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Sächsische Volkszeitung : 30.05.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-05-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192205301
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19220530
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19220530
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-05
- Tag 1922-05-30
-
Monat
1922-05
-
Jahr
1922
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 30.05.1922
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Dienstag den 86. Mai 1922 Nr. 128. Seite 2 Die Entwaffnung derWrangelarmee durchgeführt Sofia, 29. Mai. Ministerpräsident Stambulinski wird auf dem Kongreß der Agrarpartei seinen Rücktritt geben. — Die Ent- wasfinuig der Wrangelarmee ist dnrcl>geführt. Die Waffen wer. den der Interalliierten Kommission übergeben. Die blutigen Parteikümpfe in Italien Nom, 29. Mai. Die parteipolitischen Zwischenfalle der letz, ien Tage in Rom haben außer vierzig Verletzten bisher im gan- zen drei Tate gefordert. Die Ruhe ist wieder hergestellt, und auch der Verkehr ist regelmäßig. Die Zeitungen erscheinen wieder. Infolge der blutigen Parteikämpfe hat die Regierung energische Maßnahmen angeordnet. Noch kein italienisch-südslawischer Abschlntz Belgrad, 27. Mai. Die aus italienischer Quelle stammenden Meldungen über den Abschluß eines italienisch-südlawischen Sbkom. menS eilen den Tatsachen voraus, da bisher nur eine weitgehende, jedoch n'cht vollständige Nebereinstimmung zwischen den beiden Delegationen erzielt wurde. Die Entscheidung sällt erst nach der Rückkehr Paschit'chs, die dieser Tage erfolgt. Die bolschewistische Armee Nach Berichten der Pariser Presse au8 Moskau hielt Trotzki vor den Zöglingen der bolschewistischen Militärakademie in Moskau eine Ansprache, in der er u. a. sagte! .Vertrauen Sie nicht auf die Redereien von Genval Vertrauen Sie einzig allein auf Ihre Bajonette nnd Ihre Votierten. Es find nicht die Konferenzen, die un» da» geben werden, was wir brauchen. Was wir brauchen werden wir erst au demjrntgeu Tage haben, an dem dt« Rote Armee die Grenzen der dapttaltstischen Staaten überschritten daben wird, daun, wenn da» Rote Bonner über Europa stottert. Es ist möglich, daß noch im Lause dieie» Sommer« die rote Armer vor die Aus gabe gestellt wird» ihre Kampfkraft zu beweisen." Rußland und der Vatikan Als nach dem Sturze Napoleons die Vertreter der verbün deten Mächte im Jahre 1814 auf dem Wiener Kongreß zusam» MLntralen, um über die Neuordnung der europäischen Verhält» nisse zu beraten, hielt es der Heil. Stuhl für seine vornehme Pflicht, die Interessen der kath. Kirche auf dieser Tagung zu v-r» treten. Pius VII. schickte seinen Staatssekretär Kardinal Con» salvi, um die durch Revolution und Säkularisation verletzten Rechte der Kirche gellend zu machen. Aehnlich geschah es in Genua. Und wenn dort der Heil. Stuhl Erfolge aufweisen kann, so ist nach dem jetzigen Papst PiuS XI. wieder ein Staatssekretär zu nennen, der mit zäher Energie und klugem Takt in das politische Getriebe die religiösen Interessen der Weltkirchc einführte und ihr Einfluß und Gehör bersckxfffte: Kardinal Gasparri. Die ganze Akuon des Heist Stuhles in Genua bedeutet eine geschickte Steigerung, ein CreS- cendo, nach Inhalt und Form. Zunächst