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Freitag, den 1. Januar 1S26. Nr. 1. Seile Die Gkoeßen der (Neujahrenacht Lrzählung von Gerirud Maaßen. Er war ein gefeierter Künstler und sein Ruhm ging weit über die Grenzen w'iner italienischen Heimat. Viele luchten seine .Höhe zu erreichen, wollten ihm gleichkommen und merkten dabei, daß sie dem großen Meister nie eben bürtig würden. Das brannte und schmerzte und schnitt in d'e Seele und wollte sie aufflammen lassen in heimlichem Grimm. Und manche Hand zuckte im Neid und manches Herz nährte in sich den Haß und wollte den Ruhm dessen vernichten, der groß und gefeiert dastand vor aller Welt. Erst gestern hatte er in Bologna ein Konzert gegeben, und die italienischen Zeitungen sangen und rauschten ihm Lob, und die Menge klatschte und jubelte ihm Beifall, und Blumen schickte man ihm ins Haus und tausend Grüße des Dankes und des freundschaftlichen Erinnerns. Und er selbst taumelte im Glück. Er war sich seiner Meisterschaft bewußt, wußte, datz er tausende fesselte durch die Gewalt der Töne. Er zog sie in seinen Bann und sie folgten ihm willenlos, wie kleine Kinder in einen blumenbesäten Garten. Und doch, während die Zeitungen seinen Ruhm wsiter- trugen und man in Pisa, Bologna und Rom seiner Meister schaft zujubelte, brannte und glimmte und schmerzte es in seiner Seele und ließ sie aufschreien in heimlicher Not. Sr setzte sich an den Flügel und er wollte sich das Weh von der Seele spielen, wie in bitteren Stunden früheren Leids. Doch das Schwere der Töne war nur der Ausdruck seiner Seele und sie wurde nicht frei, sondern nur noch düsterer und verlassener. Hätten doch die vielen geahnt, die ihn beneideten, was in seiner Seele vorging in Stunden der Einsamkeit! Daun schwieg die Kunst, und die ganze Leere seiner Seele stand schreiend und anklagend vor ihm. Und sein ganzes Leben wurde zum Vorwurf, und die Kunst nur zum Deckmantel vor den Augen einer blinden Menge. Und der große Meister wurde klein vor den Augen seiner Seele und vor den An klagen und Vorwürfen seines Gewissens. Der Flügel stand stumm vor seinem Meister oder er gab Antworten, die ihm die Seele zerrissen und die Arme ausstrecken ließen nach Rettung und Erbarmen. Er trat an das Fenster. Mitternächtliche Stunde war's, Glocken rauschten von allen Türmen, die hatten tiefe und hohe Stimmen, ernste und mahnende . . . Sie suchten und forschten in seiner Seele und rauschten von Liebe und gött licher Versöhnung. Er schloß das Fenster und setzte sich an den Flügel. Und er griff in die Tasten, und er wollte sie meistern, wie vor der lauschenden Menge. Doch sie gaben ihm bittere Antworten, und sie klangen so vorwurfsvoll und sie peinigten seine Seele, wie nie zuvor. Der große Meister War im Alleinsein nicht Herr seiner Kunst. Auch sie hatte ihn verlassen, die ihm Brücke sein sollte zu höchstem Erleben, die ihm Gott war und Religion und alles . . . Wie einsam er war, und das nun schon viele Jahre. Und die Einsamkeit wuchs und hüllte ihn ein in schwere Scharten. Die Glocken, die draußen klangen und rauschten, rauschten in seine Seele und wollten ihn enrporzichen in gnaden- vollcr Stunde. Schon oft waren sie zu ihm gedrungen, hatten gemahnt und gefleht und gewarnt und gerufen. Aber stets war die Seele verschlossen und kalt und ab geneigt . . . Doch jetzt, wo die Kunst schwieg, drängten sie den Nebel und lösten den Schatten. Und die mitternächtlichen Glocken der Domkirche von Mailand rauschten durch seine Seele, und sie griffen und hielten und umfingen ihn und erzählten ihm von den Tagen seiner Jugend. In Siena war er groß geworden. Auf dem Campo, dem alten Haupt platz der Stadt hatte er oft gespielt mit seinen Kameraden. Bewundernd stand er zuweilen auf den Höhen von Siena und blickte auf das mit Weinbergen und malerischen Gärten bedeckte Hügelland von Toskana. Und sein Blick schweifte aufwärts und er dankte Gott für das wunderbare Ge-'chenk seiner Heimat. Vor seinen Augen stand der Dom von Siena. Er liebte dieses Gotteshaus mit der ganzen Kraft seiner jungen Seele. Er