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Zweites Blatt Sächsische B-»Szeit»g vo« 4. Mai 1S1« Nr. 1V1 Sächsischer Landlag. Dresden,"den 2 Mai 1210. Die Zweite Kammer eröffnete ihre heutige Sitzung um ^11 Uhr mit der Interpellation des Abg. Günther, die Verletzung des Wahlgeheim nisses bei einem Zeugenverhör betreffend. Amtsgerichtsrat Tr. Schmid in Oelsnitz i. V. soll an einen Zeugen die Frage gerichtet habe», wen er bei der letzten Landtagswahl gewählt habe. Abg. Günther (freis.) führte in seiner Begründung aus, das; es im allgemeinen Interesse liege, den Eingriff eines Richters in die staatsbürgerlichen Rechte zurückzuwei- sen. Man habe dem stellvertretenden Vorsteher des Stadt- verordnetenkollegiums zu Schöneck vorgeworfen, daß er sich zur Sozialdemokratie bekenne. Darüber hatte sich auch ein Zeitungsstreit mit anschließenden Beleidigungsklagen er hoben, in dessen Verlaufe seitens des betreffenden Richters die obige Frage gestellt worden ist. Das Benehmen sei un erhört, »veil dem Zeugen auch noch die Zwangshaft ange droht wurde. Jeder Volksvertreter müsse den Versuchen, die politischen Rechte einzuschränken, energisch cntgegen- treten. Jnstizminister Dr. v. Otto: Was ich Ihnen jetzt vor trage, gründet sich auf die Akten, die Anhörung des Richters und des Gerichtsschreibers, sowie der in dem Prozesse täti gen Rechtsanwälte. Es habe sich um einen Streit zwischen dem konservativen Amtsblatte und dem freisinnigen Blatte in Oelsnitz gehandelt. Seitens der Freisinnigen wurden scharfe Angriffe gegen den konservativen Stndtverordneten- vorsteher gerichtet, und um die Auseinandersetzungen aus Grund des politischen Verhaltens zu erklären, sind die obi gen Fragen gestellt worden. Nun könnte über eine recht- Iick>e Entscheidung heute gar nicht diskutiert werden, weil in dem Prozesse Revision ansteht und man in ein schweben des Verfahren nicht eingreifen könne. Ob der Richter be rechtigt ist, trotz der garantierten Geheimhaltung der Wahl nach der Abstimmung zu fragen, wird von bedeutenden Rechtslehrern in bejahendem Sinne zugegeben. Auch das Reichsgericht hat schon im gleichen Sinne entschieden, eben so eine Kommission von 21 Juristen zur Prüfung dieser Frage. Wenn der Interpellant schließlich gefragt hat, was das Justizministerium zu tun gedenke, kann kurz dahin ge antwortet werden: Die richterliche Gewalt wird von unab hängigen Richtern ansgenbt, und keine Landesjustizver- waltnng kann da mit Vorhalten kominen, wenn sie sich nicht den schwersten Vorwürfen anssetzen will. Tie Regierung kann und wird also nicht in den Fall des Oelsnitzer Amts richters eingreisen. Ob die Interpellation Günther nicku mehr Aussehen erregen muß, als der Fall selbst, überlasse er dem Ermessen des Hauses. (Lebhaftes Bravo.) Abg. Dr. Rudolph (nat.-lib.) gibt den« Herrn. Jnstizminister Recht. Seine Partei könne der Interpella tion nicht Anstimmen. Abg. Dr. B ö h m e erklärt ebenfalls, daß nach Prü fungen der Akten und Entscheidungen des Neichsgerichtes von einer Rechtsverletzung nicht gesprochen werden kann. Er protestierte gegen die Fassung der Interpellation. Herr Günther hätte alle Ursache, diesem Richter, dem er vor dem Lande ungesetzliches Verhalten vorgeworfen, auch öffent lich Genugtuung zu geben. Abg. Müller (Soz.) bringt eine Menge Briefe von Zeugen ans dem Prozeß zur Verlesung, redet weiter über .Klassenjustiz unter Anwendung schärfster Ausdrücke, so daß der Präsident wiederholt eingreifen mußte, ohne jedoch irgendwie positives Material beizubringen. Abg. Brodaus (freis.) wendet sich als Jurist gegen seine beiden Kollegen Dr. Rudolph und Dr. Böhme, muß jedoch zngebe,-.. daß rechtliche Verstöße des Amtsgerichts rates Dr. Schmid nicht vorliegen. Justizm'N'ster D--. v. Otto bedauert die maßloßen Angriffe des Abg. Müller. Alles Vorgebrachte war völlig l »begründe: Wie man trotz der Entscheidungen des Reichsgerichtes von Willkür reden kann, ist unerfindlich. Er »ii"»'ie den angeg nsfenen Richter ganz energisch in Schutz nehmen, der den Boden des Gesetzes nicht verlassen habe. Abg. Tr. M angl e r (kons.) bedauert, daß die Kam mer sich so lange mit so unnützen Dingen beschäftige. Wer das Reichsgericht hinter sich hat, handelt niemals un gesetzlich. Abg. Günther verteidigt nochmals seinen Stand punkt, ohne jedoch neues Beweismaterial vorznbringen. Abg. Hettner (nat.