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kiuzel-Äc. 10 ^ Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit Juserat» wrrden die «gespaltene Petltzeilc oder deren Raum mit 18 4. Reklamen mir 80 4 die Zeile berechnet, bei Wiederholmigea entlprechenden Rabatt, Vachdruckerei, Redaktion aad Veschäfttftelle: LreSdea, Pillaitzer Strafte 48. — Aeriisprcchcr IStUI Jür Riickgade aaverlaag». Schriftstücke keiar Verbtadlichkei» Rcdaktion»-Sl>rechstunde: 11 bis IS Uhr, brkrisckenä und labend! vreclo-Lis-vi-ops > , plunll IS pk. kedinx L kockstroli, vresclell. düecleclsgon in sllen Ltsätteilen. Schwenkung der konservativen? Die Rede deS Neichstagspräsidsnten Grasen v. Schwerin hat in manchen katholischen kreise» die Frage hecvorgerufen. ob nunmehr die konservativen mich abschlvenken wollten in das ausgesprochen antikatholische Fahrwasser. In einer An zahl von Zentrunisblätter» ist sogar die Ansicht zuin Aus druck gekommen, als ob eine Schwenkung der konservativen sicher bevorstehe. Wir sind die letzten welche die Zeichen der Zeit nicht verstehen wollen und ein gesundes politisches Mischrauen sehen wir als die Voraussetzunsi eines jeden klugen Politikers a». Wir können aber dennoch nicht nn- nehmen, das; die konservativen den Spure» des Reichstags- präsidenten folge» lverden, Tenn das Ivürde siir sie selbst die Politik des Selbstmordes. Tie konservativen branchen heute eine starke Zentrumsfraktion in Preußen wi. in Reiche absolut notwendig. Wenn sie das Zentrum vor oen Kopf stoßen, so sind sie dergestalt isoliert, das; der Zu sammenbruch nnvermeidlich inäre. Tie konservativen waren immer kluge Politiker, das; sie mit dem Zentrum nur soweit gehen, als es ihren eigeneil Interessen entspricht, ist weder neu noch eigenartig; das Zentrum hält cs just ebenso. Man erinnere sich nur an die elsas;-lolhringische Verfassungs frage, an das Arbeitskainmergesetz nsw. Wir glauben also nicht, das; die konservativen so töricht sind, diejenige Par tei, mit der sie in vielen Fragen zusammengehcn können, vor den Kopf zu stos;en. Was sollen dann die Worte der Reichs tag s P r ä s i d e n d e n besagen? Graf Schwerin war im politischen Leben stets ein Einspänner, Wir könnten Dutzende von Fällen an- iiihren, wo er gegen seine Fraktion gestimmt hat. Es sei nur an seine ablehnende Haltung bei der Znwachsstener erinnert, Graf Schwerin hat liberales Blut in seinen Adern. Er sieht das als Familientradition an, die Brücke nach links nicht ab,;nbrechen. Er war einer der Hanptträger des Blockgedankens des- konservativen Fraktion, Er hat in der Frage der Stichwahltaktik seiner Partei eine von dieser abweichende Stellungnahme eingenommen. Er findet auch jetzt mit seinem kampfesrnf gegen das Zentrum kein Echo in den Reihen der konservativen, TaS ihn diese nicht offen desavouieren, mag Wahltaktik sein. Wer sich nämlich in kon servative» Kreisen nmhört, der weis; ganz genau zu er messen, welche Schwierigkeit der Partei deshalb gemacht werden, weil sie in viele» Fragen mit dem Zentrum geht. Die Zuschriften, die ans manchen Pastorenkreisen kommen, sprechen Bände darüber. Es kommt in diesen ein Mas; von politischer Rückständigkeit und konfessionellen Vorurteils zum Ausdruck, wie man es in katholischen kreise» kaum für möglich hält, Tie Führer der konservativen und ihre Presse müssen hier immer vermittelnd eingreisen. Wenn nun Graf Schwerin diesen Strömungen in einer nnge »ähnlich plumpe» Form Rechnung trug, so kann man das verstehen, ist aber für uns nur ein doppeltes Warnnngs- signal, gar nicht in Vertrauensseligkeit zu verfalle». Aber überrascht und erstaunt sind wir ob solcher Kundgebungen gar nicht, im Gegenteil, es würde uns vielmehr auffallend erscheinen, wenn Graf Schwerin der einzige weihe Rabe in seiner Parlei bleiben sollte. Was Graf Schwerin znm Ausdruck brachte, ist in libe ralen Kreisen