erkannte es schon damals als das schönste und vollendetste aller Gotteshäuser von Siena. In der Kirche San Domenico hatte er gekniet und dort gebetet aus der Tiefe eines reinen Kindcrherzens. Doch bald kam die Zeit des Studiums auf fremden Aka demien; «S folgten Zweifel und Umschwung, und die Seele wurde leer und zerrissen und sie suchte in der Kunst höchste Befriedigung. Doch auch die Kunst versagte, und er öffnete fenem wieder Herz und Sinn, den er verstoßen in blinder Willkür. Und er streckt« die Arme aus und bat um Rettung und Erbarmen. Die letzten Glockenklänge verhallten so zart und rein, nachdem sie an seine Seele geklopft und sie geöffnet zu tiefem Erkennen. — Er nahm Hut und Mantel und schritt über die breiten, wohlgeflegten Straßen und über die Plätze von Mailand. Seine Gedanken waren nicht bei der Kunst, sie gruben und forschten in der stolzen zerrissenen Seele. — Viele Wochen hielt er so Einkehr in sich selbst. Seine Freunde verstanden ihn nicht, die ihn umjubelnde Menge zuckte die Achseln und die Zeitungen schrieben, der große Meister wäre überarbeitet und bedürfte der Ruhe. Er aber reiste nach Nom. Viele Monate hielt er sich dort auf. Er besucht« Kirchen und Kapellen, Bibliotheken und Archive und dachte nur daran, seiner Seele Frieden zu geben. Hart war der Kampf, denn gegen 16 Jahre waren cs, daß er die Kunst zu seinem Gott gestaltet hatte. Die Kirche „degli Angel!" wurde jetzt sein Zufluchtsort. Dort betete er oft in der Dunkelheit des Abends. Der Heiland sprach zu ihm vom stillen Tabernakel. Er öffnete seine Arme und lud ihn ein in das Haus des Friedens. Und der große Meister gab ihm Antwort nach langjähriger, kampsesschwerer Abkehr. ^Einern Karläusermünch, eiliem alten erlahrenen Priester, hatte er sein Herz erschlossen, und die ganze Kar tause von degli Angel: freute sich und jubelte mit ihm und wurde seine Heimat. Nach einem an seelischen Schwie rigkeiten und Versuchungen selten schweren Noviziat, legte er die Gelübde ab. Im we'ßen Gewände der Kar'iänstr kniete er vor dem Altar. Goldene Sonnenfunken fielen durch die hohen kunstvoll bemalten Fenster. Sie legten sich auf den feinen Goldglanz der Tabernakeltür, und sie streiften das weiße Gewand des glücklichen Bruders. Seine Brust hob und senkte sich in freudigem Dank. Und seine Seele sprach andachtsvolle Gebete. Seine Umkehr kam ihm vor wie ein Wunder der Gnade Gottes. Aus der Schar seiner oberflächlichen Kunstfreunde geführt in dieses Eiland Gottes. Der Prior, der ihn schätzte und liebte, und der selbst nach mancherlei Wandlungen 7»: die Kartause gelangt war, hätte chm gern «ine weihevolle Stunde in Bereinigung mit der Kunst gestattet. Doch die strenge Megel der Kartäuser läßt dieses nicht z«. Selbst beim täglichen, morgendlichen Hochamt fehlt jede Begleitung durch die Orgel. Das war für Fra Philippo das größte Opfer. Er, der sich selbst durch die Kunst vergöttert hatte, trennte sich von ihr um Gottes willen. Und wieviel hatte er darum gebetetk Oft glimmte und brannte es in seiner Seele, und in seinen Händen zuckte es und er bewegte sie in feierlichem Tempo, als säße er vor einem Flügel, wie in jenen Stunden der Abenddämmerung in seinen Knnstlerheimen zu Mailand oder Neapel. Gott lohnte das Opfer des Fra Philippo. Er allein verstand es zu wägen und zu messen. Er, der ihn: viel gegeben, sollte Größeres empfangen. In Stunden des Gebetes und Stunden der Betrachtung erhob er ihn zu Neujaßröwünsche Von Jos. Schröter. Die Jahre reichen sich die Hände, >.:s eine kommt, das andre geht; ernst vor dein Tor der Zeitenwende die Sphinx der grauen Zukunft steht. Ihr Freunde, was darf bei den Pünschen, die Ihr Euch dampfend mischt und brau:, an Schönem ich Euch herzlich wünschen, das Euch erfreut, das Euch erbaut? Gesundheit soll Euch nimmer fehlen, die Grippe uiw die Ischias Euch nicht bedrücken, Euch nicht quälen. Zuweilen braucht der Mensch auch Spaß. Im wirren Spiel znkünft'ger Zeiten bleib Euer Lebensschisflein flott und nicht bedrängt von bösen Pleiten. Geschäfisaussicht und Bankerott. Ans Eure