der Brief d'S Heist Va- terS vom 7. April an den Erzbischof von Genua mit einem post, tischen und religiösen Moment. Der Papst ermahnt die Völk:r und Regierungen, das Allgemeinwohl Europas den Wünschen und Forderungen der einzelnen Länder voranzust.'llen und dem» er Kriechend Opfer zu bringen; zugleich fordert zum Gebet für d,e schicksalsschweren Beratungen der Konserriz auf. Am 29. April geschah ein weiterer Schritt m-t kem Briete des Heil Vaters an seinen Staatssekretär Gas,w oft. Nachdrück, lich wird hier auf d>e furchtbaren Wirkungen des Völkerzwistes aufm»! an: gemacht und zugleich 'n ecgce'-.r.der W- je die Bot LeS bungeirten Rußland in den Vorder;'und gestellt Denn wo solches Viknst wie iw Osten herrscht, kann lei Stellverl'-.i-r des borinherz gen Heiiandes nicht schweigen und tatenlos i.ieven. Um aber seinen H>!ieruf wirksamer zu w-.l,cn und zugleich iin Interesse der religiösen Fragcen und Aufgaben u nähere Be» ziel, ng ?»' Konferenz zu treten, ließ ver bl. Vater se neu Brief in G, n,ia cn die Vertreter jener Ncg:e»n?c„ übermitteln, m't deren der Heil. Stuhl diplomatische Beziehungen unterhält. Unterdessen 'rasen neue Unglücksnachrichten aus Rußland über die dortigen wirtschaftlichen nnd auch religiösen Verhältnisse in Rom ein. Zwar ist durch das Dekret vom 23. Januar 1913 völlige Gewissens- und Religionsfreiheit in Rußland garantiert, aber die Tatsachen stehen in grellem Widerspruch zu dieser Ver- fügung und an einzelnen Orten kann von einer wahren Ver folgung gesprochen werden. Wie so oft bei Gewaltherrschaften dient das genannte Dekret nur als Propagandamitlel der Sow- jctS für die nichtrussische Weist Angesichts der Gefährdung der religiösen Freiheit und des kirchlichen Eigentums hielt eS Pius XI. für notwendig, auf der Konferenz von Genna ein .Memorandum" überreichen zu lassen, das sich mit der religiösen Loge in Rußland befaßt; eS wurde durch den UnierstaatSsekretär Msgr. Pizzordo den Delegierten derjenigen Staaten übergeben, die in diplomatischem Verkehr mit dem Heist Stuhle stehen. In dem Memorandum wurden, wie schon aus Zeitungsnachrichten bekannt geworden ist, drei Fordevu-ngeri vom Heil. Stuhle erhoben, die von den Mächten bei den Vertretern Rußlands durchgesetzt Werden sollten: 1. die volle Gewissensfreiheit für alle Bewohner Rußlands; L di« Garantierung der freien Ausübung de« pri vaten und öffentlichen Kultu«; 3. die Zurückerstattung aller be. schlagnahmten Immobilien, die irgend einem religiöse^ Bekennt- nis gehört haben oder noch gehören. TaS Memorandum vertritt, wie mau sieht, nicht nur die Interessen der kath. Kirche, sondern in großer Weitherzigkeit umfaßt eS alle Bekenntnisse und will jede Gewaltherrschaft auf religiösem Gebiete und im Gewissens- bereich verhindern. Der „Ofservatore Romano" bringt in seiner Ausgabe vom 16. Mai (Nr. 114) «ne authentische Darstellung der diplamati. scheu Sendung de» UnterstaatSsekretärs Msgr. Pizzardo. Da« Memorandum würbe von dem Vertreter des Heist Stuhles an Lloyd George in Genua übergeben, ebenso erhielten es die and«, ren Delegationen. Msgr. Pizzardo verhandelte dann mtt dem russischen Vertreter WorowSki wegen der vom Heist Stuhle ue» absichtigten Hilfsaktion für Rußland. Während dieser Unter- redung kam Tschitscberin hinzu, Msgr. Pizzardo legte ihm den Inhalt des Memorandums