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Nr. L» Sonnnbend. den 28. Januar I81V 0 Ja^rnang iS^ch-int ILzlich nachm, mit Ausnahme der Sonn- und Festtage. Mit .Die gelt In Wert und Bild" dlerteliübrlick- 2.l« > In Dresden durch Bote» 2,40 Deutschland frei Hau» «.SS.«0 " ' SluSgabe Il.r tbne Mulirierte Beilage Viertels. 1,80 A, Dresden d Boten 2, IO In ganz Deutschland sret Hau» 2,22 — Linzel-Ar. 40 ^ — ZeitungSprelSI. Sir. «858. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit Inserate werden die Ngespaltene Betitzesle oder deren Raum mit »5 ^.Reklamen mit 50 -s die Zeile berechnet, te, tLicderhatungen entsprechenden Rabatt, Buchdrutkerci, Nedaktion »nd tttcschästdstclir! TreSde», Pilliiiycr Ctraste 4«. — Fernsprecher 18«« JürRülkgabc unverlangt. Lchriststiiike scinr Verbindlichkeit SiedaktionS-Sprcchstutidc: I>—»2 Udr, ^ilialsri Ir, ullvn Llsctddsllsn ir, u»«r> ^ »on -——«7^^^680651 t - ^kie Wssciierei ^--«tardere' »cunstkär «.NI^ .o« Id-^1 Neerol'", vreritsn, ^srnspesolisr klr. 2641. »V32. 4828. 2458. 3878. 4783. 686. Der österreichische Protestantismus um die Jahreswende. Man schreibt uns: Die beiden protestantisckt-kirchlichen Zeitschriften, näm- iich die „Evangelische 5iirchenzeitung für Oesterreich" und die „Wartburg" haben ihre durch mehrere Nummern sich hi »durchziehende Jahresrundschauen glücklich abgeschlossen. Es geht vorwärts, mit diesen Worten wird die Signatur des österreichischen Protestantismus um die Jahreswende angegeben. Die „Katholische Kirchenzeitung" (Salzburg) dagegen charakterisiert den österreichischen Protestantismus um die gleiche Zeit niit dem Worte: zwar äußeres Wachse <um. aber um so größeres inneres Verderben, und gegen ihre Ausführungen läßt sich allerdings nicht auskonunen. Zwei Momente, die in dieser Beziehung besonders bedeutsam und, mögen hier auch für weitere Kreise hervorgehoben werden. Das Verderbnis in der evangelischen Kirche Oesterreichs lut sich vor allem kund durch den Bankerott der Orthodoxie. Seit Jahren hat diese immerinehr an Boden verloren, der Liberalismus und Radikalismus da gegen um so kühner sein Haupt erhoben. So kam es, daß im September des abgelanfencn Jahres der „Evangelische Hausfreund", nachdem er 19 Jahre hindurch den gläubigen Protestanten zu dienen gesucht, sein Erscheinen einstellen mußte. Er lebte allerdings alsbald wieder ans, aber es ist klar, daß cs sich hier nur um künstliches Leben handelte. Zum Ueberflnß mußte am Ende des Jahres auch noch das orthodoxe Hauptblatt „Der österreichische Protestant" nach -Zjährigem Bestehen erklären, daß es wegen Mangel an Abonnenten nicht weiter existieren könne. So ist denn für die liberalen Stürmer die Bahn nun frei. Ucbrigens hat ihnen bis jetzt kaum jemand ein Halt zugerufen. Auch die positiven Pastoren betrachten schmunzelnd die reichsdeutschen Pastoren und empfehlen sie ihren Mitläufern als die wahren Evangelisten. Was Wunder, wenn man sich um die ortho doxen Pastoren selbst nicht mehr kümmert und auf ihr Wort nicht mehr hört? Aber es handelt sich hier doch nur um die AugSburgische Konfession, sie steht ans dem Spiele. Ist denn niemand, der sich ihrer annimmt, der sie schützt? Wo bleibt denn namentlich der k. k. evangelische Oberkirchen rat? Damit haben wir bereits einen weiteren gar wunden Punkt berührt. Es ist ein wahrer Abgrund, der sich bei näherem Zu- ielien vor uns auftut: Pastoren, wie Hegemann, Wallbaum n, a., die wegen ihres krassen Unglaubens und kecken Auf tretens in anderen evangelischen Landeskirchen unmöglich wären, können in Oesterreich seit Jahren ihr Unwesen trei k-en und bleiben unbehelligt. Es ist kein Zweifel, daß der tvangelische Oberkirchenrat immer mehr ins Schlepptau 7er liberalen Los-von-Roin-Stürmer kommt. Die „Evan gelische Kirchenzeitung" und die „Wartburg", die früher gegen ihn in ihrer Art ankämpften, haben denn auch ihre Klagen so ziemlich eingestellt. Besonders befriedigt hat es sie, daß der evangelische