noch weit mehr verbreitet als in konser vative», Ein ganzer Gedankeng.mg ist letzten Endes ans eine unbegrenzte Unkenntnis der gesamt.'» katholischen Anf- fassnngdweise znrückznführen. Diese Unkenntnis findet man ebenso in den Reihen der Wissenschaft, wie der Presse, bei Industriellen, wie bei Kanflenten, so das; mau sich wirk lich frage» mns;, ist es denn möglich, das; man neben einander im gleiche» Staate im Volke leben kann und sich doch so wenig versteht. Ein protestantischer Theologie- Professor von Marburg hat kürzlich diese Frage auch auf geworfen. und er gesteht nnnmwui'deu zu. das; eine nicht zu rechtfertigende Abschliehungspolitik gerade auf prote stantischer Seite berrsche. Man halte sich von allem ängst lich zurück, was vom Katholizismus stammt, katholische Bücher lese man nicht, katholische Zeitungen kenne man nicht und doch finde sich ein Aburteilen über alle katholische An- gelegenheitc». Das müsse anders werde» im Interesse des Deutschen Reiches. Der Marbnrger Professor hat recht, selbst über die Grnndansckia»»»geii des Katholizismus fin det man in audersgleichen Kreisen eine Auffassung, die ebenso viel Staune», wie Mitleid Hervorrufen mus;. Hier liegt eine der wichtigsten nationalen Aufgaben des katho lischen Volksteiles. Nachdem die Aufklärung und der Zu sammenschluß unter den Katholiken in einer fast muster gültigen Meise erfolgt ist und stets weiter erfolgt, muß nun daran gedacht werden, auch in den fernstehenden Kreisen eine solche Art von Propaganda zu entwickeln, daß man uns wenigstens versteht. Würde nicht die Riescnfrage von Vorurteilen und Unkenntnis vorhanden sein, so manche Frage des öffentlichen Lebens würde sich viel schneller lösen lassen. Für unsere katholischen Schriftsteller und Gelehrten tritt hier eine neue Aufgabe hervor. Sie sollten in be sonderen Werken und Schriften die Schönheiten des Ka tholizismus vom rein ästhetischen Standpunkte ans der modernen Welt mundgerecht machen, ohne daß dabei auch nur selbstverständlich die geringste Konzession an diese ge geben würde. Das prächtige Büchlein des Rottenburger Bischofs „Mehr Freude" kann als Vorbild für solche Ar beiten dienen. Es mus; der Oeffentlichkeit erst das Abc des Katholizismus wieder beigebracht werden. Tann wer den wir uns verstehen lernen, dann ist eine Basis für ein erfolgreiches Zusammenarbeiten aller gutgesinnten Ele mente vorhanden. Tas ist eine wahrhaft vaterländische Arbeit, die den Beifall des deutschen Katholizismus hat, und die er erfüllen muß. Politische Rundschau. Dresden, den 3. Ju'i tvl l. — Der Kaiser hielt am Sonntag vormittag Gottes dienst an Bord der Hohenzollern ab und begab sich später an Bord der Jacht Hamburg, um auf dieser an der Wett fahrt des Norddeutschen Negattavereins und des Lübecker Jachtklubs in der Lübecker Bucht teilzunehmen. Von 11 Uhr 35 Minuten ab starteten bei günstigem Wetter und Wmd über 20 Jachten. Zahlreiche Dampfer begleiteten die Regatta. — Her Kronprinz und die Kronprinzessin sind gestern abend, von den Klönungsseierlichkeiten in England kommend, im Marmorpalais zu Potsdam wieder cingcti osten. — Entsendung eine» deutschen Kriegsschiffes nach Marokko. Wie die Norddeutsche Allgemeine Z itung meldet, haben die im Süden Marokkos interessierten deutschen Firmen die kaiserliche Regierung unter Hinweis auk die Gefahren, die angesichts der Möglichkeit des Uebergreiiens der in anderen Teilen Marokkos herrschende» Unruhen den dortigen gewichtigen deutschen Interessen drohen, uni Maß regeln zur Sicherung von Leben und Eigentum der Deutschen und deutsche» Schutzgenossen in jenen Gegenden gebeten. Die kaiserliche Regierung hat zu diesem Zwecke zunächst die Entsendung von S, M. S. „Panther", das sich in der Nähe befand, nach dun Hasen von Agadir beschlossen und dies den Mächten angezei-t. Den in jener Gegend maß gebenden