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schästignng, welche weder besonderes Talent noch Anstrengung erheischte, teil- nehmen könnten. Als der Priester Abschied nahm, waren Herr MareskatS Finger schon eingewöhnt. Und von da ab richten sie keinen Angenblick, weder beim Unterrichten, noch bei der UnterhalNmg mit den Bindern. Aber trotz seines Kleines brachte er nicht mehr als ein ('Kos zn stände: die drei kleinen Mädchen verfertigten in ihrer sreien Zeit /zusammen ebensoviel, so das; Isa- bella nnd Bi'aria Angela täglich ans einen Franken Zuschuß zn ihrem Ver- dienst rechnen konnten. Ein Franken Es scheint so rvenig . . . . Ach. diejenigen, welche das beschick mit Glücksgütern gesegnet, können nicht begreifen, was rin Franken täglich bedeutet für die Notleidenden. Ponpee hatte es erfahren. Das liebenstvnrdige Mädchen vergas; nicht, das; es sich vorgenommen hatte, die Familie Nadin dem kanten ivieder znznführen. Gewisse VCenichen glauben, um Werke der Nächstenliebe zu üben, müsse man reich sein. Das ist ein Irrtum, den die Erfahrung täglich widerlegt. Liebesdien't üt nicht gleichbedeutend mit Geldgabe. ,g,nm man denn nicht, ohne begütert zn sein, seinem Nächsten Dienste leisten? Tie Armen geben hierin zumeist den Wohlhabenden das beste Beispiel, Jene wissen sich ein- znschränken, zn entbehren, um noch Aermrrr zn unterstützen, ja. sie scheuen nicht davor zurück, iveiln es not tut. zn betteln, Abiveismig nnd beschimpfende Verdächtigungen für den leidenden Mitmenschen zn ertragen. Ein gutes Wort, ein aufrichtiges Bedauern wirkt viel mehr, als ein unfreundlich gereichtes Almosen. Daher kam es auch, das; Maria Angela mit der Zeit gros'.en Einfluß ans Justine nnd Frau :>>adin gewann. Limine, die bis dahin sich faul nnd unbotmäßig gezeigt halte, sing an, regelmäßig zn arbeiten. Auch für sie Halle Vikar Preval seinen freund, den Blumenhändler, interessiert. 'Nach dem das junge Mädchen die notwendige Anleitung erhalten, konnte sie dieser Beschäftigung zn Hanse obliegen, oder vielmehr bei Ponpee, denn dort war sie den größten Teil des Tages zn finden. Hier hörte sie nur Gutes; sie nahm teil am NeligionSnnterricht nnd selbst am (hebet, aber alles ging so einfach nnd natürlich, ohne eine Spur von Mahnung oder Zwang. Frau Nadin, besänftigt durch die merkliche 'Besserung, vielleicht auch durch den Berdienst ihrer Tochter, hielt von nun an ganz unbewußt mehr ans Neinlich- keit nnd Trdnnng. bekümmerte sich auch ein wenig mehr nm ihre übrigen Sprößlinge. Nadin selbst fand somit weniger Grund znm Jähzorn: ans ihn konnte sich Ponpecs stille Wirksamkeit nicht weiter erstrecken, da er von früh bis spät außer dem Hanse war. Nadin war ein geschickter Arbeiter, weshalb sein Prinzipal bis jetzt ziemlich nachsüchtig gegen ihn gewesen, zumal er sich seiner Laster erst des Abends, nach vollendetem Tagewerk, hingab. Plötzlich fing er jedoch an. fchon des Nachmittags in die schenke zn gehen nnd sich dort stundenlang anfznhallen. Tie Folge davon war nicht nnr die Unzufriedenheit seines Brotherrn und die Schmälerung des LGmes, sondern auch der langsame Verlust seiner Geschicklichkeit, eine zitternde Hand, ein unsicheres