dar und empfahl besonder« nachdrück lich die Annahme der beiden ersten Punkte. Wenn einige Blätter gemeldet haben, der Heil. Stuhl habe auf den dritten Punkt ver- zickitet, so beruht das auf einem Irrtum. Weil die ganzen Eigen- tumsfragen vor der Konferenz noch in Schwebe waren, sollte auch der Verteter des Heist Stuhle» noch keine bindenden Erklärungen herbeiführen und begnügte sich vorMfig mit der Annahme der beidn ersten Punkte. Das Memorandum bedeutet keine Aenderung in der Hal tung des VatikqnS gegenüber Rußland, wie in der Presse behaup tet wurde. Die energischen und klaren Forderungen des Memo randums stehen durchaus im Einklang mit dem Wohlwollen und der Fürsorge, die aus dem vorhergehenden Briefe des Papstes an Gast>arri hervorlcuchten. Denn in Genua soll .Rußland wieder in die Gemeinschaft der zivilisierten Nationen ausgenommen wer- den und sich die Achtung der Welt verdienen; dazu gehört aber wesentlich die Innabme jener Punkte, die rom Heil. Stuhle im Memorandum ausgestellt worden sind und nichts anderes als völlige Neligions. und Gewissensfreiheit hevbeiführen wollen. Deutsches Reich Ansführnngsanweisnnq zum Retchsmietengesetz DaS preußische Staatsministerium hat dem Staatsrat den Entwurf einer Ansfnhrungsanweisimg zum Reichsmietengesetz zugehen lassen, den dieser mit einigen Aenderungen angenom men hat. Der Entwurf bestimmt zunächst, welche Beiträge bei der Feststellung der gesetzlichen Miete von der Friedensmiete abzurechnen sind. Es wird dann abgegeben, welche Ausgaben als Betriebskosten und Nebenleistungen im Sinne des Reichs gesetzes aiiziisehen sind. Bemerkenswert, weil von der bisherigen Regelung abweichend, sind unter diesen von den Mietern mitzu tragenden Unkosten die Prämien der Versicherungen gegen Feuer-, GlaS-, Wasserleitungs- und Berwaltungsschäden und die Ver waltungskosten, das Entgelt für die für das Haus ausgewandte Tätigkeit des Vermieters. Die Ausführungsanweisung regelt auch die Errichtung und Verwendung der Hauskonten für große Jn- standsetzungsarbeiten. Sie sind überall dort einzurichten, wo die Gemeindebehörde ihre Einführung beschließt und die Aufsichts behörde dem zusttmmt. Eine Verfügung des Vermieter» über das Hauskonto ohne Zustimmung der Mieter ist jedermann gegen über unwirksam. Soweit keine Hauskonten bestehen, setzt auf Antrag eines Bertragsteiles das Mieteinigungsamt einen Zu schlag für die Verzinsung und Tilgung von Mitteln fest, aus denen ein Teil der Kosten einer großen Jnstandsetzungsarbieit bestritten wird. Zur Beschaffung eines Ausgleichssonds nach 8 7 des Reichsmietengesetzes kann die Gemeinde einen Zuschlag zur WohiiuiigsbauaLgabe erheben, zur Verwaltung und Ver wendung dieses Fonds ist die Genehmigung der Aufsichtsbe hörde notwendig. Die AuSsührungsanweisung schließt mit einer Reihe von Einzelbcstiinmungen über die Berechnung der Unter miete, die Beschaffung der Heizstosfe usw. Eine neue Partei? Dortmund. Die hier bestehenden fünf Ortsgruppen des Verbandes der Erzbergerbunde haben sich in einer Sitzung am 16. d. M. der christlich-sozialen Volksgemeinschaft angeschlossen, die außer in den Kreisen Warburg-Höxter, wo sie bei den Kreis» tagswahlen 1921 bereits zirka 10 000 Stimmen (??) erhalten hat, inzwischen in Hamm, Bochum und auch sonst rm Industrie« bezirk sehr an Boden gewonnen