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Rr.»»S Geschäftsstelle und Redaktion» Dresden««. 16, Holbeinstrasie 4» Jahr§. Freitag, 19. Dezember '9in Fernsprecher 21SSS Postscheckkonto Leipzig Rr. 147V1 B»»««SH»rrc«, «tertellShrlich ln der «eschSstSslelle oder von der Post abgeholl «nS»ab» x mit illustr. Beilage 4.SV.S. M»»e«b» » 4.»« Ju Dresden und gan, Deutschland frei Hau« «»«gab« t 4.ns Ausgabe » 4 as — Dir Lüchstsche «ollSzettung erscheint an allen Wochentagen nachm. — Sprechstunde der Redaktion: t l dt» 1» Uhr vorm Anzeigen, Annahme von Seschüftda,«zeigen dt« IU Uhr. von Famtlteiianzeigen vis I I Udr dorm. — ipeetd «irr dt» Petti-SpaUzetle «04, im Reklameteil I SO Fcimitte»-Anzeigen bv^. — Für undeutlich gelMriebenc. sowie durch Fern sprecher ausgegeben« Anzeigen können wir die Verantwortlichkeit sllr die Riibtiakell de» Lezie« nickit übernehme». Wohin steuert die gesellschaftliche Entwicklung? Von unserem Wiener Mitarbeiter Wir treten in ein neues Zeitalter. Diese Auffassung rst ziemlich allgemein und beruht auf der mehr gefühls- als verstandesmäßigen Erkenntnis, daß der Weltkrieg und seine Folgen den Entwicklungsprozeß iin Staats, und Kultur leben wesentlich beschleunigt und in fünf Jahren Zustände und Uebergänge zum Ausreisen gebracht hat, wozu sonst vielleicht ebensoviele Jahrzehnte erforderlich gewesen wären. Dies gilt, wie.bemerkt, für die äußere wie für die in nere Geschichtsbildung. Was die außenpolitische Entwick lung betrifft, so befinden wir uns heute in einer Periode der Dezentralisierung. Ein Rückblick aus die Menschheits geschichte zeigt uns den wechselvollen Auf- und Niedergang zwischen großen, weltumspannenden Neichen und einer alleinstaatlichen Griljppierung. Das letzte Weltreich Na poleons I. hatte einer langen Spanne des europäischen Gleichgennwes im 19. Icivrbii»dert Platz geinacht. Scvon gegen Ende dieses Zeitraumes treten wir wieder in das Zeitalter einer zunehmenden Zentralisierung ein. Der Welt- krieg brachte zwei Koalitionen gegeneinander. Auf der einen Seite die germanische, auf der anderen die angel- säMische mit ihrem romanischen Anhang! unabhängig da von spricht man von einem ostasiatischen und einem russischen Kulturkreis. Noch bis ins Jahr 1918 t,inein herrschte di? Auffassung, die Menschheitsgeschichte wind; in diesen fünf Kulturkrcisen zentralisiert bleiben. Am Ausgang des Krieges und in der Epoche des Friedensschlusses, mit dem zunehmenden Zerfall der Entente, machte sich ein jäher Ruck im Sinne der Dezentralisierung geltend. Sogar das Nationalitätcnprinzip hat sich überspannt' Wir sehen nicht nur Koalitionen zerfallen, sondern auch Nationalstaaten. Es ist, als ob nach der durch den Krieg erzwungenen poli tischen Massenwirkung wieder die Persönlichkeit politisch nach Ausdruck ringt. In Deutschösterreich finden wir das Wiedererstarken der Länder, deni ein tieferer Sinn zugrunde liegt, als die aus gewissen Gründen gegebene Abneigung gegen „Wien". Die „Verdorfung", von der Staatskanzler Dr. Renner spricht und die er für die Verwaltungsanarchie verantwortlich macht, ist nicht vielleicht ein politischer Bos heitsakt, sondern die Aeußerung eines historischen Werde ganges; sie h'umeadekaekaii"" " 'mwe», "»^ät "m- hm völligen Mangel eines Verständnisses für historische Ent wicklung. ' Parallel zu dieser staatspolitischen Dezentralisierung läuft die verwaltungspolitische, Wie ubsralls io auch bei uns. Der Ruf nach Selbstverwaltung ertönt immer mäch tiger. Bei der Verwirklichung dieser Forderung muß jedoch mit größter Vorsicht zu Werke gegangen werden. In der Selbstverwaltung liegt eine Betätigung des Individuums, eine Persönlichere Gestaltung der Verwaltung