-lib.): Entgegen der Behaup tung seines Vorredners stelle er fest, daß niemand daran, gedacht habe, die Reichs-Verfassung anzntasten. Nur wenn inan dem Richter Unzulässigkeiten vorwerfe» tonne, dürften solche Vorwürfe wie heute erhoben werden. Andererseits stellen sie sich als ein Eingriff in die richterliche Unab hängigkeit dar. Damit schließt die Interpellation. Abg. SchiebIer (nat.-lib.) berichtet darauf über den Bericht über die Königlichen Sammlungen in den Jahren 1006/07, und beantragt, sich damit für befriedigt zu er klären. Das geschieht einstimmig. Kapitel 24 des Etats- 1010/1 > betrifft den gleichen Gegenstand. Den Einnahmen von 106 306 Mark stehen Ausgaben von 8371)63 Mark gegenüber. Abg. Lange (Soz.) spricht für bessere Erhaltung des Zwingers. Abg. Hettner (nat.-lib.) bittet um Einstellung grö ßerer Mittel für die Zwecke der Gemäldegalerie, worauf Finanzminister Dr. v. Rüger zusichert, daß alles- ge tan werden solle, um den Zwinger vor dem Verfall zu be hüten. Der Vermehrnngs-fonds ist heute tatsächlich gering gegenüber der kulturellen Bedeutung unserer Sammlun gen. Ferner wolle er größere Einstellungen machen, tuen» sich die Finanzlage bessert. Darauf wird das Kapitel genehmigt. Es folgt Kapitel 20 des Etats, direkte Steuern betref fend. Die Einnahmen sind mit >>7 433 800 Mark und die Ausgaben mit 1131762 Mart eingestellt. Hierbei moniert Abg. H a r t in a n n (nat.-lib.) das Fehlen von Lbersekretären bei den direkten Steuern und bittet weiter »m Erledigung der Beamtenpetitionen. Abg. Frenzei (Ions.) wünscht bei Besetzung der Vor sitzendenämter der Stenereinscbätznngskommissionen Be rücksichtigung der ländlichen Besitzer. Abg. Merkel (nat.-lib.) weist an der Hand eines reichen Ziffernmateriales nach, daß die kleinen Steuer zahler bei uns nur mäßig herangenonunen werden. Bei den höheren Einkommen könne die Steuerschraube kaum noch schärfer zum Anzuge kommen. Steuerhinterziehungen seitens der Industrie fänden wohl kaum statt. Abg. Keimling (Soz.) spricht für Abzug der Ge werkschaftsbeiträge vom Einkommen, wendet sich gegen die Besteuerung von schwankenden Einkommen und geht dann auf Einzelfälle ein. Finanzminister Dr. v. Rüger: Der Abzug der Ge werkschaftsbeiträge ist durchaus gesetzmäßig. Die Sekre täre bei den direkten Steuern sind nicht schlechter gestellt, als- die Obersekretäre bei anderen Ressorts. Nicht überall könne man Beamte als Vorsitzende der Stenereinschätzungs- kommissionen wählen. Ganz unmöglich wäre es, große Summen zu erzielen, selbst wenn alle Steuerhinterziehun gen wegfielen. Unsere Ergänzungsstener ist so niedrig, daß gegen sie nicht viel einzuwenden ist. Abg. Lang Ham wer (nat.-lib.) macht darauf auf merksam, daß auch die meisten Gemeinden das System der direkten Steuern haben. Abg. Sinder in a n n (Soz.) hegt die Hoffnung, daß es bei den fortgesetzten Ausgaben des Staates sicher zu einer anderen Steuergesetzgebung kommen werde. Darauf erfolgt Annahme des Kapitels. Abg. Dr. Steche (nat.-lib.) berichtet sodann über Kapitel 8, Porzellannianufaktnr, Einnahmen 1 823 000 Mark und Ausgaben 1383 000 Mark. Abg. Hart mann (nat.