Volltext Seite (XML)
MGscheUolksMng Unabhängig»» Lageblatt für Wahrheit, Recht «ab Freiheit «tt n»t-»tz»lt>«»^b«rla^ »nr-u Nr. 243 Geschäftsstelle und Redartton Dresden.A. L«, Holbeinstraße 4S Donnerstag den 22. Oktober 1914 Fernsprecher 21366 1^. Der Dank des Königs au die Truppen And abermals: Vertrauen! Von Gustav Adolf Erdmann Bei Beginn der kriegerischen Aktion im Westen stürm ten unsere Truppen unaufhaltsam von Sieg zu Sieg; ein Taumel der Siegesbegeisternng erfaßte unser ganzes Volk und ließ die Ueberzeugung groß werden, es müsse nun un bedingt so weiter gehen. Gleichzeitig stellte sich die gewöhn liche Begleiterscheinung dieses Jubels über unsere Erfolge ein: die Unterschätzung der feindlichen Kraft, der feindlichen Opferwilligkeit, die genau so wie die deutsche für die Zu kunft des Vaterlandes ringt. Man fühlte sich als die ein zige große, die unüberwindbare, alles in kurzem, gewal tigem Ansturm niederwerfende Nation und betrachtete jeden Mahner zur mäßigen Besonnenheit als einen schwäch, lichen Schwarzseher. Und dann kam der unausbleibliche Zeitpunkt, an dein unsere bis dahin im Fluge vorwürtsstürmenden Truppen auf den Kern des feindlichen Widerstandes stießen, als naturgemäß der tägliche Vormarsch stockte und rein taktische Gründe die Heeresleitung veranlaßten, gelegentlich auch zu- rückzugehen oder schon besetzte Gegenden wieder zu räumen. Hin und her wogt seit Wochen das Ringen; sehr langsam, aber sicher bessert sich von Tag zu Tag die Lage der deut schen Armeen, aber: „eine wirkliche Entscheidung ist noch nicht gefallen", meldet „ehrlich" das deutsche Hauptquartier. Wo ist in dieser Zeit des atemlosen Harrens die an fänglich restlos im ganzen deutschen Volke vorhandene stolze, freudige Zuversicht auf unsere Heeresleitung geblieben? Hatte die Zuversicht, das Vertrauen keine tiefere Grund- läge als lärmende Begeisterung? Schleicht sich jetzt schon Zweifel, ja manchmal sogar Kleinmut durch breite Volks schichten, nur, weil lange und schwer gekämpft werden muß, um einen tapferen und starken Feind niederzuringen? O Ihr Kleinmütigen! Wo stehen die feindlichen Heere? Zum Teil tief in ihrem eigenen Lande, fast nirgends aber mehr auf deutschem Boden. Wo stehen die Deutschen? Mitten in Feindesland. Genügt Euch das nicht? Das deutsche Große Hauptqirartier hat bewiesen, daß es auch Schlappen auf unserer Seite, die bei einem solchen Niesen- kampfe nicht ausbleiben können, nicht verschweigt. Mer es darf nicht geschwätzig sein; in diesem Existenzkampf kann jedes Wort zuviel, das man dem allerdings begreiflichen Wissensdurst des Volkes opfert, unendlichen Schaden ver ursachen, jede Geschwätzigkeit in viele deutschen Familien tiefe Trauer tragen. Will die Menge für die Befriedigung ihrer Wißbegier diesen unerhörten Preis zahlen? Aber da schreitet eine böse Fee durch das mißtrauisch gewordene Volk: das Gerücht. Die Bierbank ist für das Gerücht ein besonders günstiges Feld. Da wird von völliger Erschöpfung und mangelhafter Verpflegung der Soldaten geschwätzt und die besonders Gescheiten üben an nnscrn Heerführern Kritik oder erzählen allerhand völlig frei erfundene Geschichten über diese Männer, deren hohe militärische Fähigkeiten nnserm Volke noch manchen un schätzbaren Dienst erweisen werden. Nun, daß unsere Trup pen nicht erschöpft sind, bezeugen sogar unsere Feinde täg lich mehr und mehr, und verhungert ist auch noch nie ein deutscher Soldat in deutscher Verpflegung, und wird es auch nicht. Besonders aber sollten es sich die Strategen am Biertisch, unter denen sich leider auch manche frühere Mili tärs befinden, überlegen, welchen ungeheueren Schaden sie mit so leichtsinnig hingeworfenen Gerüchten und Kritiken anrichten. Statt all den wüsten Erzählungen das Ohr zu leihen, sollte das deutsche Volk einmal den herzhaften Entschluß fassen, mit all diesem. Nachtspuk gründlich aufzuräumen. Es darf noch immer aus voller Brust singen: „Lieb' Vaterland magst ruhig sein!" Armeebefehl des Königs Das Kricgsministerium veröffentlicht in der Sachs. Staatsztg. au hervorragender Stelle folgende Bekannt