Wechsel zahle willig und freudig die ängstlichste Bank, mW braucht Ihr Geld, so sei es billig, braucht Ihr Kredit, so sei er lang. Die Politik der Kabinette sei stetig nun in ihrer Bahn und nicht von Krisen eine Kette, von Hast frei wie von Schlendrian. Was man versprochen in Locarno, das werde unumstößlich ivahr, an Themse, Seine, Spree und Arno in dem min aiMsang'nen Jahr. Schon ob den ersten Iännertagcn erglänze uns ein Hoffnungsstrahl: Gott schütze Erich vor allen Plagen, besonders vor zu vieler Wahl! NW W W WM W N W höchster mystischer Vereinigung. Dann sah er mit den Augen der Seele Dinge, die gewöhnlichen Menschen zn sehen sonst nicht beschicken sind. Die Seele vergaß Zeit und Raum und schwang sich in heiligem Fluge aufwärts. Der Himmelsdom mit seinem Sternenreigcn öffnete sich lind es neigten sich zu ihm Chöre der Engel, die Lieder sangen in geheimnisvollen Töne». Was Fra Philippo jemals erlebt in den Tagen seiner Meisterschaft, das kam ihm vor wie tiefer Schatten vor dem Glanze der Sonne. Flügel hatte seine Seels be stimmen, lichte, geheimnisttolle Flügel, die nur Gott zu gebeit vermag. Der große Meister hatte die Kunst verlassen, um ganz für Gott zn leben. In der Welt sprach man nur »och wenig von ihm. Und die von ihm sprachen, verstanden ihn nicht. Die Kartause von degkk Angel: hatte sitz ihm geöffnet zn höchstem göttlichen Erleben. Bon Stufe zu Stufe stieg er in der Liebe und Gottvereinigung. Fra Philippo hatte die Welt verlassen, um nach dem Plane Gottes ein Heiliger zu werden in der Kartause von degli Angeli. — Si'tt»eft«r. Der Name des Tages stammt voir dem am 31. Dezember 336 verstorbenen Papst Silvester I. Aber auch hier hat die Bezeichnung, wie so oft, nichts mehr mit der Sache zu tun: es war seit jeher Brauch, den Uebergnngeines Jahres zum nächsten fröhlich zu begehen, und da der letzte Tag des alten Jahres den Namen des heiligen Silvester führte, wurden ohne Bedenken alle Ausgelassenheiten mit ihm in Beziehung gesetzt und leben nnn als „Silvester- Bräuche" fort. —Früher schrieb man Sylvester, neuerdings hat man das h in ein i verwandelt und schreidt nun wohl allgemein Silvester; denn der Name des Papstes leitet sich vom lateinischen „silva" her, so daß Sylvester Waldmann bedeutet. Daß sich die Schreibweise mit y solange er halten hat, erklärt sich daher, daß man schon nn mittel alterlichen Latein „sylva" zn schreiben begann. UrHroftmuiiers Neujahrskarte Plauderei von Th. Richter. Wie schön war es doch, als unsere Urgroßmütter sich nach gegenseitig Neujahrskarten malten, ja — buchstäblich mal ten; denn damals in einer Zelt, in der cs kaum die erste E. ea- bahn gab und die Postkutsche mit ihrer Romantik nach c> irch die Lande rollte, halte man viel M ise, daß man sie zu allem möglichen benutzen konnte. Nicht bloß dazu, um lieh seiten lange, belletristisch wirklich schöne Briese zu sch:, bei:, an wel cher Gepflogenheit man natürlich auch zun Jahreswechsel iest- hielt, sondern auch dazu, um seinen B-wsen getällig geicknü'ane Karten beizulegen, aus oenei: man sich Neujahrswüns-l-e aus malte. Mit Dusche, mit dem Kohlestift, ja sogar mit farbig:r Tinte malte und zeichnete man auf zierlich gefalteten Kärtchen und Blättern, in poetischer Form wie in Prosa, zum Neujahr allerl)and gefällige Wortspiele und Anspielungen, die freilich nur derjenige verste!>en konnte, an dessen Adresse eine solche Neujahrskarte aus Urgrotzniutters Tagen gerichtet war E n eigener Duft von Bicdermeierbehaglichkelt, non beickeidenm Frohsinn und wirklich guter Laune weht uns aus diese» bau lichen Erinnerungen längst vergangener Tage an. Die Mine verträumte, blaublümelnde Zeit des Vormärzentums mit seiner spießigen Romantik tritt uns heute in jenen Ncujahrskarkm entgegen, die damals zur postalischen Beförderung natürlich nicht zulässig waren und die man gleichsam als malerische Beigabe ni seine Neujahrsbriefe hineinlegte. Durch Zufall hat man wah rend der stürmischen Kriegsjahre in einen: verträumten Oder- städtchen eine ganze Sammlung solcher kurioser, getuschter nn) gezeichneter