durch die Verwalteten selbst, im Gegensatz wirea,italischen, rein sachlichen, persönlich uninterel''ierkpn Rermoltu >a. Nur leicht kann hier das Persönlichkeitsgefühl ausarten. Wir haben dies im System der Zentralen erlebt, die als eine Organisation der geschäftlich Interessierten gedacht waren. Eigennutz und Gewinnsucht der in den Zentralen Führen den verdränaten alsbald den Grundgedanken der Gemein nützigkeit, dieses System der wirtschaftlichen Selbstverwal tung entartete. ' " Ebenso hat ein anderes System der Selbstverwaltung abgehaust: die Arbeiterräte. Auch hier war der reine, nicht durch politische Leidenschaften getrübte Grundgedanke der, daß die einzelnen, Gesellschastsschichten ihre Angelegenheiten, soweit sie in den Wirkungskreis gerichtlicher oder politischer oder wirtschaftspolitischer Verwaltungsorgane fielen, selbst mitverwalten sollten. Der Klassenimperialismus der Ar beiterräte hat aber die Auswirkung dieses Persönlichkeits prinzips in sein Gegenteil, in Drangsalierung und Be drückung verkehrt. > Es ist interessant, zu beobachten, wie aus diesem Em pordrängen des Persönlichkeitsprinzips sich in der Arbeiter- bewegung ein Gegensatz zwischen den Gewerkschafteil und den Arbeiterräten aufgetan hat. Die Gewerkschaften waren große Organisationen für die Durchsetzung besserer Arbcits- bedingunae«. für die vusbilduna von KollekOvvertrögen; der einfache Mann, die einzelne Persönlichkeit blieb unbetei ligt. Aehnlich im politischen Leben, wo im allgemeinen Wahlrecht, in den parlamentarischen Einrichtungen, in den Befugnissen der Parteiinstanzen die Persönlichkeit ebenfalls so gut wie hinweggewischt war. Die Reaktion hiergegen bildet nun auf wirtschaftlichem, wie auf politischem Gebiete der Drang nach Selbstverwaltung und S-lbstregierung^ Man will sein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Eine besondere Tragik hat es gewollt, daß die Völker Mittel europas durch die Kriegsniederlage in ihrem Scharfblick ge trübt, das russische System der Arbeiterräte als Mittel vieler P tön ule iSre kti >11 üa ui >0 , u as >ü die erste Mission einer vernünftigen Politik sein, durch eine verständnisvolle Dezentralisierung von Verfassung und Verwaltung und insbesondere durch eine Verankerung des berufsständischen Prinzips in der Konstitution den vorhin erwähnten verhängnisvollen Fehler wieder gutzumachen. Auch auf dem Gebiete der Wirtschaftskonstruktion gehen wir zweifelsohne einer Dezentralisierung entgegen. Es mag sein, daß die Sozialisierung großer Betriebszweige, bei denen die Persönlichkeit als Wntschaftsfaktor bereits ausge schaltet ist, gelingen wird. Soviel aber kann man als sicher auneyM''". oa» tu stlwt vo w >" «--»ckaniun zuge geben, daß die Mehrzahl der sozialisierten Betriebe, nament lich derj.-iiigen in Ke» ^-Kißstävteii. unrenmble' arbeiten wird, als ihre kapitalistischen Vorgänger. Wir dürfen auch nicht übersehen, daß der durch die Sozialisierung von Groß betrieben nun unterstandslos gewordene Kreis von Unter nehmern mit aller Macht auf neue Wirtschaftsgebiete werfen und diese möglichst bald konkurrenzfähig machen >wrd. Wir treten in kiu Zeitalter der Kleiniudustrie ein. d'-<m Sitz, je mehr sich die Lebensverhältnisse in den Großstädten, na- mentlich in Wien, verschlechtern, die Provinz sein wird. Kleinkapitalismus und Provinzialismus werden Richt punkte unserer Wirtschaftsentwicklung in der nächsten Zeit sein; die Entwicklung zum Grotzdimcnsionellen hat sich mit der Sozialisierung überspannt und gerade die Sozialisie rung selbst ist es, die auch auf dem Wirtschaftsgebiete dem ! Individualismus neue Bahnen schafft, denn es ist nicht zu überlebe» ti.