hat. Nunmehr ist auch Dortmund hinzugetreten und der Anschluß weiterer Orte, in denen Erzberger bunde bestehen, steht bevor. Die Erzbergerbunde gehen nunmehr als Schulungsorganisation in der christlich-sozialen Volksgemein schaft auf, nach dem Muster der Windthorstbunde in der Zentrums partei. Damit ist die Bildung einer neuen Partei zur Tatsache geworden. So berichtet die Telegraphen-Union. Die Absicht dieser Gruppenbildung war längst bekannt und verbreitet, sie richtet sich gegen die Zentrumspartei und ist das Werk von hinter der Bühne stehenden Drahtziehern, die vermeinen, auf diese Weise dem Zentrum schaden und sich selbst zu gelegener Zeit auf den Leuchter stellen zu können. Die hinter dieser Mache steckenden grundsätzlichen und persönlichen Ziele sind der Masse der für die „neue Partei" Gewonnenen nicht klar, sonst würden sie es weit von sich weisen, zu deren Gunsten sich vom Zentrum zu trennen. DaS offene Hervortreten als politische» Miniaturge bilde ist insofern von Wert, als die Zentruinsorganisation jetzt weiß, mit welchen „führenden" Elementen sie zu tun hat und wo sie einsetzen muß, um die Jrregeführten über die wirkliche Sach lage auszuklüren, bann ist zu erwarten, daß die neueste Zentruins- stürzerei nicht zur Gefahr für die in der Gegenwart für die vaterländische und religiöse Sache notwendigste Partei werden kann. Netse des Ernähruugsministers «ach München Berlin, 27, Mai. ReichSrrväbrungsminister F-Hr wird am SO. und 81. Mai In München weilen und bei dieser Gelegenheit auch mit dem bayerischen Landwlrtschaftsmlnister Fühlung nehmen. Be- kanntllch findet in diese» Tagen die JnbiläumStagnng de» Deutschen LandwirtschaftSrat'S statt. .» Der Dentsche Reichstag ans der Münchener Gewerbeschau München, 27. Mal. Wie di« T -U. eftährt wird der Deutsche Reichstag voraussichtlich vollzählig nach Müncken kommen, um die Deutsche Gcwerbcschau zu besichtigen und einer Aufführung der Pas- fionsspi'ele in Oberammergau beizuwobnen. Die Deutsche Dolkspartei lehnt de« Oberschlefien» Vertrag ab Berlin, 27. Mai. In ihrer gestrigen Fraktionssitzung hat die Deutsche Volkspartei, einmütig beschlossen, den zwischen Deutsch- land und Polen abgeschlossenen Vertrag über Oderschlesten adzu- lehnen. Die Löhne der Staatsarbeiter Die Verhandlungen der Spitzenorgantsatlonen mit dem Relchsfinaiizministeritlm über Erhöhung der Löhne für die Staats arbeiter sind beendet worden. Es wurde festgesetzt, daß das Ver hältnis zwischen dem Tariflohn und den Teuerungszulagen zwei Drittel zu «in Drittel beträgt. Der Lohn der weiblichen Be diensteten bleibt in dem bisherigen Verhältnis von 175 v. H. des Lohnes der Gruvpe 7 bestehen, ebenso die bisher gewährten Uebertcuerungszulage». Die bisherige Bedingung, daß bei Ge dingearbeit der Tariflohn um eine Mark gekürzt wird, wird ausgehoben. Hindenburg in Allenstein Königsberg. 