Obcrkirchenrat im letzten Jahre den Pastor Molin, der nicht bloß als liberaler Theologe be kannt ist, sondern auch bei der Abfallshetze in Böhmen winerzeit den Rekord geschlagen hat, der bis zur Stunde noch nicht überbotcn wurde, in sein Kollegium berief. Die (katholische Kirchenzcitung" hat daraufhin energisch ge fragt, wie das mit dem konfessionellen Frieden, der dem k k. evangelisckzen Oberkirchenrate doch auch am Herzen liegen müsse, vereinbar sei. Das hat die „Wartburg" auf gebracht. Natürlich, wenn sie (vergl. „Wartburg" 1907, Nr. 38) dem Oberkirchenrate Pflichtversäumnis vorwirft und sagt, der reichsdeutsche Evangelische Bund müsse hier eintreten, so ist das ganz in der Ordnung: wenn man aber auf katholischer und österreichischer Seite sich dafür bedankt und es namentlich sich verbittet, daß Männer, die bisher nur im Geiste des Evangelischen Bundes gearbeitet, zu geist- lichen Räten im Oberkirchenrate erhoben werden, so ist das freilich ganz etwas anderes. Uebrigens hat der neue Rat seinem hohen Kollegium bereits eine böse Suppe einge brockt. Er hat mit allen Mitteln darauf hingearbeitet, daß ein Schützling des bekannten Zwickauer Geh. Kirchenrates I». Mäher als Nachfolger auf seinen letzten Posten (Meran'l gewählt werde. Alle Warnung half nichts. Nun hat der .Vurggräfler" den Neugewählten daran erinnert, daß bei ihm auch wegen seiner Ehescheidung und Wiederverhei- ratung nicht alles in Ordnug sei. Es frägt sich nun, ob der evangelische Oberkirchenrat ihn bestätigt und die Statt halterei in Innsbruck ihm das Staatsbürgerrecht verleiht. „Der österreichische Protestant" hat vor seinem Eingehen noch konstatiert, daß in solchen Fällen Wiederverheiratung fiir einen Christen nicht angehe. Politische Rundschau. Dresden, den 28. Japuor 1910. — Der portugiesische Handelsvertrag wurde in der Kommission mit 15 gegen 13 Stimmen abgelehnt. — Eine Konferenz württembergischer und badischer Landtagsabgeordneier wird am 29. d. M. in Heilbronn über die SchiffahrtSabgabcr» beraten. Von den badischen Abgeordneten werden sich an dieser Konferenz Mitglieder von der nationalliberalen, der linksliberalen und der sozial demokratischen Landtagsfraktion beteiligen. Das Zentrum hat die Beteiligung abgelehnt, angeblich weil es zu spät eingeladen worden sei. Die Initiative in dieser hochwich, tigeu, den wirtschaftlichen Lebensnerv Badens beiiihrenden Frage geht, wie es heißt, von der Großblockpaiwi aus, während man sie von der Regierung vergeblich erwartete. — Auf der Kaisergeburtstagsseicr in Karlsruhe kam der Vorsitzende des Jungliberalen Vereins von Karlsruhe, Frey, in seiner Rede auf das Verhältnis der Bundesstaaten unter sich zu sprechen und nahm dabei Gelegenheit, ziemlich scharfe Angriffe gegen Preußen wegen des Verhaltens in der Schiffahrtsabgabenfrage zu richten. Ter betreffende Passus in der Frcyschen Rede lautete: „Als der Erzieher, dessen Beispiel und Wort in allen Schichten der Bevölkerung viel gilt, hatte (Großherzog) Friedrich der Deutsche mitgeholfcn. uns den Reichsgcdanken einzuprägen, unauslöschlich einznimpfen, so daß wir nicht waiiken und nicht irren werden, auch nicht in trüben Zeiten, wie der gegenwärtigen, wo wir mit banger Sorge in die Zukunft unseres badischen Volkes blicken müssen, weil größere mächtigere deutsche B u n d e s st a a t e n auf eigenen Vor teil bedacht sind. Unbekümmert darum, daß uns da durch viel bleibender Schaden zu gefügt wird, ist es ein Verdienst des Großherzogs Friedrichs des Deutschen, daß er k e i n P a r t i k u l a r i st ist, daß, wenn wir Wilhelm II. im Geiste vor uns sehen, in unserem Empfinden der Preußenkönig dabei verblaßt vor dem deutschen Kaiser, so daß wir auch in einer solch trüben, sorgenvollen Zeit voll herzlicher germanischer Treue, voll Anhänglichkeit dem Jubilar Hcilrufe entgegenschallen lassen." Ter anwesende preußische Gesandte am badischen Hofe Admiral z. D. Karl v. Eisendecher verließ nach der 'Rede