-w gerade dr> U'ä „ ch Lokalisierung ein Aus druck des Willens der Persönlichkeit ist, die nicht mehr Objekt, sondern Subjekt im Wirtschaftsprozeß sein will. Diese Entwicklung zur Dezentralisierung, zur Selbst verwaltung, zum Persönlichen in der Staatspolitik, in der Verwaltung, im Wirtschaftsleben ist eine unabänderliche; sich ihr aus Unverstand oder gar aus parteitaktischen Rück sichten eu'geaenstelleu zu wollen, wäre in Oesterreich u:» verantwortlich. Die Politik Zer Bolschewisten-Regierung Aus Stockholm wird uns folgendes geschrieben: Die neuesten bolschewistischen Gerüchte mW die Be richte von Gewährsmännern ergeben in gegenseitiger Er gänzung ein hochinteressante» Bild »an der mwerennm und mit immer neuen Täuschungsmanövern arbeitenden P o - litik der Sowjvt-Regierng, die zurzeit offenbar ihr diplomatisches Meisterstück liefern will. Bluffs und Drohungen sollen die eigentliche Zwangslage verdecken, Zu geständnisse und Versprechungen die Angriffslust der er müdeten Gegner lähmen. In diesem Sinne ist unter an derein die Rede bedeutsam, die Lenin soeben auf der all russischen Konferenz zur Ordnung der Landarbeiterfrage gehalten hat. Mit erstaunlicher Offenheit räumte er bei dieser Gelegenheit ein, daß die kommunistische Aufklärung der Bauern die größte Schwierigkeit bereite, da die Bauern mehr zum Kapitalismus als zum K 0 m m unis m u s neigen. Aber er gibt ihre Gewinnung nicht auf, vielmehr, fordere er mit Strenge, müsse die kom munistische Propaganda erneut einsetzen. Und drohend wandte er sich gegen die Bauern, die die Produkte nicht zu den von der Sowjetregierung normierte« Preisen aboeben wollten. Die Zeit des freien Handels sei ein für allemal vorbei: nach dieser Richtung würden absolut keine Konzes sionen gemacht werden. Dagegen räumte er ein anderes Zugeständnis ein: Die Sozialisten aus der Zeit des alten Regimes sollten, so erklärte Lenin, in den Dienst des Sowjet regimes eintreten, um die ra tionelle Bewirtschaftung des Landes zu ermöglichen. Die Notwendigkeit, die Produktion zu steigern, erfordere dies. Neben der wirtschaftlichen Friedensoffensive der Bol schewisten geht mindestens ebenso kühn und mit deni glei chen Ziele der Betörung die politische einher. DaS Regie rungsorgan, „Die Prawda", teilt mit, daß in Moskau eine Regierungsbildung bevorstehe, und Vertrerer der Menschiwiki in den Rat der Kommissare einsteten wer den Ferner erscheint in Moskau von nun ab wieder die sozialrevolutionäre Zeitung „Djelo Naraaa" iDie Sache des Volkes). Wie alle anderen, n'cht bolschewistischen Blätter war auch dieses seinerzeit unterdrückt worden. Der taktische Zweck der nunmehrigen Zulassung des „Djelo Naroda" scheint hauptsächlich darin zu bestehen, daß man auf diele Weile in Moskau Fäden selbst zu den Kosaken- zu spinnen vestucbt. Verschiedene Artikel I :s „^jelo Naroda" deuten darauf hin, um damit ein-m Riß n die getreueste Anhänger- chaft Denikins zu bringen. Daß übrigens nicht die ge samte Partei der Bolschewist:.» di? Evok-tloueu ihrer Füh- rcr mitmache:: will, geht dIrans hervor, daß die bolschr« wistische Preise den neuen Ei. ia" von fremder Farbe Zornig angreift, indem sie den „Dielo Naroda" sofort de nunziert, daß er die Jiueressen der Bourgeoisie vertrer Und man weiß nicht >e»c>u. ist diisteS nun Mangel an Disz plin gegenüber den Sowjetdiktotorrn oder etwa höchstes Raffinement der Taktik, um das „konzessionierte" Aussteter» der Sozialrevolutionäre in Moskau möglichst echt erscheinen zu lassen? Prag als Zentrum der mitteleuropäischen Luftlinien Prag, 16. Dezember 1919 Die Pläne der englischen Lnftgesellfchaften zur Ueber- spannung der Welt mit ihren Luftnetzen haben in Prag einen Widerhall gefunden. Nach