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Die Privatsache H Die sozialdemokratische „Dresdner Dolks- zeitung" tischt ihren Lesern wieder einmal das Märchen auf, daß den Sozialdemokraten die Religion Privatsache sei. Veranlassung dazu bietet ihr ein Artikel im Kirchenboten der evangelischen Versöhnungsgcmeinde von Dresden- Striesen. In diesem Artikel wird mit begrüßenswerter Entschiedenheit für die Erhaltung LeS Religionsunterrichts eingctreten. Das sozialdemokratische Blatt ist darüber merklich beunruhigt und erklärt, „daß nur die weltliche Schule die Einheitsschule werden kann". Warum das der Fall sein soll, wird nicht austinandergesetzt und bleibt das Geheimnis des Blattes, das man heute als das Organ des Herrn Exknltusministers Buch ansprechen kann. Sehr ner- vös heißt es dann dort: „Wenn es eilvn in Dresden gelingen sollte, die Hälfte der Bevölkerung für die konscssienege B»lkSsch»i!e modit zu »wchea, dnnn tonnen wir die allgemeine Volksschule, bei deren Dmch- sührung wir eben begriffe» sind, wieder cinsargen. Zugleich mns; aber immer und immer wieder betont werden, das; nicht !ktc!igiou°- feiud-ckaft uns z» dieser Äusisrdernng veranlagt. Das; c>ie Lteligion nicht zugrunde gebt, wenn man den Religionsunlerri.t.t ans der Schule verbannt, ist ^eine langst erwiesene Tatsache. (Vergleich- Frankreich und Amerua!) Wir können es aber nicht dulden, dag die durch ihre Eigenschaft als Staalskirche bevorzugte lutherische n»d kalholitche Ztirche diesen Borzug auenützt. tlui bas vom sozialen und pädagogischen Staiidpuukt geforderte Geöäude der Einheitsschule zu zerstöre»." Um eines vorweg zu nehmen: Es kann nicht unsere Aufgabe sein, die evangelische Kirche hier zu verteidigen, das heißt zu dem letzten Vorwimf Stellung zu nehmen. Es ist aber geradezu lächerlich, wenn das sozialistische Blatt hier behauptet, daß die katholische Kirche „als Staatskirche bevorzugt" worden sei. Die Katholiken in Deutschland haben von einer solchen Bevorzugung allerdings nicht das geringste gemerkt, von Sachsen ganz zu schweigen. Die Per- gleiche mit Frankreich und Amerika hinken völlig. Wenn das Blatt sich hier für Frankreich einsetzt, dann gibt es eben einen erneuten Beweis für die gleich vorher abgestrittene Religionsfeindlichkeit der Sozialdemokratie. Denn die Maßnahmen in Frankreich auf Beseitigung des Religion-. Unterrichtes waren Gewaltakte, die bis jetzt nur noch von den — Sozialisten in Sachsen übertrosfen worden sind. In Frankreich hat man nämlich wenigstens die Errichtung von Privatschulen gestattet, was bekanntlich in Sachsen nicht der Fall ist. Die Reichs-Verfassung hat ja nun hier und in anderen Dingen einen Riegel vorgeschoben. Aber auch Amerika sann nicht zum Vergleich herangezogen wer den. In Amerika liegen die Verhältnisse ganz anders wie -ei uns. Das ist schon in der Geschichte begründet. Darauf glauben allerdings die Sozialisten keine Rücksichten nehmen zn brauchen. Für manche dieser Leute geht die Gescki-ichte anscheinend erst mit den: 9. November 1918 an. Aber auch in Amerika haben die Konfessionen vollkommene Freiheit, und somit auch die Katholiken, ihre Kinder in konfessio nelle Schulen zu schicken, niemand versucht auch nur, sie in Staatsschulen mit sozialistischem Moralunterricht zu zwin- gen, wie das die sächsischen sozialdemokratischen Führer so sehnlichst