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Sächsische Volkszeitung : 26.05.1929
- Erscheinungsdatum
- 1929-05-26
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192905261
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19290526
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19290526
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1929
-
Monat
1929-05
- Tag 1929-05-26
-
Monat
1929-05
-
Jahr
1929
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M»« Eigrndrötler daran gewöhnt, auf die Gesamheit Rück- sicht zu nehyien und sich einzugliedern. In der Herbergs. Küche kann nicht für jeden sein Leibgericht gekocht wer den. er mutz nehmen, was der andere auch bekommt: im Echlassaal darf nicht hier einer noch schmökern wollen, dürfen nicht andere sich unterhalten, wenn die Schlafens zeit gekommen ist. Wirksam und erziehlich ist das eiserne Gesetz der Jugendherbergen, das; in ihnen nicht geraucht und kein Alkokohl genosten werden darf! Wer so in seiner Jugend gelernt hat, sich freiwillig einzugliedern in eine Gemeinschaft, der versteht das dann auch später, wenn das Leben noch größere Ansprüche in dieser Richtung stellt. Beim Wandern und in der Jugendherberge haben -ie Unterschiede von Parteien und Richtungen zu schwei gen. Das ergibt sich ganz von. selbst. Nur in gemeinsamer Anstrengung können die Mittel für den Bau von Jugend- Herbergen aufgebracht werden: das großartig aufge- blühte Iugendherbergswerk im Deutschen Reich wäre ohne solch gemeinschaftliches Wollen und Schaffen nie entstanden! Wir bilden uns nicht ein. daß damit ein Allheilmit tel für die Zukunft gefunden sei. Aber es wäre doch ein recht beträchtlicher Schritt vorwärts, wenn es das schon überall gäbe: daß die Jugend herausgeführt wird in die Weite, daß sie lernt, sich freiwillig der Gemeinschaft ein zuordnen, und daß über alle Meinungsverschiedenheiten hinweg einer^ im andern nur den Mitmenschen, den Bruder sieht! Dazu wollen wir beitragen mit unfern Jugendherbergen. Gottfried Rade. Deutscher Aakurschutzkag Schutz -er Keimst! Dresden, 25. Mai. Freitag vormittag begannen im Künstlerhause die sach lichen Beratungen des dritten deutschen Naturschutztages, wozu wiederum eine Reihe von Ehrengästen erschienen waren, darunter Volkebildungsminister Dr. Bünger. Noch kurzen Begrützungsworten des Vorsitzenden Staatsrats v. Reuter hietz Ministerialdirektor Dr. Schulze die Tagung namens der säch sischen Regierung herzlich willkommen und wies auf die un bedingte Notwendigkeit einer Organisation wie des Landes. Vereins Sächsischer Heimatschutz hin. Auch der Staat habe seine Pflichten auf diesem Gebiete durchaus er- könnt; aber mit Gesetzen könne man das Wenigste erreichen. Das Wichtigste müsse sein, das öffentliche Gewissen wach zu rufen und zur Selbsthilfe zu schreiten. Und gerade hierin habe der Landesverein Sächsischer Heimatschutz, der durch aus unabhängig, aber in engem Einvernehmen mit der Regie rung arbeite, Ersprießliches und Vorbildliches geleistet. Redner schloß mit dem Hinweis, daß Schutz der Natur und der Heimat gleichbedeutend sei mit Dienst am Vater land undderGesamtheit. Sodann hieß Stadtrat Koeppen die Tagung in Dresden willkommen, und Zwar nicht nur namens der städtischen