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Sächsische Volkszeitung : 23.12.1925
- Erscheinungsdatum
- 1925-12-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192512232
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19251223
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19251223
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1925
-
Monat
1925-12
- Tag 1925-12-23
-
Monat
1925-12
-
Jahr
1925
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 23.12.1925
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Mittwoch, den 23, Dezember 1Ü25 Nr, Lg-l. Seite » Casars ZnyZWHe Gestalt Friedrich Gundolf. der ausgezeichnete Li!erar>)i>toriker, läßt bei Georg Bundi i,i Bertin ein Buch „C ä s a r - die Geschichte seines Ruhmes" erscheine». Gnndols will nicht die Tuten oder Eigenschaften Cäsars betrachten, son dern seinen Gang durch das Gedächtnis der Völker. Cäsar ist schon für die 'Antike eine ,optische Gestalt, für das Mittelalter ein Name von magischer Wirkung, für die Neuzeit eine historijche Person größten Formats. Um unser» Lesern eine» Begriff von dem Wurf und Stil der Gundolsschen Buches z» vermitteln, geben wir hier d'e ersten Absätze des Ansangskapitcls wie der. (Das Buch kostet brosch. 5 M., in Leinen 8M.). Heute da das Bedürfnis nach dem starken Mann laut wird, da man der Mäkler und Schwätzer müd sich mit Feldwebeln begnügt statt der Führer, da man zumal in Deutschland jedem auffallenden militäcischen wirtschaftlichen beamtlichen oder schriftstellerischen Sondertalent die Len kung des Volkes zulraut und bald soziale Pfarrer bald unsoziale Generäle bald Erwerbs- und Betriebsriesen bald rabiate Kleinbürger für Staatsmänner hält, möchten wir die Voreiligen aii den großen Menschen erinnern dem die oberste Macht ihren Namen und Jahrhunderte hindurch ihre Idee verdankt: Cäsar. Nicht als könnte solche Beschwörung einen Cäsar zeitigen. Nie wiederholt die Geschichte di« Er scheinung ihrer immer gleichen Ideen und tein Wisse» uw Gewesenes erschafft das notwendig Neue. Nachahmungen ans politischer Gelehrsamkeit sind immer falfch und fruchtlos. Wie der künftige Herr oder Heiland anssieht, iveiß man erst wenn er waltet. Seine Stunde und sein Werk weiß nur er selbst. Doch wie er nickt anssieht, das kann Kenntnis lehren, und nicht um der Politik sondern um der Bildung willen, das heißt um der Menschenwürde und der Scheu willen müssen die ewigen Gestalten wach bleiben, ge schützt vor den Ansprüchen des dumpfen und gierigen Tages. - » Casars mythisches Dasein ist immer wieder dringlich geworden, von den Fehden zwischen Kaiser und Papst bis zu Napoleon. Nach seiner Stellung heißt eine Würde, nach 'einer Wirkung eine Regierungsart. Seine Schicksale, Nnvico, Cato, Brutus sind nicht nur Dichtermüren sondern Schlachtrufe geblieben und immer noch weckt seine Person den Streft um Recht und Gewalt, um Freiheit und Herr schest, »IN Glück und Größe. Bei Alexander und Karl steht er als eines der ewigen Bilder, bei Napoleon, noch be: Bismarck als eine der heutigen Mächte. Sein römisches Alicrum hat ihn nicht erstarrt, seine Gegenwart nicht verkleint. Seine Dauer wie sein Wandel kommt ans der einzigen Verbindung von Größe mit Norm. Unter den Weltwundern ist er der richtigste Mensch: PerikleS erreicht ihn an Gleich maß bei geringerem Umfang, Goethe, reich und schön wie er, ist minder stark, und Shakespeare, der Inbegriff der Mensch heit, als Person ein Rätsel. Die andern schwellt ein oft erhabene-,, oft bezauberndes, oft erschreckendes Ucberwaß: der Rausch Alcxünders, des Terribile Michelangelos, die Verzückung Dantes oder Napoleons freudlose Stärke, zu schweifen von den Gottesstimmen