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Zweites Blatt Jur Naturgeschichte der „freien" Gewerkschaften lieferte die vor kurzem in Berlin abgehaltene 10. General versammlung des sozialdenrokratischen „Verbandes deutscher Textilarbeiter" einen hübschen Beitrag. Die internationale Kommission der Textilarbeiterverbände gibt ein inter nationales Fachblatt heraus, das seitens der englischen Textilarbeiterorganisation verlegt und redigiert wird. In der letzten Nummer hatten die englischen Textilarbeiter dem verstorbenen König Eduard einen warmen Nachruf und seinen: Nachfolger eine herzliche Begrüßung gewidmet. Dadurch war das Empfinden der radikalen Führer des deutschen sozialdemokratischen Textilarbeiterverbandes arg verletzt worden. Sie verlangten von den Engländern die Fortlassung des Artikels, wenn sie die Nummer bei ihren deutschen Mitgliedern verbreiten sollten. Auf der eingangs erwähnten Generalversammlung brachte der zweite Zentral vorsitzende des Verbandes, Rössel, die Sache zur Sprache. Der „Vorwärts" berichtet darüber: Rössel machte darauf aufmerksam, daß die Engländer das internationale Fachblatt dazu benutzt haben, um ihrem König Eduard einen Nachruf zu widmen. Die Deutschen haben sofort auf diese Nachricht hin telegraphiert, daß sie die Annahme des Blattes verweigern und einen Neudruck verlangen, worin der anstößige Artikel auszuscheiden wäre. Die Engländer wollten nichts davon wissen, aber Rössel, der unter lebhafter Zustimmung der Versammlung den Nach ruf auf König Eduard kritisierte, erklärte, daß man es ein richten werde, daß das Fachblatt den Verbandsmitgliedern in Deutschland ohne diesen Artikel zugchen werde. Tatsächlich haben die Mitglieder des deutschen sozial demokratischen Textilarbeiterverbandes das internationale Fachblatt nicht zu Gesicht bekommen. Um der Gefahr, die Mitglieder könnten durch den „verruchten Artikel" von monarchischen Ideen angekränkelt werden, zu entgehen, bringt die Nummer 28 des Organs des deutschen Verbandes, „Der deutsche Textilarbeiter", in einem eine halbe Spalte langen Artikel einen Auszug aus den: Inhalt des inter nationalen Fachblattes. Es schimpft bei der Gelegenheit gründlich auf die Engländer, die durch ihre „Verlob- hudelung" des toten Königs das sozialdemokratische Herz der deutschen Textilarbeiter tief verletzt hätten. Der deutsche sozialdemokratische Textilarbeiterverband hat eben dem „nwnarchischen Regierungssystem" den Krieg erklärt! Aus Stadt und Land. ^ortistzuva >'us t»em L>auvtbtatt.) —* Für die Dauer des diesjährigen großen Dresd - ner Vogelschießens hat die Sächsisch-Böhmische Dampfschiffahrtsgesellschaft wieder umfangreiclie Vorkeh rungen getroffen, um eine glatte Abwicklung des Verkehrs zu erzielen. Die Schiffe bieten nach und vom Festplatz: vormittags stündliche (Sonntags halbstündliche), von mit tags 12 Uhr an halbstündliche, bei Bedarf viertelstündliche angenehme Fahrgelegenheit. An Station Waldschlötzchen wird in der Zeit vom 30. Juli bis mit 8. August nicht Sächsische BottSzei1u«ft vom 89. Juli 19U» Nr. 171 gelandet, dagegen werden von planmäßigen Schiffen (mit Ausnahme der in den beschleunigten Fahrten verkehrenden Dampfer) an der Vogelwiese Passagiere abgesetzt und auf genommen. Zwischen -er Station Waldschlößchen und der Vogelwiese wird mittels Dampfers eine bequeme und rasche Ueberfuhr bewirkt. Die Landeplätze für die Führ- und die Personendampfer befinden sich wieder an den bisherigen Stellen, also direkt an der Vogelwiese. Die Beförderung von Frachtgütern nach und vom Festplatze erfolgt in der bekannten prompten Weise. — Die Waren können zun: Weiterversand bis Dienstag den 9. August vormittags VelO Uhr an der Landungsstelle des Festplatzes aufgelie- fert werden. Alles Nähere wird durch Plakate an Bord der Schiffe, sowie