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Nummer 293 — 24. Jayrgang ümal wöch. Bezugspreis: für Dezbr. 8 — einschf, Bestellgeld. Anzeigenpreise: Die Igesp. Petttzeile 89^. Stellengesuche 20 L. Die Petitreklamezelle. 89 Milli» meter breit. 1 Offertengebithren für Seldstavholer LN bei Übersendung durch die Post außerdem Portozuschlag. Einzel-Nr. 19 L. Sonntags-Nr. IS Peschäftlicher Teil: IoelesFohmann.Dresden. S öckllsch Dienstag, 22. Dezember 1925 Im Halle höherer Gemalt erlischt jede Berpslichtung! auf Lieferung sowie Erfüllung v-Anzeigenaufträgenl u. Leistung v. Schadenersatz Für undeutl. u. d. Fern»! ruf übcrmitt Anzeigen übernehmen wir beine Ver»! anüvortung Unncrlangt cingesandte u. m. Rückporto nickt versehene Manuskripte wcrv nicht aufbewahrt. Sprechstunde d Nevaktion 5 bis 6 Uhr »nckmutags. Hauptschristleit.: Dr. Joseph Albert, Dresden, Lü. «-HI»! ve«»el«»»-k. Prager 8tr. 34 »gnü»k>»I«i Slrllmpli D o Wzelmn a vtto krksdbl, /LlkkMi'gSli sUcli«St»>i>»tk«e»1 llülsWkM oiler ttr» lSesch>tft< stelle, Lruif uud Verla«, Saxonm- ruUidruckeri-i GmbH., DrcSden-A. in. Holbetnstr.'tze^S» gcnmis 327!>2. Pxsischeiklonlu Tr-Sden IE Baiiklonlo: Bassenac 6 g?rins»e, Trelde». Für christliche Politik und Kullur Redafttou der Sächsische« Volkszrituiig Dresden-A»s!. l«, Holdeinslratze 4S. gernnU R und WM. U72> Sturmzeichen in Ungarn Ienlrumsparlei und Regierungskrise Von Adam Stege rwald, M. d. R. Alls dein Kasseler Parteitag und im Anschluss daran in mehreren Versammlungen ist ausgesprochen worden, das; mit der Deutschnationaleil Volkspartei eine Au ßenpolitik, die eine Verständigung und Befriedung Europas zum Ziele hake, nicht zu machen sei. Es ist richtig, das; die tragenden politischen Kräfte von rechts noch in den alten Traditionen sich bewegen und nach wie vor die Meinung vertreten, daß ein geachtetes Deutsch land mit Weltgeltung mit dem parlamentarischen Regime nicht möglich sei; in Mitteleuropa sei vielmehr nur ein autoritärer Staat möglich, der allmählich wieder auf starke äußerliche Machtmittel (allgemeine Wehrpflicht, Heer, Flotte usw.) Hinzusteuern sich bestrebe. Zu der Auffassung, daß Deutschland als Herzstück Europas nicht nur eine strategisch ungünstige Lage aufweist, sondern bei entsprechender Erziehung des deutschen Volkes auch wirtschnfts-, Verkehrs- und kulturpolitisch usw. viele Trümpfe in der Hand hat, die bei starker Anspannung der geistigen Kräfte in der großen Politik weit greifend zur Answirkung gebracht werden können, ha ben sich die Kräfte, die den alten preußischen Staat be herrscht haben, noch nicht durchzuarbeiten vermocht. Daß bei solcher Einstellung iin Hinblick ans Deutschlands Ge samtlage und iin Hinblick auf die Art, wie Locarno ein geleitet worden ist, wie insbesondere auch Entwaffnung, Sicherheitspakt und Völkerbund miteinander kombi niert wurden, der Rechten der Weg zur Unterzeichnung nach London nicht erleichtert wurde, liegt auf der Hand. Alles das ändert aber nichts an der Tatsache, daß Deutschland bet seiner gegenwärtigen Gesamtlage nicht neun Monate mit den übrigen europäischen Mächten auf dem Boden von Locarno verhandeln und im letzten Sta dium das Ergebnis der Verhandlungen ablehnen konnte. Es besteht also in Zentrumskreisen Uebereinstimmung darüber, daß mit der Deutschnationalen Volkspartei, wie sie gegenwärtig ist. nach dem Zusammenbruch sehr schwer Politik zu machen ist. Nicht mit derselben Klarheit aber ist in Kassel und nachträglich in der Zentrumspartei ausgesprochen wor den, daß es in Deutschland nicht leichte'' ist, mit links Innenpolitik, wie mit rechts Außenpolitik zu machen. Wie haben sich die Dinge in den letzten sie ben Jahren mit der Sozialdemokratie abgespielt? Iin November 1918 fiel der Sozialdemokratie die politische Macht zu. Von Februar 1919 bis Juni 1920 hat sie drei Reichskanzler gestellt (Scheidemann, Bauer, Müller). Die Reichstagswahl