oder GotteSgeißelu. " ' sen wir die GlciubenSiragc, ob der vollkommen gesetzlich: w. ttck die höchste Offenbarung der vielgestaltigen Gottheit sei oocr ob sie reiner ans Einbruch, Sprengung, Ueberschwang rede. Ob wir Gott lieber als Gesetz oder als Zauber ver ehren: in keinem Heros wird das Gesetz so feste Gestalt, die Natur so reicher Zauber wie in Cäsar. Keiner ist so klar und dicht bei schöpferischem Geheimnis, keiner so sehr Genius bei klassischer Zucht, keiner so ganz bedingt durch Siätte und Stunde und doch gültiges Muster der wandellosen Ordnung. Cäsars Schriften wollen wirken, nur wirkend konnte er denken. Sie werden dadurch nicht fragwürdig, wie man romantisch empfindsam oder altklug warnt, sondern wahrer. Dir Zwecke des echten Täters sind Ausdruck und nicht nur Gegenstand des Willens. Wie ein Cäsar oder Napoleon erscheinen will, so sieht er sich, und was ihr Wort und Wink zeigt, das ist nicht Lug und Pose wnDern ihre Wirknngswrm selber, wie des echten 'Dichters Stil kein Gchmuckmittel sondern Seelenwuchs. Kleinen Schwindel übt kein großer Mann. Ruch wo er Tatsachen preßt, waltet der werktrüchtige Wille, der nur sieht was Ihm entspricht, nicht der nutz-sichtige Verstand, der es heim lich besser weiß. Beides wird oft verwechselt, indem man die Pragmatik des Lebens als Utilität des Verstandes aus legt. Bewußtsein und Trieb sind in solchen Naturen nur zwei Formen des einen Wittens den sic besitzen und der sie besitzt. Schon der Stil der Kommentarien gibt den Cäsar, wie er sich meinte. Sachliche Kunst und persönliche Natur sind hier eines, das sprechende Ich ist sein ausgesprochenes Selbst, ohne pathetische Erlebnisse oder ariistische Kennt-, ntt-'e, ein reines Geistgewächs, von der Dürr.' der Schul bücher unterschieden durch den bewußten Genius der Sache die hier zu Wort kommt, von der Schlichtheit eines Her-dot durch die männliche WillenLhelle, von der homerischen Eiittalt durch das Selbstgefühl der Person. Wie -ein Stil zugleich Gesamtstil des Römertums ist und Perm»sicher St ft des Gen'iiis, so auch das Bild seiner Taten. Er lieht sich als den römischen Feldherr», eins mit dem Volk dessen Eiter Bergil in dem berühmten Vers formuliert: ,'lu regere imperio poplllos, Itomsne, memente." Doch nimmt er Rom und den römischen Sinn erobernder Herrschr.it nicht pathetisch — kein alexandrischer Drang ins Weite, kein achilleischer Helden fchwiing. Das zähe rief- wnrzelnde Wachstnmsverlangen eines starken und festen Stammes, der zuständliche „staatliche" Kampf von Mensch mit Mensch und Tier nnd Erde, die triebhafte Sicherheit des Weitere,reiiens, Auswcichens, Aneignenö und Ein dringens, das Wechselspiel womit er Luit und Boden sich dienstbar macht nnd ihnen dient — all diese Naturiormen römischen Gemeinwesens werde» in Cäsar Geist, und der Wille der van den Lakinerrehden bis zu Ponrpejus die Mittelmeerländcr durchgriff klärt sich bei ihm zum Genie mit gesteigerter Schnette, Weit« Wucht und Weisheit. Doch wie er Gebiete abgrenzt, Nachbarn bemißt, trennt und buidel. darin waltet noch der uralte Bailernsinn, und noch seine Kriegszucht stammt nicht aus schweifender Jägerei sondern aus geduldigem Feldbau. Der Orbis Terrarum ist ihn: so geläufig wie einem Grundherrn sei» Meierhof. und gerade diese Nüchternheit, die vor solchen Weiten nicip staunt, gehört zu seiner Größe, wie zu der Alexander der Rausch vor dem Geheimnis der grenzenlosen Ferne. Dem Römer war die eroberte Erde ein Acker, dem Hellenen die zu erobernd« ein Wunder. Die galli'chen Kommentaricn zeigen fremde bedroh liche, doch bezwingbare Völkerschaften, den Ber-'ich den Cäsar zur Sicherung des ihm nnvertrauten is >merlie ft tzeö