an den Stationen und auf der Vogel wiese bekannt gegeben. —* Mit der Behebung der Mißstände im Aus verkaufswesen hat sich auch die Dresdner Handels kammer in letzter Zeit wieder mehrfach beschäftigt. Be kanntlich hatten die Kreishauptmannschaften Dresden und Leipzig zur Ausführung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb das Ausverkaufswesen regelnde Verordnungen erlassen, die in der letzten Gesamtsitzung der Dresdner Handelskammer begutachtet wurden. Beide Verordnungen setzen gleichmäßig den Anzeigezwang für alle Ausverkäufe mit Ausnahme der üblichen Saison- und Inventurausver käufe fest und bestimmen ferner übereinstimmend, daß vor Beginn des Allsverkaufs ein Verzeichnis der auszuverkau fenden Waren der Ortspolizeibehörde einzureichen ist. Die Frist zwischen Anzeigeerstattung und Beginn des Ausver kaufes muß nach beiden Verordnungen wenigstens 11 Tage betragen. Mindestens 11 Tage vor Beginn muß nach der Leipziger Verordnung auch das Verzeichnis eingereicht sein; für den Dresdner Bezirk ist diese Frist auf wenigstens sieben Tage festgesetzt. Die Saison- und Inventurausver käufe sind gleichmäßig auf zwei im Jahre beschränkt wor den: für sie sind in beiden Verordnungen abweichend von dem Vorschläge der Kammer die Zeiten vom 1. Januar bis ,6. Februar und 1. Juli bis 15. August freigegeben. Die Dauer eines einzelnen Ausverkaufes dieser Art ist ebenfalls entgegen dem Beschlüsse der Kammer übereinstimmend auf höchstens 11 Tage bemessen worden. Die Dresdner Verordnung gibt jedoch gemäß dem Anträge der Kammer eine Auszählung derjenigen Gewerbezweige, in denen im Dresdner Bezirke Saison- und Inventurausverkäufe üblich sind. Ferner hält die Kreishauptmannschaft Dresden eine Abänderung ihrer Verordnung betreffend das Ausverkaufs wesen in der Richtung für notwendig, daß die Ansverkäuse für die die Anzeigepflicht und die Einreichung des Verzeich nisses der zum Ausverkauf gestellten Waren vorgeschrieben wird, in der Verordnung einzeln aufgeführt werden. Die Dresdner Handelskammer wurde um gutachtliche Stellung nähme hierzu und um etwaige Vorschläge ersucht. Mit Rücksicht darauf, daß die große Mehrzahl der bis jetzt er lassenen Verordnungen schlechthin alle Ausverkäufe mit Ausnahme der Saison- und Inventurausverkäufe trifft, sprach sich der fünfte Ausschuß dahin aus, daß er eine Ab änderung der Verordnung nicht für erforderlich halte. Sollte der Kreishauptmannschaft aber dennoch eine nähere Umgrenzung der anzeigepflichtigen Ausverkäufe notwendig erscheinen, so empfahl der Ausschuß, die Ausverkäufe nicht einzeln ihrer Art nach aufzuzählen, sondern entsprechend der Bekanntmachung des Regierungspräsidenten von Osna brück in der Verordnung die Gründe, aus denen ein Aus verkauf veranstaltet zu werden pflegt, kurz zu kennzeichnen und die Regelung dann auf alle aus solchen Gründen ver anstalteten Ausverkäufe zu erstrecken. —* Internationale Hygiene-Ausstellung Dres den 1911. Für die Veranstaltung und Leitung der Fuß ball- und athletischen Wettkämpfe wurde vom Direktorium ein Ausschuß konstituiert, welcher den Namen „Rasensport- Ausschuß" führt und aus folgenden Herren besteht: Fritz Müller, erster Vorsitzender. Nürnberger Straße 30, 1., Kurt Heidenreich, stellvertretender Vorsitzender. Max Landrock, erster Schriftführer, Willy Möser, Beisitzer, Fußball; Georg Mehnert, stellvertretender Vorsitzender, Otto Kemps, zweiter Schriftführer, Joh. Chouette, Beisitzer, Athletik. Alle Zu schriften, welche Athletik oder Fußball (Hygiene-Ausstellung Dresden 1911) betreffen, sind zu richten an den ersten Vorsitzenden. Fritz Müller. Nürnberger Str. 30. 