wünschen. Warum aber bei uns die Einführung der auch von uns geforderten Einheitsschule auf konfessio- neller Grundlage nicht möglich sein soll, kann auch die „Dresdner Volkszeitnng" nicht verraten. Sie beschränkt sich vielmehr darauf, ihre Anhänger zum Kirchenaustritt zu bewegen. Sie behauptet dabei, wie gesagt, wieder, daß Re- ligion Privatsache fei, leistet sich aber gleich vorher den warmen Hinweis auf die Notwendigkeit des Eintritts in die freireligiösen Gemeinschaften und macht tüchtig Pro paganda für sie. Das ist natürlich das gute Recht der „Dresdner Volkszeitung". Wir meinen aber, wenn ihr und ihren Freunden wirklich Religion Prrvatsache wäre dum müßten sie sich doch konsequenterweise peinlichster Obft.fti- , vität befleißigen und dürften nicht für die freireligiösen Gemeinden und Hegen das Christentum Propaganda machen. Vielleicht hat das Dresdner sozialdemokratische Blatt die Liebensivürdigkeit, einmal von seinem Kothurn herabAUsteigen und uns über diesen Zwiespalt der sozial demokratischen Natur Aufschluß zu geben. Ilm zu beweisen, daß Las Wort, Religion sei Prioat- sache, nichts anderes wie eine leere Phrase ist zu dem ei- ho denen Zwecke, damit parteipolitische Geschäfte zu gunst.m der Sozialdemokratie zu machen, brauchen wir gar nicht auf Bebel und andere ältere soziolistiscl-e Führer .zuruckzu» greisen. Wir wollen nur an die Beschimpfung des Christen tums durch das Bolkskammermitglied der sozialdemokrati schen Fraktion Lehrer Arzt im Bericht (205) des Gesetz- gcbnngsansschusses über die Verhandlungen menen des Erlasses eines- Uebe gmasgeseheS fü ras Volks'chiilwesen erinnern. Wenn da Herr Arzt erklärt, daß ein Kind Reli- nm. im Sinne de:- EriisientnmS rar a cht a.t-n- könne, sa nicht haben dürfe, weil es in seiner sittlichen Kraft nicht gesund wäre, so ist das eben eine »muhmle Beichim.pfti-ig. die mit dem Satze „Religion ist Privatsache" nicht in Ein klang zu bringen ist. Nun ist ja allerdings Herr Arzt Novembersozialist. Aber er ists seitdem nichr nur eines Mandates gewürdigt worden, sondern beute in Kultur- fragen anerkannter Führer der Sozialdemokratie, dem die Genossen unbedingte Gefolgschaft geleistet haben. Deshalb ist den sächsischen Sozialisten auch >'o manche Blamage nickt erspart geblieo a. Dis oben an ge. ich. te Aeuf>-r,nw des H -rrn Arzt be weist, wie dieser lus zum 9 Nmember UU8 «rcisinnige 1 Führer der sächsischen Sozialdemokratie über das Christen tum denkt. Es ist nicht ohn" Interesse, daß bei aller Be kämpfung der chnsiftchm Religion es doch noch Sozial demokraten gibt, die zwar auch seine Vernichtung wünschen, aber doch einsehen, .daß das nicht mit einem ärztlicher« Federstrich zu erreichen ist. Der preußische Kultusminister Haenisch, seines Zeichens ebenfalls ein Sozialist, hat bei einer Besichtigungsreise im Rheinland dem Abte von Maria Laach einen Besuch abgestattet und dabei folgendes aus geführt: - Ä'AHWH', .Ich betone, dntz ich für meine Perlon keinem OffenbarnngS» glaube» huldigen kann, aber ich habe nicht nur jetzt als Minister, sondern auch früher als Abgeordneter in meinen Sieden und Schriften es immer wiederhol!, daß wir die grotzen Kulturkräfte, die im Christeutnm liegen, nicht gering einschätzen dürfe». Heute, wo wir alles und jedes nusuützen müssen, was in irgendeiner Weise dem Volk und dem Staat dienlich sein kann, müssen wir