ostentativ den Saal. Ob die Rede bei dem feierlichen Anlaß taktvoll war, lassen wir dahin gestellt. Sie ist aber das Zeichen eines über das Deutsche Reich heranzichcnden Unwetters, dessen Niederschläge die freundlichen Be ziehungen zwischen den einzelnen Bundesstaaten zu zer stören geeignet sind. Noch ist es Zeit, daß Preußen seine verderbliche Politik des Egoismus aufgibt, bevor es zu spät ist. — Ein geheimnisvoller Vorgang in der Budgetkom- mission. Am Mittwochvormittag verhandelte die Budget- kommission 'unter Ausschluß der Oeffentlichkeit. Trotzdem können zwei freisinnige Blätter darüber berichten und zwar das „Berl. Tagebl." und die „Franks. Ztg." recht sonder bar. Das erstcre Blatt schreibt: „In der Budgetkommission des Reichstages muß es gestern vormittag außerordentlich heiß zugegangen sein. Nach dem, was aus den vertraulichen Verhandlungen an die Oeffentlichkeit gedrungen ist, glaubt das Zentrum offenbar einen neuen Weg gefunden zu haben, um sich „populär zu machen", indem es wieder einmal gegen die großen Gesellschaften Sturm läuft. Auf die Gefahr hin, dem Staatssekretär, dem man doch noch tags zuvor seines Vertrauens und seiner Liebe versichert hatte, einige Steine in den Weg zu wälzen. Herr Dern- burg parierte am Nachmittag in der Plenarsitzung den neuesten Schachzug des Herrn Erzbergcr, indem er den neuen Vertrag mit der deutschen Kolonialgesellschaft für Südwcstafrika — unter Berufung auf die Bemänge lungen, die er in der Kommission erfahren hatte — zurückzog und neue Verhandlungen mit der Kolonial gesellschaft in Aussicht stellte. Herr Erzberger hielt sich alsbald dadurch schadlos, daß er. ein geschickter Jongleur, wie er nun einmal ist, einen Strauß mit dem Abg. Storz vom Zaune brach, um auch vor dem Plenum, das heißt vor der Oeffentlichkeit, das „volkssreundliche", anti kapitalistische Herz des Zentrums enthüllen zu können. Storz hatte, um die schwierige Situation des Staats sekretärs zu beweisen, von den Berechtigungen gesprochen, auf die die Kolonialgesellschaft sich stützte. Er hatte cs in dessen vermieden, die Frage zu beantworten, ob diese Rechtstitel begründet seien oder nicht. Gegen die Otavi- bahngesellschaft und gegen die Begünstigung, die diese Gesellschaft seitens der früheren Verwaltung erfahren habe, habe er sogar auf das lebhafteste polemisiert. Trotz dem erhob sich Herr Erzberger, und suchte, angeblich im Gegensatz zum Abg. Storz, die Nichtigkeit gewisser An sprüche der Kolonialgesellschaft darzutun. In Wahr heit bestanden gar keine sachlichen Divergenzen zwischen den beiden schwäbischen Abgeordneten und Wahlkreis nachbarn, und das kleine Manöver wurde dann auch all seitig durchschaut und allenthalben mit vergnügter Heiter keit besprochen. Diese Darstellung ist vollkommen unzu treffend: auch über die Vorgänge im Plenum schreibt dos Blatt ganz unhaltbares Zeug zusammen. Wir verweisen nur auf den Bericht des sozialdemokratischen „Vorwärts", der dem Abg. Erzberger sage» läßt: „Hütte Herr Storz recht, so würden wir rettungslos der Monopolwirtschast einer einzigen Gesellschaft in Südwestafrika ausgeliefert. (Sehr richtig! im Zentrum.) Durch das Abkommen vom 17. Februar 1908 sind die Privilegien inbezug auf das Eigentum von Bergwerke», welche die deutsche Kolonial gesellschaft damals besaß, beseitigt worden. Ich hoffe, daß der Herr Staatssekretär mit gewohnter Energie den Vertrag vom 17. Februar 1908 sinngemäß im Interesse des Fiskus durchführen wird." Dann fährt der Paria nientsbericht fort: Abg. Arning (nat.