1., Fern sprecher 11031. Zur Abhaltung der Veranstaltungen steht dem Ausschuß ein im Ausstellungsgeläude liegender Platz zur Verfügung, welcher sowohl für Fußball als auch Athletik in jeder Beziehung erstklassig und nach den neuesten Erfahrungen hergestellt wird. Die geplanten Veranstaltungen werden stets an dieser Stelle bekanntgegeben. Auerbach, 27. Juli. Der Gutsbesitzer Thierfelder stürzte in Gornsdorf vom Pferde und verletzte sich so schwer, daß er kurze Zeit darauf verstarb. Buchholz, 27. Juli. Für die vom Landwirtschaftlichen Kreisverein im Erzgebirge veranstaltete Landwirtschaftliche Ausstellung mit Pretstierschau sind die Anmeldungen aus dem gesamten Erzgebirge so zahlreich eingegangen, daß der Ausstellungsplatz hat vergrößert werden müssen. Die Re gierung hat einen großen Betrag für Preise zur Ver fügung gestellt, auch dis Stadt Buchholz. Vereine und Private haben Preise gestiftet. Die Ausstellung findet nächsten Sonntag und Montag statt. Glaucha«, 27. Juli. Ein aufregender Vorfall spielte sich gestern nachmittag in den Gründelanlagen ab. Während das Kindermädchen des Kaufmanns Meuche, das in der Allee zwischen dem Grundeltetch und dem Mühlgraben spazieren fuhr, nach dem ihrer Obhut anvcrtrauten zwei jährigen Knaben Umschau hielt, rollte der Kinderwagen mit dem darin liegenden dreiviertel Jahre alten Kinde die Böschung hinab in den Mühlgraben. Das Kind wurde gerettet. Altenburg, 27. Juli. Gestern nachmittag begegnete dem beim Fuhrwerksbesitzer Sander in Rositz im Dienste stehenden 30 Jahre alten Geschirrführer Gentsch auf der Straße nach Rositz die dort arbeitende Dampfwalze. DaS Geschirr des Gentsch streifte die Walze und Gentsch wurde so unglücklich herabgeschleudert, daß er von der Dampf walze überfahren wurde. Das Geschirr und die Walze verwickelten sich so, daß beide schließlich in die Straßen- böschung stürzten. Die Leiche des Gcnrsch konnte daher noch nicht geborgen werde«. — 162 — „Lobe den Tag nicht vor den Abend," mahnte die Mutter, „die Sec ist unberechenbar —" „Wie Weiberlauncn," lachte der Doktor. „Aber, Herr Doktor," ereiferte sich der Tenor, „wie können Sie so etwas sagen? Die verehrten Damen haben überhaupt keinen Launen! Ihre Seelen, ihr Gemüt und ihr Empfinden ist nur um so viel feiner und empfind licher —" „Und darum siird die Damen überhaupt so empfindlich! Hahahaha!" „Und darum sind, Herr Doktor, die Damen auch wohl leichter erregbar als wir —?" „Und tragen das ihrige dazu bei, Laß wir auch möglichst oft recht er regt werden." „Schäme dich, Emmerich," fiel Frau Leonore lachend ein, „man sollte meinen, wir beide vertrügen uns wie Hand und Katze, wenn man dich so reden hört." „O, gnädige Frau, bei niir hat das nichts zu sagen," beeilte sich Brach vogel einzuwerfen, „ich bin zu oft und zu lange Zeuge des herzlichen Einver nehmens gewesen, das zwischen Ihnen uird Ihrem Herrn Gemahl herrscht, um nicht zu wissen —" „Daß er seine Frau gern ein wenig ärgert — stimmt." Man hatte cs gut getroffen. Im Seebade war eine kleine Fürstlichkeit eingetrosfen und im Kurhause abgestiegen. Nach Beendigung des Früh konzertes war die Kurkapelle daher vor das Kurhaus gezogen, um dem hohen Gaste, den man als enragierten Wagnerianer kannte, ein Ständchen zn bringen. So nahmen denn die Ankömmlinge auf dem großen Platze vor dem Kurhause Platz, um ihr Frühstück mit Musikbegleitung einzunehmen. Da gerade die ersten Klänge des Vorspieles zu „Parsifal" ertönten, als man sich niedersetzte, so lehnte Brachvogel es ab, sich ebenfalls etwas Frühstück zu be stellen. Er saß, das Haupt nach vorn geneigt und war ganz Ohr. Kein Ton entging ihm und beim kleinsten Fehler verzog er den Mund, als litte er phy- fischen Schmerz. Wagte aber einer von den Hildebrands einer ein Wort zu reden lvährend der Musik, so zuckte er förmlich zusammen. Er verwies aber den Sprecher oder die Sprecherin nicht zur Ruhe — bewahre, dazu war er viel zu wohl erzogen — auch sah er sie nicht strafend an — das wäre