erwerben muß, die dauernde Art von Lund und Leuten, die gegenwärtigen Zustände mit den daraus ent- svringenden Vorteilen Gefahren Ereignissen, und seine eigenen Mittel, Wege und Taten zum Ziel. . zahllose Rotten bunter Barbar«» rrftt fremden Sitten. Srammes- iehden nnd Bündnissen, trotzige listige heldische Häupt singe, waldige und na'sr Länder mit wilden Wassern urid Tieren, ein fremdes Meer mit der geheimnisvollen Insel, als Raum des ninsichtsgen 'kühnen Imperators -äntt -Suien getreuen siegesgewissen, übermenschlich mutigen und ge duldigen Legionen. Unglaubliche Märsche, gräßliche Schlach te», mühselige Belagerungen, ein halber Erdteil (das war Gallien im damaligen Gesichtskreis- entdeckt, durchgedrungen nnd erstritten: all das, erzählt „mit fröhlicher Eile", haftet als Wunder von Tat nnd Geschehen. Cälar wußte wie es wirke, ihn selbst verwirrte es nicht. Er mseldet das Un geheure mit der Ruhe des Gutachters, mit leisem Lächeln über das Staunen der Hörer. Die cäsarischc Ironie fehlt seinen Fortsetzern, die -einer Schlichtheit sich befleißigen ohne seine Höhe. Cäsars olympische Heiterkeit ist kein mephistvphclisciwr Zweitel am Wert seiner Wirkungswelt, sondern die Miene des vor nehmen Menschen der naiv sich überlegen ftihlt nnd seine Riesenkräfte gebraucht ohne Prunk und Mühe. Er blickl weder zu sich empor noch dräut er herab — die Höhe ist ihm natürlich. An dieser fröhlichen Ruhe hat den Knaben fthon Sulla erkannt, mit ihr hat er dir Seeräuber ge duckt, Volk, Heer und Frauen verrührt, den kundigen Cicero verwirrt, beschämt und entzückt. Die majestätische Grazie — sein Merkmal unter den .Herren der Welt, wie unter den Kündern eigener Taten — gleich eniieriit von schwanker Tnnzerei wie von steiler Würde, von Rokoko wie von Hicratik, dankt er doch dem tiefen Sachenernst, der gedrungenen Erdendichte seines Volkes . . nur aus so maft.gem Grund konnte die Triebsicherheit, der Takt, die Gelassenheit gedeihen, der lange Nrem voll Zucht und Glut. Doch ist dies römische Bauernerbe nur die Unterlage der Starte, die zur heroischen Anmut, zum tätigen Adel gehört. Zum klassischen Meilscken geläutert hat ihn erst Licht und Luft der hellenischen Bildung. Von ihr empfing er zu der römischen Gewalt der Rasse die Freiheit der Person, die kein Römer mehr so erreicht har, wie kein Grieche, auch Alexander nicht, solche Gewalt zog aus so gründigeni Erbe. Wir können Cäsars Genius nicht erklären, doch sehen welch besondere Erbschaft er glück lich verkörpert: die Erdenbreite und Blutsstärke der Römer und die Geistessülle der Griechen in der Weltstunde, als beide einander durchdrungen. War es juliiche Samen- mischung seit Urzeiten, war es freie Bildung des späten Jünalings: nur in Cäsar sind Rom und Hellas zu reinem Einklang gekommen, römische Machr und griechisches Maß, Zäheit und Schnellkraft, Schwung und WlNenszncht. We?hnachkswijnsehe und Klndeslraume Adventsgedanken von Hermine Beier. Wer von uns Erivachsenen erinnert sich nicht noch manch, mal gern seiner seligen Kinderlage, und aus dieser Zeit wieder jener letzten Wochen vor Weihnachten? Ist es doch gerade di« Adveniszeit, die in den Kindern eine so eigene Stimmung er weck» und deren Gemüt mit den wonneseligste» Ahnungen zu erfüllen vermag. Woran denkt wohl das Kind? Nun — das ist nicht schwer zu erraten: es denkt tagsüber viel und gern an seinen Wunschzettel mit all den großen und kleinen Wünschen, die darauf stehen und die es bei seinen Eltern vorzubringen hat, und dann denkt es vor allem daran, oaß der heilige Christ ihm ain Weih nach!