Körper, schäften, sondern der ganzen Bevölkerung, die bei der starken Sehnsucht des Großstädters nach der Natur die Bestrebungen dieser Tagung aufs wärmste unterstütze. Schon vor 20 Jahren zur Zeit des verstorbenen Oberbürgermeisters Dr. Beutler sei der Verein zum Schutze der Sächsischen Schweiz geschaffen worden, der gewissermaßen als Vorläufer der späteren Heimot- schutzvercinigungen betrachtet werden könne. Dr. Koeppen schloß mir dem Wunsche, daß die Teilnehmer der Tagung aus ganz Deutschland nicht nur die Natur-, sondern auch die reichen Kunst schätze der sächsischen Hauptstadt eingehend besichtigen und wür digen würden. Anschließend ergriff Prof. Dr. Heinrich Kraft, Dresden, das Wort zw seinem, Bortrage über den Wert der Natur f ü r da s me n schlich« Leben, der auch durch den mittel- deuIschen Rundfunksender einem " größeren Kreise von Hörern vermittelt wurde. Weiter sprachen Pros. Dr. Wagner und Prof. Dr. Schoenichen über die Erhaltung der deutschen Berge sowie Oberregierungsrat Hager über Reklame und Landscl)ast. Sämtliche Vorträge wurden durch Lichtbilder er läutert. Zum Schluß sprach noch Ministerialrat Dr. Thiele über das Thema „Erholungsgebiete und Verkehr". Am Nach mittag wurden Ausflüge in sächsische Naturschutzgebiete unter nommen. Vun-eskagung deutscher ZoUkechniker Dresden, 25. Mai. Im Rahmen des Bundestages sand gestern im Ausstellungspalast ein Gästeabend statt, dem auch zahlreiche Vertreter der Behörden, der Wirtschaft, des Handels und der Industrie beiwcchntcn. — Der zweite Verhandlungstag galt der Erörterung von Standes- und Fachsragen. Im Vordergrund standen Beratungen über den Ausbau der Eterbekasse und der Wohlfahrtspflege. Mit besonderer Sorg falt will er sich für die Schaffung gesunder Dien st- und Amtsräume einsetzen, um ein Gesundheit und Kräfte schonendes Arbeiten zu ermöglichen. Weiter will er durch Be reitstellung von Mitteln seinen Mitgliedern und deren Hinter bliebenen in Fällen der Not helfen. Er tritt ferner ein für körperliche Ertüchtigung scii»r Mitglieder durch Förderung von Beamtcn-Sport- und Turnvereinen, für die Schaffung reichs- eigener Erholungsstätten und gesunder Beamtenwohnheim stätten und will alle Maßnahmen fördern, die der Bekämpfung von Krankheiten seines Mitgliederbestandes dienen. — Mittags folgte man einer Einladung der Zigaretten-Fabrik Greiling A.-G. zur Besichtigung des Betriebes. Landwirtschaftliche Genoffenschaftstagung Dresden, 25. Mai. In Gegenwart -es Wirtschaftsministers Dr. Krug v. Nidda und Vertretern der Reichs- und Staatsbehörden der landwirtschaft lichen Verbände und Genossenschaften des Landwirtschaftlichen Zenlralverbandes der Tschechoslowakei und aller mit der Land wirtschaft befreundeten Organisationen, hielten die landwirtschaft lichen Genossenschaften im vormaligen Königreich Sachsen gestern ihren 39- Verbandsiag im Vereinshaust ab. Nach der Begrüßungs ansprache des Vcrbandsdirektorz Dr. Schöne erstattete dieser den Jahresbericht, der ein trübes Zukunftsbild entwarf. Von einer Ge sundung der Landwirtschaft könne noch keine Rede sein. Im Mittel punkt des Interesses stehe gegenwärtig die Frage der Milch Ver wertung. Ein einheitlicher Milchlieferungsvertrag, aber nicht, ober nicht Ausschluß des