-lib.) konstatiert, daß die Kommission, mit Ausnahme des Abg. Storz aut dem Standpunkte des Abgeordneten Erz- bcrger gestanden habe." Von einem „Schachznge des Abg. Erzberger" kann gar nicht geredet werden: er hat im Plenum des Reicl)stages lediglich die Rechte des Fiskus vertreten, während der Abg. Storz für Rechte der Kolonialgesellschaft eintrat, die gar nicht existieren. Die „Divergenzen zwisck)en den beiden schwäbisck>en Abgeordneten" sind sehr groß. Der Wider sprach des Abg. Erzberger bedeutet für das Reich eine sehr erhebliche Verbesserung der Situation. Staatssekretär Ternbnrg hat denn auch den angekündigtcn Vertrag nicht unterzeichnet und damit ist das Zentrum zufrieden. Mit Recht sagt die „Deiltsck>c Tageszeitung": „Daß sich gegen einen solchen Vertrag in der Budget kommission denn doch ein Widerspruch regte, der den Staatssekretär zu der Erklärung bewog, er werde den Vertrag in dieser Form fallen lassen, ist Wohl mehr als begreiflich! In welcher Richtung sich der Kommissions- Widerspruch ini einzelnen bewegte, läßt sich bei der ver traulichen Natur der Verhandlungen nicht sagen. Schon aus den teilweise ziemlich deutlichen Andeutungen in der gestrigen Plenardebattc aber läßt sich entnehmen, daß jedenfalls die geplanten neuen und enormen Zugeständ nisse an die Kolonialgesellschaft auf ziemlich einmütigen Widerstand in der Kommission gestoßen sind. Und das ist auf alle Fälle erfreulich." — Gegen den portugiesischen Handelsvertrag nimmt der nationalliberale Abgeordnete Merkel im „Berl. Tagebl." erneut Stellung. Deutschland sei schon heute ein guter Kunde Portugals. Deutschland hat von 1903 bis 1907, der Reihenfolge dieser Jahre nach, alljährlich 79 83, 87^, 80 und 76 Prozent seiner Ausfuhrwerte zurückgekauft durch Einfuhr portugiesischer Landes- und Kvlonialprodukte ins Deutsche Reich. Diese Tatsache ist viel zu wenig bekannt und dieser Umstand ist bei den Verhandlungen über den neuen portugiesischen Handelsvertrag von unseren deutschen Unterhändlern anscheinend gar nicht in die Wagschale ge worfen worden. Weder England und Frankreich kaufen im Verhältnis ihrer Einfuhrwerte nach Portugal prozentual so viel an portugiesischen Landeserzeugnissen zurück wie wir Deutschen. Im Jahre 1906 hat Deutschland für 80 Prozent seiner Ausfuhrwerte von Portugal wieder zurück gekauft, England nur für 40 Prozent und Frankreich für 10 Prozent. Portugal setzt in seiner amtlichen Statistik die deutsche Einfuhr wie folgt an: 190.1 1904 1"05 1906 1207 Einfuhr 9885 10455 «e«2 10285 10 974 » EcwtoS «u»«u5r 2141 2 421 2279 2525 2 «75 ( de AeiS gleich liO 2'!,» 110:28.0 100:28,7 109:24» ttK:22.5 Diese Zahlen treffen durchaus nicht zu. Nach unserer Reichsstatistik steht unser Export nach Portugal und unser Import von dort, einschließlich der Kolonien, wie folgt: 1908 1904 1905 1908 1907 Einfuhr »0,7 85 1 84,6 40 6 42,7 Mill. Mark Ausfuhr 24 2 29 2 »0 8 »2 4 82 5 gleich >00:79 100:83 100:87'/, U0:80li> o.-76 Das sind doch ganz andere Verhältnisse, als wie sie Portugal hinstellt! 1906 hat Deutschland 29 Prozent der Gesaintausfuhr Portugals ausgenommen. Bei dieser star ken Position Deutschlands hätte man einen besseren Han delsvertrag erwarten können. Der größte Teil der Textil- und der Kleineisenindustrie wird einfach geopfert, ohne daß etwas Wesentliches für andere dabei eingetauscht wird. Die Nationalliberalen wollen sogar den Vertrag ablehnen, so verkündet auch Herr Merkel. — Tic Zcrfahrrnheit unter den Nationalliberalen ist heute größer als je. Die „Korrespondenz des Bundes der Landwirte" schildert sie zutreffend in folgender Weise: „Ta ist zunächst die zurzeit allerdings wohl nume risch oder wenigstens den Stimmitteln nach stärkste Rich tung der „Jungen" in der Partei, in der selbst eine große Zahl der schon lange in das Schwabenaltcr eingetretenen Parteigenossen für die Erlveiterung des badischen Groß blockes auf das ganze Reichsgebiet eintritt und dies auch öffentlich proklamiert. Neben diesen von lauten Kriegs- rusen bereits brennendrot gewordenen Liberalen (natio nal darf man sie eigentlich doch nicht mehr nennen) steht die Seele Bassermanns und seiner Nächsten, welche das Wörtchen „national", die nach der „Köln. Ztg." „nicht mehr zugkräftige nationale Phrase" am Firmenschilde noch nicht missen möchten, und die deshalb der für das Bebel-Bündnis begeisterten Schwesternseele mahnend zu-