-abend möglichst alle Wünsche erfüllen möchte. Es konii.it die Nacht, die lange Wirtternachl mit ihrem Schlaf. Der Schlaf der Kinder wird in der Adventszeit n'.hr als sonst wohl von Träumen erfüllt, von wunderseligcn Kin- dertbäumen. die nichts weiter sind ais der geistige Reflex des Tages mit all seinen heimlichen und lauft» Weihnachts- wünschen und Weihnachtshossnungen. . Der Knabe wie das Mädchen sehen sich ini Traum mit ihien Epieisachen beschäftigt, weniger mit denen, die sie besitzen, als vielmehr mit denen, die sie besitzen möchten. Doch nicht bloß non den Geschenken selber träumi das K-nd in jenen Advenisnüchten. sondern auch von dem Wesen, das ihm die gewünschten Geschenke bringen sollen, von dem personifizierten Begriff des Weihnachtssestes. vom Weihnachts, mann selber. Wie singt doch ein aites iveihnachtticheo Kinder, lied so scyön: Nun kommt der liebe Weihnachts»»»' Der hat ein buntes Röckiein an, Voll Heller goldner Sterne. Hat alle Tascqcn vollgcsteck,. Ball Aepfel, Kuchen und Konjeki, Noll Nuss und Mandelkerne, ft- trägt aus seiner Huckepack siinen langen, großen, weiten Sack Voll lauter Wcihnachtssache», Hak Bleisoldat und Schaukelpferd, Und Peitsch' und Spare». .Helm und Schwer, Und Kegslspiel und Drachen. Don all diesen schönen Dingen träumt der Knabe, von Pupen. Kleidchen, Puppenstuben und ähnlichen, niedlichen Din- gen träumt das Mädchen. Doch freilich bringt -er Weihnachts. mann nur artigen Kindern diese Gaben, denn sie sollen ein Lohn für das Verhalten der Kinder sein, und so beschäftigt sich das träumende Kiiiücrgemüt auch mit dieser Sette des Weih- nachft-i'iannes. was das Lied in seiner folgenden Strophe nnd serinn zum Ausdruck bringt: Was hat Ser Mann ein gut Gemüt: Denn, ivo er artige Kinder sieht. Da greift er in die Taschen, Da greift er in den Sack hinein, Daß sich die artigen Kinder fteu'n. Da gibt es was zu naschen. Der gute Weihnachtsmann belohnt seine artigen Kinder durch Leckereien und Naschwerk Doch diese wissen auch, daß er für die unartigen keine Geschenke übiig Hai. sondern Strafe und Buße. Doch damit besaht sich nicht er. sondern sein Be gleiter, sein getreuer Knecht, der Knecht Ruprecht, oder au,', der böse Nikolaus, van dem uns die letzte Strophe d Liede» ei'M'II: Doch sind die Kinder bös' im Ha» Ta zieht er gleich die Rute 'raus. Die Kinder zu -rschrecken. O. lieber Nikolaus, halt' ein, Ich will auch immer artig kein. Las; nur die Rute stecke»' Weihnachiswünsche und Kindcriräuine. . . . Wieviele Eltern möchten alle die geträiimftn Wünsch» ihrer Kinder er füllen, und wie wenige gibt es doch nur, die dies im vollen lim- sänge zu tun vermögen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse unserer Zeit sind heute leider derartig geworden, daß sich das Bild gegen früher erheblick verschobm und geändert yat Wenn wir in den großen Städten die reichen und in prunkvoller 'Auf machung erstrahlenden Weibnachtsaussiellungen in den Waren. Häusern oder Spielwarenläden durchwandern, so fragen wir uns bei den jetzigen Preisen unwillkürlich: Wer kauft «igent- sich alle diese kunstvolle» und teuren Spielsachen? Und doch sin-) am Christfestabend selbst die Läger bis aus einen geringen Rest ausverkauft, ein Beweis, daß, es eben immer »och viele Leute geben muß. die sich in der Tat solche luxuriöse Weih nachtsgeschenke fitt ihre Kinder leisten können. — Dnrchman- dorn wir die bescheideneren Ausstellungsräume unsere«' Wahl- täligkeitsve»ein», mit ihren Christbefchcrungen für armo Kin- der: betrachten wir die Gabentische der Krippenoereinigungen und Sie Weihnachtstische unserer Stadtmissioncn mit ihren auf das rein Praktische und Nützliche geachteten, dem alltäglichen Bedürfnis dienenden Gaben, so finden wir dort mehr das richtige Verständnis kür die Not und Armut unserer