machung: Seine Majestät der König haben folgenden Armee befehl erlassen: Im Augenblicke, wo Ich auf bem westlichen Kriegsschauplätze eintreffe, drängt cs Mich, allen Truppen Meiner Armee, die in den letzten Monaten an den mit Gottes Hilfe so erfolgreichen Kämpfen der deutschen Armee ruhmreichen Anteil genommen haben, Meine vollste Anerkennung und Meinen wärmsten Königlichen Dank auszusprechen. Nicht achtend der schweren Verluste, haben Sie getreu der Ueberlieferung unserer Bor fahren, zum Teil in denselben Gegenden wie18VV/71, neue unverwelkliche Lorbeeren erworben. Die ver änderte Kampfweise, verbunden mit großen Ver besserungen der Waffen, haben die Truppen aller Waffen, besonders die Infanterie, vor ganz neue Lagen gebracht. Aber dessen ungeachtet haben Sic alle im festen Vertrauen auf den Schutz Gottes, des allmächtigen Lenkers aller menschlichen ^csckM»' ans unsere gerechte Sache m freudiger Begeistern g Ihre Pflicht voll und ganz erfüllt. Das Jahr wird für alle Zeiten ein helleuchtendes Blatt in der Geschichte Meiner Armee bleiben. Der Nebe Gott wird uns auch weiterhin schützen und uns helfen, unsere schwere Aufgabe zu vollenden. Friedrich Aug« st. Siegreiche Kämpfe an der belgischen Küste Großes -Hauptquartier, 31. Oktober, mittags. (Amtlich. W. T. B.) Am Yser-Kanal stehe» unsere Truppen noch in heftigem Kampfe. Der Feind, unterstützte seine Artillerie vom Meere nordwestlich von Nicuport aus. Ein englisches Torpedo boot wurde dabei von unserer Artillerie kampf unfähig gemacht. Die Kämpfe westlich Lille dauern an. Unsere Truppen gingen auch dort znr Offensive über und warfen den Feind an mehreren Stellen zurück. Es wurden etwa Ätttttt Engländer zu Gefange nen gemacht und mehrere Maschinengewehre er- ! beutet. Auf dem östlichen Kriegsschauplätze ist keine Entscheidung gefallen- ! Tie Gefahren der Feldpost Berlin, 21. Oktober. Auf einer Straße, die cm sich nicht als gefährlich gilt, ist westlich von Metz ein Postanto- mobil mit seiner Bemmriinng spurlos verschwnn- d e n. Wahrscheinlich ist es mit der ganzen Bedeckung einem Franktirenrüberfall zum Opfer gefallen. Etwa 20 Mit glieder der Feldpost sind bereits mit dem Eisernen Kreuze ausgezeichnet worden. Tie Japaner räubern weiter Amtlich wird ans Tokio gemeldet, daß japanische Trnp- pen außer den Marschall-Jnseln auch die Karolinen- und Marianen-Jnseln besetzt haben. Nachrichten aus Südafrika zufolge fingen die Briten eine drahtlose Depesche ans Windhuk auf, die die Gefangennahme von 6 englischen Offizieren und 58 Soldaten meldete. Ungar» von den Russen gesäubert Bnda P e st, 2l. Oktober. Das Abenteuer des russi schen Einfalls nach Ungar» ist gestern früh endgültig be endet worden. Die letzten Neste der russischen Einbrnchs- An der Aisne, der Mtte der deutschen Schlachtfront Nachdruck nicht gestattet. Seit stark fünf Wochen stehen sich an der AiSne und bei Reims ungeheure Streitkräste gegenüber und führen einen FestungSkrieg im offenen Gelände, schlagen eine Riesenschlacht von einer Ausdehnung, einer Dauer, die die gewaltigen mehrwöchentlichen Schlachten zwischen Russen und Japanern weit Übeltreffen. In der Mandschurei setzten unsere undankbaren gelben Schüler unsere Theorie vom Kriege der heutigen Zeit zum ersten Male in die Praxis um. General Kurokt sicherte sich die Verbindungslinie bei dem Vorrücken zum Tschacho sowohl für die Zufuhr von Proviant und Munition, als auch als eine Rückzugslinie, die verteidigt werden konnte. Wir hatten trotz unseres unglaublich schnellen Vor marsches bis zum Schießplatz der Pariser Artillerie, bis zwischen die Forts von Paris es keineswegs unterlassen, unsere Verbindungslinie zu sichern und so stark zu befestigen, daß wir nach unserm strategischen Rückzuge von der Marne uns in uneinnehmbare Verschanzungen begaben, die oft und vergeblich von den Verbündeten bekannt worden sind. Die Zwischenräume zwischen den großen Schlachten sind begreiflicherweise länger geworden al» die im japanisch, russischen Kriege, wo man sie in Europa als Zeitvergeudung tadelte. Daher sind auch unsere Geschühaufstellungen