Mischhandels, sei geplant. Es sollten nicht willkürlich hohe Milchpreise festgesetzt, sondern die Kaufkraft der Verbraucher berücksichtigt werden. Die Heraufsetzung des Diskont satzes habe für die Landwirtschaft einen harten Schlag bedeutet. Leider schreite die Verschuldung der Landwirtschaft ständig fort. Di« Außenstände seien auf 24 Prozent gestiegen. Die so notwendige Vereinheitlichung des Genossenschaftswesens sei leider auch heute uoch immer nickst zustande gekommen. Generalsekretär Dr. Kretzschmar erstattete den Bericht über die Revisionstätigkcit im Jahre 1928, worauf Direktor Bren- ning-Berlin die Versammlung im Namen des Reichsvcrbandcs Landwirtschaftlicher Genossenschaften begrüßte. Der hierauf angenommene Vorschlag für 1929 balanciert mit 177171 Mark gegen 155 271 im Vorjahre. In dem nunmehr vom Landwirtschaflsrat Dr. Schindler-Berlin gehaltenen Vorträge über „Das Msatzproblem, die Schicksalsfrage der deutschen Land- wirtsck-ast" wurden zunächst die Absatzschwierigkeiten ihrer Natur und ihrem Ursprung nach dargelegt und als SWHilfemittel die Selbst hilfe vor der StaatShtlfe, Regelung der Zoll- und Absatzsragcn, Hemmung der Kreditwirtschoft. rationelle Wirtschaftspolitik, Ver bindung der Landwirtschaft mit dem Bankkapital, geschlossenes Vor gehen der Landwirtschaft, ausgezeigt. Im Anschluß wurde dann noch der Werbefilm des Norddeutschen Vichvcrwertungsverbands, Stet tin, »Der zielsichere Fuhrmann" vorgeführt und mit großem Beifall ausgenommen. „Tag -er Rheinländer" in der Jahresschou Reisen und Wandern. Der erste der angekündigten Heimattage der Lands- Mannschaften findet am heutigen Sonntag statt unter dem Namen eines „Tages der Rheinländer". Unter Mit wirkung des Reichsoerbandes der Rheinländer, Ortsgruppe Dresden, findet um 12 Uhr vormittags im Lichtspielhaus der Jahresschou eine Morgenfeier statt, in der die in Meißen und Dresden lebenden rheinischen Dichter Will Vesper und Heinrich Zerkaulen aus eigenen Dichtungen vorlesen. Der Vortrag ist unentgeltlich für Inhaber von Tageseintritts. und Dauerkarten. Um 19 Uhr findet im Konzertsaal des Haupt- . restaurants der großerheinisch« Abend statt unter Mit. Wirkung der ehemaligen Hostrompeter. der Tanzgruppe Kauf. mann-Pratsch, des Speisebecher-Bvkal-Quortetts. Ferner habe« ihre Mitwirkung zugesagt Walpurga Stöber und Eugen Kny. Kammersänger F Oels und Konzertpianist Herbert Wüst. Haff. Zu der Feier hat Georg Irrgang einen Vorspruchs gedichtet. Der Vorsitzende des Reichsverbaudes der Rheinländer der Ortsgruppe Dresden. Willy Wienstroth, wird den Abend mit einer Ansprache einführen. Der Eintrittspreis für diesen rheinischen Abend beträgt für jedermann 1 Mark — Im Rahmen der Iugendherbergswoche findet um 9 Uhr vormittags aus dem Kugelhausplatz ein Werbetanzen statt — Di« Deutsche Luft-Hansa hat der Direktion der Iahressckiau in licdenswürdiger Weise für jeden lOOOsten Be sucher eine Flugfreikarte zur Verfügung gestellt. Der glückliche Gewinner dieser Freikarte Hot die Wahl zwischen einem Flug Dresden—Berlin, Dresden—Görlitz. Dresden- Breslau oder Dresden—Leipzig. Schlechte Wirlschallszeichen Dresden. 