Marokkaner» rs> gleichzeitig mitgeteilt worden, daß mit dem Erscheinen d>« deutschen Kiiegsichiffs in dem Hafen keinerlei unfreundliche Absicht gegen Marokko oder seine Bewohner verbünde! ist. — Mons. Wiirth, p östlicher Gehcimkämmeier, hatte sich vor dem Kriegsgericht der 10. Division in Trier wegen Fahnenflucht zu verantwort». Er hatte sich vor 2-1 I ihren dem Militärdienste ci > ogc» und sich nunmehr freiwillig gestellt. Er winde zur Miniwalstrafe von 0 Monaten Gefängnis verurteilt. Laisierung dcs protestantische» Kirchkiiregiincius. Tie Regierung von Kovnrg-Gotha hat eine Kirck>eiwer- fassmig erlasse», laut derer im Landeskirchenrat neben einem Vertreter der Hofgemeinde und zwölf Laien nur sechs Geistliche Sitz »nd Stimme haben. Damit hat die liberale Richtung im kirchenregiment ohne weiteres das ilebergcivicht. Dir orthodoxe Geistlichkeit Schleswig Holsteins, a» ihrer Spitze Pastor Panlsen-Kropp, eröffnet jetzt eine» Feldzug gegen Professor Bannigarten (kiel), den Führer der kirchlich Liberalen »nd Verteidiger Iathos. Schon 1902 beantragten 1!>3 orthodoxe Geistliche dieser Provinz beim »nltusniinister erfolglos die Amtsentsetznng Banin- gartens. Ter Minister erklärte ihnen damals, es fehle an jeder gesetzlichen Handhabe für die Entfernung Bainn- gartens ans seinem akademischen Lehramt. Jetzt geht der vv» Pastor Panlsen geleitete kropver kirchliche Anzeiger mit dem gröbsten Geschütz gegen den hervorragende» Theo logen vor. Professor Vanmgarten hat, sagt wörtlich das orthodoxe Organ, vo» kiel ans den heilige» Krieg gegen das Ehristentnni proklamiert, wie die Mohaniniedaner ihn schon bei Beginn der kreuzziige führte». Tanials sind die Ungläubigen durch alle Lande gezogen, brennend und ver heerend. Jetzt heißt der Sulla» der Ungläubige» nicht Saladin. sonder» Baningarten. Es ist traurig, daß der Staat die Mittel dazu hergibt, »in die Kirche, die ihn selbst groß gemacht hat, zu zertrümmern. Schlimm ist es. daß so viele junge Leute in Kiel ihren Glauben einlmßen müssen. Es sollte wirklich etwas geschehen, damit die Kirche sich derer erwehren kann, die unter so ungläubiger Leitung ansgcbildet werde», um dem Teufel Beistand zu leisten im Kampfe gegen das Christentum. — Bom Bruch der Geschäftsordnung im preußischen Abgeordnetenhause sprechen liberale Blätter, weil der Präsident die Tagesordnung für die am selben Mittwoch stattfindenden Sitzungen nicht den Mitgliedern in die Wohnungei« zugestellt habe. Präsident v. Kröcher wollte damit nur einem Brauche, der seit Jahren unbeanstandet im Reichstage besieht, Rechnung tragen. Wenn der Reichs tag beschlußunfähig wird, dann setzt der Präsident die Tagesordnung für die neue Sitzung auf eine Viertelstunde später an. Auf diese Tagesordnung sind schon wiederholt Gegenstände gekommen, die auf der alten Tagesordnung nicht standen. In der Regel werden solche Gegenstände weggelassen, die zur Feststellung der Beschlußunsähigkeit geführt haben. Es ist noch keinem einzigen Reichstags- abgeordneten eingefallen, gegen diese praktische Handhabung in der Geschäftsordnung Protest zu erheben. Die Vor schrift in der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses lautet aber ebenso, wie die des Reichstags, lind wenn Herr Kröcher so verfährt, wie es im Reichstage üblich ist. so kann man doch nicht sagen, daß dadurch die Geschäftsordnung verletzt worden sei. — Eine« glänzenden Erfolg de« SchatzsekrrtärS Wermuth bezeichneteAbgeordneterErzbergerdenAbschlußdeSRechnungS. jahres 1910. 