27. Mai. Generolseldmarschall von Hindenburg kam gestern auf seiner Reise nach der Provinz Ostpreußen in Allenstein an. Seine Einiahrt in die Stadt gestaltete sich zu einem wahren Triumphzuge. Auf der Freitreppe des Rathauses begrüßte Oberbürgermeister Zilch den greisen Marscholl. In be wegten Worten dankte Hindenburg und sagte, Allenstein sei die Stadt gewesen, die ihm nach seinem ersten Siege Gastireundschaft gewährte, und in der er die Vorbereitungen für den zweiten Sieg treffen konnte. Heute in schwerer Zeit müssen wir wieder zusammen, stehen. Am Abend legt« der Feldmarschall am Denkmal der 141. einen Kranz nieder. Gegen die Schuldlüge Hamburg» 27. Mai. Die deutschnationalen Abgeordneten Dr. Kuch und Gen. haben den Antrag eingebracht, die Bürgerschaft wolle beschließen, dem Senat den Betrag von einer Million Mark zur Verfügung zu stellen, um auf Grund der neuerdings der Oeffentlichkeit bekannt gewordenen Eisnerschen Fälschungen den Kampf gegen die unwahren Behauptungen einer deutschen Schuld oder Mitschuld an der Verantwortung für den Weltkrieg zu eröffnen. Gegen die Losreitzung der Rheinland« Köln, 27. Mai. Alle politischen Parieren von Eleve ver- urteilen in einer Entschließung die Neutralisiecr'ngs» und Ab» trennungsversuche der Rheinlande. In einem Protest der Stadtverordneten von Mo.:r beißt es: Wir sind deutsch und wollen R utsch bleiben. Darum verlangen Wir das Verbleiben der Rheini-mde ber P.rußen und dem Re.ch. Die deutschen Parteien des Wahlbezirks Kreuznach erklären in einer Entschließung: Alle Versuche, uns von Deutschland und Preußen zu trennen, werden an der Treue und dem Willen de» Rheinländer scheitern. Der Deutschen Allgem. Ztg. zufolge verurteilte die Außere ordentliche Generalversammlung der Rheinischen Landwirtschafts, kammern in einer einstimmig angenommenen Entschließung ditz Neutralisierungsbestrebungen im Rheinlande auf das Schärfste. Eine Schandtat farbiger Franzosen Bingen, 27. Mai. Die durch die Veröffentlichungen dey Polizei bekanntgewordene, am Hellen Nachmittage erfolgte Ver. gewaltigung einer deutschen Dame durch einen farbigen Fran zosen hat in der ganzen Bevölkerung eine außerordentliche Er regung hervorgerufen. Die Nachforschungen nach dem Täter wer den von der deutschen und der französischen Polizei gemeinsam betriebe», haben aber bisher noch zu keinem Ergebnis geführt. Sächsisch-Thüringische Webindnstrie Greiz, 29. Mai. Der Streik der sächsisch.thüringischen > Weberei-Industrie, der in Höchstzahl etwa 40000 Arbeiter umfaßte, ist beendet. Die Verhandlungen daben dazu geführt, daß für Juni eine Lohnerhöhung zugebilligt werde, während für Mai eS bei dem Vorschläge der Arbeitgeber verbleibt. In einzelnen Betrieben ist dir Arbeit wieder ausgenommen. Kronprinzen - Erinnerungen In girier Reihe zwanglos aneinandevgefügter Skizzen — persönliche Erinnerungen des früheren Kronprinzen, die dieser in seinem Exil Wieringen aufzcichnete — bringen wir unter Ausschaltung eini ger die hohe Politik sowie die Kriegführung be- treffenden Stellen aus des Kronprinzen Buche im Auszuge nachstehende Schilderungen: ES ist Abend und ich bin noch einmal die füllen, menschen- leeren Wege draußen zwischen den windgefegten, aufgeweichten Weidestücken hingeschritten. Durch Grau und Dunkel. Kein Mensch — kein Menschenlaut. Allein dieses Wehen von der See herüber, daö gegen mich andröngt, mir durch die Kleider greift. Märzwind. Nächstens soll Frühling werden. Vier Monate bin ich nun hier. Rings über mir in weiter Runde die «vig funkelnden Sterne, die gleichen, die auch über Deutschland stehen. Und tiefer an dem Horizont der einsinkenden Nacht gießen die Leuchtfeuer von Den Oever und von Texel ihre Strahlenbündel über die Zuidersee. — Unruhig wartend steht mein Kamerad an der kleinen