erst recht auch die Kräfte, die im Christentum liegen, fruchtbar mache». Ich und meine Partei, wir leben ja der H»ffnung, daß in einer späteren Zeit einmal eine Ethik erstehen wird, die cs uns gestattet, die heutige übliche christliche Sittlichkeit ,u übrr- treffen. Jedach zeigen sich hierfür kaum die schwächsten Ansätze. Es wird also voraussichtlich nach lange dauern, unv so lange ist da» Christeutnm wenigstens nach seiner ethischen Sette für das Volk unentbehrlich. Ich stehe auf dem Standpunkt, datz unser Kampf für den Fortschritt nicht gegen die Kirche, sondern ge meinsam mit der Kirche zum Wohle aller geführt werden mutz, selbstverständlich seder nach meiner Weltanschauung; aber es gibt genug, was uns gemeinsam -ist." Das sind Worte, die sich hören trssen. Gewiß, auch Herr Haenisch wird danach alles tun, was in seinen Kräf ten steht, nin seiner „Ethik" zum Erfolge zu verhelfen. Aber er hat doch wenigstens Verständnis für die Kräfte) die im Christentum liegen und erkennt an, daß „das Cb-isten- tum wenigstens nach seiner ethischen Seite für das Volk unentbehrlich" ist. Die sozialdemokratische „Dresdner Polkszeitung" bangt aber, es möchte sich die Hälfte der Be völkerung fiir die christliche Schule aussprecheu und schlägt deshalb die Werbetrommel für die Freireligiösen -- d:>'n ihr ist ja Religion Privatsache! „Privatsache" nämlich - so lange diese Religion nicht christlich ist. lml. '.»»»»»«»-MM „»».-.NN, Dre Streiklage Berlin, 6. November. Ungeachtet des Aufrufs der Mehrheitssozialisten gegen die neue Generalstreikbewegung, beschlossen gestern abend die radikalen Betriebs- und Ar beiterräte Großberlins, den Generalstreik in allen Betrieben zu proklamieren und die Verhandlungen mit den auswär tigen radikalen Organisationen fortzusctzen, um den Gene ralstreik zu eineni allgemeinen deutschen' Gen er rat streik auszudehnen. In einer radikalen Eisen» bahnerversammlung in Charlottenburg wurde gestern mit- geteilt, daß der Anschluß der Eisenbahner an die neue deutsche Generalstreikbewegung miter allen Umständen durchgefllhrt werden müsse. Im Laufe des gestrigen Tages sind in Berlin 13Streikagitatoren auf Grund des Noskeschen Streikerlasses fest genommen wor den. Berlin, 6. Noveinber. Die Versuche einer radikalen Minderheit, unter den Straßenbahnern einen Streik herbeizuführen, scheiterten infolge ablehnende- Haltung des bei weitem überwiegenden besonnenen Teiles des Betriebspersonales. Alle 20 Bahnhöfe sind im Betrieb. Dagegen trat das Berriebspersonal der städtischen Straßenbahnen in den Sgmvitlnestreik. der aber bei dem geringen Umfange dieses Bahnnetzes kür die allgemeine Verkehrslage bedeutungslos ist. Bis zur Mit tagsstunde hat auch die» städtische Straßenbahn den rollen normalen Verkehr wieder dnechgeftihrt. Bei den Wcrlstöttenarbeitern der G'oßen Berlins: Straßenbahn fand beute mittag eine Vesp-echimg weg.