im Juni 1920 endete mit einer Nie derlage der Mehrheitssozialdemokratie zuannsten der ehemaligen Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei. Damals ist die Mehrheitssozialdemokratie 1'4 Jahr spä ter, nachdem ihr erstmalig und welthistorisch die politische Macht in Deutschland zugesallen war. wegen eines in- nerpolitiscken Ereignisses aus der Regierung aus getreten. Im Mai 1921 ist sie wieder aus Anlaß des Londoner Ultimatums aus a u ß e n p o l it i s ch e n Grün den In das Kabinett Wirth eingetreten. Im Novem ber 1922 ist sie wieder aus innenpolitischen Gri'm- den (weil Wirth die große Koalition wollte) aus dessen Kabinett ausgetreten. Im August 1923 ist wieder aus außenpolitischen Gründen lAbbrnch des passiven Widerstandes gegen den französischen Ruhreinbruch) in das Kabinett Stresemann eingetreten, um zwei Monate später wieder aus innenpolitischen Grün den aus dem gleichen Kabinett anszutreten. Stresemann hat bekanntlich im Oktober 1923, als die unabhängigen sozialdmokratischen Regierungen in Sachsen und Thü ringen init Moskau konspirierten, zur Aufrechterhaltung der Ordnung in diesen Ländern die Reichswehr einrücken lassen und hat die sozialdemokratische Forderung, gleich zeitig die Reichswehr nach Bayern zu schicken zur Be seitigung der nationalistiscken Umtriebe, mit der Begrün dung abgelehnt, daß er nicht in derselben Stunde, in der der Dollar auf 4.2 Billionen Mark stehe, mit Frankreich, Moskau lind drei deutschen Ländern, darunter das dritt größte und zweitgrößte Land, „Krach" anfnngen könne. Alis dem Gesagten geht hervor, daß in den letzten Jahren zwar Außenpolitik mit derSozialdemokratie gemacht werden konnte, und zwar deswegen, weil diese politin. von der sozialistischen Grundeinslellnug ans ge sehen. kein Opfer bedeutete,- bei i n n e r p a l i t i s ch e n Anlässen aber, wenn größere Opfer gebracht werden mißten, hat sich die Sozialdemokratie seit dein Umsturz meist seitwärts in die Büsche geschlagen. Mit dem schwenken der schwarz-rot-goldenen Fahne allein und )amit, daß man sich an jede Straßenecke hinstellt und msruft: „Ich binRepublikansrl", ist nun einmal einStaat .licht aufzubauen. Wenn einer neuen Gesellschaftsschicht sie politische Macht und Führung zufällt, ist diese Posi tion von ihr nur dann dauernd zu halten, wenn die Die ungarischen Schwarzhemde« Die Propaganda für eine faschistisch« Diktatur. A. T. «ttvapest, 21. Dezember. Die Strömung für eine faschistische Diktatur in Ungarn nimmt immer mehr zu. Die innerpolitischen Kampfgruppen haben sich nunmehr so ziemlich klar gebildet und scheinen sich zu einer entscheidenden Aktion vorzubereiten. Die Situation ist durch die Tatsache charakterisiert, daß ein Teil ver Regierungspartei unzweideutig zu den Rechtsradikalen abschwenkt, in deren Lager die Rassenschützler den Ton angeben. Diese verkünden als vorläufiges Endziel ihrer Bestrebungen durch ihren Führer Tibor Eckhardt die saichistifche Diktatur, die, »ach einer Erklärung Eckhardts, zwei bis drei Jahre in Ungarn bauern soll. Die Situation der Regierung erscheint angesichts des Abschwenkens eines Teiles der Regierungspartei ichwierig, da nur (euer Teil, den man in Ungarn mit dem Sammelnamen christlichlibcral bezeichnet, noch immer an -ein von Ministerpräsident Graf Bethlen eingesthlagenen Kurs a'ls Mittelweg festhält. In ver Nätionalveriammkung verla- M-worsneter L nd w i g'Sz i 5a g p i sine Deklaration des oppr^tioneklen Blocks, in der erklärt wird, das, der sog. „numeruS clausus" eine Verleugnung der Rechtsgleichheit »nd eine Gefährdung der allgemeinen Interessen der ungarischen Nation bedeute. Ungarn könne nur dann d>e Gleich berechtigung für die ans den abgetrennten Gebieten leben den Magyaren mit vollem moralischen Rechte fordern, Ivenn in Ungarn selbst hinsichtlich der Nationalität, Nasse und Religion kein Unterschied gemacht werde. Während sich derart