25. April. Im ersten Vierteljahr 1929 sind im Freist aal Sachsen 422 Unternehmungen gegründet, aber 528, also über IVO mehr, aufgelöst worden . . . In der Stabt Dresden sind im ersten Vierleljahr 1929 insgesamt 33 Konkurse eröffnet und 49 Koukursanträge abgclchnt worden. 18 Vergleichsverfahren sind ciiigelettel worden. 125 Unter» nchmungen sind gegründet, aber 96 aufgelöst worden. Der DresdnerArbeitsmorktbat in der letzten Woche statt eine Saisonbelebung erneu > Belastung erfahre». Im Laufe der Woche setzte ein Zuzug von über 3200 Arbeit s. suchenden ein. Vornehmlich handelte cs sich um entlassene Aus hilfskräfte, die nur vorübergehend zuur Fertigstellung dringender Fristarbeiten vor den Feiertagen bcuöligt wurden. Darüber hinaus stieg die Aalst derjenigen Arbeitsuchenden, die entlassen wurden, da wegen der allgemein ungünstigen unb unsichere» Wirtschaftslage, vor allem wegen der Kapitalknappheil. der Betrieb ganz geschlossen weiden mußte, oder man nur mit sehr verringertem Personal bestand weiterzuarbeitcn versuchte. Es fehlen namentlich die Per- scmalbestellungen der Außenbcrufe. In der Landwirt schaft herrscht nach Beendigung der Frühjahrsarbeiten bis zum Beginn der Heuernte die übliche Stille. Im Gartenbau erfolg ten größere Entlassungen. In Industrie und Handwerk tvarcn allein das Braugewerbe und die Ziga retten- Jndustrie gut beschäftigt, zahlreiche Ferieuaushilien wurden eingestellt. Dagegen ließ die Arbettsmarktlagc im Holz- und Kürschnergewerbe sehr zu wünschen übrig. — Auf dem Sicllenmarkt für kaufmännische und technische Angestellte gingen nur vereinzelt Aufträge ein. Es wurden demnach gezählt: Arbeitsuchende 30 693, Unterstützte aus der Arbeitslosenversicherung 16 932, Unter, stützte aus der Krisenfürforge 3226, Kurzarbeiter 1159, Notstands arbeiter 3300. Wohnungsnotzähtung am 31. Mal Dresden. 25. Mai. " Wie wir bereits mitgeteilt haben, hat das Ministerium für d'ett 31. Mai 1929 eine Zählung der Wohmingfuchcnden angeordnet. Die dem Wohnungsamt bekannten Wohnungsuchenden erhallen die Zähl bogen in den nächsten Tagen zugcsandt. Wohnungfuchcnde, di« den Zählbogen bis zum 34. Mai 19Ä nicht erhallen, werden aufgesor- dert, ihn in der nächüen Wohlfahrispolizeiwache abzuholen. Die Zählbogen sind bis zum 4. Juni 1929 bei der nächsten Wohls sahrtspolizciwache ausgefüllt abzuliesern. Hat ein WohuungSgcsuch sich bis zum Zätsttage erledigt, so ist kein Zählbogen auszufüllcn. Da es die Ausgabe der Zählung ist, sestznstellen, wieviel Wohnungen zur Deckuna des Bedarfes neu erst cllt werden müssen, sind bei der Zählung olle die Fälle ohne Interesse, in denen jemand bereits eine einigermaßen befriedigende Famiiienwohnung jnne hat und die Wohnung nur zu tauschen wünscht; denn dann steht seine gegemvärtige Wohnung zur Unter bringung eines anderen Wohnungsuchcnden zur Verfügung. Fäll« dieser Art werden bei der Zählung nicht weiterbeavbcitet werden. Jcdo chist dann, wenn jemand eine unzureichende Wohnung hat und beim Wohnungsamt ein Antrag auf Wohnungszuweisung linkst, die Ausfüllung notwendig, um zu verhüten, daß das Woh nungsamt den Antrag als erledigt betrachtet. Mensch unter Menschen Roman von Victor Hugo. (22. Fortsetzung.) »Wollen der Herr Bürgermeister sie mir Mausen?" „Nein, aber ich will aus Vorsorge Sie für jeden Faill sicher- ftellen. Sie geben mir das Geld nach meiner