ja un höflich und unpassend gewesen. Nein — ein nervöses Beben ging durch seine Züge, daß Leonore, die gerade ihr eben aufgetragenes Rumpsteak als nicht zart genug heftig tadelte. Plötzlich innehielt, als sie das Gesicht des Sängers sah. Der Doktor und Wally folgten der Richtung ihrer Blicke uird saßen voller Staunen einen Augenblick ganz starr. Der Doktor fürchtete beinahe schon, er werde als Arzt in Funktion treten müssen. In der Pause ließ er sich dann bis ins einzelne kritisch über den Vortrag aus und man konnte im Zweifel darüber sein, was man mehr bewundern sollte, sein feines Verständnis, sein subtiles musikalisches Gehör oder sein scharfes Gedächtnis, das ihm ermöglichte, ohne irgend welche Auf zeichnungen den Vortrag so minutiös zu besprechen. Es folgten dann Szenen aus der „Walküre", der „Götterdämmerung", „Lohengrin", „Tannhäuser", dem „Fliegenden Holländer" und Len „Meistersingern". — 119 — Am anderen Morgen fand Dr. Hermann Hildebrand, der die Patienten an Stelle seines Vaters besuchte, den Tenoristen auf seinem Zimmer im Promenadenanzug, eine Zigarre im Munde, den Hut auf dem Kopfe, auf dem Sprunge, auszugehen. Der Doktor blieb erstaunt in der Tür stehen. Um diese Stunde pflegten die Patienten in Morgcnanzug und Morgenschuhen zu sein, um sich hinüber in die Badeanstalt zur Vornahme der Packungen, kalten Wickeln usw. zu begeben — wenn sie überhaupt schon außer Bett waren. Deshalb rief der junge Hildebrand erstaunt: „Nanu, Herr Brachvogel, was ist denn los — Sie wollen ausgehen? Wollen Sie denn heute nicht baden?" „Mit Ihrer gütigen Erlaubnis, nein, Herr Doktor," lachte der Tenorist vergnügt, „ich befinde mich heute morgen so frisch und munter, daß ich um die Erlaubnis bitten wollte, einmal aussetzen zu dürfen, um einen größeren Spaziergairg zu machen oder sonst etwas zu unternehmen. Aber wo ist denn Ihr Herr Pilpa?" fragte er dann Plötzlich besorgt, „er ist doch hoffentlich nicht krank geworden über Nacht —?" „Bewahre — gesund wie ein Fisch im Wasser" — lachte der junge Arzt, „oder sehen Sie mich etwa nicht für voll an —?" „Pfui, Doktor, wie können Sie so etwas von mir denken," stieß Brach vogel mit gemachter Entrüstung hervor — „nein, es fällt mir nur auf, weil er sonst die Morgenbesuche stets persönlich zu machen pflegt." „So sehen Sie heute morgen in mir seinen Vertreter und bevollmäch tigten Minister," erwiderte der Doktor mit Pathos und sich in die Brust werfend. „Meine untertänigste Reverenz, Exzellenz," replizierte der Sänger, sich tief verneigend, in demselben Tone — „aber er — wo ist er denn?" „Er steht im Begriff, mit Mutter und Schwester einen Ausflug nach drüben ins Seebad zu machen." ,,JH — das ist ja prächtig! Das trifft sich ja ausgezeichnet. Glauben Sie, daß er mir abschlagen wird, wenn ich ihn um die Erlaubnis bitte, mit zufahren?" „Sie wollten —" „Na, wenn Sie meinen, so laß ich cs und gehe auf eigene Faust spazieren. Nur fände ich es dann auffallend, daß meine Kollegin Winterhauser stets an standslos die Erlaubnis zu solchen Exkursionen erhält." „Und wer sagt Ihnen denn, daß man Sie daran hindern wird? Gehen Sie, Herr Brachvogel, getrost hinunter, denn ich wüßte nicht, aus welchem Grunde mein Vater sich weigern sollte, Sie mitzunehmen." „Na, LaS meine ich doch auch — Adieu denn!" „Adieu — und viel Vergnügen!" „Danke sehr!" Im nächsten Augenblick sprang er leichtfüßig die Treppe hinunter, während Hermann an die nächste Tür im Korridor anklopfte, um nach einem arrdcren Patienten zu sehen. Unten auf dem Hausflur traf kr mit Wally zusammen, die er begrüßte und die ihn freudestrahlend fragte: „Nun, Sie haben sich also doch entschlossen?" „Das versteht sich, mein Fräulein — wenn es Ihr Herr Vater erlaubt — und können Sie mir vielleicht verraten, wo ich den Herrn Doktor finde?*