und Feld befestigungen au» Erde und sehr festen Stahlplatten so stark geworden. Besonders in dem Zentrum, von Soisson» an der Aisne bi» Reim», ist da» hügelige Gelände recht geschickt von uns ausgenutzt worden. Die abschießenden Hänge der Hügel zum Flußtale sind mit Schützengräben durchzogen, die von den feindlichen oft bloß einige hundert Meter entfernt sind. . Auf dem oberen Abschnitt sind die Deutschen, auf dem untersten Teile die Verbündeten. Hinter den Hügeln stehen die Geschütze. Die Mannschaften leben seit Wochen in den Gräben, die untereinander verbunden sind wie die Straßen einer unterirdischen Stadt. Die Unterstände sind Höhlen, mehr oder weniger sorgsam auSgestattet. Unseren Stellungen kommen auch die Steinbrüche der Gegend dort zu statten. Die Brüche gehen vom Nordrande des Complogner Walde» östlich weiter. Der harte weiße Stein wird in tüchtigen Blöcken geschnitten und weiter befördert. In den so entstandenen Galerien sind uns natürliche Befestigungen entstanden, die die Feinde so fürchten, daß sie davon in ihren Blättern viel Reden» machen. Diese GesteinSmassen können nur unter ein indirektes Feuer ge- stellt werden und ihnen so wenig Schaden zufügen. Wir werfen einen letzten Blick noch auf die alte Königs- stadt SoissonS und die herrliche gotische Kathedrale mit den helmlosen Türmen, gehen über die anmutige Aisne, kommen höher und sehen zur Linken offenes Land, mit Hügelwellen durchzogen. Diese reichen westwärts bis zur Oise, in die die AtSne fließt. Gehöfte und Dörfer liegen auf ihnen verstreut. Hinter einem Tunnel der Bahnlinie öffnet sich link» ein besonder» schöner Blick. In Anizy - le - CHL'.eau fließt die Lethe, die aus der Gegend von Laon kommt und zur Oise geht. Ihr Tal ist ausnahmsweise sumpfig, entbehrt aber nicht der landschaft lichen Reize. Zwei Kilometer von dem Bahnhof erhebt sich ein ent- zückendes Schloß, ein Bau aus dem 18. Jahrhundert. Zur Oise führt auch eine Bahnstrecke von unserer Station über Concß nach Chauny. Der Kanal, dem die Bahn anfänglich folgt, dient zur Trockenlegung de» morastigen Bodens hier. Diese Settenstrecke führt zu hochberühmten Ruinen, durch die einst mit Hellem Klang die Zeitgeschichte gezogen. Ich erinnere bloß an die alte Abtei der Prämonstratenser. Diese Gründung des heiligen Norbert aus dem 12. Jahrhundert ist das Mutterhaus jenes für die mittelalterliche Geschichte hochbedeutsamen Ordens. Heute werden die Gebäude, die noch stehen — sie stammen von vor 200 Jahren —, als Irrenanstalt verwendet. Wer die Trümmer der Burg von Concy einmal ge sehen, versteht die Berechtigung des stolzen Wortes, das die ehemaligen Herren von Couch, die von Enguerrand, geprägt: Roi no 8U^3, no pririoo, no lluo, no oomto iwss^, jo 8U^3 Io siro cko Oono^. Nicht König. Fürst. Herzog, noch Graf ich bin, Von Concy allein der Herr ich bin! Die Maßverhältnisse dieser Bauten aus dem 13. Jahr- hundert sind derart gewaltig, daß man meint, hier müßten Riesen gewohnt haben. Ein unterirdiicher Gang allein ging bi« zum Burgfelsen von Laon, 28 Kilometer weit. 7 Meter dick sind die Mauern. In der Mitte der von vier massigen Ecktürmen ge schützten Außenmauern. die ein unregelmäßiges Trapez ein- schließen, ragt der Bergfried auf. 61 Meter hoch und 31 Meter im Durchmesser. Die Aussicht von seiner Höhe er- streckt sich über mehr als 160, heute heißumstrittener Kilo- Meter bis Laon im Nordost, Noyon im Nordwesten und Compiözne, das am weitesten im Südwesten liegt. Laon, dem reizenden Felsennest, streben wir nun z». Wahrhaftig, la trouöe de l'Oise, da« Loch zur Oise, diesen Namen verdient der Ort. Mitten in einer weiten Ebene ragt an die 180 Meter ein einzelner Fesen auf. Er dehnt sich von Osten nach Westen au» und sendet südwärts pine schmale Nase au», die durch eine riesige Wanne aus Felsen gestein sich von der übrigen Stadt absondert. Die Häuser der an die 15 000 Seelen zählenden Stadt, der Hauptstadt de» Departements der Aisne, liegen ziemlich aneinander gedrängt auf dem Berge. Bloß am Bahnhof in der Riede- rung liegen einige Straßen. Steile Serpentinen schlängeln