Rückkehr wieder. Wie viel also für Pferd und Wagen?" „Fünfhundert Franken. Herr Bürgermeister." „Hier" Mit diesen Worten legi« Madeleine einen Kaffe,«schein auf den tisch und ging fort, ohne wieder zurückzukchren. Meister Scaufflaire bedauerte i» de« Folge fürchterlich, daß er eicht taufend Franken gesagt hatte. Uebrigens waren Pferd und Fuhrwerk höchstens dreihundert Franken wert. Der Flamländer rief sofort seine Frau, erzählte ihr von dom seltenen Besuch und rechnete dann der Entfernung nockr aus. daß der Bürgermeister die ilbsicht haben müsse, am nächsten Tage noch Arras zu fahren. Mittlerweile war Madeleine nach Haust zurückgekehrt. Er hatte einen großen Umweg gemocht, als wenn der Anblick deS Pfarrhauses Anlaß zu einer gefährlichen Versuchung hätte gebe» können. Zu Haust schloß er sich in seinem Zimmer ein, was nichts auffälliges Halle, denn er begab sich gern frühzeitig zur Ruhe. Indessen beobachtet« die Portiersfrau der Fabrik, die zu gleich auch den Dienst in Madeleines Haushalt versah, daß sein Licht um halb neun aus gelöscht wurde, und richtete deshalb an den Kassierer, der gerade noch .Haufe kam. die Frage: „Sollte der Herr Bürgermeister unpäßlich sein? Er sah heute abend ganz eigentümlich aus." Das Zimmer des Kassierers lag unter dem Madeleines. Nahe zu die ganz« Nacht hindurch wurde der Kassierer durch Geräusche aus dem Zimmer Madeleines gestört. Doch er schlief jedesmal bald wieder ein, und er wurde sich nickt klar, was dieser Lärm bedeutete. « Der Lestr hat gerviß schon erraten, daß Modeleine kein anderer ist als Jean Valjcan. Di« Begegnung mit dem Bischof von Digne und der rätsel hafte Vorfall rmt dem kleinen Gervais Hilten Jean Llaljean zum neue» Menschen gemacht. Sein ganzes Wesen läutert«, verklärte sich. Es gelang ihm, zu verschwinden, er verkaufte dos Silber geschirr des Bischofs mit Ausnahme der Leuchter, die er als Anden ken behielt, Wich sich von Stadt zu Stadt bis nach Montrouil-sur- Mer, wo er sich eine unangreifbare Stellung schuf. Hier gab er sich dem Glücksgefühl hin, daß sein« schreckliche Vergangenheit durch eine friedvolle, sichere Gegenwart ausgelöstht sei. und der Hoffnung, er würde jetzt verborgen bleiben und einen heiligen Lebenswandel führen können. Diese beiden Gedanken waren in seinem Geiste so eng miitein- ander verschlungen, daß sie ein einziges Ganzes bildeten, sie nah men gebieterisch sein ganzes Sein in Anspruch und bestimmten sein« geringfügigsten Handlungen. Meistenteils herrschte Eintracht zwi schen diesen zwei Prinzipien. Bisweilen jedoch kam es vor, daß sie miteinander in Kampf gerieten. Daun trug der Manu, den ganz Montreuil-sur-Mcr nebst Umgegend Madeleine nannte, kein Beden ken, dos erste dem zweiten, seine persönliche Sicherheit seiner Tu- geiL, zu opfern. So hatte er, aller Vorsicht und allen Geboten der Klugheit zum Trohe, die Leuchter des Bischofs in seinem Besitz be halten, seinen Wohltäter betrauert, alle Savohardcnjungen zu sich beschieden und ausgcfragt, Erkundigungen über Familien in Fave- rolleS eingezogen, dem alten Fauchelevenk trotz Javerts argwöh nischen Bemerkungen das Leben gerettet. Nach dem Vorbild« aller Weisen, Frommen und Gerechten dacht« er. daß Li« Pflichten gegen sich selbst nicht di« ersten