Gat- tertür des Gärtchens, da ich wiederkomme. War ich so lange fort? Jetzt sitze ich im einsamen kleinen Zimmer meiner Pastori«, die Petroleumlampe brennt — qualmt ruhend, stinkt ein wenig — Md im eisernen Ofen glimmt da» kümmerliche Feuer. Kein Laut stört diese Sülle. Nur dieses ewige Wehen über der großen Einsamkeit der schlafenden Insel. Mer Monate. Nnd immer wieder in dieser unendlich langen Zeih die ich wie in einem einzigen auf etwas Warten und nach etwas fernen Hinhorchen verbracht habe, hat mich der Gedanke gesucht: Viel, leicht, wenn du e» dir vom Herzen schriebst? f Ich will» versuchen , , . Bei Fernem, bei der Jugendzeit jll ich beginnen. ' " Wenn ich auf die Tage meiner Kindheit zurückblicke, so ist »S mir, als täte sich eine versunkene Welt voll Glanz und Sonne pneder vor mir auf. Unser Elternhaus in Potsdam und Berlin — Wir alle haben eS nicht weniger geliebt als jede« andere vop Liebe und Fürsorge umhegte .Kind das seinige. Und auch die Freuden unserer ersten Kindheit sind sicherlich die gleicken gewesen wie die Freuden jedes Fröhlichen und aufge- weckten deutschen Jungen. Denn ob der Kindersabel.des einen AUS Holz und des anderen aus Blech ist, und ob das Schaukel» Pferd richtig mit Kalbfell überzogen oder nur mit bescheidener Oelfarbe geügert ist, das ist im Grunde für Kinderherzen gleich. ES gibt Entwicklungsstufen unserer Phantasie, in denen jeder Junge, ob er nun Königskind ist oder ob er aus dem Bauern» Hofe, aus einem Bürgerhause oder einem Arbeiterquartier kommt, etwa die gleichen höheren Abenteuer sucht, die gleichen genialen Erfindungen macht: Vorstöße auf weitläufige, geheimnisvolle Bodenräume und in muffig« Keller, Erlebnisse mit statt aufge- drehten und dann, wenn sich die Wasserflut ergießt, nicht wieder zugehenden Hydranten, mit heimlichen Schneeballangriffen auf höchst ehrenwerte und peinlich korrekte Staatsbeamten, die dann mit einem Male all die abgeklärte Würde lasten und puterrot: Verfluchter Lausejunge! schreien. — Als ältester Sohn stand ich unserer geliebten Mutter stets besonder» nahe. Mit allen meinen kleinen und großen Wünschen oder Sorgen bin ich zu ihr gekommen. Sie hat in manchen Schwierigkeiten, die sich zwischen meinem Vater und mir im Laufe der langen Jahre ergeben hatten, begütigend, glättend und auSgleichend vermittelt, es gab keinen Gedanken von einigem Gewicht in meinem Herzen, den ich nicht zu ihr bringen durfte... Das Verhältnis von uns Kindern zum Vater war anders. Er war stets freundlich und in seiner Art liebevoll gegen uns, aber er hatte schon naturgemäß nicht allzuviel Zeit für uns übrig. So kommt es, daß, wenn ich unsere frühe Kindheit überdenke, kaum ein paar Bilder finde, in denen ich ihn in harmloser Fröh lichkeit oder in froher Hingebung an unsere Kinderspiele sehe. Wenn ich eS mir jetzt zu erklären suche, so ist es mir, als ob er die Würde und tne Ueberlegenheit des Reifen und Erwachsenen nicht so völlig hätte von sich streifen können, um mit uns kleinen Juiigen richtig jung zu sein. So haben wir in seiner Nähe eine gewisse Befangenheit eigentlich nie ganz verloren und auch seine in Momenten guter Laune betonte Derbheit in Ton und Aus druck, die uns offenbar zutraulich machen sollte, wirkte auf uns eher einfchüchternd. Nur meinem Schwesterchen ist es gelungen, von Kindheit auf sich