-lib.): Die heutige Kon kurrenz verlangt eine geschützte Reklame, und diese müsse auch die Königliche Manufaktur machen. Weiter ist die Fabrikation billiger Dekors- nötig. Redner berührt endlich noch den Bantzener Fälschungsprozeß. Nach weiterer unwesentlicher Debatte, an der die Abg. Dürr u-id Hart», an» teilnehmen, findet auch dieses Kapitel Annahme. Kapile :> des ordentlichen Etats, Straßen- und Wasserbanveiwaltnng, ist mit 471 800 Mark Einnahmen und 6 630 301 Mark Ausgaben eingestellt. Gegen diese Vom:> erhebt sich kein Einwand. Kapitel 33 und 36, Veterinärwesen, Staatliche Schlacht viel Versicherung nsn. werden in Einnahmen und Ausgaben etc Italic- g-wc hmigt, nachdem die Abg. Frenzel, Göp- fert und Geleimer Medtzinalrat Dr. Edelmann über die Milzbrandsrage gesprochen hatten. Den letzten Punkt der Tagesordnung bildete der Be ucht de-? Abg Tr. Rudolph (nat.-lib.) über den durch Dekcet 23 uoegeleglen Entwurf eines Gesetzes über die Gc- mcindeverbände. Die Beschwerde- und Petitionsdeputation empfiehlt dessen Annahme mit verschiedenen Abänderungen. 'Namens der Nationalliberalen und Freisinnigen geben die Abg. N i tz s ch s e und Tr. Roth Zustimmungscrklä- cnngen ab, worauf an I,1<n--A»»alu»e des Gesetzes stattfand. Nächste Sitzung: Dienstag den 3. Mai mittags tlbr. Tagesordnung: Eisenbahndekrete, Petitionen. Nechenschaftssachen. Kirche und Ankerricht. Ic Von einem „Pfarrer als Majestätsbcleidiger" wissen mehrere Blätter (vergleiche „Bludenzer Anz. Nr. 13 vom I — 160 — berg. Dann kehrte sie auf den Martinsberg zurück, von dem sie ausgegangen war. Sie zog einen weiten Kreis um Stadt und Gemarkung, eine geweihte Furch.', die heiliges Land umschloß, über dem der Segen des Himmels wie eine stille, feierliche Wolke schwebte. — Die drei Waller kehrten in die Kirche zurück und knieten vor dem klei nen Holzgitterchen des Beichtstuhles und stellten ihr ganzes Leben vor den Nichterstuhl ihres Gewissens . . . sie traten schweren Herzens, aber frohen Mutes hinein in das neue Leben, das sich vor ihnen auftat, in die stille, schöne, friedliche Heimat, die nicht auf Erden liegt . . . Frau Barbara vergoß Tränen. Wenn auch alt au Jahren, so war sie doch, wie so viele stille Frauen aus dem Volke, im Herzen jung geblieben. Ein Kind an Einfalt, Liebe, Reinheit und Glaube. Sie war in der stillen Hoffnung zum „Blutfreitag" gegangen, daß ihre starke Liebe vom Himmel ein Wunder zu erbitten vermöchte. Sie hoffte, daß der Himmel an ihrem Gatten ein Wunder wirken werde und da ihr Menschen in ihrer Not nicht helfen konnten, so bestürmte sie den Himmel mit Bitten. Sie begoß ihre Gebete mit einem Strome von Tränen, sie betete mit großer Inbrunst. Sie flehte um den Frieden für ihren Gatten und um Glück für ihre Kinder. Deshalb hatte sie die Wallfahrt unternommen. Wenn dieser Tag keine Sin nesänderung, keine Reue in ihrem Gatten bewirkte, dann war alles zu Ende, dann waren Glück und Frieden und Heimat für immer verloren. „Herr," rief sie in höchster Herzensnot, „führe uns alle auf den rechten Pfad! Schneide, brenne, schlage Wunden — nur rette uns alle! Gib uns den Frieden!" -- Kurz vor elf Uhr klangen die Glocken und die Böller dröhnten: die Prozession kehrte zurück. Die Geistlichen, gegen vierzig an der Zahl, in die heiligen Gewänder gehüllt, gingen ihr bis zum Portale entgegen, um sie würdig zu empfangen. In dichten Scharen umlagerte das Volk das Portal und den Platz vor der Kirche, der die Menge der Wallfahrer bei weitem nicht zu fassen ver mochte. Nur mit Mühe gelangt der Priester mit seinem Pferde an die Stufen des Portals. Hier kniete er nieder. Tie Gebete verstummten! die Glocken schwiegen: Weihrauchduft hüllte das heilige Blut in schimmernde Wolken. Aller Augen ruhten auf dem Gefäße, das nun der erste Priester der Kirche in Empfang nahm. In feierlichem Ornate, zwei Leviten an seiner Seite, stand er unter dem Portale, eine dichtgedrängte Schar von Priestern im schneeweißen Chorrock umgaben ihn. Ein ergreifender Hymnus stieg zum Himmel — dann folgte feierliches Schweigen. Und inmitten dieser feierlichen