Augenmaß. Als er mm gar eines Tages berauscht in der Werkstatt erschien nnd deshalb Vorwürfe erhielt, ließ er sich zu frechen Drohungen hinreitzen. Damit war die Geduld des Fabrikanten erschöpft, und Nadin wurde entlassen. Desselben Abends war er sinnlos betrunken, so sehr, daß er am folgenden Morgen nicht cmfstehen konnte. Maria-Angela. welche, vom Markte kommend, wo sie mit dem Almosen des Vikars ein Stückchen Fleisch gekauft hatte, bei der Nachbarin eintrat, sah den verkommenen Menschen in einem unbeschreiblichen Zustande auf dem Bette liegen. Er flößte ihr einen solchen Wiederwillen ein. daß sie znrück- schreckte nnd hastig fliehen wollte. Tie Ueberlegnng kam ihr jedoch noch zeitig ivieder. Sie hatte stets gewünscht, den Arbeiter einmal anzntreffen, nun die Gelegenheit sich bot. durfte sie dieselbe nicht vorübergehen lassen. Ihren Ekel verbergend, näherte sie sich dem Bette. „Sind Sie krank, Nadin?" fragte sie sanft. Der Trunkenbold betrachtete sie mit stierem Blick. Er bemerkte das Stück Fleisch, welches sie ans den Tisch gelegt hatte, und diese Wahrnehmung schien ihm nicht unangenehm. Wenigstens enthielt er sich des Schimpfwortes, das schon ans seinen Lippen schwebte. „Ja", antwortete er mit heiserer Stimme. „Kann ich denn etwas für Sie tun?" fuhr Maria-Angela mit gleicher Freundlichkeit fort. Unwillkürlich wurde der Trn ikenbold gerührt. „Ich habe nichts nötig als Nahe, mein Fräulein", erwiderte er höflich. Und er siel wieder in seinen bleiernen Schlaf. Die bitterste Not hielt nun Einkehr bei der Familie Nadin. Maria Angela besuchte die Nachbarin jeden Tag. nnd in Wahrheit wurde sie hier die Vorsehung. Mit Geschick wußte sie in die Unterhaltung manche Bemerkung eiaznflechten, welche znm Nachdenken zwang. Oft schwebte der Name Gottes ans ihren Lippen, sie pries den Allgütigen als den Ur sprung nnd den Eingeber alter edlen Gesinnungen nnd LiebeSwerke. Nach nnd nach gewann sie eine fördende Macht über diese verstockten Herzen, sie brachte es sogar dahin, daß man den Schwestern, diesen Engeln der Barm herzigkeit, Zutritt gestaltete. Damit war ein weiterer Schritt ans dem Wege der Besserung geschehen. Die glückliche Folge davon war der Entschluß NadinS, sich kirchlich trauen nnd seine Kinder taufen zn lassen. Maria Angela strahlte vor Freude. Es war aber auch eine seltene Feier, deren alle Teilnehmer sich noch lange erinnerten. Jeder hatte dazu beitragen wollen. Vikar Preval nnd die Schwestern klopften bei opferwilligen Bekannten nnd Freunden an, Isabella und Maria-Angela plünderten noch einmal ihre Garderobe, nm zn dem Feste beiznstenern. Die ganze Familie Nadin wurde neci gekleidet, nnd den jüngeren Gliedern derselben leuchtete der Stolz ans den Angen über eine solch ungewohnte Pracht. Herr Mareskat nnd seine Kinder hatten sich als Paten und Patinnen erboten. Die Tanfkapelle bot an diesen; Tage einen malerischen Anblick. Klein Peter, der hübsche Knabe mit den blauen Angen nnd den blonden Locken, gekleidet in ein Samtkostüm — letztes Merkmal vergangenen Reich tums — kniete ans dein ersten Platz. Trotz seines kindlichen Alters fühlte er sich durchdrungen von der Wichtigkeit seines Amtes nnd bewahrte eine