Tage, und sind denen dankbar, die diese Zeichen der Stadt richtig zu deuten und so auszunutzen verstehen, daß dadurch solche» armen Menschen geholfen wird, die ihre Bedürftigkeit vor d»r großen Masse scheu verbergen und doch im Geheimen bitterste Armut leiten. Die drei gerechten Kammacher Eine Erzählung von Gottfried Keller. (7. Fortsetzung.) Denn alles hat seine Grenzen, nur nicht die Er findungsgabe der Menschen, welche sich allwärts aus breiten und alles unternehmen, was ihnen nützlich scheint. Wenn sie gerecht sind, so wird es ihnen gelingen, aber der Ungerechte vergebet wie das Gras der Felder und wie Rauch. Viele sind erwählt, aber wenige sind berufen. Aus allen diesen Gründen, und in noch manch anderer Hin sicht, die nns die Pflicht und die Tugend unseres reinen Gewissens nuftrlcgen, wollen wir uns dem Schick'alsrufe unterziehen. Darum gehet und bereitet euch zur Wander schaft, aber als gerechte und sanftmütige Männer, die ihren Wert in sich tragen, wo sie auch hingehen, und deren Stab überall Wurzel schlägt, welche, was sie auch ergreifen mögen, sich sagen können: ich habe das bessere Teil erwählt!" Die Kammacher wollten aber von allem nicht? hören, sondern bestürmten die kluge Züs, daß sie einen von ihnen auserwühlon nnd dablciben heißen solle, nnd jeder meinte damit sich selbst. Aber sie hütete sich, eine Wahl zu treffen, und kündigte ihnen ernsthaft und gebieterisch an, daß sie ihr gehorchen müßten, an onst sie ihnen ihre Freundschaft aus immer entziehen würde. Jetzt rannte Jobst, der älteste, wieder davon und in das Haus des Meisters hin über, und spornstreichs rannten die anderen hinter ihm her, befürchtend, daß er dort etwas gegen sie nnter- nähme, und so schossen sie den ganzen Tag umher, wie Sternschnuppen nnd wurden sich untereinander so zuwider wie drei Spinnen in einem Netz. Die halbe Stadt sah die? seltsame Schauspiel der verstörten Kammacher, die bislang so still und ruhig gewesen, und die alten Leute wurden darüber ängstlich und hielten die Erscheinung für ein geheimiiisvokles Vorzeichen schwerer Begebenheiten. Gegen Abend wurden sie matt und erschöpft, ohne daß sie sich eines Besseren besonnen und zu etwas entschieden hat ten, und legten sich zähneklappernd in das alte Bett; einer nach dem andern kroch unter die Decke und lag da. wie vom Tode hingestreckt, in verwirrten Gedanken, bis ein heilsamer Schlaf ihn umfing. Jobst war der erste, welcher in aller Frühe erwachte und jah, daß ein heiterer Frühlinasmorgen in die Kammer schien, in welcher er nun -chvn seit sechs Jahren geschlafen. So dürftig das Gemach alis-ah, so erschien «8 ihm doch wie ein Paradies, welches er verlassen sollte und zwar so unaerechterweise. Er ließ seine Augen umhergehen an den Wänden nnd zählte alle die vertrauten Spuren von den vielen Gesellen, die h'er schon gewohnt kürzere oder längere Zeit: hier hatte der seinen Kopf zu reiben gepflegt und einen dunklen Fleck verfertigt, dort hatte jener einen Nagel eingeschlagen, um seine Pftife daran zu hängen, und das rote Schnürchen hing noch daran. Welche gute Menschen waren das gewesen, daß sie so harmlos wieder davongegnngen, während diese, welche neben ihm lagen, durchaus nicht weichen wollten. Dann heftete er sein Auge auf die Gegend zunächst seinen« Gesichte, und betrachtete da die kleineren Gegenstände, welche er schon tausendmal bettt cktet, wenn er des Morgens oder am Abend noch bei Tageshelle im V-tte lag und sich eines ieligen, kostenfreien Daseins erfreute. Da war eine beschädigte Stelle in dem Bewurf, welche wie ein Land ausiah mit Seen und Städten, und ein Hänfchen von groben Sandkörnern stellte eine glückselige Inselgruppe vor: weiterhin