100 Millionen Mark Mehreinnahmen und rund 18 Millionen Mark weniger Ausgaben sind ein Ereignis im Reiche, das seit 1870 einzig dasteht und das namentlich im Jahre 1909 kein Mensch im voraus zu sagen wagte. Gegenüber diesen Zahlen, kann kein Nörgeln und Kritisieren an der Reichsfinanzreform standhalten. Der Fehlbetrag im Jahre 1909 in Höhe von 240 Millionen Mark, der bis 31. März 1914 beseitigt sein sollte, ist heute schon restlos abgetan, ja eS steht noch ein Ueberschuß von 57 Millionen Mark zur Verfügung, der im laufenden Etats- jahre 19ll zur Herabsetzung der Anleihe verwendet werden wird. Da der Anleihebetrag noch 97 Millionen Mark beträgt, wovon diese 57 Millionen Mark abgehcn, so schmilzt er damit auf 40 Millionen Mark zusammen. 35 Millionen Mark hiervon aber werden für Zwecke der Reichspost und Reichseisenbahnen ausgegeben, so daß 1911 nur noch fünf Millionen Mark für wirkliche Schulden notwendig sind. Die beiden Einnahmen in den ersten Monaten d. I. haben sich so günstig entwickelt, daß man damit rechnen darf, daß auch dieser kleine Rest durch Ueberschüsse aufgebracht wird. Damit ist im Jahre 191t ein Zustand erreicht worden, den man erst für 1914 in Aussicht nahm. — Die Jathospende hat die Summe von 70000 Mark überschritten, man rechnet in den Kreisen des Protestanten- Vereins damit, daß mindestens eine Viertelmillion zusammen- kommen wird, fodaß die Zukunft des abgesetzten Predigers absolut gesichert sei. — Eine deutliche Absage au dru ReichSkauzler hat der konservative Abg. Dr. Hahn auf einer Versammlung zu Hildesheim vollzogen. Er führte dabei u. a. aus: „Bethmann Hollweg hat sich in den zwei Jahren seiner Kanzlerschaft nicht als Führer des deutschen Volkes erwiesen. Es scheint so, als ob er eine gewisse Sorge habe, daß man nicht daran glauben möge, er sei in Abhängigkeit des schwarz-blauen Blocks, der gar nicht existiert. Nur so kann ich es erklären, daß er bisher nur wenige Worte der Verteidigung für die ReichSfinanz- reforin gefunden hat. Was wird nun der Reichskanzler in Zukunft tun? Ich sehe nicht recht, ob er Führer- Werden wird. Wenn die Parteien, die im Sinne Bis marcks nationale Wirtschaftspolitik treiben, fest bleiben, dann glaube ich. wird er mit uns gehen, ohne daß wir dann so lieblos sein wollen zu behaupten, daß wir ihn geführt haben." Dr. Hahn erklärte dabei ausdrücklich, daß er sich sehr milde ausgesprochen habe und darin hat er recht. Vethmann Hollweg scheint unter allen Umständen das Resultat der nächsten Wahl nbwarten zu wollen, in der Zwischenzeit tut seine Regierung aber alles, um einen liberalen Wahl sieg vorzubereiten. Die Konservative» in ihrer Gesamtheit treten mit Recht dem Reichskanzler in den Weg. — Der Abmarsch der Schwerindustrie an« dem Hansa< bund vollzieht sich in geschlossenen Kolonnen. Herr Roettger trug nur die Fahne voran. Die Niederrheinisch-westfälische Bczirkßgruppe des HansabundeS hat nunmehr unter Führung des bekannten Geheimrates Kirdorf ihren Austritt aus dem Hansabund erklärt. Sie will nicht gegen den Hansabund arbeiten, aber auch nicht mit ihm. Nahezu alle leitenden Männer der Schwerindustrie haben dem Beschlüsse zuge- stiinmt. sie motivierten denselben damit, daß der vom Hansabnnd proklamierte Kamps gegen rechts ihrer politischen Auffassung nicht entspreche und daß sie sich namentlich tm Kampfe gegen die Sozialdemokratie absolut freie Hand behalten müßten. Es ist sicher zu erwarten, daß auf der in nächster Woche stottfindenden Generalversammlung deS Verbandes Deutscher Industrieller gleichfalls der Austritt beschlossen werden wird. Aber auch in leitenden Berliner Bankkreisen legt man sich die Frage vor. ob man Herrn Rießer noch länger unterstützen soll. — Profefforruduelle scheinen nun modern zu werden. Kaum ist cs in Berlin gelungen, die SchießaffSre des Professors Bernhard aus der Welt zu schaffen, als eben jetzt aus Heidelberg die Meldung kommt, daß ein d«rtiger Professor zwei seiner Kollegen gefordert habe, weit er in beruflichen Angelegenheiten Differenzen mit denselben hatte. Diese neue Methode, wissenschaftlich« Streitpunkte durch Pistole und Säbel auszutragen, beweist ausS neue, daff ein Eingreifen der Regierung in die Profefforenrepubltken unaufschiebbar wird.