die innerpolitische Lage ver schärft, bildet die Thronfrage fortgesetzt den Gegenstand neuer Beunruhigung. Hier ist der Kampf keineswegs ein gestellt. Die Rassenschützler, die ihre Vorbereitungen zur Aufstellung bewaffneter Stoßtruppcn fortsehen, scheinen ent schlossen zu sein, in» geeigneten Momente lvSznschlagen. Man behauptet in legitimistischen Kreisen, daß Erz herzogin Jsabella, die Mutter des Erzherzogs Al- brecht, den Nassenschützlern große Snmmen für die Dinchitthrung ihrer Aktion zur Verfügung gestellt habe. Das Endziel sei tatsächlich die faschistische Diktatur unter einem König Albrecht. neuen Machthaber befähigt und willens sind, sich für ihr neues Erbgut zu opfern. Und daran hat es eben gefehlt. Das Verhalten der deutschen Sozialdemokratie ist zudem gar keine deutsche Eigenart. Wir haben sehen können, wie z. B. Seipel die Sanierung Oesterreichs ohne die Sozialdemokratie durchführen, wie Herriat, Painlev'- und Vriand in Frankreich und Marx, Luther und Stresemann dasselbe ln Deutschland tun mußten. Weltpolitisch imponierend ist das Verhalten der So zialdemokratie in Oesterreich, Frankreich und Deutsch land bestimmt nicht. Zum ersten Male in der Welt geschichte siel einer Arbeiterpartei in einem großen Kul turlande. in Deutschland, die politische Führung zu. Und aus Angst vor links, sowie aus Feigheit vor Verantwor tung gab die deutsche Sozialdemokratie diese Führuug dem Bürgertum wieder zurück Macdonald hat seine Rolle als englischer Ministerpräsident und als Führer einer Minderheitsregierung jedenfalls würdiger gespielt wie die deutsche Sozialdemokratie. Diese Beobachtungen und nicht etwa Neigungen oder Sehnsucht nach dem alten Regime, oder gar staatspolitische oder soziale Reaktion, haben in den letzten Jahren im tiefsten Grunde zu den Auseinandersetzungen zwischen der Sozialdemokratie und mir geführt. Ich mußte den Glauben immer mehr verlieren, daß mit ihr der deutsche Wiederaufstieg mög lich sein werde Der Inhalt der gegenwärtigen Regierungskrise kann aus eine kurze Formel gebracht werden: sie dreht sich um das V e r a n t w o r t u u g s b e w u ß t s e i n gegenüber Staat und Wirtschaft. Staats politisch sind wir in den letzten Jahren ohne Zweifel ein großes Stück vorwärts gekommen. Die deutsche Wirt schaft dagegen befindet sich gegenwärtig in und vor einer schweren Krisis: erst jetzt sichen wir vor einer eigentlichen Deflationskrisis. Und im Hinblick auf diese Tatsache waren die Ver handlungen der letzten Tage im Reichstag geradezu beschämend. Es wurden Anträge über Anträge ge stellt, die Steuererleichterungen, Erhöhung der Beamten besoldung. Erhöhung der Unterstützungssätze für die Er werbslosen bringen sollten usw., ohne daß man sich den Kopf darüber zerbrochen hat. was denn eigentlich ge schehen müßte, um für diese Anträge auch tatsächlich die wirtsckaftlichen Voraussetzungen w schasse» Budapest. 21. Dezember. Die politische Lage in Ungarn wird immer schwieriger. Die Propaganda für eine faschistische Diktatur wird in weiteren Kreisen des Landes immer stärker betrieben und ermutigt die Führer der Rassenschützler Tibor, Eckhardt und Julius Gömb ös zu einer energischen Fortsetzung ihrer Aktion. Die faschistische Bewegung in Ungarn findet seitens der Regierung mindestens keine Hindernisse und die Haltung des Kabinetts Bethlen zeigt, daß die Negierung sich nicht mehr stark genug fühlt, dieser Strömung entgegenzuarbciten. Die letzten Er klärungen des Grafen Bethlen waren tatsächlich nichts an deres, als eine indirekte Zustimmung zum Standpunkt der Rassenschützler. Wie weit übrigens diese Bewegung schon gediehen ist, zeigt eine Drohrede des Abgeordneten Julius Gömbös, der bei einer Zusammenkunft der Rassenshiitzler erklärte, man werde in Ungarn sofort ein Kataster nach Beschäftigungen anlegen, ivenn es die Juden wagen sollten, an den „nnmerus clausus" zu rühren. In dieiem Falle werde