sind. Doch war ihm bisher ein so schwieriger GewffsenSsaT, wie dieser noch nicht vorgekommen. Dies begriff er zwar unklar, aber nachhaltig, bei den ersten Worten Javerts. Ms der Name, den er so tief vergraben hatte, unter so sonderbaren Umständen vor ihm ausgesprockrcn wurde, erfasste ihn starres Entsetzen. Während er Javerts Worte» lauscht«, wandelte ihn der Gedanke au, er müsse hineilen, sich angcben, Champinothieu aus dem Gefängnisse be freien und seine Stelle einnehmen. Freilich, nach den frommen Ermahnungen des Bischofs, nach so langer Reue und Selbstverleugnung. bei dem wunderbar tiefen Reuegesühl, das ihn beseelte, hätte er selbst angesichts einer so gräßlichen Gefahr nicht einen Augenblick.Wvankcn und nchig dem Abgrunde zusckreitcn sollen, der zum Himmel führte; aber so schön dies gewesen wäre, so wenig würde dies der Wahrheit entsprechen, die wir dock» allein im Auge behalten müssen. Der Trieb der Selbst- > erhallung gewann fürs erst« die Oberhand. Den ganzen Tag über verharrt« er in diesem Zustande: innen ein Wirbelsturm, nach außen ein« unbewegliche Maske — und oll« Maßregeln, die er ergriff, waren solche, die ihm die Weg« nach den Heiden entgegengesetzten Seiten hin offen ließen. Er hatte di« Emp findung, daß er vielleicht sich nach Arras verfügen müsst, und ohne sich diese Reise fest vorzunehmen, sagte er sich doch, da er keinen Argwohn zu fürchten habe, sei cs rinn unbenommen, der Gerichts verhandlung beizuwohnen und bestellte bei Scaufflaire den Tilbury, um aus alle Fälle vorbereitet zu stiu. Nachdem «r sich in sein Zimmer zurückgezogen, saiumelte er sich. Er überdachte seine Lage und fand sie so unerhört fürchterlich, daß er unter einem ihm selber unerklärlichen Impuls« plötzlich sich von seinem Stuhl erhob lind sein« Tür verriegelte. Er fürchtete, e» würde noch etwas Hereiickommen. Er verbarrikadierte sich gegen mögliches Unheil. Er blies das Licht aus. Es war ihm unheimlich. Was er zur Türe hinausgewiestn hatte, war hcreingekominen; ivas er hätte blenden mögen, sah ihm jetzt ins Auge: Sein Gewissen — Gott. Indessen in den ersten Augenblicken gab er sich einer beruh!, geicken Täuschung hin; es überfein ihn di« Empfindung, daß er allein und in Sicherheit sei. Nun er den Riegel vorgeschoben, hielt er sich gegen einen UebersM gesichert; nachdem er das Licht aus» gelöscht, dünkte er sich unsichtbar. Der Sturm tobte in seinem Innern. Sein Hirn verlor die Fähigkeit, di« Gedanken ststzuhalten; sie rollten davon wie Wollen, die der Mud vor sich herjagt, und er drückte, als wolle er ihnen die Flucht unmöglich machen, seine Hände fester gegen seine Stirn. Allmählich jedoch traten einige Gedanken in schärferen Um« rissen auf. Vor allen Dingo,, sagte er sich jetzt, daß er den Ausgang der Ding« vollständig in seiner Hand habe. Das setzte ihn noch mehr in Erstaunen. Abgesehen von dem religiösen Endzweck seiner Handlungen war alles, was er bis zu diesem Tag« getan, nur eine Grube, in die er seinen Namen verscharren wollt«. Was er immer am meisten gefürchtet hott«, war der Gedanke, daß er eincnal diesen Rainen wie der vernehmen würde. Nun faßte er auch allmählich sein« Lage wieder klarer auf. (Fortsetzung solgl.)
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