Stille erteilte der Priester zum letzten Male den Segen . . . Die Knie beugten sich, die Lippen stammelten, die Herzen pachten vor seliger Freude . . . Langsam zog die Prozession zum Hochaltar. Tic Glocken sangen ihren gewaltigen Hymnus, die Orgel erbrauste, das Kyrie klang vom Chor herab, das große Opfer begann . . . Und wieder klangen die Glocken und brauste die Orgel durch die Hallen, die Kerzen flammten. Froh und getröstet erhob sich Las Volk von den Knieen — und alle sangen mit Heller Stimme den Lobgesang des Tedeums. Die drei Waller vom See trugen einen kostbaren Schatz in ihrer Brust: Len Frieden, — 137 — Es war ein wundersames Wandern durch den schölten Frühlingstag. Voic den Dörfern her klangen die Glocken, von allen Hügeln tönten Gebete, ans allen Wege» und Straßen zogen die Wallfahrer daher. Tausende strömten zu dem großen Feste: aus allen Gauen des Schwabenlandes, aus dem Allgäu und dem Hegau, ans dem badischen Lande, ans Vorarlberg und Lichtenstein, von den Usern des Bodensees und aus der Schweiz. Dort grüßte Ravensburg, die alte Welfenstadt, mit ihren Türmen. Aber die Waller zogen weiter. Heute wollten sie den Erdenstanb abschütteln und auf heiligen Pfaden schreiten: der körperliche Mensch trat zurück vor dem Fluge der Seele, vor den Wünschen des Herzens. Mau sage nicht, das Volk sei roh und es wolle nur materielle Genüsse befriedigen an solchen Tage». In der Seele des Volkes lebt ein starkes Sehnen nach den höchsten Idealen des Lebens. Es versteht nicht, dieses Sehnen in schöne Worte zu fassen, aber es folgt dem inneren Drange. Die Seele des Volkes ist wie die eines Kindes: voll Sehnsucht und voll Liebe! Sie läßt sich an der Hand nehmen und führen und erschauert vor Freude und Glück, wenn sich ihr das Wunderland der Gnade erschließt . . . Der junge Tag stieg strahlend empor. Das Land ringsum war ein stiller, schöner Garten, ganz in Blütenschnee, in blauen Dust und Himmcls- gold gehüllt — heiliges Land! — Tort lag Weingarten! Ein leichter Duft schwebte wie eine lichte Wolke über der Stadt. Darüber ragle stolz und kühn, wie ein Wunderbau, die alte Klosterkirche zum Heiligen Blut anf dein Martinsberge. Tie weißen Mauern schimmerten im Sonnenschein, stolz streckten sich die Türme in die Luft, und wie eine große, goldene Halbkugel schwebte die Kuppel im blauen Aether. Durch alle Straßen zogen die Scharen der Wallfahrer in die Stadt ein, füllten alle Plätze, überfluteten die ganze Stadt und mündeten wie ein bunter, lebendiger Strom in die mächtige Wallfahrtskirche, welche die Zahl der Waller nicht zu fassen vermochte. Franz Tafinger stieg mit seiner Mutter und Grete auf der steinernen Treppe, die von der Stadt zum Martinsberge hinanfführt, zur Kirche empor und stellte sich vor dem Portale ans. Auf den Altären flammten die Kerzen und an jedem stand ein Messe lesender Priester. Wie schön und wunderbar war die Kirche im Lichterglanze, mit den schimmernden Altären. Weiße Weihrauchwölkchen wirbelten empor, schlangen sich um die mächtigen Pfeiler, um die Galerien und Bögen, schwangen sich hinauf zu dem hohen, kühn geschwungenen Tonnengewölbe und der strahlenden Kuppel und hüllten das Gotteshaus in lichte, silberne Schleier. Zahlreicher denn je hatte sich in diesem Jahre das Volk zu dem Feste gedrängt. In ernster, schwerer Zeit, in dem furchtbaren Kriegsjahrc schrie die Seele des Volkes ans tiefer Not um Hilfe zum Himmel. Es gab der Wünsche und Bitten so viele, es war der Sorgen und Schmerzen ein ganzes Meer! Da Franz und seine beiden Begleiterinnen in der überfüllten Kirche keinen Platz fanden, blieben sie draußen am Portal stehen, und legten ihre Bitten an den Stufen nieder. Alle Not, die sie erduldet hatten, alle Sorgen, die sie bedrückten, alle Wünsche ihres Herzens klangen in dem einen, erlösenden Worte aus: Frieden! Frieden! rimaterhe,* 4. w ' -Di