Neujahrskarten mit ihre,: drolligen Wünschen ge funden. Mit roter, blauer, schwarzer und grüner Tusche leuch ten uns allerhand zierliche Arabesken entgegen, erblicken wir > aus diesen Karten struppige Kinderköpse oder süße Engels- i gesichter, gefällige Landschaften mit Brücken und Anrsziimen, ! flüchtig angeöeutete Stadtbilder, sehen mir weiter die Tiere des Waldes und des Feldes in mehr oder weniger gelungen!» und komischen Stellungen, springend und kauernd, hüpfend uns laufend oder lugend zwischen Jasminlaubenblättern, die blau äugigen Köpfe verliebter Studenten und feiertäglich geputzter > Jungfräulein sich anschmachtend hervor. Alles zierlich, freund lich, harmlos, alles den lauen und leisen Dust verträumten Diedermeiertums ausströmend... Und nun die Berschen, mit denen man sich gegenseitig Zun: Neujahr in gleich harm loser Werse neckte. Da heißt das eine: Was es auch bring' dos neue Jahr, Macht es nur deine Wünsche ivahr. Oder ein anderes: Komm — betrachte meine Karte, Alles Glück dann bald erwarte. Oder wieder ein anderes: Neujahr, sei kein loser Schelm, Sonst bekommst du einei: Helm! Natürlich eine Anspielung der Driesschreiberin ihrer Freundin gegenüber, die heimlich einer männlichen Person des Welpstan des gut ist, ivas die Neujahrskartenmalerin dadurch zum Aus druck bringt, »atz sie einer amorettenähnlichen Figur aus ihrer Karte einen schweren Reiterhelm ausgrmalt hat. Nicht immer sind die Anspielungen so voll l-armlosen Hu mors. mitunter kommt auch der Pessimismus zu Wort, indem ein« ihrer Neujahrskarte als erkennbaren Ausdruck ihrer de, trübten Neujahrsstimmung das Berschen untergesetzt Hot: Jahr, du kommst und weilst und gehst, Glück, du fliehst und Leid, du stehst! Kein Geringerer als Oesterreichs großer Dramendichter Grill parzer ist der Verfasser dieses Derschens und auch der Schreiber oder vielmehr Maler jener Neujahrskarte, auf der man es ge funden hat. Denn nicht bloß unsere Urgroßmütter, sondern auch deren Männer und Freunde beschäftigten sich mit der Anferti gung solcher gemalten Rsujahrswünsche. In: Wiener Sladt- mnseum befinden sich einige von bemerkenswerter Gefälligkeit Zeugnis ablegende getuschte Neujahrskarten aus dem Freundes kreise eines Grillparzer und Schubert, in dem es zu Neujahr Sitte war. sich gegenseitig mit derartigen bemalten Erzeugnissen Neujohrsausmcrksamkeiten zu erweisen. Aber auch im märkischen Provinzialmuseum in Berlin legt uns eine von der Hand Theodor Fontanes getuschte Neujahrs karte Zeugnis davon ab, daß man noch in dem alten Berlin der sechziger Jahre an dieser Sitte aus Urgroßvätertagen in gewissem und altfränkischem Sinne und Geist erzogene,: und le benden Kreisen festhielt. Der Dichter Theodor Fontane besaß ein nicht geringes Zeichentalent und dieses kommt auch aus jener Karte zum Ausdruck. Wir sehen darauf ein damals schon abgetragenes, altes Berliner Stadttor, vor den: ein Stadtknecht mit seiner Helsbavde Woche steht, der einem Reiter anscheinend den Zutritt in di« Stadt verwehren will. Aus den Leib de, Pferdes jenes Reiters hat Fontane die Worte gekritzelt: Glück zum Ritt ins neue Jahr. Die Karte selbst ivar mit einem Brief au einen Landwirt ge richtet, der ein guter Reiter und geschätzter Pserdekeimer war. Das Merkwürdige ist. daß die Sitte, sich in gewissen wohl habenden Kreisen Nordamerikas solche bemalte Neujahrsgrüße in Kartensorm einander Zuzuschicken, noch heute im Lande des Dollars heimisch ist. Freilich nimmt man sich jetzt nicht mehr, wie vielleicht noch vor öü Jahren, die Zeit, diese Kartei: selbst zu bemalen, sondern läßt dies auf mechanischem Wege besorgen und trachtet lieber danach, in der Auswahl -es Karienpapiers einen möglichst auffälligen Luxus zu entfalten und cs auch nicht an schicken und parsiimdusienden Briesbögen schien zn lassen. Nur in dem stofflichen Inhalt dieser Neujahrskarten ist man der Tradition treu geblieben, indem man Figuren aus jener Biedermeierzeit mit Vorliebe als Jüustrationsmotiv answähll, in der sich uuiere Uraroßmiiiter ihre Nenjohrskarien einander > z>,schickten