich kenne dich, Ole Peters;" erwiderte da» Mäd chen. sich hoch aufrichtend; er aber kehrte den Kopf ab und tat, als habe er da» nicht gehört. Nnd da- Spiel und der schwarz« und weihe Stab gingen »eiier. Als Hanks wieder am Wurf war, flog seine Kugel schon l« » eit. datz da? Ziel, di« grotze w«ihgekalkt« Tonne, klar in Sicht kam. Er war jetzt ein fester junger Kerl, und Mathematik und Wurskunst hatte er täglich während seiner Knabenzeit getrieben. „Oho, HaukeI" rief es aus dem Haufen: „das war ja, als habe der Erzengel Michael selbst geworfen!" Eine alte Frau mit Kuchen und Branntwein drängte sich durch den Haufen zu ihm; sie schenkte ein Glas voll und bot er ihm: „Komm," sagte sie, „wrr wollen uns vertragen: das heut ist besser, al» da du mir die Katze tot schlugst'' Als er sie airsah, erkannte er. daß e» Trier,' Jan» war. „Ich dank dir, Alte,' sagte er; „aber ich trink da? nicht." Er griff in seine Tasche uno drückte ihr ein frisch- geprägics Markstück in die Hand: „Nimm da» und trink selber da» GlaS aus. Trier«'; so haben wir uns vertragen!" „Hast recht, Hauke!" erwiderte die Alte, indem sie seiner Anweisung folgte; „hast recht; da» ist auch besser sür ein altes Weib, wie ich!" „Wie geht'« mit deinen Enten?" rief er ihr noch nach, al» sie sich schon mit ihrem Korbe fortmachte; aber sie schüttelte nur den Kopf, ohne lich »mzuwende», und patschte mit ihren alten Händen in die Lust. „Nichts, nichts, Hauke; da sind zu viel« Natter, in euren Gräben; Gott tröst mich! Man mutz sich ander» nähren I" Und somit drängte sie sich in den Menschenhaufen und bot wieder ihren Schnaps und ihre Honigkuchen an. Die Sonne war endlich schon hinter den Deich hinabgesun- fen; statt ihrer glimmte ein roivioletter Schimmer empor; mit unter flogen schwarze Krähen vorüber und waren auf Augen- blicke wie vergoldet, e» wurde Abend. Auf den Fennen aber rückte der dunkle Menscheninrpp noch immer weiter von den schwarzen schon fernliegenden Häusern nach der Tonne zu; ein besonders tüchtiger Wurf mutzte sie jetzt erreichen können. Die Marschleuie waren an der Reihe; Hauke sollte werfe». Die kreidige Tonne zeichnete sich weih in dem breiten Abrndschaiien, der jetzt von dem Deiche über die Fläche fiel. „Die werdet ihr »ns diesmal wohl noch lassen!" rief einer von den Geestlenien; denn cs ging scharf her; sie waren um min desten» ein halb Stieg Kuß im Vorteil. Die hagere Gestalt de» Genannten trat eben au» der Menge; die grauen Augen sahen au» dem langen Friesengesicht Vorwort» nach der Tonne; in der kerabhängenden Hand lag die Kugel. „Der Vogel ist dir wohl zu groß," hörte er in diesem Augen blicke Ole Peter» Knarrstimme dicht vor seinen Ohren. „Sollen wir ihn um einen grauen Topf vertauschen?" Hauke 4vandte sich und blickte ihn mit festen Augen an: ,Jch werfe fnr die Marschl" sagte er. „Wohin gehörst denn du?" „Ich denk« auch dahin; du wirfst doch wohl für Elke Vol- kert«!" .BeiseitI" schrie Hanke und stellte sich wieder in Posilnr. Aber Ole drängle mit dem Kopf noch näher ans ihn zu. Da plötzlich, bevor noch Hauke selber etwas dagegen unternehmen konnte, packte den Zudringlichen eine Hand und ritz ihn rück wärts, datz der Bursche gegen seine lachenden Kameraden tau melte Es war keine grotze Hand gewesen, die das getan halte; denn als Hanke flüchtig den Kops wandte, sab er neben sich Elke VolkertS ihren Aermel zurech! zubfcn, und die dunkeln Brauen standen ihr wie zornig in dem heißen Antlitz. Da flog eS wie eine Stablkrafl i» Hanke» Arm; er neigte sich ein wenig, er wiegte die Kugel ein vaarmal in der Hand; dann holte er aus, und eine Todesfälle war ans beiden Leiten; alle Augen folgten der fliegenden Kugel, man hörte ihr Sau- scn, wie sie die Luft durchschniti; plötzlich, schon weit vom Wurf- Platz. verdeckten sie die Flügel einer Silbermöve. die >l,r.n Schrei ausstotzend, vom Deich herüber kam; zugleich aber hörte man es irr der Ferne an die Tonne klatschen. „Hurra für Hanke!" riefen die Marschlcnte, und lärmend girig es durch die Menge: .Hankei Hanke! Hauke Haien hat das Spiel gewann-»!" Der aber, da ib» alle dicht nmdrängten, batte scitwärl? nur nach einer Hand gegriffen; auch da sie wieder riefen: „WaS stehst du. Hanke? Die Angel liegt ja i» dcr Tonne! " nickle er nur und ging nicht von der Stelle; erst als er fühlte, datz sich die kleine Hand fest an die seine schloss sagte er: „Ihr mögt schon recht haben; ich glaube auch, ickr Hab gewonnen!' Dann strömte der ganze Trupp zurück, und Elke nnd Hanke wurden getrennt und von der Menge ans den Weg zum Krug« sorlgerissen, der an des Deichgrafen Werste nach der Geest hin aufbog. Hier aber enischlripfle» beide dem Gedränge nnd während Elke auf ihre Kammer ging, stand Hanke hiiuc» vor der Stolltür auf der Werste und sah. wie der duukle Menschen- trnvp allmählich nach dort hinauf wauderie. wo im Kirchspiel?« krug ein Raum für die Tanzenden bereit stand. DaS Dunkel breitete sich allmählich über die weite Gegend; eS wurde immer stiller »in ihn her. mir hinter ihm im Stalle regte sich das Vieh; oben von der Geest her glaubte er schon da? Pfeifen der Klari nette» aus dem Kruge zu vernehmen. Da Hörle er um die Ecke de» Hauses das Rauschen eines- Kleides, nnd kleine fest« Schritte gingen de» Fußsteig hinab, der durch die Fennen nach der Geest binauffübrte. Nr», sah er auch im Dämmer die Gestalt dahin- schreiien und sah, datz eS Elke war; sie ging auch zum Tanze nach dem Krug. DaS Blut schätz ihm irr de» Hals hinaus; sollte er ihr nicht nachlanfen und mit ihr gehe»? Aber Hanke war kern Held den Frauen gegenüber; mit dieser Frage sich beschäf. tigend blieb er sieben, bis sie im Dunkel seinem Blick entschwun den war. (Fvrtsetzinift fokal.'
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