-n Wiederaufnahme der Arbeit statt. Berlin, 6. November. Tie Fünfzehnerkemmission de- Metallkartells, der Bezirksverband der Unabhängig m Pa - tei von Berlin-B-'annschweig und der sogenannte Note Vo! - zngsrat machen wegen der von den Rechts'ozialisten ui - Gewerkschaften herausgegebenen GegenParoie die -chon getroffenen Vorbereitungen für den General streik durch Aufruf r ückgängig. Ter Kampf der Metallarbeiter geht unverändert weiter. Berlin, 7. November. Wie verschiedene Blätter melden, hat der N e i ch s a r b e i t s m i n i st e r die Bö eta!! - arbeiter und Arbeitgeber zu einer Besprechung eingeladen. Laut „Vorwärts" dürfte es sich heute em- scheiden, ob die Organisationen der Arbeitgeber und die der Streikenden dieser Einladung Folge leisten. Tie heute statt findenden Generalversammlungen der Metallarbeiter wer- I den wohl zu diesem Vcrmittlungsvor'w'.age Stellung neh men. Heute werden auch die Arbeiter der Bftriebswerk- stätten der Großen Berliner Straßenbahn die Tätigkeit wieder aufnehmen. Essen (Ruhr), 6. November. Dem Lohnsireik der hie sigen Straßenbahner, der am 2. November früh begann, haben sich nach und nach alle Straßenbahner des rheinisch - wcstfälischen I n d u st r i e g e b i e t e s von Hamborn bis Hörde und bis ins Wuppertal ange schlossen. Braunschweiq, 0. November. Ter Vollzugsrak de? Braunschweiger Landes.'weiterrates hatte am Mittwoch abend eine Vollversammlung sämtlicher Angestelltenaus- schlisse u. Betriebsräte der Stadt Braunschweig «unberufen, in der zu den am Montag von der öffentlichen Arbeiterver- sammlimg gefaßten Beschlüssen Stellung genommen .nirde, im Falle der Weigerung der Firma Vüsing. ihre Arbeiter sofort wieder einzustelln, den Generalstreik zu er klären. Ten „Brauiischweigcr Neuesten Nachrichten" zufolge herrschte keine Stimmung zu einem neuen General streik. Die Versammlung nahm einen Antrag an, der be sagt, daß die Angelegenheiten von den Gewerkschaften durchzukämpfen sei bis zur Wiedereinstellung aller ausge sperrten Arbeiter. Köln, 6. November. Die „Köln. Volkszeitung" meldet aus Siegen vom 5. d. M.: Nachdem durch das Eintref fen der technischen N.othilfe und z»gezogene Arbeitswillige die Wiederaufnahme der Notstandsarbeiten gesichert war und die Reichswehr zum Schuhe Arbeitswilliger einrückte, wurden die abgebrochenen Verhandlungen wieder ausge nommen. Sie führten zu einer Einiglim/g. Tauät kann der Streik im Siegerlande als beigelegt gelten. Maßnahmen gegen de» Generalstreik Berlin, 6. November. Der Oberbefehlshaber ist gegen die Stellen, die versucht haben, die Arbeiterschaft uni.-r wahrheitswidrigcn Angaben znm Generalstreik an s - zu rufen, mit der Schärfe vorgegangen, die die außer- ordentlich gefährdete Lage der Lebensmittel- und Kohlen- Versorgung des Volkes erfordert. U. a. ist das Partei- bureau der Berliner Unabhängigen militärisch besetzt worden. Bei der vom Oberbefehlshaber ang'ord neten Untersuchung ist lehr viel belastendes Mate rial aufgefunden worden, das über den Umfang der in tensiven Tätigkeit der imabl ängigen Parteileitung bei d r Streik Hetze und ihrer Verbindung mit den Kommu nisten informieit. Ferner ist die Versa m m l u n g der 2 tra ß enbahner militärisch aufgehoben worden, in der entgegen dem '.nieder in Kraft getretenen Eetaß des Oberbefehlshabers, d-r die Auffordeiung zum Streik in lebenswichtigen Betrieben verbietet und iir.ter Strafe stellt, zur Arbeitsniederlegung aiifgefobdert wurde. Außerdem ist der Voll zngsrat der Arbeiter räte Großberlins, der bekanntlich nur aus Unabhängigen und Kommunisten besteht und seine durch die bestehende Verfassung des Deutschen Reiches nicht begründete Stellung dazu benutzt hatte, um Unruhe und Zwiespalt in die Reihen der besonnenen Arbeiterschaft zu tragen und d r auch den zum politischen Generalstreik ausforsernden Aus-