einen warmen Platz in seinem Herzen zu gewinnen. Wir Kinder mußten, wenn wir sein Schreibzimmer betraten, was er ober nicht gern sah, die Hände auf den Rücken haften, da mit wir nicht» von den Tischen herabstietzen. . . ES fällt mir ein kleines Erlebnis jener Kindertage ein: Ich trieb mich in den unteren Räumen des Schlosses wmher und geriet bei dieser Inspektion in ein kleines Zimmer, in der der alte Fürst Bismarck über Skripturen am Schreibtische saß — und jetzt zu meinem Schreck die Augen nach mir hob. Die Erfahrun» gen, die ich in ähnlichen Fällen gemacht hatte, ließen mich erwar ten, daß ich prompt und ungnädig hinausgeschmissen würde. Ich hatte ureigen eiligen Rückzug schon eingeleitet, als mich der alte Fürst zu sich heranrief. Er legte die Feder hin, griff mich mit der riesigen Hand bei der Schulter und sah mir mit seinen großen, durchdringenden Augen gerade ins Gesicht. Dann nickte er mit dem Kopfe und sagte: Kleiner Prinz, Sie gefallen mir, beivahren Sie sich Ihre frische Natürlichkeit. Er gab mir einen Kuß und ich sauste aus der Stube hinaus. Ich war dermaßen stolz, daß ich meine Brüder durch Tage wie Luft behandelte. Auch die Art unserer weiteren Erziehung über die letzten Kinderjahre hinaus hat sicher dazu beigetragen, uns den Vater mehr und mehr zu distanzieren. Unsere Ausbildung wurde fast vollständig in die Hände der Hauslehrer und Gouverneure gelegt und durch sie erführen wir denn, ob Se. Majestät mit uns zu frieden sei oder nicht. Hier schon in der Familie und der eigenen frühen Jugend also spürten wir das «System des Dritten". In Bezug auf uns Söhne also kam eS, als wir erst militärischen Rang bekleideten, dazu, daß der Kaiser mit uns im allgemeinen durch den Chef des Militärkabinetts oder durch den General von Plesten verkehrte und wir erhielten sogar gelegentlich wegen recht harmloser Dinge rein persönlicher Art KavinettSordreS zugestellt. In solchen Zeiten war eS dann beinahe wie eine Befreiung, wenn ich gelegentlich bei Manometer 99 oder bei besonders fest lichen Anlässen im Dienstanzug zum Kaiser befohlen wurde und von ihm unter vier Augen gründlich, aber wenigsten« direkt her- untevgeputzt wurde. Ein Beispiel zieht mir gerade durch den Sinn: Ich war von jeher ein begeisterter Anhänger des Sports, Jagdreiten. Rennen, Polo u!w. Hier gab eS aber Einschränkun- gen. Bedenken, wie ein richtiger Wilderer kam man sich vor. Sd sollte ich weder Rennen noch Schleppjagden reiten. Nun hatte ich mein erstes öffentliches Rennen hinter mir. Hoffentlich gab es keinen Krach als Nachspiel. Aber der Kaiser bestellte mich am nächsten Morgen im Dienstangug ins Neue Palais. Gewitterige Stimmung. „Du hast Rennen geritten?" „Zu Befehlt" »Du weißt, daß eS verboten ist?" „Zu Befehl!" FSarmn hast du es nun trotzdem getan?" «West e» meine größte Passion ist und west ich eS für gut f«, daß der Kronprinz seinen Kameraden zeigt, daß er dft ^hr nicht scheut und ein gutes Beispiel gibt." Einen Augenblick schweigt er und überlegt. „Hast du wenigsten- gewonnen?" „Leider bin ich durch Graf KönigSmarck um einen Kopf ge schlagen." Da schlägt er ärgerlich auf den Tisch: «Das ist aber dumm und nun mach, daß du rxmSkommst." Diesmal hatte mein Vateij mich und den Spoxtsmann verstanden. (Fortsetzung folgt.)
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