erstreckte sich eine lange Schweinsborste, welche ans dem Pinsel gefallen und in der blauen Tünche stecken geblieben war: denn Jobst hatte im letzten Herbst einmal ein kleines Rcstchen solcher Tünche gefunden und damit es nicht iinikommen sollte, eine Viertelswandscite damit ungestrichen, so weit es reiche» wollte, und zwar hatte er die Stelle bemalt, wo er zunächst im Bette lag. Jenseits der Schweinsborste aber ragte eine ganz geringe Erhöhung, wie ein kleines blaues Gebirge, welches einen zarten Schlag schatten über die Borste weg nach den glückseligen Inseln hinüberwarf. Ueber dies Gebirge hatte er -chon den gan zen Winter (-«grübelt, da cS ihm dünkte, als ob «S früher nicht dagcwc-en wäre. Wie er nun mit seinem traurigen, duselnde» Auge dasselbe suchte und plötzlich vermißte, traute er -einen Sinnen kaum, als er statt desselben einen kleinen kahlen Fleck an der Mauer fand, dagegen sah, wie der winzige blaue Berg nicht weit davon sich bewegte und zu wandeln schien. Erstaunt fuhr Jobst in die Höhe, als ob er ein blaues Wunder sähe, und sah, daß es eine Wanze war, welche er also im vorigen Herbst achtlos mit der Farbe überstrichen, als sie schon in Erstarrung dagesessen hatte. Jetzt aber war sie von der Frühlingswärme neu belebt, hatte "sich ausgemacht und stieg eben in diesem Augenblicke mit ihren« blauen Rücken unverdrossen die Wand hinan. Er blickte ihr gerührt und voll Verwunde rung nach; solange sie im Bläuen ging, war sie kaum von der Wand zu unterscheiden, als sie aber aus dem ge strichenen Bereich hinaustrat und die letzten vereinzrtten Spritze hinter sich hatte, wandelte das gute himmelblaue Tierchen weithin sichtvar seine Bahn durch die dunklere» Bezirke. Wehmütig sank Jobst in den Vfülmen zurück: -o wenig er sich sonst aus dergleichen machte, rührte diese Erscheinung doch jetzt ein Gefühl in ihm auf, als ob er doch auch endlich wieder wandern müßte, und es bc- dünkte ihm ein gutes Zeich»n zu sein, daß er -ich in das Unabänderliche ergeben und sich wenigstens mit gutem Willen auf den Weg machen solle. Durch diese ruhigeren Gedanken kehrte seine natürliche Besonnenheft und We sheit zurück, und indem er sich ergebung-°-volI nnd be-cheiden anstelle, sich den« schwierigen Werke unterziehe nnd da bei sich zu-amineniiehine und klug verhalte, er noch am ehesten über feine Nebenbuhler obsiegen könne. Sachte stieg er aus dem Bette und begann seine Sachen zu ordnen und vor allem seinen Schätz zu hebe» und zunnkerst in das alte Felleisen zu verpacken. Darüber erwachten so gleich seine Geiährten: wie diese sahen, daß er so gelassen sein Bündel schnürte, verwunderten sie sich sehr und noch mehr, als Jobst sie mft versöhnlichen Worten a-ircdctc und Ihnen einen guten Morgen wünschte. Weiter ließ er -ich aber nicht aus, sondern fuhr in seinem Geschäfte still und friedfertig fort. Sogleich, obschon sic wußten, was er Im Schilde führe, witterten sie eine Kriegslist in seinem Benehmen und ahmten es aus der Stelle »ach, höchst aufmerksam aus alles, was er ferner beginnen würde. Hierbei war es seltsam, wie sie alle drei zum erstenmal offen ihre Schätze unter den Fliesen hervorholten und dieselben, ohne Pe zu zählen, in die Ranzen versorgten. Denn sie wußten schon lange, daß jeder das Geheimnis der übrigen kannte, und nach alter ehrbarer Art mißtrauten sie sich nicht in der Weise, daß sie eine Verletz ing des Eiaentums befürchteten, und jeder wußte wohl, daß ihn die anderen nicht berauben würden, wie denn in den Schlafkaminern der Handwerksgeselle», Soldaten und der gleichen kein Verschluß und kein Mißtrauen bestehen soll, (Fortsetzung folgt.)
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