kein einziger Jude mehr an die Uni versität gehen können und e-s wxrde gefordert werden, daß man die Juden in Ungarn als eine nationale Minderheit deklariere. Auch Gömbös griff in heftigster Weise den Völt'er- bnn'd an, den er als eine internationale jüdische Magia vezeichnete, die es gewagt habe, sich in der 'Frage des „Numerus clausus" in die 'Angelegenheit Ungarns eck-- zumischem Das Hochkvmmen der faschistischen Rassenschützler wird von den L e g i t i m i st e n mit begreiflicher Beunruhigung verfolgt, da Eckhardt und Gömbös offene Anhänger des Erzherzogs Albrecht sind und man mit dem Plan um geht, nach italienischem Muster eine Art Marüli der unga rischen Schwarzhemden nach Budapest zu inszenieren und Albrecht zum König auszurnfen. In außenpolitischer .Hin sicht erhoffen sich die Rassenschützler keine Schwierigkeiten seitens der Nachbarstaaten, da sie die Parole ansgeben, man müsse mit den gegebeneil Verhältnissen rechnen, wo mit gesagt sein soll, daß die Partei den Vertrag von Trianon anerkenne, während die Legitimisten bek-nntiuh an der Idee Ver Wiederherstellung der alten Grenzen Ungarns iesthalten. Die Rassenschützler treten für eine Versöhnung mit den Nachfolgestaaten immer offener ein, und sie nähern sich damit dem Standpunkte der ungarische» Sozialdemokraten, die eben aus diesen Gesichtspunkten gegen die geheime Propaganda der Negierung gegen die Nach folgestaaten Protestieren. Dies hat auch kürzlich zu den Erörterungen über den geheimen Pre'sesvnds der Regie rung Anlaß gegeben, wobei von oppositioneller Seite fest- gestellt wnrde, daß große Snmmen zu Pressezwccken ui das Ausland fließen. Die Kernfragen, vor denen wir gegenwärtig stehen, dürften folgende sein: 1. Wie können der E x p o r t i n d u st r i e. die nach weisbar über größere Aufträge, aber nicht über ans reichend Betriebsmittel verfügt, Auslandskredite be schafft werden? 2. Wie schützen wir die deutsche Industrie vor der englischen Subsidienwirtschaft zuungunsten des deutschen Bergbaues und vor Ueberschwemmuug des deutschen Marktes durch valutaschwache Länder? 3. Wie kann das deutsche Baugewerbe als erste Voraussetzung zur Wiederbelebung des deutschen Innenmarktes lind zur Behebung der geradezu sittlich erschütternden Wohuungsverhältnisse zur vollen Beschäf tigung gebracht werden? Was hat gegenüber der Landwirtschaft ftu gesche hen, damit sie in den Stand versetzt wird, sich ausrei chend Kunstdünger zu beschaffen und wir nicht im näch sten Jahre vor einer katastrophalen Ernte stehen? 5. Wie kommen wir wieder zu langfristigen R e n l k r e d i t e n? 6. Wie ist die E r w e r b s l o s e n f ü r s o r g e zu gestalten, damit die Erwerbslosen nicht der restlosen Ver elendung anheimfallen? Das scheinen uns die Kernfragen zu sein, vor denen gegenwärtig in Deutschland Staat lind Wirtschaft stehen. Der Reichstag aber beschäftigte sich in den letzten Tagen, nicht ohne Schuld der Regierung, mit agita torischen Anträgen über Beamtenbesoldung und Lohn- steuerermäßigung. Die Art. wie diese Dings behandelt wurden, wurde im Reichstag von Kreisen, die über den Tag hinanssehen. als ein Skandal ein Pfunden. Zunächst erklärte die Reichsregierung, daß sie für die ausgesteuerten Arbeitslosen (solche die mehr als 20 Wo chen arbeitslos sind) keine Miitel habe für eine einma lige Weihnachtszuwendung. Am gleichen Tage aber noch entdeckte die gleiche Reichsregierung bziv. das gleiche Finanzministerium, daß für eine Weihnachtszuwendung au die höheren Beamten, die teilweise 5- bis 000 Mark Monatseinkommen haben, 100 Mark wohl gewährt werden könnten. Daß bei solcher Sachlage die Agitations- antrüge der Parteien von rechts und links sich gegensei tig überschlugcn, liegt ans der Hand. Die Rechtsparteien wollten ihre Beamtenfreundlichkeit für die höheren, dii Sozialdemokratie für die unteren und mittleren Beamte" im höchsten Lichte erstrablen lasten.