der „Bohemia" sind be reits? endgültige Verträge und Entwürfe für die Linien festgesetzt, und in wenigen Monaten hofft man, einen aus gedehnten Verkehr mit Prag als Zentrum von Mitteleuropa zu beginnen. Tie A i r c o - G e s e l I s chaft in London, die definitive Konzessionen in Belgien, Italien und Polen erworben, auch in Deutschland Verträge abgeschlossen hat, ist mit der Tschechoslowakei und Oesterreich vorläufige Ver träge eingegangen. Zunächst soll bei dem in den kommen den Monaten zu eröffnenden Verkehr nur Post befördert werden, wobei an Briefen und Paketen 750 Cbs. mitgeführk werden. Spater soll auch der Passagierverkehr ausgenom men weiden. Ter Aircokonzern gründet mit Tschechen eine Gesellschaft, die in Prag ihr Zentrum hat. Zwei Drittel dn- Aktien sollen ln 1s-1i>'cs»schen, ein tristst in enalisctze« Händen sein. In der Nähe von Prag soll sofort eine große Fabrik erstehen, in welcher Airco-Maschinen gebaut werden. Das Material für die Konstruktion von Aerovlanen, ebenso Benzin, kommen aus England. Die Mehrzahl der Piloten werden Engländer sein. Tie Portosätze sind bereits- festgesetzt. Für Briese von Prag nach Wien z. B. 1,50'Kro nen, für Zeitungen in direkter Verbindung nach den grö ßeren Städten 0,50 Kronen. An nördlichen Linien sollen vier große errichtet werden: Hamburg—Berlin — Dres den— Prag; Paris—Köln — Leipzig — Prag; Prag— Krakau—Warschau; Prag—Brünn—Preßburg—Kaschau. Von Prag sollen auch die großen Luftlinien nach Wien, Budapest, Belgrad, Sofia, Konstantinopel führen, wo di« cstoße London,—Paris—Lyon—Nizza—Genna—Nom—Sa lonikilinie ebenfalls enden wird. Das Zentrum als Kulturpartei Bei dem demokratischen Parteitage in Leipzig hielt der llnterstaatssekretär Troeltsch, der selbst der demokrati schen Partei angehört, einen Vortrag über die Kulturfragen und das Kulturprogramm der Demokraten. Troeltsch machte den im Grunde aussichtslosen Versuch,, ein solches „Kulturvroaromm" inr die demokr»tiickie Vartü zu kon struieren. Er sah sich deshalb auch den stärksten Widerstän den gegenüber. Es ist eben unmöglich, die Demokraten, die schon Politisch und wirtschaftlich ohne einheitliche Richt linien sind, und in den entscheidenden Fragen außerordet- lich differieren, ancki noch auf eine einheitliche kulturpoli- tische Linie festlegen zu wollen. Ein derartiger Versuch muß an der Kulturlosigkeit der ganzen demokratischen Rich tung scheitern. Immerhin war es bemerkenswert, wie Pro fessor Troeltsch feine Aufgabe löste. Er nahm dabei auch Gelegenheit, gerade auf das Zentrum als das Vor bild einer w i r k l i cben K u l t» rp a r te i hinzu weisen. Die bezüglichen Worte eines Demokraten verdie nen besonders festgehalten zu werden: Troeltsch sagte unter anderem: „Der konfessionelle Gegensatz wird bleiben und dem Zentrum wachsende Macht verleihen. Dabei »vollen wir nicht verkennen, daß das Zentrum eine wirkliche K u l tu rp a r t e i ift u n d R a u m hat, auch für eine hochentwickelte Geistigkeit. Das alte katholische Süddeutschland, mit seiner Barockkultiir, seiner Liebenswürdigkeit, seiner menschlichen und künstlerischen Begabung gibt der Nation unendlich viel." Die Beschäftigung Schwerbeschädigter Der Nationalversammlung ist von: Reichsarbeits- minister ein Gesetz über die Beschäftigung Schwer beschädigter zugegangen. Danach ist jeder Arbeitgeber, der einen Arbeitsplatz zu besetzen hat, verpflichtet, einen Schwerbeschädigten, der stir diesen Arbeitsplatz in gleichem Maße geeignet ist, anderen Bewerbern vorzuziehen. Als Arbeitgeber im Sinne dieses Gesetzes gelten auch alle Körperschaften des öffentlichen Rechts, und als Arbeitsplätze gelten auch die Beamtenstellen. Als „Schiverbeschädigte"